Donnerstag, 30. September 2010

The White Man's Burden


Heute vor 18 Jahren haben die Vereinigten Staaten ihren Kriegshafen Subic Bay auf den Philippinen aufgegeben, kriegten den Pachtvertrag nicht verlängert. Dabei waren sie doch schon hundert Jahre da. Vorher hatte die Gegend den Spaniern gehört, aber dann gab es diesen splendid little war, und die USA bekamen Kuba, Puerto Rico und Guam von den Spaniern. Für die Philippinen haben sie noch mal 20 Millionen Dollar draufgelegt.

In dieser Situation schreibt der Engländer Rudyard Kipling in dem amerikanischen McClure's Magazine im Februar 1899 ein Gedicht, das The White Man's Burden heißt. Und das den Untertitel The United States and the Philippine Islands trägt. Er hat das Gedicht schon früher begonnen, der mittlerweile berühmte Titel taucht schon im Juni 1897 im Tagebuch von Kiplings Frau auf. Eigentlich wollte Kipling das Gedicht zum Jubiläum von Königin Victoria veröffentlichen, hatte dann aber für diesen Zweck das Gedicht Recessional genommen. So richtig lieben wird ihn die Queen eh nicht, da ist es auch egal, was er schreibt. Denn den Text von The Widow at Windsor in den Barrack-Room Ballads, den mochte man bei Hofe nun gar nicht. Und den Posten als Poet Laureate, den Tennyson gehabt hatte, den wird er nie bekommen. Obgleich er für den normalen Engländer in dieser Zeit sicherlich eine Art heimlicher Poet Laureate ist. Der offizielle Hofdichter heißt Alfred Austin (der den Posten nur bekam, weil William Morris ihn nicht haben wollte), den kennt heute niemand mehr. Kipling kennt man immer noch, auch wenn viele ihn nicht lieben. Weil sie ihn für die Verkörperung des viktorianischen Imperialismus halten. Und so klingt ja The White Man's Burden (dessen Titel zu einem Sprichwort wurde) beim ersten Lesen auch.

Take up the White Man's burden--
Send forth the best ye breed--
Go bind your sons to exile
To serve your captives' need;
To wait in heavy harness,
On fluttered folk and wild--
Your new-caught, sullen peoples,
Half-devil and half-child.

Take up the White Man's burden--
In patience to abide,
To veil the threat of terror
And check the show of pride;
By open speech and simple,
An hundred times made plain
To seek another's profit,
And work another's gain.

Take up the White Man's burden--
The savage wars of peace--
Fill full the mouth of Famine
And bid the sickness cease;
And when your goal is nearest
The end for others sought,
Watch sloth and heathen Folly
Bring all your hopes to nought.

Take up the White Man's burden--
No tawdry rule of kings,
But toil of serf and sweeper--
The tale of common things.
The ports ye shall not enter,
The roads ye shall not tread,
Go mark them with your living,
And mark them with your dead.

Take up the White Man's burden--
And reap his old reward:
The blame of those ye better,
The hate of those ye guard--
The cry of hosts ye humour
(Ah, slowly!) toward the light:--
"Why brought he us from bondage,
Our loved Egyptian night?"

Take up the White Man's burden--
Ye dare not stoop to less--
Nor call too loud on Freedom
To cloke your weariness;
By all ye cry or whisper,
By all ye leave or do,
The silent, sullen peoples
Shall weigh your gods and you.

Take up the White Man's burden--
Have done with childish days--
The lightly proferred laurel,
The easy, ungrudged praise.
Comes now, to search your manhood
Through all the thankless years
Cold, edged with dear-bought wisdom,
The judgment of your peers!


Ich habe diese Werbereklame der Firma Pears hier mal eben eingefügt, damit sie dem Gedicht etwas von der pathetischen Wucht nimmt. Und um zu zeigen, wie schnell es in das hinein wandert, was wir Popular Culture nennen. Und natürlich hat es an Parodien des Gedichtes schon damals nicht gefehlt. Das muss Kipling, der auf eingängige Effekte aus ist, einkalkulieren. Eine der bösesten Parodien ist die Ernest Howard Crosby (with apologies to Rudyard Kipling) drei Jahre später:

Take up the White Man’s burden.
Send forth your sturdy kin,
And load them down with Bibles
And cannon-balls and gin.
Throw in a few diseases
To spread the tropic climes,
For there the healthy niggers
Are quite behind the times.
And don’t forget the factories.
On those benighted shores
They have no cheerful iron mills,
Nor eke department stores.
They never work twelve hours a day
And live in strange content,
Altho they never have to pay
A single sou of rent.
Take up the White Man’s burden,
And teach the Philippines
What interest and taxes are
And what a mortgage means.
Give them electrocution chairs,
And prisons, too, galore,
And if they seem inclined to kick,
Then spill their heathen gore.
They need our labor question, too,
And politics and fraud—
We’ve made a pretty mess at home,
Let’s make a mess abroad.
And let us ever humbly pray
The Lord of Hosts may deign
To stir our feeble memories
Lest we forget—the Maine.
Take up the White’s Man’s burden.
To you who thus succeed
In civilizing savage hordes,
They owe a debt, indeed;
Concessions, pensions, salaries,
And privilege and right—
With outstretched hands you raised to bless
Grab everything in sight.
Take up the White Man’s burden
And if you write in verse,
Flatter your nation’s vices
And strive to make them worse.
Then learn that if with pious words
You ornament each phrase,
In a world of canting hypocrites
This kind of business pays.

