Sonntag, 18. Februar 2018

Bierbrauer


Seinen Vater hat der kleine Anders Leonardsson nie gesehen. Seine Mutter Grudd Anna Andersdotter, die in einer neu gegründeten Bierbrauerei in Uppsala arbeitete, hatte den deutschen Bierbrauer dort kennengelernt. Ein heiterer und lustiger Geselle, schön und stattlich anzuschauen, soll er gewesen sein. Es war eine kurze Romanze, wenn es überhaupt eine Romanze war. Er ließ die Bauerntochter, die in der Brauerei die Bierflaschen wusch, sitzen und zog nach Finnland weiter. Er starb in Helsinki, als sein Sohn zwölf Jahre alt war: Aber ich finde es so traurig. daß mein Papa tot ist, aber es wird nicht besser davon, daß ich traurig bin. Irgendwie muß es aber gehen, schreibt der kleine Anders.

Niemand konnte damals ahnen, dass der kleine Anders Leonardsson, der bei seinen Großeltern auf einem Bauernhof aufwächst, einmal Schwedens berühmtester Maler wird, der Könige, drei amerikanische Präsidenten und alle Reichen und Schönen des Gilded Age portraitieren wird. Aber das Leben auf dem Lande wird er nie vergessen und eines Tages in seinen Heimatort zurückkehren. Das mit dem Landleben kann ich verstehen. Ich denke gerne an meine Kindheit zurück, die ich an den Hängen des Wiehengebirges und nicht im zerstörten Bremen verbrachte. In meinen Träumen kommt sie immer wieder vor, einen Teil meiner Erinnerungen habe ich schon in den Post ↠Zweite Heimat hineingeschrieben.

Aber das pralle Leben, das der Schwede auf die Leinwand bringt, so mit drallen nackten badenden ↠Schwedenmädels und mit Dans op de deel, das hatten wir nicht. Die größten Sensationen waren 1949 der erste Mähdrescher und eine Bauernhochzeit, bei der mir jemand Eierlikör verabreicht hatte. Anders Leonardsson wird das bäuerliche Leben seiner Heimat Mora immer wieder auf die Leinwand bannen, als sei Goethes Greift nur hinein ins volle Menschenleben! Ein jeder lebt's, nicht vielen ist's bekannt, Und wo ihr's packt, da ist's interessant nur für ihn geschrieben.

Leider muss man sagen, dass das pralle Leben auf den Bildern nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Zorn malt eine Welt, die es längst nicht mehr gibt. Den Mittsommerbaum auf diesem Bild gab es im Dorf längst nicht mehr. Zorn hat ihn bezahlt, ebenso wie die Kapelle. Diese Folklore ist eine Konstruktion, eine Suche nach der Kindheit und einer eigenen Identität. Es war der schwedische Prinz Eugen, der selbst ein guter Maler war, der bei einem Besuch bei Anders Zorn angeregt hatte, dass er dieses Bild der schwedischen Nationalromantik malen sollte.

Dieses Bild von einem Markttag in Mora könnte wohl eher der Wirklichkeit entsprechen. Da hat sich das junge Mädchen für den Markttag so hübsch gemacht, und nun liegt ihr Kerl im Gras. Wenn wir so wollen: ein Opfer des Eierlikörs. Oder des untergärigen Bieres der deutschen Bierbrauer. Zorn schreibt dazu in seiner Autobiographie: Zu Hause in Morna nahm ich mir vor, ein Sittengemälde zu malen mit dem Titel 'Mora Jahrmarkt'. Es war gewiß nicht  meine Absicht, eine Moralpredigt zu halten, aber ich wollte mich an Wahrheit halten, und dazu gehörte natürlich der Stockbesoffene im Vordergrund und seine Frau, die geduldig dasitzt und mit seinem Hut in der Hand darauf wartet, daß er den schlimmsten Rausch ausgeschlafen hat ... Ich schlief meinen Eierlikör Rausch damals in einem zur Garderobe umfunktionierten Schlafzimmer auf Bergen von Pelzmänteln aus. Es gab jetzt in den Nachkriegszeit viele Pelzmäntel bei den Bauern, die gegen Naturalien eingetauscht waren.

