Donnerstag, 22. Februar 2018

Schopenhauer


Hätte er so wohnen wollen? Das Haus hat sich der Hamburger Kaufmann Martin Johann Jenisch bauen lassen. Kalte Hamburger Eleganz mit unverbautem Blick zur Elbe. Der Stil von ↠Christian Frederik Hansen (der auch die Palmaille gebaut hat) färbt immer noch ab. Es ist ein Stil, den man leicht imitieren kann. Ein Architekt des 20. Jahrhunderts baut sich in Baurs Park eine kleine Villa im Stil von Hansen. Und in Hansens ehemaligem Wohnhaus an der Altonaer Palmaille richtet er sich sein Atelier ein. Der Usurpator des Hamburger Klassizismus war zuvor Nazi, hat Hitlers Neue Reichskanzlei verschönt und Pläne für Hitlers neues Berlin entworfen. Ich habe Cäsar Pinnau schon mit boshftem Vergügen in den Post ↠Ascan Klée Gobert hineingeschrieben.

Das Jenisch Haus ist heute Museum. Im Landhaus des Südseekönigs Jean Cesar Godeffroy ist jetzt eine Tanzschule. ↠Hans Henny Jahnn, der bis zu seinem Tode in einem der Kavalierhäuser von Godeffroy wohnte, hätte die Villa von Godeffroy gerne gemietet. Jahnns Haus ist heute eine Schickeria Gaststätte. Georg Friedrich Baurs Katharinenhof ist von einem Immobilienspekulanten gekauft worden, der seinen übernommenen denkmalspflegerischen Pflichten nicht nachgekommen ist. Jetzt plant er den Verkauf. Einen Hamburger Patrizier wird man ihn wohl kaum nennen, da ist er eher dem ↠Herrn Kortüm ähnlich. Patrizier und Hanseaten sind eine ausgestorbene Spezies, nur ihre klassizistischen Villen erinnern noch an sie.

Arthur Schopenhauers Vater ist Großhandelskaufmann gewesen, zuerst in Danzig, dann in Hamburg. Er möchte, dass auch sein Sohn, der mit einem Godeffroy zur Schule geht, Großhandelskaufmann wird. Er soll die Welt sehen, erst ist er zwei Jahre in Frankreich, danach lockt ihn der Vater mit einer langen Bildungsreise durch Europa. Die gibt es aber nur, wenn er hinterher eine kaufmännische Lehre macht. Schopenhauer wird später über die Reise sagen, sie habe ihn gelehrt, die Bekanntschaft mit der Welt vom rechten Ende her anzufangen, sich nicht durch Worte und Geschichten über die Dinge dieser Welt zu unterrichten, sondern die Dinge selbst mit eigenen Augen in sich aufzunehmen. Er wird seinem Vater immer dankbar sein. Weniger seiner verschwendungssüchtigen Mutter, die ihren Mann nicht liebt. Ihren Sohn auch nicht. Glühende Liebe heuchelte ich ihm ebensowenig als er Anspruch darauf machte, aber wir fühlten beide, wie er mit jedem Tag mir werter wurde, sagt sie in ihrer Autobiographie über ihr Verhältnis zu ihrem Mann.

Der junge Schopenhauer kommt zu Martin Johann Jenisch ins Comptoir, dem Vater des Jenisch, der sich das schöne weiße Haus hat bauen lassen. Es wird eine harte Zeit für den jungen Schopenhauer, der so gerne ein Gelehrter werden möchte. Jetzt erfährt er, dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind. Der Schopenhauer Spezialist Arthur Hübscher beschreibt das so: Es begann eine trübe Zeit. Jenisch war ein liebenswürdiger, aber strenger Lehrherr, er erzog seinen Lehrling zu genauer Arbeit und gab ihm bis in die Nacht hinein zu tun. Arthur geriet mehr und mehr in Widerstreit mit seinen Obliegenheiten. Wie er später berichtet, suchte er die Comptoirstunden auf jede mögliche Weise zu verkürzen, um Zeit für das häusliche Studium zu gewinnen. Im Comptoir selbst hielt er Bücher versteckt, in die er sich versenkte, so oft er unbeobachtet war. Er wird später in seiner ↠Autobiographie schreiben: Nie aber hat es einen schlechteren Handlungsbeflissenen gegeben als mich. Meine ganze Natur widerstrebte diesen Geschäften. Der oben erwähnte Arthur Hübscher hatte sein ganzes Leben Schopenhauer geweiht, jetzt ist er sozusagen Untermieter in Schopenhauers ↠Grab.

