Samstag, 28. Mai 2016

Tennis


Au revoir Angelique, titelte meine örtliche Zeitung, die Angelique Kerber aus Kiel war gerade in der ersten Runde in Paris rausgeflogen. Gleichzeitig mit dieser Schlagzeile bekam ich von einer Bekannten ein Bild von Marcel Proust mit einem Tennisschläger zugeschickt. Das verlockt doch, mal eben etwas über Tennis zu schreiben. Das hier ist natürlich nicht das Stade Roland Garros in Paris (das ja nach einem Fliegerhelden benannt wurde, lesen Sie mehr in ➱Piloten), das hier ist ein court für real tennis. 

In der Folge Old School Ties versucht Sergeant Hathaway seinem ➱Inspector Lewis zu erklären, was real tennis sei. Und was spielen sie in Wimbledon? Digitales Tennis? fragt Lewis. Das real in real tennis hat nichts mit unserem Wort real zu tun, eher etwas mit Real Madrid. Es bedeutet schlichtweg royal. Und es ist der Beginn des Tennis. Wo und wie der Philosoph Thomas Hobbes Tennis gespielt hat, weiß ich nicht, aber ich nehme an, dass es auch ein real tennis court gewesen ist.

Der Star in meinem Tennisverein war Charlie. Eigentlich hieß er Volker, aber jeder nannte ihn Charlie. Wir waren ja so amerikanisch. Schließlich waren wir seit Kriegsende eine ➱Amerikanische Enklave. Ich war mit Charlie in der Volksschule, und er war auch mit uns in Frankreich dabei, als wir den Friedhof in ➱Ailly-sur-Somme wieder herrichteten. Er trug dazu bei, dass wir die Fußballmannschaft von Ailly-sur-Some zweistellig besiegten. Ich glaube, er schoss auch damals das einzige Tor, als wir in Nykøbing in Dänemark 9:1 untergingen. Die neun Tore der Dänen gehen auf meine Kappe, aber ➱Dragomir Ilic hätte die auch nicht gehalten.

Charlie war einer der besten Spieler in unserem Tennisverein. Und der Mittelstürmer beim SAV. So sportlich er war, für die Bundeswehr war er dienstunfähig, weil ihm der Tennisarzt ein Gefälligkeitsgutachten ausstellte. Charlie ist beim Sport geblieben, er ist später bei der ARD ein großes Tier geworden und war immer auf dem Bildschirm zu sehen. Ich habe mal versucht, ihn dafür zu gewinnen, eine Sendung über ➱Cricket zu machen, aber ich konnte ihn nicht überreden. Georg hatte beim NDR mehr Erfolg. Die haben mit seiner Hilfe einen kleinen Film gedreht. Als er gesendet werden sollte, wurde er nicht gesendet. Weil Sepp Herberger gestorben war. Sepp Herberger ist wichtiger als Cricket.

Das erste Jahr im Tennisverein spielten die Junioren kein Tennis. Der Verein spendierte uns zehn kostenlose Trainerstunden und erwartete von uns, dass wir die Plätze bei Turnieren in Ordnung hielten, Balljungen und Schiedsrichter waren. Wir lernten, einen Tennisschläger neu mit Darmsaiten zu beziehen, und wir waren Meister im Kreiden der Linien. Aber Bälle schlugen wir nicht über das Netz. Dieses Lehrjahr war natürlich nützlich, im Weser Yacht Club war das im ersten Jahr der Vereinzugehörigkeit ähnlich: Boote abschleifen und anpönen. Und Seemannsknoten knüpfen. Tennis wurde damals noch in weiß gespielt, lange weiße Hosen waren bei Senioren häufig anzutreffen. Ich fing mit einem Dunlop Gold Wing an, träumte aber von einem Dunlop Maxply (Bild), einem Schläger, der heute als old skool woodie bezeichnet wird. Ich habe den Schläger immer noch.

