Samstag, 29. September 2012

Antonioni


Seine schönsten Filme wurden ausgepfiffen. Die Meisterstücke stießen nicht nur auf Unverständnis eines großen Teils der Kinogänger; sie provozierten auch denkfaule ungeduldige Festivaliers zu dummdreistem Hohngelächter... Michelangelo Antonioni wird sie überdauern. Seine Kunst ist der Zeit so weit voraus, daß er geduldig abwarten kann, daß seine Gegner eines Tages zu ihm überlaufen, schrieb Karl-Heinz Krüger 1962 in Der Abend. Man kann sich das heute nicht mehr vorstellen, dass ein Film wie L'avventura (Die mit der Liebe spielen) vor einem halben Jahrhundert in Cannes ausgebuht und ausgepfiffen wurde. Wahrscheinlich mochte man in Deutschland La Notte damals nur, weil da Bernhard Wicki drin mitspielte.

Ich hätte natürlich nicht bei einer Premiere gepfiffen, denn ich war Michelangelo Antonioni Fan. Nicht, dass ich Cronaca di un amore (➱hier ganz zu sehen) wegen des schönen ➱Maserati angeguckt hätte oder wegen der bildschönen ➱Lucia Bosé. Oder wegen der eleganten Klamotten. Nein, man liebte Antonioni wegen der Filmkunst. Das sagte man so voller Überzeugung, Antonioni war cool. Andere guckten Schön ist die Liebe am Königssee, wir kleinen Cineasten schwärmten für Michelangelo Antonioni.

In Wirklichkeit habe ich seine Filme natürlich nur wegen der schönen Frauen, wegen der eleganten Kleidung und wegen der Autos gesehen. L'avventura habe ich wegen ➱Lea Massari gesehen, ➱L'eclisse wegen Monica Vitti. Das Tweedjackett hier von Steven Cochran in Il Grido vergesse ich ebenso wenig wie die Anzüge, die Marcello Mastroianni in La Notte getragen hat. So etwas prägt, vor allem in einer Zeit in der die Adenauer Republik trotz des Wirtschaftswunders in Bezug auf die Mode ein Entwicklungsland war. Und wenn man sich auf den Straßen umschaut, ist sie das heute immer noch so, obgleich überall diese widerlichen Designer Outlets eröffnet werden, die angeblich den Höhepunkt der Mode bringen. Was man aber nie auf der Straße sieht.

Ich übertreibe jetzt etwas (nicht mit den Bemerkungen über den Zustand der deutschen Mode heute). Natürlich habe ich auch damals schon gemerkt, dass dies wirkliche Filmkunst war. Dafür war man schließlich in einem Filmclub und ging in Kinos, die den hochtrabenden Namen Studio für Filmkunst hatten. Man ging natürlich auch in ganz andere Kinos und in ganz andere Filme, aber das durfte man in Cineastenkreisen nicht so laut sagen. Ich war damals sehr glücklich, dass der amerikanische Western durch André Bazin und den Rest der französischen Filmkritik geadelt wurde. Wenn Western Filmkunst waren, dann durfte man sie auch ohne schlechtes Gewissen genießen.

Ich besaß 1964 sogar schon ein Buch über Antonioni, Pierre Leprohons Michel Antonioni: Der Regisseur und seine Filme, war gerade bei Fischer als Taschenbuch erschienen. Es gab zu der Zeit hier kaum Bücher über Filme und Regisseure. Gedruckte Drehbücher erst recht nicht, da hatte L'Avant-scène cinéma (gerade 1961 gegründet) das Monopol. Die Franzosen waren schon weiter als wir. Die Cahiers du cinéma gab es schon seit 1951, das deutsche Imitat Filmkritik kam erst später und druckte zu Anfang auch beinahe nur Übersetzungen der Artikel aus den Cahiers du cinéma nach. Pierre Leprohons Buch (übrigens ein erstklassiges Buch!) markiert auch einen Wendepunkt in der Rezeption von Antonioni.

Jetzt wurde er nicht mehr ausgebuht, jetzt war er Kunst. Und die Italiener waren auch eine ernstzunehmende Konkurrenz für die Franzosen. L'avventura kam im gleichen Jahr wie Fellinis La dolce Vita oder Viscontis Rocco e i suoi fratelli ins Kino. Aus Frankreich kamen damals Louis Malles Zazie dans le Métro, Godards À bout de souffle und ➱Truffauts Tirez sur le pianiste zu uns. Wir hatten den Faust Film mit Gründgens und Quadflieg, die Fabrik der Offiziere und Der letzte Fußgänger mit Heinz Erhardt. Man könnte aus der These Kracauers, aus den Filmen einer Nation etwas über ihren Nationalcharakter abzuleiten (wie er das in From Caligari to Hitler vorgemacht hatte) sicherlich auch für das nationale Kino der sixties eine Menge Rückschlüsse ziehen.

Es ist der Mittelteil seines Werkes, Filme wie Die mit der Liebe spielenDie Nacht und Liebe 1962 (L'eclisse), der Antonioni seine Anerkennung beim Publikum sicherte. Ich liebe keinen meiner Filme: zumindest habe ich keine besondere Vorliebe für einen von ihnen, weil ich niemals einen Film unter normalen Bedingungen drehen und ausdrücken konnte, was ich wollte, hat Antonioni gesagt, als er Le amiche gedreht hatte. Doch in den sechziger Jahren sind die Schwierigkeiten des Filmemachers vorbei, jetzt bekommt er genügend Geld für seine Projekte.

Jetzt dreht er auch in Farbe. Obgleich Il deserto rosso wie ein Schwarzweißfilm wirkt, den man - bis auf die roten Haare von Antonionis neuer Muse Monica Vitti - künstlich eingefärbt hat. Aber der Farbfilm ist auch eine Gefahr für einen Regisseur, der in der Schwarzweißästhetik des italienischen Neorealismus großgeworden war. Antonioni schien nicht mehr zu wissen, was er wollte. Da ähnelte er dem Regisseur Guido Anselmi (gespielt von Marcello Mastroianni) aus Fellinis Otto e mezzo, der irgendwann sagt: Ich wollte einen einfachen, ehrlichen Film, und jetzt herrscht in meinem Kopf die größte Verwirrung.

Dann drehte er Blow-Up und verlegte seine immer wieder variierte Geschichte von Entfremdung und Selbstfindung aus dem Italien, das er kannte, in das Swinging London, das gerade angesagt war. Eine hippe Version von Fellinis La Dolce Vita. Obgleich ich den Film mehrfach gesehen habe, wußte ich, dass dies jetzt nicht mehr der Antonioni von Le amiche (ein Film, der wie Blow-Up etwas mit der Welt der Mode zu tun hat) war. Dieser Film schielte auf die Kinokassen. Und was Antonioni danach drehte, hat mich eigentlich nicht mehr interessiert.

Michelangelo Antonioni wurde heute vor hundert Jahren geboren. In diesem Blog ist er schon zweimal vorgekommen: ➱hier und ➱hier. Das letzte ist ein ziemlicher Verriss von Blow-Up, der allerdings schon über fünftausend Mal gelesen wurde. Hat sich aber bisher niemand beschwert.