Worum es in den Geschäften im Comptoir des Handelshauses geht, das hat Schopenhauer schon begriffen. Als er Philosoph geworden ist, wird er schreiben: Auf Kaufleute ist die eudämonologische Regel in Betreff der Erhaltung des Vermögens nicht anwendbar; denn ihnen ist das Geld selbst Mittel zum ferneren Erwerb, gleichsam Handwerksgerät; daher sie, auch wenn es ganz von ihnen selbst erworben ist, es sich, durch Benutzung, zu erhalten und zu vermehren suchen. Demgemäß ist in keinem Stande der Reichtum so eigentlich zu Hause, wie in diesem. Schopenhauer wird nicht in Hamburg bleiben, wird in keinem der weißen Häuser wohnen, die Christian Frederik Hansen den Kaufleuten baut. Unsere zivilisierte Welt ist nur eine große Maskerade, unter deren Masken meistens lauter Industrielle, Handelsleute und Spekulanten stecken. In dieser Hinsicht machen den einzigen ehrlichen Stand die Kaufleute aus; da sie allein sich für Das geben, was sie sind, sie gehen also unmaskiert herum, stehen daher auch niedrig an Rang.

Schopenhausers Vater Heinrich Floris Schopenhauer ist nicht glücklich in seiner Ehe mit der neunzehn Jahre jüngeren Johanna gewesen: Meine Mutter gab Gesellschaften, während er in Einsamkeit verging, und amüsierte sich, während er bittere Qualen litt. Die halbe Welt, sogar Lord Nelson und ↠Lady Hamilton, ist im Hause zu Gast. Dass ↠Nelson bei ihm zu Gast ist, das gefällt Floris Schopenhauer. Er liebt die Engländer, er hat die Times abonniert, deren Lektüre er auch seinem Sohn ans Herz legt. Aber die Welt des Salons ist nicht die Welt von Floris Schopenhauer, er kränkelt, wird taub und schwermütig und stürzt im April 1805 aus dem Fenster des Dachspeichers in ein Fleet der Elbe. Unfall? Selbstmord? Gemütskrank sei er gewesen, sagen manche. Die Gemütskrankheit läuft in der Familie, Floris Mutter wird vom Gericht für geisteskrank erklärt und entmündigt, einer seiner Brüder soll seit seiner Geburt blödsinnig gewesen sein. Der junge Arthur Schopenhauer hat diese Geschichten gehört, seine Mutter tischt sie immer wieder auf. Es wird nicht an Kritikern fehlen, die den Philosophen Schopenhauer für geisteskrank halten.

Johanna Schopenhauer (hier als Malerin in der Mode des Empire gemalt von Caroline Bardua) verkauft die Firma ihres Mannes, zieht nach Weimar und spielt die ↠Salonière der gebildeten Welt. Als Goethe ihr sagt, dass ihr Sohn einmal sehr berühmt werden wird, entgegnet sie ihm: Ich habe niemals von zweien Genies innerhalb einer Familie gehört! Sie hält sich für ein Genie, da ähnelt sie ↠Donald Trump. Wenn man ihre Lebenserinnerungen liest, hat man nicht den Eindruck, dass hier ein Genie schreibt. Bei ihren Romanen auch nicht. Vergleicht man einen Roman wie ↠Gabriele mit den Romanen von ↠Jane Austen, dann werden ihre stilistischen Defizite deutlich. Ihr Sohn, der die Lehre bei Jenisch abgebrochen und den Gymnasialstoff nachgeholt hat, will jetzt studieren. Er bleibt für sie ein Hemmnis in ihren gesellschaftlichen Ambitionen: Du bist kein böser Mensch. Du bist nicht ohne Geist und Bildung, Du hast alles, was Dich zu einer Zierde der menschlichen Gesellschaft machen könnte, aber dennoch bist Du überlästig und unerträglich, und ich halte es für höchst beschwerlich, mit Dir zu leben: alle Deine guten Eigenschaften werden durch Deine Superklugheit verdunkelt und für die Welt unbrauchbar ....

