Mittwoch, 27. April 2016

Denkmäler


Eines der ganz großen ➱Gedichte von ➱Robert Lowell ist das Gedicht For the Union Dead, das das lateinische Relinquunt Omnia Servare Rem Publicam als Motto hat. Das auch das Motto der Society of Cincinnati war, einer Gesellschaft, der auch George Washington (und Robert Gould Shaws Vater) angehörte. Das Gedicht ist ziemlich lang, es handelt von dem Colonel Robert Gould Shaw, den der ➱Film Glory einem größeren Publikum bekannt gemacht hat. Es ist ein schlechter Film, es wäre mir lieber, man würde den jungen Colonel mit dem Denkmal von St Gaudens und dem Gedicht von Lowell assoziieren.

Lowells Gedicht mit der Fischbildlichkeit von der ersten bis zur letzten Strophe ist überall im Netz. Sie können es ➱hier lesen. Ich dachte mir, ich präsentiere heute mal eine deutsche Übersetzung. Ich wollte die von ➱Curt Meyer-Clason nehmen, aber die gibt es nicht im Internet. Dann fand ich auf dieser ➱Seite eine Übersetzung von einem Anonymus, die bis auf die Überschrift (Für die Unionstoten geht nun gar nicht) besser ist als die von Meyer-Clason:

Das alte Süd-Boston-Aquarium steht 
in einer Sahara aus Schnee. Zerbrochene Fenster vernagelt. 
Die bronzene Wetterfahne: ein Dorsch ohne Schuppen. 
Die luftigen Becken sind leer. 

Meine Nase kroch schon schneckengleich über das Glas; 
meine Hand kribbelte, 
wollte Blasen fangen, 
die von den Nasen schüchtern gefälliger Fische stiegen. 

Meine Hand zuckt zurück, ich seufze oft 
um das dunkle untere Wucherreich 
von Fisch und Reptil. Eines Morgens im März 
drückte ich mich an den neuen stachlig verzinkten 

Zaun des Boston Common. Hinter ihren Käfigstäben 
grunzten gelbe Löffelbagger-Dinosaurier 
als sie tonnenweise Gras und Matsch abfraßen 
für ihr Unterweltsparkhaus. 

Parkplatzräume luxuriös wie städtische 
Sandhalden im Herzen von Boston. 
Ein Gürtel orangener, farbiger Puritanerkürbisse 
hosenträgert das kribblige Rathaus, 

das die Grabungen erschüttert, als es Colonel Shaws 
ansichtig wird und seiner pausbäckigen Negerinfanterie 
auf St. Gaudens erschütterndem Bürgerkriegsrelief, 
das holzplankengestützt am Beben des Parkhauses hängt. 

Zwei Monate nach dem Marsch durch Boston 
das halbe Regiment tot; 
bei der Enthüllung 
konnte William Jones fast den Atem der Bronzeneger hören. 

Ihr Denkmal steckt als Gräte 
in der Kehle der Stadt. 
Sein Colonel ist so mager 
wie eine Kompaßnadel. 

Er hat eine wachsame Zaunkönigswut 
die straffe Sanftheit des Windspiels; 
er scheint vor Vergnügen zu zucken, 
an Geheimhaltung zu ersticken. 

Jetzt ist er ungebunden. Er erfreut sich der lieblichen 
seltsamen Macht, das Leben zu wählen und sterben – 
als er seine schwarzen Soldaten in den Tod führt, 
kann er den Rücken nicht beugen. 

Auf tausend Neuengland-Kleinstadtrasen 
halten altweiße Kirchen ihren Atem 
aus sparsam ernster Rebellion; fransige Flaggen 
bedecken die Gräber der Großen Armee der Republik. 

Die Steinstandbilder des abstrakten Unionssoldaten 
werden jedes Jahr schlanker und jünger – 
sie dösen wespentailliert auf Musketen 
und grübeln durch Backenbärte hindurch ... 

Shaws Vater wünschte kein Monument, 
außer dem Graben 
in den seines Sohnes Leiche geworfen 
und verloren ward mit seinen „Niggers". 

Der Graben ist näher. 
Hier gibt es kein Standbild zum letzten Krieg; 
auf der Boylston Street zeigt ein Berufsphotograph 
Hiroshima wie es über 

einem Mosler-Safe kocht, dem „Rock of Ages", 
der den Knall überstand. Der Weltraum kommt näher. 
Wenn ich vor meinem Fernseher kauere, 
steigen trockne Gesichter von schwarzen Schulkindern auf wie Ballons. 