Inzwischen gibt es in diesem Blog noch mehr Antonioni: Michelangelo AntonioniMonica VittiSteve CochranVittorio GassmanOssessioneIngmar BergmanCinecittà und die ModeBrioniDieter BorschePeter Finch

Freitag, 28. September 2012

Herman Melville


Das war alles, was die New York Times am 29. September über den Verfasser von Moby-Dick zu sagen wusste. Man konnte nicht einmal Moby-Dick richtig schreiben. Sie haben dann allerdings am 2. Oktober einen ausführlicheren ➱Nachruf gedruckt. Aber täuschen wir uns nicht, vierzig Jahre nach Moby-Dick war Melville als Schriftsteller in Amerika vergessen. Aber in einem Blog, dessen Adresse mit Loomings das erste Kapitel von Moby-Dick zitiert, kann der Todestag von Melville natürlich nicht unbemerkt vorbeigehen.

Erst die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts brachten eine Art Melville Revival. Raymond Weaver, der mit Herman Melville: Man, Mariner and Mystic 1921 die erste Melville Biographie geschrieben hatte, gab beim englischen Constable Verlag die erste Melville Gesamtausgabe heraus. Die auch zum ersten Mal das unvollendet gebliebene Manuskript von ➱Billy Budd enthielt, das Melville kurz vor seinem Tode geschrieben hatte. Von da an nahm das akademische Interesse an Melville ständig zu. Hundert Jahre nach dem Erscheinen von Moby-Dick brachte Newton Arvin seine Melville Biographie auf den Markt, über die Alfred Kazin sagte: the wisest and most balanced single piece of writing on Melville I have seen. It is marked not only by a thoroughly convincing analysis of his creative power and its limitations, but, what is most sharply felt in the book, a wonderfully right feeling for the burning human values involved at every point in Melville's struggle with his own nature... . He is concerned with the man's evolution in a way that leaves an extraordinary impression of concentrated sympathetic awareness. Und beinahe gleichzeitig mit Arvins Buch erschienen Jay Leydas Melville Log und die kommentierte Moby-Dick Ausgabe von Luther S. Mansfield und Howard P. Vincent. Die mir die liebste Ausgabe ist, weil man sie dank ihres Layouts so schön lesen kann. Ich weiß, dass manche meiner Leser die Ausgabe mit den Illustrationen von Rockwell Kent bevorzugen, die ist natürlich auch sehr schön, hat aber leider keinen kritischen Apparat.

1945 war die ➱Melville Society gegründet worden, und seit 1960 bringt die Northwestern University Press zusammen mit der Newberry Library und der Modern Language Association die definitive ➱Melville Ausgabe heraus. Die Melville Forschung ist zu einer nationalen Industrie geworden. Die amerikanische Melville Forschung ist ein sehr exklusiver Klub, es sind immer wieder die gleichen Leute, die sich gegenseitig zitieren. Und außer absolut freakigen Thesen, die von Zeit zu Zeit auftauchen, kommt von der Melville Mafia selten etwas Neues. Gut, es ist im Augenblick modisch, nachzuweisen, dass Melville angeblich schwul war, aber das geht auch vorüber. Da fand ich vor Jahren den Satz von Leslie Fiedler, dass der weiße Wal die einzig überzeugende Frauenfigur der amerikanischen Literatur im 19. Jahrhundert ist, noch witziger.

Trotz der Vielzahl der Melville Biographien bleibt Herman Melville immer noch ein Rätsel. Die äußeren Lebensumstände sind hervorragend mit Jay Leydas Melville Log und Hershel Parkers Biographie dokumentiert, aber der Mann hinter der Maske, wer ist das? Was geht in ihm vor? You may be witched by his sunlight—transported by the bright gildings in the skies he builds over you; but there is the blackness of darkness beyond; and even his bright gildings but fringe and play upon the edges of thunder-clouds, hatte Melville in seiner Rezension zu Hawthornes Twice-Told Tales geschrieben, aber es ist, als ob er sei eigenes Werk und sich selbst beschreibt.

Im Jahre 2002 hatte Hershel Parker mit dem zweiten Band seiner Melville Biographie Melvilles Leben ein für alle Mal zubetoniert. Fakten bis zum Abwinken, beinahe zweitausend Seiten lang. Sicherlich Pflichtlektüre für Melville Forscher, aber nichts für den normalen Leser. Ich hatte natürlich die Biographien von Newton Arvin und Leon Howard gelesen, und ich besaß die beiden Bände von Jay Leydas ➱Melville Log. Und auch das Buch Melville in the South Seas von Charles R. Anderson, das zwar nur einen kleinen Teil des Lebens von Melville beschreibt, aber ganz hervorragend ist. Von einer Berühmtheit wie Hershel Parker erwartete ich mir damals Wunderdinge, aber wenn ich ehrlich bin: es war eigentlich nur langweilig. Und ich fand auch die Cover Illustration von Maurice Sendak etwas albern; aber an dem hat Parker ja offensichtlich einen Narren gefressen, seit er die Kraken Edition von Pierre, or The Ambiguities mit den scheußlichen Illustrationen von Sendak herausgebracht hatte.

Nein, die Lektüre der beiden Bände war eine ➱Enttäuschung. Da sehnte man sich doch wilde Denker wie ➱Charles Olson mit seinem Buch Call me Ishmael oder Leslie Fiedler (Love and Death in the American Novel) zurück. Selbst ➱Uwe Nettelbeck in seinem 170-seitigen Melville Essay ist anregender. Oder man könnte auch noch die 320 Seiten Kommentar von Harold Beaver in der alten Moby-Dick Ausgabe des Penguin Verlages lesen, die offensichtlich in einer Phase von wirklicher Genialität und unter dem Einfluss von viel schottischem Whisky geschrieben sind.

Und just in dem Augenblick, an dem man glaubte, es geht nichts mehr, da kommt ein Mann wie Andrew Delbanco und schreibt Melville: His World & Work (gibt es inzwischen auch schon auf deutsch). Chapeau! Für alle diejenigen, die keine berufsmäßigen Amerikanisten sind und sich nicht ein Leben lang nur mit Melville beschäftigt haben - also für den ganz normalen Leser -  ist dies das richtige Buch. Es ist sicherlich auch das beste Buch über Melville in den letzten Jahren (so nett das kleine Buch von ➱Elizabeth Hardwick ist). Delbanco bietet keine neuen Theorien an, keine neuen Funde (außer einem unbekannten Photo, das Melville zeigen könnte (oder auch nicht), aber er hat alles gelesen. Und er macht Melville für unsere Zeit verständlich. Allein schon das erste Kapitel, in dem Delbanco einen Bogen vom neunzehnten Jahrhundert zur Populärkultur des zwanzigsten zieht, ist großartig. Und er stellt (zugegeben ein alter, aber bewährter Trick), den Mann durch sein Werk vor. Und das Buch ist keinen Augenblick langweilig. Weil der Verfasser (wie Melville) über Witz und Ironie verfügt.

In seinem Film Zelig spielt Woody Allen Leonard Zelig, einen Mann von unglaublichem Wandlungsvermögen. Der Beginn seiner pathologischen Anpassung liegt in einer Unterhaltung über Moby-Dick: irgendwelche ganz schlauen Leute haben mich gefragt, ob ich 'Moby-Dick' gelesen habe. Mir war es peinlich, zu sagen, daß ich nie 'Moby-Dick' gelesen habe. Also tut er so, als hätte er den Roman gelesen. Am Ende des Drehbuches heißt es über Zelig: Auf seinem Totenbett erzählte er den Ärzten, daß er ein gutes Leben gehabt hatte und daß das einzig ärgerliche am Sterben sei, daß er gerade angefangen hatte, 'Moby-Dick' zu lesen und nun wissen wolle, wie es ausging. Auf der nächsten Seite hat der Diogenes Verlag unter dem Titel Wenn Sie wissen wollen wie 'Moby-Dick' ausgeht eine Werbung für seine Übersetzung plaziert.

