Freitag, 21. Oktober 2016

Denis Scheck


Sieh, liebes Kind, das ist ein Vorzug, den die Leute haben, die nicht schreiben: sie kompromittieren sich nicht, hat Goethe gesagt. Wenn man schreibt, kompromittiert man sich, dann kommen die Kritiker. Aber auch Literaturkritiker haben es nicht leicht, sie sind leicht zu kritisieren. A person who boasts himself hard to please because nobody tries to please him, so definiert Ambrose Bierce in seinem ➱Devil's Dictionary die Kritiker. Und bei Gustave Flaubert heißt es in Das Wörterbuch der übernommenen Ideen: Kritiker. Literaturpapst. Großkritiker - Soll alles kennen, alles wissen, alles gelesen, alles gesehen haben. Wenn er einem mißfällt, nenne man ihn einen Beckmesser, Kritikaster oder Eunuchen (sie wissen wie, aber sie können nicht). Das ist heute eine Platitüde, sie war es schon, als Flaubert sie in das Dictionnaire des idées reçues hineinschrieb. Wir müssen mal eben über Denis Scheck reden, und das hängt mit dem Nobelpreis für ➱Bob Dylan zusammen. Denis Scheck ist nicht jedermanns Sache. Auch nicht die von jederfrau, wie Elke Heidenreich weiß:

Ich sehe sie auch nicht als Kollegin, weil sie eben keine Literaturkritikerin ist. Bei ihr ist Literatur ein Mittel gegen seelische Blessuren. Für mich ist Literatur nicht dazu da, um uns über unsere Seelenwehwehchen hinwegzutrösten. Ich glaube, dass Literatur uns Menschen sehr viel geben kann, aber sie darf nicht reduziert werden auf dieses therapeutische Faktum, da verlieren wir die ästhetische Dimension aus den Augen. Aber es ist Platz für beide Sendungen. Wir gehen in die Welt und Frau Heidenreich eben in ihr Herz – und von dort aus gibt sie Lesetipps, hat Denis Scheck über Elke Heidenreich gesagt.

Die Beleidigungen, die da hin- und hergingen waren wunderbar. Elke Heidenreich hatte Scheck als hysterisches Rolltreppendickerchen und Tchibo-Literatur-Vertreter bezeichnet. Und es wird die Schöpferin der Metzgersfrau ➱Else Stratmann sicher freuen, dass Hannes Hansen Denis Scheck in seinem ➱Blog als beckmessernden Besserwisser, der die Rollen von Scharfrichter, Scherzkeks und Literaturkritiker auf Hartz IV-Niveau mühelos in sich vereint bezeichnet hat. Hannes liebt eine klare Ausdrucksweise. Als ich über ➱Brigitte Kronauer schrieb, rief er mich an und sagte: Das wurde auch Zeit, dass der Dame mal der Scheitel gezogen wurde. Er hat es nicht fertig gebracht, einen Roman von ihr zu Ende zu lesen.

Was Hannes Hansen nicht so gefallen hat, ist die Tatsache, dass Dennis Scheck über die Vergabe des Nobelpreises für Literatur an Bob Dylan gesagt hat: Gelegentlich erlaubt sich die Akademie ein 'Späßken'. Und hinzufügte Die Auszeichnung von Bob Dylan ist genauso ein Witz wie es die von Dario Fo war. Am besten, man lacht mit. Der Hinweis auf Dari Fo hat jetzt einen faden Beigeschmack, denn just an dem Tag war der Nobelpreisträger Fo gestorben. Es gibt wohl keinen Literaturkritiker, der in Deutschland ähnliches Ansehn genießt, keinen, der so bekannt ist und keinen, der so polarisiert, steht auf der Seite von ➱54books. Ich weiß nicht, wer das ist. Ich würde das Wort Ansehen auch nicht so schreiben wie 54books das tut, aber es steht ja viel im Netz.

Der Blogger 54books ist gebildet, er zitiert in dem Interview mit Scheck den Satz von Charles-Augustin Sainte-Beuve: Der Scharfsinn des Kritikers erweist sich besonders an neuen Schriften, die noch nicht durch das Publikum erprobt sind. Erraten, vorauseilen, auf den ersten Blick beurteilen, das ist die Gabe des Kritikers. Wie wenige besitzen sie! Dieser Sainte-Beuve ist derselbe, über den Proust sein Contre Sainte-Beuve schrieb, und über den Theodor W. Adorno von einem bequemen second hand-Realismus des menschlich Näherbringens und einer versierten Oberflächlichkeit sprach. Da ich Adorno gerade erwähne, hätte ich an dem auch etwas herumzukritteln, aber ich lasse das und verweise auf den Post ➱Wiesengrund.

