Dienstag, 14. Juli 2015

Harper Lee


Vor fünf Jahren war sie hier schon einmal im Blog, die Frau aus Alabama, die den Roman To Kill a Mockingbird geschrieben hat. Der hat sich über 30 Millionen mal verkauft, wir haben ihn alle gelesen. Und den Film mit Gregory Peck als Anwalt Atticus Finch gesehen. Jetzt macht Nelle Harper Lee wieder Schlagzeilen: ihr zweiter Roman Go Set a Watchman erscheint heute.

Eigentlich ist es nicht ihr zweiter, sondern ihr erster Roman. Oben ist sie mit Gregory Peck zu sehen, den sie sehr mochte. Für seine Rolle als Atticus Finch gab sie ihm die Taschenuhr ihres Vaters (der wohl ein wenig das Vorbild für Atticus Finch war) und zeigte ihm, wie der sie aus der Westentasche zu ziehen pflegte. Obgleich Peck nur zehn Jahre älter war als sie, war er für sie eine Art Vaterfigur, ➱Michael Freedland hat das Verhältnis sehr schön im Guardian beschrieben.

Dies ist ein Brief von Harper Lees Agenten Maurice Crain vom April 1957 an Evan Thomas vom Harper Verlag, in dem Crain eine unbekannte Autorin anpreist: 'Go Set A Watchman' will be an eye-opener for many northerners as to Southern attitudes, and the reasons for them, in the segregation battle. Also and incidentally, Miss Lee can write. She is about thirty and bright as a button. Aber obgleich die Autorin schreiben konnte und bright as a button war (sie selbst bezeichnete ihren Erstling als a pretty decent effort), nahm Evan Thomas das Buch nicht an. Das war sicherlich ein Fehler des Verlags. Einen Träger des Pulitzerpreises hat man nicht jeden Tag unter den Autoren.

Harper Lee hatte gerade mal ihre ersten Kurzgeschichten fertig, als sie eine Agentin namens Annie Laurie Williams aufsuchte: I walked around the block three times before I could muster the courage to go in and give the stories to the agent. At the time, I was very shy. Finally, I rushed in, left the manuscripts with the secretary, and left. I prayed for a quick death, and forgot about it. Um in ihrer Verlegenheit ein klein wenig Eindruck zu machen, erwähnte sie, dass sie ein very good friend of Truman Capote's sei. Das kam nun bei Annie Laurie Williams überhaupt nicht an, die den in allen Dingen des Lebens völlig unzuverlässigen Truman Capote einmal als Klienten gehabt hatte.

Eigentlich war Williams auch darauf spezialisiert, die Werke ihrer Klienten nach Hollywood zu verkaufen. Und das waren berühmte Werke: Of Mice and Men, The Grapes of Wrath und Gone With the Wind. Annie Laurie Williams sagt unserer jungen Autorin, sie würde die Manuskripte an ihren Gatten weitergeben. Der niemand anderer als Maurice Crain ist (hier sind die beiden zu sehen). Und Maurice Crain ist begeistert von allem, was die unbekannte junge Frau aus Monroeville in Alabama schreibt.

Den Namen von Annie Laurie Williams hatte Harper Lee von Michael Brown bekommen, einem musikalischen Universalgenie, dessen Songs das Chad Mitchell Trio auch einmal gesungen hat. Ich erwähne die drei Herren gerne, sie stehen schon in den Posts ➱The Kingston Trio und ➱Sigmund Freud. In letzterem natürlich, weil sie diesen wunderbaren Song sangen, der den Refrain hat:

Well, Doctor Freud, oh Doctor Freud
How we wish you had been differently employed
But the set of circumstances
Still enhances the finances
of the followers of Doctor Sigmund Freud


Michael Brown und seine Frau Joy haben aber noch mehr Verdienste um die junge Frau, die 1956 zu schreiben beginnt. Sie hat von ihnen eine Weihnachtskarte bekommen, auf der stand: You have one year off from your job to write whatever you please. Merry Christmas. Sie hat diese Geschichte in einen kleinen Essay mit dem Titel Christmas to Me geschrieben, der 1961 von dem Magazin McCall gedruckt wurde. Wenn Sie wollen, können Sie ihn ➱hier lesen.

Wir wissen sehr wenig über Nelle Harper Lee. Als die Bibliothekarin ihrer alten Universität Huntingdon College sie in den sechziger Jahren anschrieb, weil sie überhaupt nichts über sie für ein Jahrbuch  der Universität herausfinden konnte, antwortete die Autorin: I'm afraid a biographical sketch of me will be sketchy indeed. With the exception of M'bird, nothing of any particular interest to anyone has happened to me in my 34 years. Man hat sie auch die Greta Garbo der amerikanischen Literatur genannt, so hat man ➱J.D. Salinger auch einmal genannt.

