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Donnerstag, 31. Juli 2014
Ruderverein
Das hier, das war der größte Tag des Vegesacker Rudervereins. Die Männer in dem Boot gewannen bei den Olympischen Spielen in Helsinki 1952 die Silbermedaille im Zweier mit Steuermann. Der Steuermann hieß Helmut Noll, er war der ältere Bruder von dem Noll, mit dem ich zur Volksschule ging. Er war mit achtzehn der jüngste Teilnehmer der Olympischen Spiele und bekam im gleichen Jahr noch das Silberne Lorberblatt verliehen. Als unsere drei Helden aus Helsinki zurückkehrten, stand der Ort Kopf. Wir hatten einen Tag schulfrei, und das Haus des Rudervereins in der Strandstraße war bunt geschmückt. Die Silbermedaille bedeutete für uns im Ort das, was zwei Jahre später die Weltmeisterschaft in ➱Bern für Deutschland war.
Die beiden anderen Ruderer hießen Helmut Heinhold und Heinz Manchen. Heinz Manchen ist in einem Familienphotoalbum verewigt, weil meine Mutter auf dem Ball in der Strandlust, den es für die Helden gab, mehrfach mit ihm getanzt hat. Und dabei natürlich photographiert wurde. So eine Mütze wie Helmut Noll hatte ich auch mal, die gehörte eigentlich meinem Bruder, der Mitglied im Ruderverein gewesen war. Das blaue Tatzenkreuz auf der Mütze taucht auch wieder in der Vereinsflagge auf. Es ist eine farbliche Variante des weinroten Hanseatenkreuzes, das auch unser Stadtwappen ziert. Ich war nie im Ruderverein, bin aber später zu den Ruderbällen in der Strandlust gegangen, die ein gesellschaftliches Ereignis waren. Sonst war da ja nicht viel. Mein Bruder mochte die Mütze nicht, so habe ich sie bekommen. Auf einer Vielzahl von Urlaubsphotos, die an Nord- und Ostsee gemacht wurden, bin ich damit zu sehen. Ich glaube, sie liegt noch irgendwo im Schrank. Die Aversion gegen die Vereinsinsignien hatten bei meinem Bruder einen Grund: eine Wochenendwanderfahrt mit dem Vierer ohne Steuermann hatte nach wenigen Flusskilometern ganz schmählich mit einer Kollision mit einem Schlepper geendet. Vielleicht hätten sie einen Vierer mit Steuermann nehmen sollen.
Ich besaß auch mal eine Anstecknadel, die meinem Vater verliehen worden war. Der ruderte zwar nicht, war aber förderndes Mitglied. Ich habe sie Ignaz Miller geschenkt, weil der der einzige war, der die großen Erfolge des Vegesacker Rudervereins kannte. Denn die Silbermedaille 1952 war kein Zufall gewesen, in der Nachkriegszeit und in den fünfziger Jahren heimsten die Ruderer des VRV erste Plätze und Meisterschaften nur so ein. Ignaz Miller, der damals der Chefredakteur der Zeitschrift Watch International der IWC in Schaffhausen war, ruderte auch. Bei der ➱IWC gehörte Rudern zum guten Ton, weil der letzte Besitzer Hans Ernst Homberger ein berühmter Ruderer gewesen war, der auch mal eine Silbermedaille im Rudern gewonnen hatte. Dieses Gebäude im heute schon klassischen Bauhausstil war die Heimat des VRV. Hier hatte mein Vater auch seine Ehrennadel bekommen, was allerdings ein sehr peinlicher Abend war. Vor ihm wurde unser Nachbar geehrt, der dem Alkohol schon mehr als ihm guttat zugesprochen hatte. Er wankte hackevoll zum Mikrophon und so brüllte lange ein Verb mit sechs Buchstaben, das mit f anfing, hinein, bis jemand endlich auf die Idee kam, den Saft des Mikros abzudrehen. Himmel, war das komisch.