Das ist die von Thesi Mutzenbecher und Ernst Schnabel. Aber die sollten Sie auf keinen Fall lesen. Sie sollten auch nicht die Übersetzung von Friedhelm Rathjen lesen, für die Dieter E. Zimmer, der langjährige Feuilletonchef der Zeit (der sich ja viel mit Literaturübersetzungen beschäftigt hat), die schönen Worte systematische und dogmatische Verholperung und Verhässlichung des Textes gefunden hat. Wenn Sie eine gute deutsche Übersetzung von Moby-Dick suchen, dann lesen Sie die von Fritz Güttinger! Vielleicht schreibe ich irgendwann noch einmal über die deutschen Melville Übersetzungen, bis dahin sollte genügen, was ich in dem Post ➱Fritz Güttinger gesagt habe.

Und falls Sie jetzt durch Zufall in diesen Blog gelangt sind, könnten Sie natürlich noch alles lesen, was in hier zu ➱Herman Melville und ➱Moby-Dick steht.

Donnerstag, 27. September 2012

Edgar Degas


“At death,” wrote Larkin, “you break up: the bits that were you / Start speeding away from each other for ever….” Degas died in September 1917, and the bits that belonged to him started speeding away from each other soon after. He had thought of trying to keep them together, in a museum of his own, but that fantasy had not survived the trip in 1903 to the Gustave Moreau museum, which gave him the sinister feeling of being in a family vault. He had thought of giving the best of them to the Louvre—then, he said, he would go and sit in front of them and contemplate what a fine thing he had done for his nation. But that noble urge never bore fruit, and anyway he later came to despise the Louvre, as we shall see.
   

So it happened that in the end everything came under the hammer—works that he had painted in his youth, and had never let go of; works he had produced in old age, and that few had ever seen; paintings, drawings, and prints he had collected—a spiritual hoard. It took three of the greatest firms in the field—Bernheim-Jeune, Durand-Ruel, and Vollard—to catalog this material and organize its dispersal in seven auctions. When the first of those catalogs went out, showing the quality of Degas’s collection, everyone could see that this was an event of exceptional importance.

So beginnt der Essay Degas in the Evening von James Fenton, den ich vor Jahren im New York Review of Book las. Eigentlich ist James Fenton ja Dichter, aber er schreibt auch hervorragend über Kunst. Wenn man für den New York Review of Books schreibt, dann ist man ganz weit oben. Als Fenton den Degas Essay schrieb, war er Professor of Poetry in Oxford. Da braucht man nicht so viel zu tun, man muss nur drei Vorlesungen im Jahr halten. Ich muss an dieser Stelle gestehen, dass Degas mich nie interessiert hatte, nicht die Bohne. Immer diese Hupfdohlen im Rampenlicht, Frauen bei der Toilette in Softporno Manier und Pferderennen. Definitiv nicht mein Ding. Für Manet, der auch so viel Schwarz im Bild verwendet wie Degas kann ich mich begeistern, für Degas nicht.

Nach der Lektüre von Degas in the Evening erst recht nicht. Ausgiebig aus den Tagebüchern von Harry Graf Kessler zitierend, der diesen Abend des 19. Juni 1907 minutiös festgehalten hatte, präsentiert uns Fenton (beziehungsweise Harry Graf Kessler) den Kleinbürger Degas als militanten Judenhasser. Bevor er die Einladung zum Essen bei Ambroise Vollard annahm, hatte Degas geschrieben: Für mich ein Gericht ohne Butter - keine Blumen auf dem Tisch, wenig Licht...sie werden ihre Katze einschließen, das weiß ich, und niemand wird einen Hund mitbringen. Und wenn Frauen geladen sind, bitten Sie sie, auf Duft zu verzichten...Was sollen Parfums, wenn manche Sachen so gut riechen! Zum Beispiel geröstetes Brot. Genau um halb acht werden wir zu Tisch gehen. Das sind die Gäste, die man liebt.

Es ist ein Abendessen, das der Kunsthändler Ambroise Vollard im Keller unter seiner Kunsthandlung gibt. Seine Abendessen für die Künstlerszene sind berühmt, als Hauptgang gibt es immer Huhn, scharf gewürzt mit Negercurrie (Degas lehnt es natürlich empört ab, davon zu essen). Pierre Bonnard hat das Essen am 19. Juni im Bild festgehalten. Vollard sitzt am Ende des Tisches, links vorne ist Harry Graf Kessler, zwischen den beiden Degas. Der bramabasierend seinen Judenhass zum Ausdruck bringt, Vollards Partykeller wird zu einer Art Münchener Bürgerbräu. Um elf Uhr zieht Degas, der sich nach den Maßstäben von Harry Graf Kessler den ganzen Abend sehr unhöflich benimmt, seine Taschenuhr und geht. Die ➱Tagebucheintragung (Seite 299) endet mit dem Satz: Sert fragte mich beim Weggehen, wie ich Degas als Menschen gefunden habe; ich sagte: un naif forcené et maniaque.

Am Ende seines Lebens hatte der beinahe blinde Degas, der sich seit der Dreyfus Affäre von allen jüdischen Freunden und Bekannten getrennt hatte, keine Freunde mehr. At death. you break up: the bits that were you / Start speeding away from each other for ever, mit den Zeilen von Larkin hatte James Fenton seinen Essay begonnen. Es lohnt sich, Philip Larkins Gedicht ➱The Old Fools zu lesen, man kann es sich ➱hier auch von Larkin vorlesen lassen. Edgar Degas ist heute vor fünfundneunzig Jahren gestorben. Ich vergesse ihn mal ganz schnell wieder.

Die Kunstessays, die James Fenton für den New York Review of Books geschrieben hat, sind in seinem Band Leonardo's Nephew: Essays on Arts and Artists gesammelt. Kann man bei Amazon Marketplace noch ganz preiswert finden, lohnt sich unbedingt.

Mittwoch, 26. September 2012

Levis


Heute vor hundertzehn Jahren starb der am 26. Februar 1829 als Löb Strauß in Buttenheim geborene Levi Strauss. Dies hier soll die älteste Jeans der Welt sein, angeblich von Levi Strauss selbst geschneidert. Doch die Geschichte ist wahrscheinlich nicht wahr, vieles in der firmeneigenen Historie stammt aus den Federn der Werbeabteilung. Das ist wie bei Rolex, man erfindet sich gerne seine Vergangenheit, wenn man etwas verkaufen will. Die Firma Levis gibt es heute immer noch, sie ist immer noch im Familienbesitz. Aber irgendwie sind ihre Jeans nicht mehr das, was sie mal waren. Ich habe noch ein Paar alte 501 aufbewahrt. Sind ein halbes Jahrhundert alt, ich passe nicht mehr rein. Aber ich mag sie nicht wegwerfen, es ist einfach ein Stück Nostalgie. Das feeling nearly fades as my jeans aus Kristoffersons ➱Me and Bobby McGee bekommt eine neue Bedeutung. Damals waren Levis 501 in der Hierarchie der Jeans ganz weit oben, die Röhrlihosen von Herrn Sefranek waren ganz unten. Me and Bobby McGee ist als Song ja O.K., klingt authentisch nach Levis 501. Wir dagegen haben Udo Jürgens: Leben in Blue Jeans / Jenseits der Zwänge, Baby / Freiheit und Liebe / In mir - oh, ho / Leben in Blue Jeans / Raus aus der Enge, Baby / Über die Grenzen / Mit dir - oh, ho. Und das ist definitiv nicht das authentische Jeansgefühl, da schmeckt man Sefraneks Röhrleshosen durch.