Wenn er zur Schule kommt, lernt Anders erst einmal richtiges Schwedisch, da er bei seinen Großeltern nur den regionalen Dialekt Moramål gelernt hatte. Seine Lehrer erkennen schon früh, dass der Junge ein außergewöhnliches malerisches Talent besitzt. Mit fünfzehn Jahren ist er schon Schüler der Königlichen Akademie der Künste in Stockholm. Sein Vater, der deutsche Brauereimeister Johann Leonard Zorn (Bild), hatte seinen Sohn nicht vergessen und ihm ein kleines Erbe ausgesetzt. Er war ein verhältnismäßig wohlhabender Mann, der sich aus der Ferne immer wieder in die Erziehung des Jungen eingemischt hatte.

Die schwedische Brauerei von Düben in Uppsala, wo Leonard Zorn und Grudd Anna Andersdotter (hier eine Radierung von ihrem Sohn) arbeiteten, hat ihre ehemaligen Angestellten auch nicht vergessen. Die deutschen Bierbrauer halten damals in Schweden zusammen, sie sind eine Art Kaste für sich. Man hat die Braumeister wegen ihres Könnens nach Schweden geholt, sie beherrschen die Herstellung von untergärigem Bier. Manche von ihnen werden noch eine Brauerei eröffnen. Wenn er in Stockholm studiert, öffnen ihm deutsche Bierbrauer wie F. Dölling (Hamburger Bierbrauerei Gesellschaft) und Fritz Heiss (Nürnberger Bierbrauerei Gesellschaft) ihre Türen. Und die deutsche Brauerei Gesellschaft in Stockholm wird dem jungen Anders Leonardsson, der jetzt den Namen seines Vaters annehmen wird, ein Stipendium für sein Kunststudium gewähren.

Man fördert zwar nicht in großem Stil die Künste wie Jacob Christian Jacobsen mit seiner Carlsberg Brauerei oder Christian Langaard in Norwegen, aber man versucht jetzt in Schweden gegen die übermächtige dänische Konkurrenz, sprich Carlsberg und Tuborg, ins Geschäft zu kommen. Da waren Braumeister aus Deutschland gesuchte Leute. Man produziert bayrisches Bier (Pilsener kommt später), die größte schwedische Brauerei heißt übrigens Münchens bryggeri. Die Bilanz Schwedens als Land der Brauereien ist allerdings nicht großartig. In der Zeitschrift für das gesammte Brauwesen kann man 1907 lesen: Schwedens Bierausfuhr ist noch unbedeutender als seine Einfuhr. 1895 exportierte es ca. 500 hl. Ende der neunziger Jahre verringerte sich die Ausfuhrmenge und zwar bis auf 80 hl im Jahre 1899. Dann nahm sie wieder ständig zu und stieg 1900 auf 239 hl.

Sie haben es schon gemerkt, ich schreibe heute über den schwedischen Maler Anders Zorn, der am 18. Februar 1860 geboren wurde. Wenn er am Anfang seines Lebens auf vieles verzichten muss, am Ende seines Lebens hat er einen Rolls-Royce, Pelzmäntel und ↠Maßanzüge, in denen er sich malt. Er wird drei Jahre lang ein Atelier in London unterhalten, Europa und Amerika bereisen. Und malen und malen. Mit 29 Jahren macht man ihn in Paris zum Chevalier der Ehrenlegion. Beinahe hätte er noch den Pour le Mérite bekommen (er wurde dreimal nominiert), aber Wilhelm II wies den Schweden immer wieder ab. Wahrscheinlich waren ihm zu viel nackte ↠Schwedinnen auf den Bildern.

Seine Bilder machen Anders Zorn reich, als er stirbt, hat er ein Vermögen von 14 Millionen Mark. So ganz nebenbei kauft er viel Kunst (oder tauscht Kunst gegen eigene Werke ein). Beinahe zweihundert Blätter von Rembrandts Radierungen und Zeichnungen wird er besitzen. Der wird zum Ende des 19. Jahrhunderts sein großes Vorbild werden. Zorns Radierungen werden begehrt sein, →Alfred Lichtwark, der Zorn beauftragte, ein Bild vom →Hamburger Hafen zu malen, wird 42 Radierungen von Zorn besitzen. 1976 hat Erik Forssman, der Direktor des Zorn Museums, in Freiburg eine Ausstellung des graphischen Werks von Anders Zorn präsentiert. In seinem Testament vermacht Zorn alle seine Kunstwerke dem schwedischen Staat, damit er ein Museum dafür schaffe.

