Samstag, 7. November 2015

My Darling Clementine


In den Ort mit dem symbolischen Namen Tombstone, der in John Fords Welt irgendwo direkt neben Monument Valley liegt, kommt Wyatt Earp mit seinen Brüdern nur, weil er wieder einmal eine Rasur braucht: Tombstone! Yeah, I heard of it. Well, me and my brothers might ride in there tonight. Get ourselves a shave maybe. A glass of beer. Der Friseursalon hat den schönen Namen Bon Ton Tonsorial Parlor, das sind die ersten Anflüge der Zivilisation in der wide open town. Kaum hat die Rasur begonnen, da gibt es eine Schießerei, ein Spiegel zersplittert im Friseursalon. Earp rennt auf die Straße: What kind of a town is this anyway? Excuse me ma'am. A man can't get a shave without gettin' his head blowed off. Er wird die Stadt bald besser kennenlernen.

Die Schießerei am Anfang wurde übrigens nicht von den wirklichen Bösewichten des Films, der Familie Clanton, begonnen, sondern von einem betrunkenen Indianer: What kind of a town is this anyway? Selling liquor to Indians, fragt Wyatt Earp, nachdem er den Indianer niedergeschlagen hat. Dem folgt: Indian - get out of town and stay out! Eine Botschaft, die mit einem Fußtritt bekräftigt wird. Was den Professor William Beard von der University of Alberta in seiner Vorlesung sagen lässt: I said before the movie that I had some criticisms of My Darling Clementine, and here they are. In the first place there’s the casual racism and sexism of the Wyatt Earp character, and it seems that these are attitudes of the film itself. Wyatt’s remarks about drunken Indians, or his contemptuous treatment of Chihuahua, are embarassing reminders of how common and widely accepted such attitudes were 50 years ago. 

Professor Beard hätte noch hinzufügen können, dass John Ford beinahe die ganze Szene aus einem älteren Wyatt Earp Film geklaut hat. Der Film heißt Frontier Marshal, und Randolph Scott spielt Wyatt Earp. Der Indianer, den er am Anfang im Saloon überwältigt (Bild), heißt Charlie - den Namen hat auch der betrunkene Indianer bei John Ford. 1946 konnte man noch so mit Indianern umgehen. You’ve chased us across America’s movie screens, sang Buffy Sainte-Marie in My Country, ’tis of thy people you’re dying. Erst in den sechziger Jahren wird Hollywood zögernd seine filmischen Verbrechen an den Indianern aufarbeiten.

Das Lied Oh My Darling, Clementine haben wir in der Schule gesungen, in dem Film von John Ford wird es auch gesungen (man konnte es schon in seinem Film The Grapes of Wrath hören). Und natürlich wird in dem Film getanzt, das sind Szenen, die Ford in seinen Filmen liebt. Wir sehen an seinen ungelenken Bewegungen: Wyatt Earp kann nicht tanzen, Wyatt Earp kann nur schießen. Ford mochte den Film My Darling Clementine nicht besonders, aber viele Kritiker (und viele Regisseure) haben gesagt, dass es kaum solch einen poetischen Western gäbe wie diesen. Es gibt sicher poetische Szenen, aber dennoch ist My Darling Clementine nicht mein Lieblingsfilm.

Das ist schon eher She Wore a Yellow Ribbon, ein Film, der ➱hier einen langen Post hat. Ein Post übrigens, der schon einmal veröffentlicht wurde. Beinahe alles in diesem Blog ist neu, lediglich ein halbes Dutzend der beinahe 1.700 Posts war schon einmal in Zeitschriften, Büchern oder Lexika veröffentlicht. Diese Posts sind dann natürlich für den Blog bearbeitet worden: Fußnoten und Wissenschaft flogen raus, Bilder kamen hinein. Verba docent, exempla trahunt.

My Darling Clementine erzählt die Geschichte von Wyatt Earp und dem gunfight am O.K. Corral zum hundertsten Mal. Wir wissen inzwischen, dass alles an der Geschichte von Wyatt Earp eine Lüge ist, er ist kein strahlender Held gewesen. Philip French sagt in seinem hervorragenden Buch Westerns, dass alle Schilderungen der Schießerei in späteren Filmen historisch genauer gewesen seien, but no version arrives at that quality of truth, albeit a bogus, mythic one, which Ford achieves.