Damals waren Levis Jeans auch noch Made in USA. Heute kommen Levis Jeans aus Bangladesh (oder sonst wo her) und sind eigentlich Wühltischware. Sie haben von der Qualität her auch keine Chance gegen, sagen wir mal, ➱Jacob Cohen Jeans. Vor Jahren begann Levis in den USA eine neue, ➱Go Forth betitelte, Werbekampagne, in der die Firma amerikanische Gedichte mit ihren Jeans verknüpften. Also zum Beispiel ➱Charles Bukowski, der bestimmt Jeans getragen hat. Weil man die Rotweinflecken da leicht rauswaschen konnte. Aber hat Walt Whitman Levis Jeans getragen? Wohl kaum. Als Kommentar zu dem Levis Werbevideo bei ➱You Tube habe ich dies hier gefunden: The top rated comments are defending this? Whitman's poem was a hopeful declaration of the American spirit; transcendentally just and equal, deliberate and incessant. But here we have that reduced to a pair of jeans. Is this some genius speaking through satire or has consumerism become this crass? The American dream of independence and self-actualization has become a pair of over-priced jeans. Vielen Dank newwind07. Mehr braucht man dazu auch wirklich nicht zu sagen.

Ich hätte noch einen Lesetip: Une histoire du blue-jean von Friedmann Daniel, auf deutsch als Das Jeans-Buch im Berliner Transit Verlag erschienen. Ist natürlich vergriffen, lohnt aber die Suche. Daniel Friedmann ist Anthropologe, ein Kollege von dem berühmten Claude Lévi-Strauss, der zu seinem Leidwesen immer mit dem Erfinder der Blue Jeans verwechselt wurde. Er erhielt ständig Briefe, in denen der Wunsch nach einem speziellen Modell geäußert wurde, Bargeld war beigefügt. Natürlich haben die Anthropologen und Volkskundler inzwischen eine Menge zu dem Deutschamerikaner Levi Strauss zu sagen, wie ➱Hermann Bausinger mit Jeans - Beiträge zu Mode und Jugendkultur bewiesen hat.

Und wenn Sie das neue Spielzeug da oben links in der Ecke von dieser Seite mal testen wollen: das hier passiert, wenn Sie dort ➱Jeans eingeben. Da gibt es so viele Posts (immer wenn Sie unten auf einer Seite angekommen sind, müssen Sie natürlich Weitere Posts anklicken), da kann einem schwindlig werden. Das hat aber nichts mit dem Jeans Instabilitätskriterium zu tun.

Dienstag, 25. September 2012

Gouldberg Variations


Solch ein Auto hat Glenn Gould mal gefahren, einen 1977er Lincoln Continental Town Car. Schwarz, vier Türen, V8 Motor. Er hatte den Wagen Longfellow getauft. Er liebte das Autofahren, fuhr allerdings genau so wenig konventionell, wie er Klavier spielte: I suppose it can be said that I'm an absent-minded driver. It's true that I've driven through a number of red lights on occasion, but on the other hand, I've stopped at a lot of green ones but never gotten credit for it. Einmal hat ihn die Polizei angehalten, weil er Schlangenlinien fuhr und wild mit den Händen gestikulierte. Er war nicht betrunken, er dirigierte lediglich eine Mahler Symphonie, die im Autoradio lief. Das Autoradio lief bei ihm immer in voller Lautstärke. Er hörte aber nicht immer klassische Musik, er konnte auch ebenso gut Country & Western hören.

Leonard Bernstein hat einmal erzählt, wie er mit Glenn Gould im Auto gefahren ist: Let’s go and do my favorite thing, mit dem Satz fängt das Abenteuer an, so we went down and got into his car, he being wrapped up in all his furs and gloves and hats, with all the windows up, the heat turned on full blast, and the radio tuned to a good music station, also full blast. […] I said, Do you do this often? He said, Every day. 

Das hier ist nicht Glenn Gould, das ist Jack Nicholson, der in Five Easy Pieces einen Pianisten spielt. Ein wenig exzentrisch, aber was ist das gegen Glenn Gould, wenn er nachts stundenlang den Queen's Highway herunterfährt, um dann irgendwann in der Frühe in einem truck stop diner zu landen? Er brauchte die Nacht: I tend to follow a very nocturnal sort of existence mainly because I don't much care for sunlight. Bright colors of any kind depress me, in fact. And my moods are more or less inversely related to the clarity of the sky, on any given day. A matter of fact, my private motto has always been that behind every silver lining there is a cloud. Wir gönnen ja jedem Pianisten seine kleinen Exzentrizitäten (Maria Joao Pires hat neuerdings ein Tattoo auf dem rechten Handgelenk), wenn er nur überirdisch Klavier spielt. Und da ich bei überirdisch bin, sollte ich an Glenn Goulds achtzigstem Geburtstag daran erinnern, dass irgendwo im Weltraum ein kleines Stück Glenn Gould ist: Seit 1977 rast Gould-Bach, als Tonkonserve in der Raumsonde 'Voyager' für Jahrmillionen haltbar gemacht, dem Rand des Sonnensystems entgegen.

Ich musste mal eben den Spiegel vor zwanzig Jahren zitieren, wo sie offensichtlich einen hoffnungsvollen Jungredakteur an eine Würdigung von Glenn Gould herangelassen hatten. Der über Goulds Aufnahme der Goldberg Variationen schrieb: So etwas spielte man damals eigentlich überhaupt nicht - und wenn, dann nur, vermeintlich stilvoll, auf dem Cembalo. Bach auf dem Steinway galt als geschmacklos. Im übrigen überließ man Stücke wie die 'Goldberg-Variationen' den ältlichen Instrumentalistinnen, die im rechten Winkel und mit der rechten abendländischen Einstellung vor der Klaviatur saßen, ihre Haare am Hinterkopf zum Halleluja-Knoten gerundet hatten und genauso spielten, wie sie aussahen. Wham! Wie ein Blizzard fegte dagegen der junge Spund aus der kanadischen Kultur-Öde durch die Sakristei des Leipziger Thomaskantors, und weg war aller Muff unter der Allongeperücke. Keine Drücker, keine Schluchzer. Nichts gepanscht, nichts gesoftet. Triller, als wären Krallen im Anschlag. Läufe, die nicht liefen, sondern rasten. Perfekt die Spurtreue durch Bachs Polyphonie. Klanglich überall schlanke Linie. Trotzdem, kaum zu glauben, dezenter Swing im Kontrapunkt: Gould - der mit dem Bach tanzt.

Wenn er noch lebte, würde er heute noch Klavier spielen? Hätte er so lange wie ➱Claudio Arrau, Mieczysław Horszowski oder Wilhelm Kempff spielen wollen? Würde er in the gradual, lifelong construction of a state of wonder and serenity die Goldberg Variationen ein drittes Mal aufnehmen wollen? I think that if I were required to spend the rest of my life on a desert island, and to listen to or play the music of any one composer during all that time, that composer would almost certainly be Bach. I really can't think of any other music which is so all-encompassing, which moves me so deeply and so consistently, and which, to use a rather imprecise word, is valuable beyond all of its skill and brilliance for something more meaningful than that -- its humanity. Als er 1964 aufhörte, Konzerte zu geben, hatte er gesagt: I really would like the last half of my life to myself. Leider war die zweite Hälfte nicht so lang wie die erste. Als Hölderlin ➱Hälfte des Lebens schrieb, blieben ihm noch vierzig Jahre.