Natürlich habe ich in diesem Blog schon über ↠Anders Zorn  geschrieben, aber bevor ich Blogger wurde, habe ich auch schon über Zorn geschrieben. Das war 1989, als ↠Jens Christian Jensen in der Kieler Kunsthalle eine riesige Ausstellung von Zorns Oeuvre organisiert hatte, die im nächsten Jahr nach München wanderte. Ich wollte in der Universitätszeitung ↠semester über die Ausstellung schreiben, einen Katalog (den man heute noch antiquarisch für 20 Euro finden kann) besaß ich schon.

Den hatte mir Jens Christian Jensen freundlicherweise vorbeigeschickt. Aber es kam anders, weil ich eines Morgens drei blonde mir unbekannte Nordistikstudentinnen in meinem Büro hatte, die mich becircten, meinen Zorn Artikel nicht in der Unizeitung, sondern in einer kleinen Zeitschrift namens norrøna zu veröffentlichen. Woher die wussten, dass ich über Anders Zorn schreiben wollte, ist mir bis heute ein Rätsel.

Vor sechs Jahren gab es in Lübeck noch eine Anders Zorn Ausstellung. Da konnte man auf dieser ↠Seite lesen, dass Zorn ein vergessener Maler sei, den man jetzt wiederentdeckt hätte. Man vergisst offenbar schnell. Hat man die Düsseldorfer Ausstellung von 1958, die Freiburger Ausstellung von 1976 und die Kieler Ausstellung von 1989 wirklich schon vergessen? Ich nicht, in der Kieler Ausstellung war ich jede Woche zweimal. Wann bekommt man schon mal so etwas zu sehen? Außer natürlich im ↠Zorn Museum.

Eierlikör habe ich seit 1949 nicht mehr getrunken. Mit Bier kenne ich mich aus, schließlich habe ich früher in den Semesterferien mal als ↠Bierfahrer gejobbt. Von schwedischem Bier habe ich wenig Ahnung, ich habe mal Pripps Blå getrunken, aber nur einmal. Dänisches Bier kenne ich gut, von Zeit zu Zeit kaufe ich mir mal aus Nostalgie eine Dose Tuborg. Trinke es natürlich nicht aus der Dose, ich habe schöne Tuborg Kelche im Küchenschrank.

Als Professor ↠Wolfgang J. Müller in der Kunsthalle Kiel die Skagen Ausstellung eröffnete, hatte die dänische Brauerei einige junge Däninnen in hübscher dänischer Tracht geschickt, die das Tuborg in diesen schönen Tuborg Gläsern servierten. Ich fand das sehr stilvoll. Anders Zorn, der sich als Student mal die Wohnung mit einem Bierkutscher teilte, hat natürlich auch mal eine Brauerei gemalt, im Bild oben sehen wir Frauen, die die Etiketten auf die Flaschen kleben. Im Bild darunter wird das Bier abgefüllt und die Flaschen verkorkt. Frauen machen die ganze Arbeit, Emile Zola hätte einen Roman daraus gemacht. Anders Zorn kommt es nur auf das Licht an. Weiter als mit dem Bild über den Markttag in Mora wird er mit seiner Sozialkritik nicht gehen. Jens Christian Jensen schrieb im Kieler Katalog: Dieser Maler der Oberflächen von Dingen und Menschen und deren Beziehungen im atmosphärischen Licht, hat wie kaum ein anderer Künstler den äußeren Schein konsequent und eigensinnig als das allein Wirkliche anerkannt und in alle Rechte eingesetzt.


Wenn Sie noch mehr Posts zur skandinavischen Kunst lesen wollen, dann sind Sie in diesem Blog richtig. Sie könnten auch noch lesen: Anders Zorn, Mein Dänemark, Dänische Kunst, Skagen, Nordlichter, Nicolai Abildgaard, Bertel Thorvaldsen, måneskinnsmaler, Johan Christian Clausen Dahl, Kreidefelsen, Vilhelm Marstrand, Hans Matthison Hansen, Carl Larsson, Michael Ancher, Streik

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