Ist nach hundert Jahren immer noch sehr genau und immer noch sehr böse. Crosby ist nicht irgendwer, er ist mit Tolstoi befreundet und kämpft für den Frieden. Was in einer Zeit, als alle von Blut und Eisen reden und der Krieg gegen Spanien als splendid little war bezeichnet wird, sicherlich eine große Leistung ist. Zu einer solchen Haltung wird Kipling auch noch finden, wenn er den Tod seines Sohnes im Ersten Weltkrieg zu beklagen hat. Der Grabspruch If any Question why we died, tell them, because our fathers lied hat nichts mehr mit einer Kriegsverherrlichung zu tun, wenn es die jemals bei Kipling gegeben hat.

Der Adressat des Gedichtes sind die Vereinigten Staaten, sonst hätte es nicht diesen Untertitel, der heute allerdings meistens weggelassen wird. Und es ist bezeichnend, dass Kipling, kaum ist das Gedicht fertig, eine Kopie an Theodor Roosevelt sendet (da ist es noch nicht veröffentlicht). Das ist der Roosevelt, nach dem die Teddybären heißen. Der in dem splendid little war mit seinen rough riders ein Kriegsheld war. Roosevelt schickt das gleich an Henry Cabot Lodge weiter mit dem Kommentar: I send you an advance copy of a poem by Kipling which is rather poor poetry, but good sense from the expansionist standpoint. Das mit dem rather poor poetry hätte Kipling sicher wehgetan, und der politische Hardliner Henry Cabot Lodge hat in seiner Antwort offensichtlich mehr Sinn für Dichtung als Roosevelt. Warum mischt sich Kipling in die Politik der USA ein?

Kipling hatte Anfang der neunziger Jahre die Schwester seines Freundes Woolcott Balestier geheiratet (➱Henry James war Trauzeuge), und das Paar wohnt jetzt in Vermont. Da gefällt es Kipling eigentlich auch sehr gut, wenn er nicht diesen grotesken Streit mit der angeheirateten Verwandtschaft bekommen würde. Sonst wäre er vielleicht in Amerika geblieben. Wenn Kipling Ende der neunziger Jahre nach England kommt, ist das ein Land, das er weniger kennt als andere Teile der Welt. And what should they know of England who only England know? Dieser Satz ist von jemandem geschrieben, der in Bombay geboren wurde.

Und jetzt ist der Mann, der Indien so liebt, in England und mischt sich mit seinen Gedichten ein. Und das sehr viel differenzierter als der in dieser Zeit herrschende Nationalismus. Wider still and wider Shall thy bounds be set; / God, who made thee mighty, Make thee mightier yet, heißt es in Bensons Land of Hope and Glory. Dem steht bei Kipling in Recessional entgegen:

Far-called, our navies melt away;
On dune and headland sinks the fire:
Lo, all our pomp of yesterday
Is one with Nineveh and Tyre!
Judge of the Nations, spare us yet.
Lest we forget—lest we forget!

Sein Gedicht Recessional ist eine Warnung vor dem Größenwahn des Imperialismus. Sollte der gleiche Kipling innerhalb von zwei Jahren zum Apologeten des Imperialismus geworden sein? Eigentlich beschreibt das Gedicht The White Man's Burden ja nur die Schwierigkeiten und Lasten, die sich ein Kolonialherr einhandelt. Das, worum es Kipling immer wieder geht (sagt W.H. Auden), ist die Zivilisation als Gegenpol zu Barbarei und spiritueller Dunkelheit. Conrads Heart of Darkness hat einiges mit Kipling gemein. Was Kipling an den Engländern und der englischen Version der Zivilisation bewundert, sind die Gesetze. Seit der Magna Charta haben sie Gesetze, die sie selbst gemacht haben. Und so lässt er einen Muslim in Kitcherner's School (1898) sagen: Till these make laws of their own choice and Judges of their own blood; / And all the mad English obey the judges and say that that Law is good. Der weiße Mann ist für Kipling nur eine Art Geburtshelfer zu diesem Zustand der eigenen Gesetze und der eigenen Gerichtsbarkeit eines fremden Volkes. Das ist eine idealisierte Form des Imperialismus, und Kipling glaubt keineswegs, dass alles gut ist im englischen Empire.

Heute wird Kiplings politische Einstellung zwar immer noch kritisiert, wobei auch hier mittlerweile differenzierte Wertungen in den Vordergrund getreten sind, heißt es im Wikipedia Artikel zu Kipling  (der englische Artikel ist, wie so häufig, viel besser als der deutsche). Das ist das Mindeste, was Kipling verdient hat. 800 Seiten Gedichte, zahllose meisterhafte Kurzgeschichten, wunderbare Erzählungen für Kinder (Just so Stories for Little Children) und dann noch Romane wie Kim. Und das Dschungelbuch. Man macht es sich zu leicht, Kipling einfach als den Propagandisten des Empire abzutun. Man sollte ihn einfach mal lesen, die 800 Seiten Collected Poems of Rudyard Kipling in der Ausgabe der Wordsworth Poetry Library kosten bei Amazon nur 4.99€.

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