Wenn Glenn Gould auch schon dreißig Jahre tot ist, ist er in der Welt der Platten, CDs, Filme und Videos noch sehr lebendig (wenn Sie einmal den ganz jungen Glenn Gould sehen wollen, dann klicken Sie ➱hier). Seien wir dankbar. Ich habe gestern Nacht einfach eine Glenn Gould CD aus dem Regal genommen, es war - welch ein Zufall - Glenn Gould Plays Bach. Ich wusste nicht, was da drauf ist, weil ich die noch nie gespielt hatte. War mal ein Sonderangebot. Label: Membran, Raubdruck? Einige Meter weiter steht der ganze Glenn Gould in den Sony und Columbia Aufnahmen. Kaum hatte der Player die CD geschluckt, da fing Glenn Gould an zu spielen, es war die frühe Aufnahme der Goldberg Variationen, unverwechselbar. Man kann sie hundertmal gehört haben, die Magie ist immer wieder die gleiche. Vor allem nachts. Die Aufnahme klang deshalb so überraschend neu, weil ich sie nicht hundertmal gehört hatte. Dies war die seltene erste Aufnahme von 1954 war. Das habe ich erst viel später gemerkt.

Google hat wieder etwas Neues: Neben einigen anderen Google-Produkten hat auch Blogger ein völlig neues Design erhalten. Die neue, klare Benutzeroberfläche soll für eine einfachere Bedienerführung in Ihrem Blog sorgen. Wie ich das hasse. Nix ist mehr da, wo es mal war. Aber was an dem Ganzen gut ist, ist dieses kleine Suchfenster ganz oben links auf der Seite. Wenn Sie da Glenn Gould eingeben, erhalten Sie ➱dies - und das ist doch schon mal eine Menge Glenn Gould in diesem Blog.

Was da wohl nicht erfasst wird, ist ein kleines Gelegenheitsgedicht, das ich in den ersten Tagen meiner Bloggertätigkeit hier einstellte. Falls Sie mich im Januar 2010 noch nicht gelesen haben, hier ist es nochmal:

Piano: Top Ten

Im Alphabet
kommt
Justus Frantz
vor
Gavrilov
Gieseking
Gilels
und
Gould.
Nur
im Alphabet
Gott
sei Dank.


Montag, 24. September 2012

Herbstanfang


Es ist nicht zu leugnen, der Herbst ist da. Zeit, die schönen gelben Sommerhosen wegzuräumen und die Cordhosen nach vorne im Schrank zu legen. Vor einem Jahr gab es hier im Blog noch das wunderbare ➱Sommergedicht von ➱Wilhelm Lehmann, daran kann man sich nur wehmütig erinnern. Ich habe heute auch ein Herbstgedicht, das Einen Herbst lang heißt. Und ich muss gestehen, ich weiß so gut wie nichts über den Dichter. Er heißt Gerhard Neumann, sein schmaler Gedichtband Salziger Mond, aus dem das Gedicht ist, fiel mir letztens in einem Antiquariat in die Hand. Fünf Minuten drin gelesen, gleich mitgenommen. 1958 ist das Buch beim Insel Verlag erschienen; Neumanns erster Gedichtband (ebenso schmal) hieß 1956 Wind auf der Haut. Im Internet findet sich zu dem Autor ein einziger Satz, der beinahe gebetsmühlenartig in jeder Fundstelle immer wieder wiederholt wird: Gerhard Neumann (geb. 1928 in Rostock, gest. 25. Juni 2002 in Hamburg) galt in den fünfziger Jahren als einer der wichtigsten lyrischen Stimmen der jüngeren Generation. Das ist irgendwie ein klein wenig unbefriedigend für einen Dichter, wenn es zehn Jahre nach seinem Tod überhaupt nichts über ihn zu lesen gibt.

Es ist das Verdienst des vor dreißig Jahren gegründeten ➱Rimbaud Verlags, dass das Werk von Neumann nicht ganz untergegangen ist. Man kann ja nur dankbar sein, dass es solche Verlage noch gibt. Eines Tages werden wir wahrscheinlich nur noch Verlage wie den Riva Verlag haben. Ich zitiere dazu als Antidoton mal eben den Verlagsgründer Dr. Bernhard Albers in einem Interview mit dem Goethe Institut: Ist Ihr Verlag ein Verlag für Intellektuelle? Für ein gebildetes Publikum? - Ja, man muss schon ein Vorwissen von Literatur als Traditionsquelle haben. Sonst kann man gar nichts damit anfangen. Ich glaube ja auch, dass anspruchsvolle Lyrik nur von Lyrikern gelesen wird, eben von einer Minderheit. Und die großen Verlage verkaufen ja oft auch nicht mehr als 100 Stück. Aber wir müssen, wie auch die Goethe Institute, die Tradition aufrechterhalten. Das ist mein Anliegen. Es ist eben nur eine kleine Schicht, die sich dafür interessiert. Und das ist doch in Ordnung. Aber es gibt einen Bildungsauftrag auch für einen Literaturverlag – wenn der nicht mehr ist – wer soll dann noch ernsthaft schreiben?

Meine flapsige Antwort wäre an dieser Stelle: Blogger. Aber natürlich hat Bernhard Albers recht, die Schere zwischen oben und unten in der Bildung wird in dem Volk der Dichter und Denker immer größer. Ich hoffe, die sind mir beim Rimbaud Verlag nicht böse, wenn ich mal eben das Herbstgedicht von Gerhard Neumann abtippe - ich mache ja auch Reklame für den Verlag, der angeblich all seine Titel lieferbar hat. Für einen Verlag von Belletristik in unserer Zeit geradezu todesmutig. Demnächst werde ich noch etwas mehr über diesen Verlag und über ➱Gerhard Neumann schreiben. Weil ich dann der einzige im Internet bin, bei dem man etwas zu diesem vergessenen und hoch interessanten Dichter finden kann.

Einen Herbst lang

Dörrende
Wetter jagen die Kreuzungen leer.
Der Schotter zerschneidet
uns Senkel und Sohle -

da kühl wir im Staub,
bald in Lichtschneisen stehen,
kreisen die Sichten:
weizenfarben, zart mahagonirot.

Da wir straffes Septembergras
schmecken, die Züge der Bienen teilen,
bleibt uns die Spanne Vertrauen,
gemuldet in jede der Hände,
die leicht in den Rauchhimmel greifen.

Nun rütteln
an Steinen und Zahlen wir weiter.
Ins Biwak, das uns dem Tau überläßt
und Decken aus fremdem Besitz.

Sonntag, 23. September 2012

Wilkie Collins


Sein Vater William Collins war Maler; er ist in diesem Blog schon einmal erwähnt worden (Wilkie Collins übrigens auch), als ich über den schottischen Maler ➱David Wilkie schrieb. Dem zu Ehren hat er diesen Vornamen bekommen, David Wilkie ist auch sein Taufpate gewesen. William Wilkie Collins ist kein Maler geworden, er wurde Schriftsteller. War im viktorianischen England berühmt für seine sensation novels, ein Genre, das sein Freund ➱Charles Dickens auch pflegte. Später schrieb er Romane, die sozialkritisch waren (und darin ähnelt er natürlich auch wieder Dickens). Die verkauften sich aber nicht mehr so gut wie The Woman in White oder The Moonstone. Was Algernon Charles Swinburne zu dem gehässigen Zweizeiler veranlasste: What brought good Wilkie's genius nigh perdition?/Some demon whispered—'Wilkie! have a mission.