Für das Vereinsleben habe ich mich nie wirklich interessiert, weder in meinem Heimatort noch hier. Einmal hat mich mein Kieler Verein zu einem Knabenturnier zur Tennis Gesellschaft Düsternbrook geschickt, ich möchte mal nach dem Rechten sehen. Tat ich. Da war ein missratenes Kind, das sich diese auf dem Platz randalierenden Rowdies wie John McEnroe (hier mit Björn Borg) zum Vorbild genommen hatte. Kickte Cola Dosen über den Platz, warf seinen Schläger ins Netz. Ich bin in einer Spielpause zu ihm hin und habe ihm gesagt: Pass auf, Du kleiner Pisser. Wenn Du noch einmal mit dem Schläger wirfst oder irgendwas Ähnliches machst, dann hole ich Dich vom Platz. Während des Spiels. Es war eine Sprache, die er nicht gewöhnt war. Zeigte aber Wirkung. Am Abend hatte ich einen Anruf vom Vorsitzenden meines Vereins, der mir referierte, was die Eltern des Kindes ihm gesagt hätten. Und das Ganze mit dem Satz schloss: Jay, ich bin Ihnen ja so dankbar.

Die amerikanischen Rüpel wie McEnroe und Konsorten auf den Tennisplätzen (und auch unser BummBummBecker war ja nicht unbedingt ein Vorbild) gaben dem Sport, der sich ja immer bemühte etwas Vornehmes zu sein, eine neue Dimension. War nix mehr mit royal. Ende der fünfziger Jahre hat mich ein Freund meines Vater einmal zu einem Tennisturnier am Rothenbaum mitgenommen. Es war kalt, Regen lag in der Luft. Auf den Holzbänken fröstelte ein Dutzend älterer Herren im Burbery, die Spieler trugen lange weiße Hosen. Old Skool wie man heute sagt. Heute ist das German Open eine Massenveranstaltung, bei der niemand mehr stilvolle weiße Kleidung trägt.

Franz W. Koebner formulierte die Gesetze der Kleidung 1913 in seinem ➱Buch Der Gentleman so: Auch bei den Herren der Schöpfung findet das Weiß immer mehr Anklang, mag man nun den weißen Flanellanzug oder das weiße Beinkleid zum dunkelblauen Jackett vorziehen (nur sollte man keine braunen oder – noch fürchterlicher – lacklederne Schuhe dazu tragen!). Natürlich gibt es Tennis und Tennis. Tennis auf Privatplätzen, wo die Bälle so bedrohlich hoch in die Luft gehen, daß man für die Fensterscheiben der Nachbarschaft fürchtet und Tennis auf öffentlichen Turnierplätzen, wo die Bälle centimeterhoch über das Netz sausen, wo die Spieler ein Meter hinter den Strich treten und jeder Ball eine viertel Stunde lang gespielt wird.

Dr Bach, der mich nach Hamburg mitnahm, spielte selbst nicht Tennis, versäumte aber kein Turnier: Während man in Berlin auf den Plätzen der großen Klubs, besonders auf den reizend im Grunewald gelegenen Plätzen des Berliner Lawn-Tennis-Turnier-Klubs, ziemlich dasselbe Bild findet; wo die Spieler mit Hilfe von Berufstrainern in angestrengter Arbeit sich für die Wettspiele vorbereiten, und im Sommer, nachdem das große Berliner Pfingstturnier den Reigen eröffnet hat, ihre Reise nach all den Plätzen machen, wo wertvolle Preise dem Sieger winken: Heiligendamm, wo nicht jeder beliebige Sterbliche an dem Turnier teilnehmen darf, das fast regelmäßig vom Kronprinzen und anderen höchsten und hohen Herrschaften durch aktive Teilnahme ausgezeichnet wird, sondern wo es einer Aufforderung durch das Komitee bedarf; Warnemünde, Heringsdorf. Zoppot, Hamburg, Homburg, Wiesbaden, Baden-Baden und wie sie alle heißen.