Die Amerikaner mögen ihre Geschichte vom winning of the west nicht als Wiegenlied des Totschlags, sie möchten das Ganze als kommensurablen Mythos präsentiert sehen. Auch wenn er bogus ist. Hollywood ist bei der Geschichtsklitterung gerne behilflich. Und John Ford liebt es, einen Mythos zu kreieren. Wahrscheinlich hat the winning of the west eher so ausgesehen wie ➱Cormac McCarthys Blood Meridian.

Aber das Blut riecht man hier nicht, was die titelgebende Clementine in dem Film riecht, ist das Parfüm, mit dem der Friseur den Marshal eingestäubt hat:

Clementine: I love your town in the morning, Marshal. The air is so clean and clear. The scent of the desert flowers.
Wyatt: That's me. (He nods toward the Bon Ton shop.) Barber.
Clementine: Marshal? May I go with you? (Along with the church bells tolling, the churchgoers are singing the hymn: Shall We Gather at the River?) You are going to the services, aren't you?
Wyatt: Yes ma'am. I'd be admired to take you.

Wyatt Earp wird am Ende des Films fortreiten, Clementine Carter, die abreisen wollte, wird bleiben. Der Marshal, rasiert und parfümiert, brachte die Ordnung in die Stadt, die schlicht Grabstein heißt. Die neue schoolmarm bringt die Zivilisation. Das machen die Lehrerinnen im Western immer, seit Owen Wister seinen Virginian (den Ford für diesen Film reichlich ausgebeutet hat) geschrieben hat. 'My Darling Clementine' constructs a loving hymn to the values of civilization, schreibt Jim Kitses in Horizons West

I knew Wyatt Earp, hat John Ford seinem Kollegen Peter Bogdanovich zwanzig Jahre nach My Darling Clementine erzählt: In the very early silent days, a couple of times a year, he would come up to visit pals, cowboys he knew in Tombstone; a lot of them were in my company. I think I was an assistant prop boy then and I used to give him a chair and a cup of coffee, and he told me about the fight at the O.K. Corral. So in 'My Darling Clementine', we did it exactly the way it had been. Es ist etwas kippelig, wie Wyatt Earp hier sitzt, es gibt bei Ford immer einen comic relief. Oben im Bild die beinahe statuarische Pose, hier die Grenze zum Lächerlichen, du sublime au ridicule il n'y a qu'un pas. Und das mit dem Lächerlichen gilt auch für das John Ford Zitat: kein Wort davon ist wahr.

Ford nimmt für die Hauptrolle Henry Fonda, der immer die Verkörperung des Edlen und Guten ist. So kann er hier weitermachen, wo der Film Young Mr Lincoln aufgehört hatte. Doch auch wenn der Held mythische Qualitäten bekommt und das Gute über das Böse siegt, es ist ein Film, der voller großer Traurigkeit ist. Man spürt noch den Krieg in diesem Film. Es ist die gleiche Melancholie, die den Film They Were Expendable auszeichnet (dazu gibt es ➱hier schon einen Post).

In They Were Expendable spielt John Wayne einen Marineoffizier. John Wayne war nie bei der Marine (oder einer anderen Waffengattung). Henry Fonda war bei der Marine, I don't want to be in a fake war in a studio. John Ford war auch bei der Marine, er ist Commander John Ford, US Naval Reserve. Er filmt die Schlacht von Midway, und wird dabei verwundet. Er ist bei der Landung der Alliierten in Omaha Beach dabei und wird später noch einmal im Koreakrieg reaktiviert. Richard Nixon wird den Filmregisseur zum Admiral der Reserve machen.

My Darling Clementine ist der erste Film, den Henry Fonda nach dem Krieg dreht. John Ford brauchte den Schauspieler für diesen Film, nicht John Wayne. Er braucht den schlaksigen Henry Fonda wegen der Körpersprache, für das Tanzen (auch wenn die ➱Szene kaum eine Minute lang ist) und das Balancieren mit dem Stuhl. In Young Mr Lincoln lässt Ford Henry Fonda tanzen, er hopst ein wenig. Er ist beinahe einen Meter und neunzig groß, er bewegt sich anders als John Wayne. In dem Film Stagecoach (der hier einen Post hat) wäre Fonda eine Fehlbesetzung gewesen, in She Wore a Yellow Ribbon auch. Aber hier ist er als Wyatt Earp perfekt.