Als Ben Jonson in seinem Gedicht auf Shakespeare von small Latin and less Greek sprach, hat er das gar nicht einmal böse gemeint, aber wann sind Schriftsteller schon einmal nett zu ihren Kollegen? Es wird häufig behauptet, dass Literaturkritiker verhinderte Schriftsteller seien, manchmal mag das stimmen. Andererseits sind Schriftsteller als Literaturkritiker häufig genau so schlimm wie jene, die niemals einen Roman schreiben wollten. Ich kann da nur das von Jörg Drews herausgegebene Buch Dichter beschimpfen Dichter: Die ultimative Sammlung aller Kollegenschelten empfehlen. Schriftsteller mögen Literaturkritiker meist nicht so besonders, Harold Pinter hat sie als einbeinige Weitspringer bezeichnet, die es immer wieder versuchen.

Martin Walser und ➱Günter Grass haben unter dem gelitten, was Reich-Ranicki über sie gesagt hat. Andere Autoren nehmen ihre Kritiker nicht so richtig ernst. Mein Lieblingszitat kommt da von meinem Lieblingsautor ➱P.G. WodehouseA certain critic -- for such men, I regret to say, do exist -- made the nasty remark about my last novel that it contained 'all the old Wodehouse characters under different names.' He has probably by now been eaten by bears, like the children who made mock of the prophet Elisha: but if he still survives he will not be able to make a similar charge against 'Summer Lightning'. With my superior intelligence, I have out-generalled the man this time by putting in all the old Wodehouse characters under the same names. Pretty silly it will make him feel, I rather fancy.

Wenn Literaturkritiker den Clown spielen, dann werden sie bekannt. Das hat Denis Scheck von Reich-Ranicki gelernt. Er hält sich an Shakespeares Satz Better a witty fool than a foolish wit. Schecks Clownerien verstellen, dass er manchmal wirklich etwas zu sagen hat. Am Ende steht dann die Verhohnepiepelung durch die Kabarettisten. Die beste Szene von Reich-Ranicki bleibt die Interpretation von dem Lied Wir versaufen unsrer Oma ihr klein Häuschen. Das ist zwar von ➱Thomas Freitag, das macht aber nichts. Wenn Literaturkritiker nicht den Clown spielen, dann kennt sie niemand. Haben Sie schon einmal von Heinz Ludwig Arnold gehört? Der war sicherlich ein bedeutenderer Mann als Reich-Ranicki. Die Google Statistik bietet da allerdings Erstaunliches: Wenn man Arnolds Namen bei Google eingibt, erhält man 556.000 Ergebnisse. Reich-Ranicki bringt es nur auf 381.000 und Denis Scheck auf 232.000. Das sind verblüffende Zahlen. Und wenn man den Namen Dieter E. Zimmer (der es als Literaturkritiker nie nötig hatte, den Clown zu spielen) bei Google eingibt, dann kommt man auf über 18 Millionen Treffer.

Denis Scheck hat seine Verdienste. Ich habe in dem Post ➱Donder und Blitzen geschrieben: Ich kannte Denis Scheck schon lange, bevor dieser putzige kleine Kerl im Fernsehen berühmt wurde. Immer korrekt im Anzug, in dem Punkt ist er so ähnlich wie Götz Alsmann. Ich kannte Denis Scheck, weil ich das Buch King Kong, Spock & Drella besaß und es allen Studenten zum Kauf empfahl. Das Buch hatte den Untertitel Ein amerikanisches TriviaLexikon und war in den Tagen vor Computer & Google das beste Nachschlagewerk für die amerikanische Alltagskultur.

Denis Scheck, der im Jahr 150 bis 180 Bücher liest und mit dreizehn Jahren sein erstes Literaturmagazin gründete, gibt viele Interviews. Meist sagt er da witzige Dinge. Ein Interview mit ➱Cicero ist Kein Sex in Entenhausen betitelt. Das ist nun nichts Neues, als einer der Autoren der Broschüre ➱Entenhausen das neue Jerusalem weiß ich das schon lange. In dem Interview mit Cicero hat Denis Scheck die Rolle der Literaturkritik für alle Zeiten definiert: Selbstverständlich ist Literaturkritik die höchste Form menschlichen Lebens auf diesem Planeten. Der Ziel- und Gipfelpunkt menschlicher Evolution. Dafür sind wir angetreten, dafür haben sich die ersten Amöben zusammengeschlossen und Staaten gebildet: Damit am Ende als Krone der Schöpfung der Literaturkritiker steht.

Das ist natürlich Ironie. Oder?


Denis Scheck wird schon in folgenden Posts erwähnt: Donder and BlitzenPadgett PowellDonald Ducksilvae: Wälder: Lesen Wenn Sie mehr über Hannes Hansen wissen wollen, dann klicken Sie den Blog ➱Hansen & Munk an. Und lesen unbedingt hier den Post ➱Schwarzenbek.

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