Sie kommt aus dem selben Südstaatenkaff wie Truman Capote, die beiden haben sich gekannt und waren befreundet. Dass Capote To Kill a Mockingbird geschrieben hat, wie manchmal zu lesen ist, ist aber ziemlicher Quatsch. Dass Capote als Romanfigur in To Kill a Mockingbird erscheint, das ist wohl wahr. Und nein, Harper Lee ist nicht mit dem General ➱Robert Lee verwandt.

Harper Lee, die als Angestellte der Firma Eastern Airlines in New York City arbeitete, aber eigentlich nur schreiben wollte, landet bei Lippincott's. Bei einer resoluten Dame namens Tay Hohoff (Bild), die eigentlich Therese von Hohoff heißt. Die Katzen und junge Autoren sammelt (auch ➱Thomas Pynchon, über den man ebenso wenig wie über Harper Lee weiß, soll von ihr gefördert worden sein). Tay Hohoff wird die Hebamme des Romans, der immer noch Go Set a Watchman heißt. Sie soll, so spekuliert man, ihn radikal umgeschrieben haben. Das ist nichts Ungewöhnliches. Ohne Maxwell Perkins vom Scribner Verlag hätten die Romane von Thomas Wolfe wohl nicht das Licht der Welt erblickt. Und William Faulkner verdankt seinem Lektor Albert Erskine bei Random House viel. Der einmal in schöner Verzweiflung sagte: I know that he did not wish to have carried through from typescript to printed book his typing mistakes, misspellings (as opposed to coinages), faulty punctuation and accidental repetition. He depended on my predecessors, and later on me, to point out such errors and correct them; and though we never achieved anything like a perfect performance, we tried.

Im Februar dieses Jahres ließ Harper Lee durch ihren Anwalt das immer wiederkehrende Gerücht bestätigen, dass ein neuer Roman von ihr erscheinen würde. Die Sensation, die Medien, Fans und Buchhändler auf der ganzen Welt hyperventilieren lässt: Ein Manuskript ist aufgetaucht, schrieb die NZZ. Die deutsche Ausgabe Gehe hin, und stelle einen Wächter soll am 17. Juli bei DVA erscheinen, das geht jetzt blitzschnell, man wittert einen Bestseller. Die Übersetzer heißen Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, sie haben bisher für Random House Autoren wie Scott Turow und Michael Crichton übersetzt. Es wäre einem wohl lieber, man hätte einen renommierten Übersetzer gefunden, der ein Gefühl für die Literatur der amerikanischen Südstaaten hat. Natürlich auf keinen Fall Peter Handke, der für Walker Percy eine ➱Katastrophe ist.

Ich würde eigentlich gerne einmal über die Literatur des Südens schreiben. Will ich schon seit Jahren, habe ich aber bisher gelassen. Gut, William Faulkner kommt schon in ➱William Faulkner, ➱William Cuthbert Faulkner, ➱Dorothy Malone, ➱Peter Nicolaisen und vielen andern vor (testen Sie das Suchfeld). ➱Richard Ford hat einen Post, Cormac McCarthy zwei (➱Cormac McCarthy und ➱All the Pretty Horses), ➱Tennessee Williams gibt es auch schon. Padgett Powells wunderbarer Roman Edisto wird in ➱Coming through the Rye und ➱Denton Welch erwähnt. Und selbst Harry Crews' A Feast of Snakes erhält in ➱Richard Yates eine Erwähnung. ➱Truman Capote, den ich eigentlich nicht ausstehen kann, hat einen Post (und taucht auch in dem Audrey Hepburn Post ➱Breakfast at Tiffany's auf), aber was ist mit den anderen? Wie Flannery O'Connor, Peter Taylor, Carson McCullers, Eudora Welty oder Walker Percy? Nachdem H.L. Mencken am Anfang des 20. Jahrhunderts das böse Wort von der The Sahara of the Bozart (➱hier im Volltext) ausgegeben hatte, haben die Autoren des Südens in der Southern Renaissance schnell gezeigt, dass sie mehr konnten, als triviale, melodramatische Romane über den verlorenen Bürgerkrieg zu schreiben (ein Buch über diese Literatur hat den schönen Titel Moonlight and magnolias). Ich glaube, ich fange damit irgendwann mal an, hier die Südstaatenliteratur zu präsentieren.

Für den heutigen Tag der Ersterscheinung von Go Set a Watchman habe ich natürlich noch etwas für Sie. Nämlich das erste Kapitel des Romans. Dank des Guardian einmal im ➱Original und dank der Süddeutschen auch auf ➱Deutsch.

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