Ich erwähne The Woman in White und The Moonstone nicht ohne Grund, die beiden Romane gelten allen Kritikern als das Beste, was Collins geschrieben hat. Und beide Romane haben etwas mit dem Beginn des Detektivromans zu tun. Obgleich Edgar Allan Poes berühmte Geschichte The Murders in the Rue Morgue zeitlich früher liegt, gilt doch T.S. Eliots Satz über The Moonstonethe first, the longest, and the best of modern English detective novels in a genre invented by Collins and not by Poe. Poe hatte nur Short Stories geschrieben, dies ist ein richtiger Roman. Und ein langer Roman dazu, über 500 Seiten in meiner alten Penguin-Ausgabe von 1966. Ich zitiere diese Ausgabe (man kann selbstverständlich jede andere Ausgabe lesen), weil sie ein Vorwort von J.I.M. Stewart hat. Krimifans wissen natürlich, dass dies der bürgerliche Name von Michael Innes ist, einem der besten englischen Krimiautoren. Nicht der übliche Serienschrott, seine Romane sind schon etwas für den intelligenten Leser. Also für Sie, zum Beispiel.

Collins' Roman The Moonstone brauche ich nicht zu loben, das haben schon Dorothy Sayers (Probably the very finest detective story ever written),  G. K. Chesterton (Probably the best detective tale in the world) und viele andere getan. Und Wilkie Collins ist ja immer noch en vogue, gerade hat Peter Ackroyd eine schmale Biographie über ihn geschrieben. Das englische Presseecho war zwar nicht die ganz große Begeisterung, aber doch positiv. Das ist jetzt etwas anderes als die tausend Rezensionen von Jenseits des Protokolls bei Amazon. Selbst ein mittelmäßiges Buch von Ackroyd ist immer noch gut, obgleich sein Dickens: Private Life and Public Passions natürlich viel besser ist.

In Deutschland kennen wir den bald nach seinem Tod in Vergessenheit geratenen Wilkie Collins erst seit knapp einem halben Jahrhundert. Und das verdanken wir Arno Schmidt. Ja, dem selben, dem wir so schöne Sätze wie In seiner bisher gängigen Gestalt jedenfalls ist mir der 'Kriminalroman' eine lächerlich einseitige, und ergo zur Drittrangigkeit verurteilte Literaturform verdanken. Oder dies apodiktische Ich schätze den 'Kriminalroman' als solchen nicht. Da kann man nur sagen: Bargfeld locuta, causa finita.

Ein klein wenig schizo ist Arno dabei schon. Ich habe gerade das rororo Buch Nummer 80 aus dem Regal genommen, Peter (der Bruder von Ian) ➱FlemingDie sechste Kolonne. Veröffentlicht im April 1953, Übersetzer: Arno Schmidt. Was sagen wir dazu? Vielleicht: die Millionen-Beliebtheit des 'Krimi', ob Buch ob Fernsehen, spricht gleichzeitig das künstlerische Todesurteil über ihn. (...) Natürlich muss es dergleichen 'geben': das Volk hat sein Anrecht auf Unterhaltung! Nur wäre ihm vielleicht, ab & zu, zu bedeuten: daß es sich bei seinem Zeitvertreib nicht um Kunst handele, sondern um Kindernahrung. Dieses schöne Zitat findet sich in einem Rundfunk-Essay, der Der Titel aller Titel! heißt und sich in Arno Schmidts Buch Der Triton mit dem Sonnenschirm findet. Ich habe das Buch damals in einer Literaturzeitschrift rezensiert, und als mir die Redaktion die Sonderdrucke aushändigte, habe ich gleich einen an Arno Schmidt geschickt. Mit einem schönen Begleitbrief, aber der Solipsist in der Heide hat mich keiner Antwort gewürdigt. Dabei war das eine sehr nette Rezension. War natürlich frech: jemanden wie Arno Schmidt rezensiert man nicht, den betet man an.

Der Titel aller Titel handelt nicht vom Moonstone sondern von The Woman in White. Einem Roman, den Arno Schmidt hundert Jahre nach seiner Veröffentlichung ins Deutsche übersetzt hat. Wenn Sie wollen, können Sie Die Frau in Weiß ➱hier lesen. Das ist allerdings nicht die Übersetzung von Arno Schmidt, sondern eine Übersetzung von einer Marie Scott, die 1891 im Verlag Karl Prochaska in Teschen erschienen ist. Marie Scott hat im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts sehr viel aus der englischen Literatur ins Deutsche übersetzt: Charles Dickens, Charles Reade, Mary Elizabeth Braddon. Und natürlich Collins, dessen Roman Armadale hatte sie schon 1866 übersetzt. Arno Schmidt kannte die Übersetzung von Marie Scott angeblich nicht, als er sich 1962 an die Übersetzung von The Woman In White machte. Ich glaube das nicht ganz, dass unserem philologischen Besserwisser solche Fehler unterlaufen, aber sei's drum. Die Frau in Weiß wurde ein Bestseller in Deutschland. Wurde gleich vom Fernsehen verfilmt, in drei Teilen. War angeblich ein ➱Straßenfeger. Der Rote Schal (Armadale) kam gleich hinterher. Ich habe damals nur Teil Eins von Die Frau in Weiß gesehen, hat mir gereicht. Natürlich muss es dergleichen 'geben': das Volk hat sein Anrecht auf Unterhaltung! 

Arno Schmidt hat auch einmal den amerikanischen Krimiautor Stanley Ellin übersetzt. Den kennt heute ja auch kaum noch einer. Dabei lohnt sich zum Beispiel The Specialty of the House unbedingt. Er hat zu Ellin eine Art Werbetext (oder war es eine Selbstrezension?) geschrieben, die sich in Trommler beim Zaren findet. Wo er zum Schluss sagt: Was hier not tut, wäre die Einsicht, daß wir Alle Ungeheuerlein sind; beziehungsweise, weniger schockierend ausgedrückt: daß zumindest Gedankenspiele von Lust & Mord zum unveräußerlichen Bewußtseinsbestand auch des normalen Bürgers gehören. Also: mit dem Krimi ist nicht zu spaßen.

Und dennoch ist Arno Schmidt bereit, gewisse Krimis - wie zum Beispiel The Woman in White - als Literatur gelten zu lassen. So sagt er in seinem Wilkie Collins Essay Enter Conte Fosco, der sich in Trommler beim Zaren findet: Ergo muß ein Krimi, um von mir gelobt zu werden, mehr sein als dieses: muß ein 'Weltentwurf' sein; fein säuberlich durch mehrere Jahre hindurch gearbeitet; muß Gedanken enthalten, Erfindungen plus Beobachtungen, portrait=gute Gestalten & Landschaften, kurzum vielviel reiche Alltäglichkeit. Und das bietet Wilkie Collins ja unbedingt. 

Im Vorwort zu ➱Heart and Science unterhält sich Collins mit einem imaginären Leser: The two qualities in fiction which hold the highest rank in your estimation are: Character and Humour. Incident and dramatic situation only occupy the second place in your favour. A novel that tells no story, or that blunders perpetually in trying to tell a story — a novel so entirely devoid of all sense of the dramatic side of human life, that not even a theatrical thief can find anything in it to steal — will nevertheless be a work that wins (and keeps) your admiration, if it has Humour which dwells on your memory, and characters which enlarge the circle of your friends. I have myself always tried to combine the different merits of a good novel, in one and the same work; and I have never succeeded in keeping an equal balance.