Wyatt Earp will die Macht. Er braucht Doc Holliday, der das Glückspiel in der Stadt kontrolliert. Sie einigen sich beim ersten Treffen, Doc Holliday bietet Wyatt Earp Champagner an. Im Western wird selten Champagner getrunken. Holliday: I know all about you and your reason for being here. Wyatt: Heard a lot about you too, Doc. You left your mark around in Deadwood, Denver and places. In fact, a man could almost follow your trail goin' from graveyard to graveyard. Holliday: There's one here too, biggest graveyard west of the Rockies. Marshals and I usually get along much better when we understand that right away. Wyatt: Get your meanin' Doc. Holliday: Good.

Doc Holliday wird die Schießerei am O.K. Corral nicht überleben (was historisch falsch ist), der Doktor (den Ford von einem Zahnarzt zu einem Arzt macht) brachte schon ein wenig Zivilisation mit sich. Wenn die Clanton Bande den durchreisenden Schauspieler Granville Thorndyke entführt hat und ihn zwingt, Hamlets To be or not to be aufzusagen, ist Holliday in der Lage, den Monolog zu Ende zu sprechen, wenn dem Schauspieler der Text ausgeht. Es ist eine anrührende Szene. Shakespeare im Wilden Westen. Hamlets Monolog hat für den langsam an Tuberkulose dahinsterbenden Doc Holliday eine besondere Bedeutung:

But that the dread of something after death...
The undiscovered country
From whose bourn no traveller returns,
Puzzles the will
And makes us rather bear those ills we have
Than fly to others that we know not of?
Thus conscience does make cowards of us all...


Am Ende reitet Wyatt Earp fort (der wirkliche Wyatt Earp bleibt in Tombstone), fort aus dem biggest graveyard west of the Rockies. Westernhelden reiten immer fort, meistens in den Sonnenuntergang. Die Frau bleibt zurück: Clementine: There's so many things I wanted to say and now nothing seems appropriate. Wyatt: Yes, ma'am, uh, yeah I know. The mayor says you might be stayin' here a while, maybe helpin' get a school started. Clementine: Yes, I'm the new schoolmarm. Wyatt: That's mighty nice, ma'am. Me and Morg are goin' out to see Pa, tell him what happened. I might come East again, get some cattle, maybe stop by here again. Clementine: Stop by the schoolhouse? Wyatt: Yes, ma'am. I sure will. (Wyatt kisses her affectionately on the cheek.) Goodbye, ma'am. (Wyatt extends his hand for a handshake) Clementine: Goodbye.

Und dann steigt er auf sein Pferd, lüftet den Hut und sagt: Ma'am, I sure like that name - Clementine. Und die Musik erklingt I'll be loving you forever, Oh My Darling Clementine. Es ist ein schönes Ende. Aber es ist nicht von John Ford, der Studioboss Darryl F. Zanuck (der aus Fords Film dreißig Minuten strich) hat das Ende nachdrehen lassen. Ford hat ihn dafür gehasst.

Sie können den Film, der am 7. November 1946 seine Premiere in Amerika  hatte (in Deutschland kam er drei Jahre später als Faustrecht der Prärie in die Kinos), hier sehen. Auf der Seite der aellea Classic Movie Scripts gibt es ein Transkript. In der Criterion Collection gibt es neuerdings eine DVD mit vielen Extras. Und noch mehr John Ford in diesem Blog: Technicolor, Stagecoach, Spätwestern, Maureen O'Hara, Schnellboote, Vera Miles, Natalie Wood, Dorothy Malone, John Steinbeck, Clark Gable, James Stewart, Westernheld, The Duke, The Big Trail,



1 Kommentar:

  1. Guten Tag Silvae,
    Großartig, diese Wiederbelebung eines uralten Wildwest-films. Habe zuerst auf YouTube geschaut, aber da war der Streifen nur in 144p: schlechter geht's nicht. Werde mir dann wohl die 4K-Version kaufen.

    Schön wäre es schon, wenn sich jemand die Mühe machte, diesen und so manchen alten Film in Farbe neu herauszubringen. Ich weiss, aus "künstlerischen" Überlegungen heraus ist das undiskutabel, so die offizielle, korrekte Meinung. Bin davon aber nicht überzeugt....

    Einer meiner Lieblingsfilme ist Kurosawa's "7 Samurais", auch so eine Art Wildwestfilm, der es verdient hätte, mehr als nur alle zehn Jahre im Mitternachtsprogramm sichtbar zu werden. Der dann in Farbe und in 4K. Ein Traum. Was würde wohl Kurosawa dazu sagen??

    Georg

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