Colonel Shaw 
reitet auf seiner Kuppel, 
erwartet 
sehnlich die Rast. 

Das Aquarium ist fort. Überall 
schnüffeln RiesenWagen heckflossig vorwärts wie Fische; 
eine grimmige Untertänigkeit 
gleitet auf Schmierfett vorbei. 

Die Bilder oben zeigen einen Gipsabdruck des Bostoner Denkmals für Robert Gould Shaw und einmal das Denkmal direkt von vorn photographiert. Auch wenn Lowells Gedicht von Bauarbeiten handelt, man denkt in Boston nicht daran, das Denkmal, das Augustus Saint Gaudens schuf, abzureißen. Woanders in Amerika köchelt man ein Süppchen mit dem Gedanken, die Helden des Bürgerkriegs einfach wegzuräumen. Lowells Satz Their monument sticks like a fishbone in the city’s throat hat zur Zeit für New Orleans eine große Bedeutung.

Hier auf dem Bild oben sehen wir den Lamborghini Huracan von David Mahler. Auf dem Bild darunter sehen wir auch Mahlers Lamborghini. Nachdem erboste Bürger aus New Orleans getestet haben, ob so ein Zippo Feuerzeug wirklich so gut ist, wie die Werbung verspricht. David Mahler ist Bauunternehmer, er hatte den Auftrag, die Statuen von General Beauregard, General Robert E. Lee und Jefferson Davis vom Lee Circle in der Mitte der Stadt zu entfernen. Hatten die Politiker beschlossen. Weil das alle Sklavenhalter waren. Einst waren sie die Helden des Südens.

Der Bürgermeister von New Orleans Mitch Landrieu hat gesagt: We, the people of New Orleans, have the power and we have the right to correct these historical wrongs. Wenn das so weitergeht in den USA mit dem Abbau von Denkmälern von Sklavenhaltern, dann haben die Abbruchunternehmer viel zu tun. Dann sind eines Tages auch George Washington und Thomas Jefferson dran. Aber vorerst ist die ganze Sache mit den Denkmälern vom Lee Circle in New Orleans erst einmal bei den Gerichten.

In Richmond (Virginia) gibt es eine Monument Avenue, da reiten ➱Robert E. Lee (Bild), Stonewall Jackson und J.E.B Stuart noch stolz auf dem Pferd. Noch. Nach dem Bürgerkrieg konnte man gar nicht genug Statuen für die toten Helden des Bürgerkriegs aufstellen. William Faulkners Großvater organisierte ein ➱Ritterturnier, um das Geld für ein Soldatendenkmal zusammen zu bekommen. The stone statues of the abstract Union Soldier grow slimmer and younger each year -- wasp-waisted, they doze over muskets and muse through their sideburns, heißt es bei Lowell. Es ist der Steinfraß, der die steinernen Soldaten schlanker macht. Robert E. Lee kann er nichts anhaben, der ist aus Bronze.

Wir können seinen Gesichtszügen nicht entnehmen, was er davon hält, dass da ein neuer Held auf der Monument Avenue aufgestellt worden ist. Der ist schwarz und kommt aus Richmond, es ist der Tennisspieler Arthur Ashe. Einhundertsechs Jahre nach Robert Lee hat er auch einen Platz auf der Avenue gefunden. Warum auch nicht, 1929 hatte man den Ozeanographen Matthew Fontaine Maury hier aufgestellt, der hatte auch nichts mit dem Bürgerkrieg zu tun.

Braucht Amerika Denkmale? Ambrose Bierce hat in seinem Devil's Dictionary ganz entschiedene Ansichten: Monument, n. A structure intended to commemorate something which either needs no commemoration or cannot be commemorated. Vielleicht ist das größte Denkmal des Bürgerkriegs der Nationalfriedhof von Arlington. Auch da ist Marse Robert, dem Präsident Lincoln einmal das Kommando der Armee des Nordens angeboten hatte, noch gegenwärtig. Selbst wenn es kein Denkmal für ihn gibt. Aber das Grün hier, das war alles mal seins. Seine Villa Arlington House hat man stehen lassen, auch eine Art von Denkmal. Lowells Satz Their monument sticks like a fishbone in the city’s throat gilt nicht nur für Boston, der gilt für all die Denkmale des Bürgerkriegs. Sie stehen da für die Erinnerung an die Geschichte. Die kann man nicht durch einen Bauunternehmer wegräumen lassen. Auch wenn er einen Lamborghini hat.

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