Schopenhauer ist von seiner Mutter nicht abhängig, das väterliche Erbe wird für den Rest seines Lebens ausreichen: Vorhandenes Vermögen soll man betrachten als eine Schutzmauer gegen die vielen möglichen Übel und Unfälle, nicht als eine Erlaubnis oder gar Verpflichtung, die Pläsiere der Welt heranzuschaffen. Es ist schön, wenn man sich um das Geld nicht sorgen muss, es philosophiert sich dann leichter. Auch ↠Kierkegaard - der über Schopenhauer sagte: Es hat mich unsagbar belustigt, Schopenhauer zu lesen. Was er sagt, ist völlig wahr und wiederum so grob, wie nur ein Deutscher sein kann. Das gönne ich den Deutschen -  hatte ein Vermögen geerbt, das bis zu seinem Lebensende reichte. Er war auf dem Weg zur Bank, um die letzte Rate des Vermögens abzuholen, als ihn der Herzinfarkt traf.

Der Einblick in die Welt der Hamburger Pfeffersäcke hat Schopenhauer zu einem geschickt agierenden Verwalter seines Vermögens werden lassen (ganz anders als ↠Proust, der ständig große Summen an der Börse verlor). Als das Danziger Bankhaus Abraham Ludwig Muhl, bei dem Floris Schopenhauer sein Vermögen angelegt hat, finanziell in die Bredouille gerät, sichert sich Schopenhauer den größten Teil seines Vermögens. Seine Mutter und seine Schwester müssen sich mit einem unvorteilhaften Vergleich begnügen. Geld allein ist das absolut Gute: weil es nicht bloß einem Bedürfnis in concreto begegnet, sondern dem Bedürfnis überhaupt in abstracto.

Schopenhauer wurde heute vor 230 Jahren geboren. Er sprach fließend Französisch und ein sehr gutes Englisch (er hätte gerne ↠Laurence Sterne übersetzt), das ist für Philosophieprofessoren keine Selbstverständlichkeit. Zu seinen Lebzeiten war er nicht wirklich berühmt, aber wenn Goethe zu Johanna Schopenhauer sagte, dass ihr Sohn einst berühmt werden würde, hatte er sich nicht geirrt. Es hat nur ein wenig gedauert. In meinem Philosophiestudium in den sechziger Jahren kam Schopenhauer nicht vor. Kierkegaard auch nicht. Es wurden die alten Griechen angeboten und ↠Hegel und ↠Heidegger. Die beiden Herren haben hier schon Posts. Die nicht sehr nett sind, ich mag sie beide nicht. Schopenhauer mochte Hegel auch nicht. Schopenhauer kann man immer lesen. Kierkegaard auch. Als ich der Dozentin, die mich im Rigorosum prüfte, Schopenhauer und Kierkegaard als Prüfungsthemen vorschlug, guckte sie mich an, als käme ich von einem anderen Stern. Sie empfahl mir, ihre Hegel Vorlesung zu besuchen. Mein kleiner Scherz, dass Schopenhauer Hegels Gesicht als Bierwirtsphysiognomie bezeichnet hatte, kam bei ihr nicht gut an. Ihre Hegel Vorlesung bei mir auch nicht.

Als ↠Theodor Fontane Schopenhauers ↠Parerga und Paralipomena gelesen hatte, schrieb er: Geistvoll und interessant und anregend ist alles; vieles zieht einem einen Schleier von den Dingen oder den Augen fort und gewährt einem den Genuß freudigen Schauens; über Dinge, über die man aus Mangel an Erkenntnis oder auch aus einer gewissen Feigheit im unklaren war, wird man sich klar: man hat die angenehme Empfindung: das erlösende Wort wurde gesprochen. Das lasse ich mal als Schluss hier stehen.

1 Kommentar:

  1. Hallo Jay,

    Schopenauer, der stets von seiner eigenen Genialität überzeugt war ("Die eigentlich großen Geister horsten, wie der Adler, in der Höhe allein"), über Hegel: "Hegel ist ein plumper Scharlatan und seine Lehre eine philosophische Scharlatanerie. Der Grundgedanke seiner Afterweisheit war eine philosophische Hanswurstiade. Er ist eine philosophische Ministerkreatur, ein geistiger Kaliban, eine bestia trionfante, ein frecher Unsinnsschmierer, ein Papier-, Zeit- und Kopfverderber. Das unsinnige Geschwätz erinnert an Deliramente der Tollhäusler, ein physisch wirkendes Vomitiv." Ich habe das aus dem Buch "Kunst der Beleidigungen". Ob dies aber tatsächlich von Schopenhauers Feder stammt, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen.

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