Ach, er sollte nicht so bescheiden sein. Immerhin attestiert ihm ➱J.I.M. Stewart in Vorwort zu The Moonstone, dass dies the most nearly perfect novel sei. Zur Zeit von Dickens und Collins erscheinen die Romane noch als Fortsetzungsromane, was die Autoren dazu zwingt, an das jeweilige Ende einer Lieferung einen Spannungshöhepunkt zu schreiben. Schließlich will man ja, dass der Leser auch das nächste Heft von Dickens' Zeitschrift All the Year Round (wo The Moonstone erschien) kauft. Diese hüpfenden Spannungsbögen der Handlung sind ein Merkmal des viktorianischen Romans. Wilkie Collins hat das auf die schöne Formel Make 'em cry, make 'em laugh, make 'em wait – exactly in that order gebracht.

Die Formel funktioniert heute noch in jeder Fernsehserie. Das wußte schon Arno Schmidt. So lässt er in ... denn Wallflower heißt Goldlack einen der Sprecher sagen: Und unsre TV=‹Krimi=Serien›, in drei mal dreißig Folgen, sind ja nichts anderes, als vor 100 und mehr Jahren die endlosen FortsetzungsRomane der Dickens, Warren, Bulwer im ‹BLACKWOOD›=Magazin... Wir können den Gedanken noch ein wenig weiterspinnen: der größte Teil unserer Fernsehunterhaltung ist nichts anderes als die modisch aufgerüschte Trivialliteratur des Victorian Age.

William Wilkie Collins ist heute vor 123 Jahren gestorben. Am gleichen Tag wurde in Japan einen Firma namens Nintendō gegründet, das Volk hat sein Anrecht auf Unterhaltung! Nur wäre ihm vielleicht, ab & zu, zu bedeuten: daß es sich bei seinem Zeitvertreib nicht um Kunst handele, sondern um Kindernahrung. Bei allen Schwächen, die Wilkie Collins als Autor hat, besser als Nintendo ist er auf jeden Fall.

Freitag, 21. September 2012

Walter Scott in Bildern


Als der schottische Maler Sir William Allan dieses Bild malt, da ist Sir Walter Scott schon tot. Das Bild hat den Namen The Minstrel of the Scottish Border, was natürlich eine Anspielung auf The Minstrelsy of the Scottish Border ist. Eins der frühesten Werke von Scott - neben seinen Übersetzungen von deutschen Balladen. William Allan hat sich die Figur von Scott, den er hier in seinen besten Jahren irgendwo auf dem Moorland in der Nähe von Abbotsford plaziert, nicht von anderen Bildern geborgt. Er war mit Scott befreundet und hat ihn auch ein Jahr vor seinem Tod in Abbotsford noch gemalt, The author of Waverley in his study heißt das ➱Bild. Auf dem Bild ist natürlich auch ein Wauwi drauf, ohne Hunde gehen Bilder von Sir Walter ja nun gar nicht. Sir Edwin Landseer, der ja mit rührenden Bildern von Hunden (und röhrenden Hirschen) im viktorianischen England viel Geld verdiente, hat auch die ➱Hunde von Walter Scott gemalt.

Und bei der Gelegenheit auch den Schriftsteller. Diese eigentlich klitzekleine Ölskizze (29 x 24 cm) ist eins der lebendigsten Bilder, das wir von Walter Scott haben. Als Landseer zweiundzwanzig Jahre alt war, hatte er eine Schottlandreise gemacht, von da an war er von Schottland begeistert. Das sind damals in England viele, und an dieser Schottlandbegeisterung ist sicherlich Sir Walter Scott schuld. Seit er Waverley geschrieben hat, interessiert sich die ganze Welt für Schottland, indescribably sensational hat Ernest Bembaum den Erfolg der Romane genannt, die heute nur noch summarisch Waverley Novels heißen. Auch die junge Königin Victoria und ihr Prinzgemahl werden von dieser grassierenden Manie écossaise angesteckt. Die beiden kaufen sich Balmoral Castle, und ➱Albert wird als Innenarchitekt tätig und entwirft Teppiche und Tapeten im Tartanmuster.

Victoria zählt daneben zu den größten Bewunderern von Landseer. Um seinen scheußlichen Hirsch (➱The Monarch of the Glen) zu sehen, hat sie sich sogar in die Eisenbahn gesetzt und ist nach Edinburgh gefahren. Ich habe dieses Bild von Landseer, Windsor Castle in Modern Times, mal eben hier abgebildet, damit man sehen kann wie wirklich gut Landseer in dem Portrait von Scott ist, wenn er nicht diesen viktorianischen Kitsch malt.

Landseer und Scott sind noch auf eine andere Weise miteinander verbunden: 1828 hatte Walter Scott Landseer als einen der Illustratoren der Waverley Edition auserwählt. Der hat aber nur wenige Illustrationen dazu geliefert und war zum Entsetzen der Herausgeber sehr säumig mit der Ablieferung. Man setzte bei der Ausgabe auf eine Vielzahl von Illustratoren, William Turner wird die Poetical Works illustrieren. Die ganze Geschichte der Entstehung der Waverley Edition, die sich wie ein Krimi liest, kann man bei Jane Millgate in Scott's Last Edition: A Study in Publishing History nachlesen. Vielleicht hätte sich Robert Cadell besser an einen französischen Illustrator gehalten. Denn der neben Turner berühmteste Scott Illustrator ist kein Schotte, das ist der Franzose Eugene Delacroix, der in seiner Begeisterung für Walter Scott so weit geht, sich selbst als Edgar Ravenswood (oben) zu malen. Die ersten Ausgaben von Scotts Werken hatten keine Abbildungen gehabt, aber Scott hatte gesehen, dass sich bebilderte Bücher besser verkaufen. Er braucht jetzt dringend Geld (er haftet für Schulden von 120.000 Pfund von Verlag und Druckerei, an denen er beteiligt war), da ist es für ihn klar: We must try to make the new edition superior by illustrations & embellishments as a faded beauty dresses and lays on [a] prudent touch of rouge to compensate for want of her juvenile graces.

Das berühmteste der Portraits von Scott ist sicherlich dies hier von ➱Sir Henry Raeburn. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass Scott Landsleute bevorzugte, wenn er einem Maler Modell sitzen musste: Sir William Allan, Andrew Geddes, Sir John Watson Gordon, Sir Francis Grant, Sir Henry Raeburn, Sir James Saxon und ➱Sir David Wilkie. Obgleich das mit Raeburn so eine Sache war. Als ihn sein Gönner Charles Montagu-Scott, der vierte Herzog von Buccleuch, 1819 bat, für Raeburn Modell zu sitzen, weil er gerne ein Portrait von Scott in seiner Bibliothek hängen haben wollte, antwortete Scott in einem Brief:

Respecting the portrait I shall be equally proud and happy to sit for it & hope it may be executed in some degree worthy of the preferment to which it is destined. But neither my late golden hue for I was coverd with jaundice nor my present silver complection looking much more like a spectre than a man will present any idea of my quondam beef-eating physiognomy. I must wait till the age of brass the true juridical bronze of my profession shall again appear on my frontal. I hesitate a little about Raeburn unless your Grace is quite determined. He has very much to do works just now chiefly for cash poor fellow as he can have but a few years to make money and has twice made a very chowderheaded person of me. I should like much (always with your approbation) to try Allan who is a man of real genius and has made one or two glorious portraits though his predilection is to the historical branch of the art. 

Begeisterung klingt anders. Scott mochte das Bild nicht, das Raeburn zehn Jahre vorher von ihm gemalt hatte. Und so bringt er er zum Ende des Briefes seinen Freund William Allan ins Gespräche, a man of real genius. Das Bild von 1808, das Scotts Londoner Verleger Archibald Constable bei Raeburn in Auftrag gegeben hatte, zeigt den noch jungen Schriftsteller, der zwar Waverley schon begonnen hat, aber erst einmal beiseite gelegt hat. Auch Marmion: A Tale of Flodden Field ist noch nicht erschienen, aber Constable hat schon das Manuskript in Händen. Constable hält seinen jungen Autor für a man of destiny - und er hat Recht damit.

