Freitag, 24. April 2015

Min Jehann


Ich war letztens einmal wieder an meinem alten ➱Arbeitsplatz, zum zweiten Mal in sechs Jahren. Ein Kollege hatte mich zu seiner Abschiedsfeier eingeladen. Irgendwie sieht der noch viel zu jugendlich aus, um in Pension zu gehen. Als alle Geschenke und Blumensträuße verteilt, alle Reden gehalten waren, bekannte Jens Bahns, dass er sehr gerne Platt schnacke. Das wussten die meisten von uns nicht. Er las dann etwas Witziges von ➱Reimer Bull zum Thema Abschiedsreden vor. Ich erzählte ihm hinterher, er müsse unbedingt mal in meinen Blog schauen und die wunderbare plattdeutsche ➱Übersetzung von Werner Seifert von Kiplings Mandalay lesen.

Er hätte natürlich auch etwas von Klaus Groth vorlesen können, Klaus Groth geht immer. Der Dichter hat heute Geburtstag, und in meiner kleinen Variation des amerikanischen Poetry Month bietet sich da natürlich ein Klaus Groth Gedicht an. Klaus Groth war schon häufig in diesem Blog zu finden. Also zum Beispiel in den Posts ➱Klaus Groth oder ➱Albrecht Roth, aber eine Geschichte habe ich offensichtlich noch nicht erzählt. Ich war vor Jahrzehnten mit meinen Kollegen zur Geburtstagsfeier des Direktors des Seminars in eine Gaststätte eingeladen. Es gab Schweinshaxe mit Sauerkraut. An meinem Tisch saß ein älteres Ehepaar (deren dahingemurmelte Namen ich nicht verstanden hatte), das sich im Laufe des Abends etwas eigentümlich benahm.

Aus irgendeinem Grund hatte ich an dem Abend gegenüber meiner Tischnachbarin die Weserstraße in Vegesack erwähnt, als die beiden mir Gegenübersitzenden mich plötzlich geradezu inquisitorisch auszufragen begannen. Ob unser Haus gegenüber dem Haus von ➱Senator Duckwitz stände? Wem die Häuser daneben gehörten? Gab es das Hotel Bellevue noch? Wie weit es zu dem Gartenlokal Bruns in Leuchtenburg wäre? Und so ging das den ganzen Abend lang. Sie hatten irgendwoher erstaunliche Ortskenntnisse, die offensichtlich aus dem 19. Jahrhundert stammten, hatten den Ort aber anscheinend selbst nie gesehen. Sie taten sehr geheimnisvoll, sagten aber nicht, weshalb sie mich den ganzen Abend mit Fragen löcherten. 

Tage später traf ich meine Tischnachbarin wieder und erkundigte mich, ob sie zufälligerweise das Ehepaar kannte, das mich an dem Abend vom Genuß meiner Schweinshaxe abgehalten hatte. Sie kannte die beiden. Die schrieben nämlich gerade ein Buch über Doris Finke (Bild). Und auf dem Sommersitz des reichen Bremer Weinhändlers Albert Diedrich Finke, dessen Tochter Doris den Dichter aus Schleswig-Holstein geheiratet hatte, hatte Klaus Groth ja viel Zeit verbracht. Der Finkenhof, den Doris auch Kio nannte, war von unserem Haus vielleicht hundert Meter entfernt. Friedrich Engels mag es gesehen haben, als er auf der Weser notierte: Hier liegen die Villen der Aristokraten, deren Anlagen das Weserufer eine kleine Strecke hin wirklich sehr verschönern. Für Klaus Groth war die Zeit auf dem Finkenhof nicht so glücklich wie für seine Doris. Die reichen Bremer Verwandten haben es den armen Dichter bei jedem Aufenthalt in der Weserstraße spüren lassen, was sie von plattdeutsch dichtenden Nichtsnutzen halten. Die Tagebücher von Doris Groth, die 1985 unter dem Titel Wohin das Herz uns treibt bei Boyens veröffentlicht wurden, zeigen diese Spannungen deutlich auf.

Meine Tischnachbarin wusste zu berichten, dass das mir unbekannte Ehepaar lediglich eine alte Straßenkarte von Vegesack aus dem 19. Jahrhundert besäße und deshalb glücklich war, dass sie nun zufällig jemanden aus dem Ort (und noch dazu aus genau dieser Straße) getroffen hatten. Das hätten sie mir ja eigentlich auch sagen können, die Unterhaltung wäre wesentlich einfacher gewesen. Das Buch des Ehepaares von der Westküste fand ich Jahre später im Grabbelkasten eines Antiquariats.