Ich wäre als langjähriger Straßenfußballer lieber in den Fußballverein statt in den Tennisverein gegangen. Ich hatte ➱Camus noch nicht gelesen, der gesagt hatte: Alles, was ich schließlich am sichersten über Moral und menschliche Verpflichtung weiß, verdanke ich dem Fußball. Über Tennis kann man das nicht sagen, der Sport erzieht nur zum Egoismus. Aber Fußballverein war für meinen Vater, der vor dem Krieg beim Bremer Sport Verein gespielt hatte und jedes Wochenende mit mir zum Fußball ging, keine Option. Also spielte ich Tennis. Hatte einen mickrigen Aufschlag, aber eine grandiose Rückhand. Und natürlich weiße Kleidung und ein gutes Benehmen. Alles, was ich beim Tennis gelernt hatte, konnte ich an anderer Stelle gebrauchen: ich habe jahrzehntelang kein Tischtennisspiel verloren. Wenn Sie von mir eine Kulturgeschichte des Tennissports erwartet haben, muss ich Sie enttäuschen. Habe aber einen schönen Literaturtip: Theo Stemmler Vom Tennis: Kleine Geschichte des Tennisspiels.

Und eine hübsche Geschichte habe ich auch noch, bevor ich zu Marcel Proust und seinem Tennisschläger komme. Sonntagmorgen, Ende der fünfziger Jahre. Tennisturnier auf den Plätzen des VTV im Vegesacker Stadion, das einst ➱Ernst Becker-Sassenhof gebaut hatte. Die Zuschauer sonntäglich gekleidet, bis auf diesen leicht angeschickerten Sailor, der sich wie ein Affe im Zoo an den Maschendraht des Platzes gehängt hat und das Spiel kommentiert. Auf den West Indies habe er ein viel besseres Tennis gespielt, wiederholt er immer wieder.

Nach einer Viertelstunde wird es dem Vorsitzenden des Vereins zu viel, er geht zu dem Sailor und sagt, wenn er so gut spielen könne, dann könne er ja gegen den Sieger spielen, wenn das Match hier vorbei sei. Der Mann von den West Indies bedankte sich und war fortan ruhig. Als die beiden Herren auf dem Platz ihr Spiel beendet hatten, bat man den Mann von den West Indies auf den Platz. Man hatte ihm zuvor weiße Shorts und ein weißes Hemd angeboten, aber er lehnte das ab, er trug diese beige-gelben ➱Hosen, die die Handelsmarine trägt. Kriegte man bei uns beim Schiffsausrüster in der Hafenstraße. Er ging auf den Platz, begrüßte höflich seinen Gegner, spielte sich mit einigen Bällen ein und .... Sie ahnen jetzt was kommt: Er fegte die Nummer fünf der Rangliste 6:1 vom Platz. Gab den Schläger zurück und verließ leicht torkelnd das Stadion. Vielleicht war das das Ende des Tennis in meinem Heimatort. Der Verein machte vor zwanzig Jahren Pleite, das ganze Stadion ist herunter gekommen. Man kann das symbolisch an diesem vergammelten Schild ablesen.

Hundert Jahre vor dem Ende meines Vereins ist das Tennis der fashionableste englische Import der Pariser feinen Gesellschaft. Man mag die Engländer zwar nicht so sehr, schließlich hat man ja mal einen hundertjährigen Krieg gegen sie geführt, aber jetzt sind sie gerade mal chic. 1886 eröffnete das Luxusgeschäft ➱Old England am Boulevard des Capucines. Marcel Proust, der englische Schlipse der Firma ➱Liberty trägt, kauft sich bei Old England seine Schuhe. Schwarze geknöpfte Lackstiefel, Halbstiefel natürlich. Nichts anderes (Sie können ihn mit solchen Schuhen in dem Post ➱Morning Coat sehen). Einmal hat ihm seine Haushälterin Céleste Albaret ein Paar Leinenstiefel gekauft, nicht bei Old England. Erstaunlicherweise haben sie ihm gefallen.

Vielleicht kommt dieses Outfit, das er hier für den Tennisplatz trägt, auch von Old England. Allerdings sollten wir jetzt vorsichtig sein und unseren Marcel nicht zu einem Tennisspieler machen. Er hat nie Tennis gespielt. War ihm zu brutal. Dabei kannte er das Benehmen von John McEnroe und die Aufschläge von Ivan Lendl noch gar nicht. Es genügte Proust, bei den Tennisspielern dabei zu sein, wenn nur die angehimmelte Jeanne Pouquet dabei war. In die war er verliebt, wie er später Céleste erzählte:

Ich war in sie verliebt, wie man es nicht mehr sein kann. . . . Ich konnte nicht mehr schlafen. Wenn wir vormittags zum Tennis gingen, nahm ich Proviant mit, kleine Kuchen und Sandwiches, für jeden Geschmack und in allen Farben ; ich wußte nicht, was ich anstellen sollte, um ihr eine Freude zu machen; ich kaufte ihr Blumen und Geschenke, ich gab mir so viel Mühe! Wenn ich mit ihr verabredet war, dann ging ich nicht, ich rannte! Wenn sie Tennis spielte, sah ich gern ihre blonden Zöpfe fliegen... Im Gegensatz zu Proust habe ich in Jahrzehnten des Tennisspiels dort nie eine schöne, interessante Frau kennengelernt. Das Bild rechts hat Jean Cocteau gezeichnet. Die Flasche in der Manteltasche ist eine Evian Wasserflasche, die Proust immer dabei hatte. Auch Tennisspieler sind heute nichts ohne Wasserflasche.

Vielleicht mag ich Tennis deshalb nicht so besonders, weil es da keine hübschen Frauen gab. Aber vielleicht redet in dem Zitat auch nicht der wirkliche Proust, sondern nur der Romanautor. Vielleicht ist die Tennisphase für Proust auch nur eine Phase auf dem Weg nach ganz oben. Der Mann, der aus der reichen französischen Bourgeoisie kommt, benimmt sich wie ein Neureicher. Er möchte in die französische Aristokratie, die längst keine Bedeutung mehr hat. Außer für ihren Chronisten Marcel Proust, der auf diesem Photo von Prinzen und Prinzessinnen umgeben ist.

Der französische Philosoph Paul Desjardins, mit dessen Sohn Proust auf der Schule war, hat über das Photo mit dem Tennisschläger gesagt, dass Proust wie ein persischer Prinz mit großen Gazellenaugen aussähe. Die Zeichnung hat Prousts Freund Paul Baignères im gleichen Jahr von ihm gezeichnet. Wir können auch die Lackstiefel erkennen, die Proust nach der Mode der Zeit mit ➱Gamaschen trägt. Ich kann mir den Mann, der sich seine Klamotten bei Carnaval de Venise am Boulevard de la Madeleine machen lässt (der Schneider kommt ins Haus), nicht mit Leinenstiefeln vorstellen.

Für Proust, der noch nicht der große Schriftsteller, sondern nur ein kleiner Snob ist, ist es wichtig, dabei zu sein, ein Teil dieser Welt der Tennisplätze am Boulevard Bineau in Neuilly zu sein. Wenn Proust die auf einem Stuhl stehende Jeanne Pouquet mit einer Tennisschlägerserenade anhimmelt, dann ist er zwar auf dem Boden, aber in Wirklichkeit ist er auf dem Weg nach oben. Sein Freund Gaston Arman de Caillavet hat gerade mit dem Tennisspielen begonnen, und Proust macht seine ersten Schritte in den Salon der Mutter, Madame Arman de Caillavet (Bild). Sein Freund Gaston wird übrigens die von Proust angehimmelte Jeanne Pouquet, und Proust wird alle Beteiligten in seine Recherche hineinschreiben. Natürlich kommt in dem Roman auch Tennis vor. Wenn Sie wissen wollen wo, dann klicken Sie ➱hier.

Mich hat beim Tennis immer dieser Aspekt gestört, dass sich viele im Verein einbildeten, etwas Besseres zu sein. Von daher ist der Düsternbrooker Verein einfach lächerlich, weil er sich Tennisgesellschaft nennt. Und signalisiert: wir sind was Feines, die hoi polloi bleiben bitte draußen. Die Sache mit dem Sailor von den West Indies war ein schönes Beispiel dafür, dass hier zwei Schichten aufeinander stießen. Ich hätte noch einen zweiten Seemann anzubieten, der auch Tennis spielte. Und der auch für eine Geschichte gut ist. Als die Engländer das Schiff von ➱Kapitän Ernst Biet im Zweiten Weltkrieg in der Nordsee versenkten, klagte der Kapitänleutnant der Reserve Biet, kaum aus dem Wasser gezogen, dem englischen Kommandanten sein größtes Leid: den Verlust seiner Tennisausrüstung. Weshalb, um Himmels willen, hatte er die 1942 überhaupt mit an Bord?

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