Alles, was Scott bisher geschrieben hat, ist Dichtung gewesen, die Romane kommen später. Doch sieht er auf dem Bild von Raeburn aus wie ein Dichter der Romantik? So wie John Keats auf diesem Bild von William Hilton stellen wir uns romantische Dichter vor. Aber natürlich ist alles daran falsch, alle Bilder von Keats (bis auf eine Miniatur von Joseph Severn) sind nach seinem Tod entstanden. Da hat das mythmaking längst eingesetzt. Wahrscheinlich hat Keats so ausgesehen wie auf dieser ➱Zeichnung von Charles Armitage Brown, eher ein bisschen wie Prince Harry und nicht wie ein durchgeistigter Poet.

Raeburns Bild (hier ein Stich davon) ist allerdings auch schon eine bewusste Inszenierung. Der Dichter (nur von seinem Hund Camp begleitet) sitzt einsam vor einer abbröckelnden Ruine, er hat ein kleines Buch in der Hand, was ihn als Mann der Literatur ausweist. Was allerdings nicht jeden Kritiker überzeugte, so schrieb ein ➱Kritiker: This last of the minstrels shows how lamentably the race is degenerated, for never was a more unpoetical physiognomy delineated on canvas; we might take him for an auctioneer or a land-surveyor, a travelling dealer or chapman: in short for any character but a bard.

Im Hintergrund können wir im Abendlicht ein renovierungsbedürftiges Schloss sehen. Das ist Hermitage Castle, Scotts ➱Lieblingsschloss. Scott hatte für Raeburn aufgezeichnet, wie der Hintergrund aussehen sollte, er wollte ja in jungen Jahren auch einmal Maler werden. Auch wenn das Bild die Kunstkritiker (und den Dargestellten) zu Anfang des 19. Jahrhunderts nicht so recht begeisterte, es enthält alles, was wir mit Walter Scott verbinden. Dies ist kein reisender Hausierer, dafür ist er viel zu elegant gekleidet. Beau Brummell hätte seine Freude an so viel sartorialer Zurückhaltung. Er trägt auch diese eleganten hessian boots , die die Admiralität so ungern an den Füßen ihrer Offiziere sieht, was Admiral ➱Sir Sidney Smith nie gekümmert hat.

Indem Raeburn Scott neben einer Ruine plaziert, betont er das Element des antiquarian, das Scotts erstes Werk The Minstrelsy of the Scottish Border auszeichnet - das antiquarian element wird ihn sein ganzes Leben nicht verlassen, sein Schloss Abbotsford wird zu einem Museum schottischer Geschichte. Und die schottische Geschichte ist auf dem Bild in der goldenen Abenddämmerung, die für die Vergangenheit steht. Nach der Schlacht von Culloden ist the lion in the north gezähmt, Schottland ist zu einer englischen Kolonie geworden. Walter Scott gibt Schottland seine Geschichte und seine Kultur zurück, und es ist kein Zufall, dass wenn George IV (in einem lächerlichen Schottenkostüm) als erster englischer König seit langem Schottland besucht, er von Sir Walter Scott empfangen wird.

Dieses Bild links ist eine Wiederholung des Bildes von Raeburn, es hängt heute in ➱Abbotsford. Scott wollte Constable das Bild abkaufen, aber der wollte es partout nicht verkaufen. Es ist allerdings nicht wahr, dass Scott das Bild so schrecklich fand, dass er es kaufen wollte, um es zu vernichten. Denn immerhin hat er sich im nächsten Jahr noch einmal von Raeburn in der gleichen Pose malen lassen. Sir Henry Raeburn hat dann außer Camp auch noch Pervy mit draufgemalt. Als es mit Constables Verlag, der so schicksalhaft an Scott gebunden war, in den 1820er Jahren bergab geht, hat Archibald Constable das Bild doch noch verkauft.

Allerdings nicht an Scott sondern an den Herzog von Buccleuch. Wo es eines Tages Walter Scott entdecken wird: One thing I saw there which pleased me much, and that was my own picture, painted twenty years ago by Raeburn for Constable, and which was to have been brought to sale among the rest of the wreck, hanging quietly up in the dining-room at Dalkeith. I do not care much about these things, yet it would have been annoying to have been knocked down to the best bidder even in effigy; and I am obliged to the friendship and delicacy which placed the portrait where it now is. Was Scott hier the wreck nennt, ist die Pleite von 1826 vom Verlag Constable und vom Druckhaus Ballantyne. Der Ehrenmann Scott hat sich bereiterklärt, für alle Schulden einzustehen. Und um den Schuldenberg abzutragen schreibt er jetzt jeden Tag - wie auf diesem Bild von Sir Francis Grant - er ruiniert damit seine Gesundheit.

Es ist natürlich lästig, wenn man so berühmt geworden ist, dass einen jeder Maler malen will. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Maler so etwas wie die Paparazzi der damaligen Zeit sind. Dieses Bild zeigt den Maler James Northcote, wie er Walter Scott portraitiert. Gemalt von seinem Kollegen John Cawse. Der ist kein besonders guter Maler, das Ganze sieht schon ein wenig nach naiver Malerei aus. Der Hund zu Füssen von Sir Walter ist sicherlich kein Meisterwerk. Und doch hat das Bild etwas Rührendes. Da sitzt er der Barde und denkt sich wahrscheinlich: wann hauen die bloß ab? Er will, er muss, zurück an den Schreibtisch. Ein Sklave seines Werkes. Auf dem Bild von Raeburn 1808 war es noch ein kleines Buch, das er in der Hand halten konnte, jetzt ist es ein Werk geworden, vor dem wir nur ehrfürchtig staunen können. Ein Werk, das man dem Monarchen widmen muss, mit der Anrede Sire, die direkt aus Ivanhoe zu stammen scheint:

The Author of this collection of Works of Fiction would not have presumed to solicit for them your Majesty's august patronage, were it not that the perusal has been supposed in some instances to have succeeded in amusing hours of relaxation, or relieving those of languor, pain, or anxiety, and therefore must have so far aided the warmest wish of your Majesty's heart, by contributing in however small a degree to the happiness of your people.
They are therefore humbly dedicated to your Majesty, agreeably to your gracious permission, by
Your Majesty's Dutiful Subject,
Walter Scott.


Als Robert Cadell die Neuausgabe des Werkes von Scott vorbereitet, wird wieder ein Maler beauftragt - in alle Bände sollte das Portrait von Scott. Cadell beauftragt Sir Watson Gordon. Scott protestiert, man könne doch das schöne Bild nehmen, das ➱Sir Thomas Lawrence 1821 von ihm gemalt hat. Er ist das Modellsitzen leid. Aber Cadell besteht auf Sir Watson Gordon, und ➱das (für so ein Bild gibt es keine Abbildung, da gibt es nur einen Link) kommt dabei heraus. Da hätte man wirklich den Lawrence nehmen können (das schöne Bild von Raeburn mit der gelben Weste ist noch nicht gemalt).

Sir Walter Scott ist heute vor 180 Jahren gestorben. Er ist nur einundsechzig Jahre alt geworden. Mit einundsechzig fängt sein großer Bewunderer Theodor Fontane mal gerade an zu schreiben. Na ja, ➱Vor dem Sturm hat er schon fertig. Müssen wir erwähnen, dass dieser Roman Scott viel verdankt?