Ich male normalerweise nicht in meinen Büchern herum, aber hier finden sich doch eine Vielzahl von Anstreichungen. Überall in den Anmerkungen der Verfasser steht da lapidar: nicht ermittelt. Auch den Landgasthof Bruns (hier ihm Bild), wo Doris und Klaus Groth gegessen haben, haben die Autoren nicht ermittelt; irgendwann habe ich aufgehört, die Fehler in dem Buch zu zählen. Der Schlimmste war, dass die Autoren behaupteten, dass auf dem Grundstück der Finkeschen Villa heute eine Fabrik steht. Leute, habt ihr bei der Schweinshaxe überhaupt nicht zugehört? Die Villa, die die Erben von Albert Diedrich Finke anstelle des ursprünglichen Finkenhofs im 19. Jahrhundert haben errichten lassen, stand dort bis in die achtziger Jahre. Eine Fabrik gibt es in der ganzen Straße nicht.

Über ihr Benehmen sinne ich immer noch nach. Gut, sie kamen aus dem Geburtsort von Klaus Groth, wollten sie seinem Benehmen nacheifern? So feinsinnig er war, blieb er irgendwie doch ein Bauer aus Dithmarschen, nicht selten schroff und herbe. Oder wie ein Kritiker schreibt: Klaus Groth war für den Salon nicht erzogen, wenn er auch oft ein Liebling der Salons gewesen ist. Vielleicht typisch für Groth ist eine Anekdote, die sich im Tagebuch seiner Frau im Jahre 1861 findet: Ferner machte Klaus eine Reise nach Norderney, um Großvater dort zu seinem 84sten Geburtstag zu begrüßen. Dies endete etwas unglücklich u. hinterließ deshalb eine Mißstimmung. Der König von Hannover kam auf Norderney an. Großvater wünschte, daß Klaus sich ihm vorstellen ließe. Klaus wollte es nicht u reiste Knall auf Fall ab, weil er es dort bei längerem Sein nicht hätte vermeiden können.

Ich könnte heute natürlich Theodor Storms schönes Gedicht bringen, das er 1872 für Klaus Groth geschrieben hat:

Wenn't Abend ward,
Un still de Welt, un still dat Hart;
Wenn möd up't Knee di liggt de Hand,
Un ut din Husklock an de Wand
Du hörst den Parpendikelslag,
De nich to Woort keem över Dag;
Wenn't Schummern in de Ecken liggt,
Un buten all de Nachtswulk flüggt;
Wenn denn noch eenmal kiekt de Sünn
Mit golden Schiin to't Finster 'rin,
Un, ehr de Slap kümmt un de Nacht,
Noch eenmal Allens lävt un lacht -
Dat is so wat vör't Minschenhart,
Wenn't Abend ward.

Aber ich zitiere lieber noch einmal mein Lieblingsgedicht von Klaus Groth, ein Gedicht, das ich noch im Schlaf aufsagen kann. Und das immer wieder schön ist:

Ik wull, wi weern noch kleen, Jehann,
Do weer de Welt so groot!
Wi seten op den Steen, Jehann,
Weest noch? bi Nawers Soot.
An'n Heben seil de stille Maan,
Wi segen, wo he leep,
Un snacken, wo de Himmel hoch
Un wo de Soot wull deep.

Weest noch, wo still dat weer, Jehann?
Dor röhr keen Blatt an'n Boom.
So is dat nu nich mehr, Jehann,
As höchstens noch in'n Droom.
Ach nee, wenn dor de Scheper sung,
Alleen in't wiede Feld:
Ni wahr, Jehann? dat weer en Ton!
De eenzige op de Welt.

Mitünner inne Schummertied
Denn ward mi so to Moot
Denn löppt mi't langs den Rügg so hitt,
As domals bi den Soot.
Denn dreih ik mi so hastig üm,
As weer ik nich alleen:
Doch allens, wat ik finn, Jehann,
Dat is - ik sta un ween.

Jetzt kann ich noch gesungene Versionen von ➱Ernst Busch, ➱Hannes Wader, ➱Ina Müller und (ganz schlimm) ➱Lale Andersen anbieten. ➱Lale Andersen, ➱Ernst Busch und ➱Hannes Wader haben hier schon einen Post, Ina Müller noch nicht. Vielleicht kommt das ja noch mal.

1 Kommentar:

  1. Danke für diesen Post. Das Lied ist wunderschön und die verschiedenen Interpretationen einfach gut. Außer der Anderson. Da kann ich nur zustimmen.

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