Irgendwie war dieser Abend auch der Beginn vom Ende des Rudervereins in Vegesack. Der Verein zog an die Lesum, das Haus wurde an eine Frau vermietet, die sich dreihundert Papageien hielt und das Haus bunt bemalte. Seitdem wird es in touristischen Prospekten als Papageienhaus vermarktet. Selbst auf einer offiziellen Seite der Stadt Bremen kann man Sätze lesen wie: Das Bildhauersymposion 1984 fand als Atelier unter freiem Himmel in der Weseruferpromenade 2 (ehemaliges Papageienhaus) statt. Wörter, die die Welt verändern, die Weseruferpromenade hieß früher schlicht Strandstraße. Dass das 1927 von Ernst Becker-Sassenhof (lesen Sie ➱hier einen langen Post zu dem Architekten) gebaute Haus des Rudervereins ein architektonisches Kleinod des Neuen Bauens ist, setzt sich nicht so durch wie das zugkräftige Papageienhaus. Das Landesdenkmalamt hat das Boots- und Vereinshaus nach der Episode mit den Psittaciformes aufwendig restaurieren lassen, heute dient es Künstlern als Atelier.
Und die Strandstraße, sorry: Weseruferpromenade (hier auf einem Bild von Willi Vogel, der in diesem Blog natürlich einen ➱Post hat) bringt mich zurück in die Vergangenheit. Als da hinter dem kleinen Mäuerchen noch ein richtiger Strand war. Heute ist da eine Spundwand und ein Gitterzaun. Aber kein Sandstrand. Doch dafür heißt es Weseruferpromenade. Und es gibt den hölzernen Anleger nicht mehr, von dem aus die Boot des VRV ins Wasser gelassen wurden, nachdem sie mit einem kleinen Wagen auf Schienen vom Bootshaus zum Anleger geschoben worden waren. Wenn die Boote nicht da waren, gehörte der Anleger uns kleinen Steppkes. Wir lagen auf den Brettern und ließen die Arme im Wasser baumeln. Manchmal fingen wir kleine Aale, warfen sie aber gleich wieder in die Weser. Natürlich nicht, ohne die Trophäe einmal hochgehalten zu haben. Das Wasser war damals noch keine trübe braune Brühe - wie schnell hat sich das alles geändert.
Früher, als die Sommer heißer und schöner waren (was sie in der Erinnerung an Kindertage immer sind) konnte man auf dem ➱Schönebecker Sand noch baden. Das Paradies meiner Kindheit mit dem riesigen Sandstrand, wo ich bei dem Bademeister Hermann Plebansky (der selbst gar nicht schwimmen konnte, wie ich Jahre später erfuhr) in der Weser Schwimmen gelernt habe, ist nicht mehr da. Die Weser ist zu dreckig, um darin zu baden. Es sind diese verlorenen Paradiese, denen wir nachtrauern: der Anleger des Rudervereins, der Schönebecker Sand und die Wälder von Eggestedt.
Damals erschien uns unsere kleine Stadt, die einst ➱Anton Raiser und Friedrich Engels bewundert hatten, perfekt: Wir hatten unsere Gewinner der Silbermedaille. Und Bundespräsident ➱Heuss war hier gewesen, um einen Kreuzer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger zu taufen, schließlich kam der ➱Gründer der DGzRS aus unserem Ort. Und die Werften boomten. Wir konnten nicht ahnen, was die Zukunft bringen würde. Das Hochwasser von 1962, das das Haus neben dem Ruderverein (in dem unser Direx wohnte) unter Wasser setzte, war nicht das Schlimmste (sie können ➱hier den Bericht eines Zeitzeugen lesen). Das Haus hatte sich einst der Architekt Becker-Sassenhof als Wohnhaus gebaut, inzwischen hat man es abgerissen. Eigentlich ist es ein Wunder, dass das VRV Haus noch steht, weil man den halben Ort abgerissen hat. Dem Hamburger Journalisten Günther Schwarberg, der auch aus Vegesack kommt (und der die Skandalgeschichte von ➱Walter Többens öffentlich gemacht hat), war es eine leidenschaftliche Photoreportage im Stern wert. Man kann die Geschichte über die Zerstörung des Ortes noch in Kurzfassung (und ohne Bilder) in Schwarbergs Buch Das vergesse ich nie unter dem Kapiteltitel 1974: Meine Heimatstadt wird abgerissen nachlesen.
Natürlich bin ich schon mal gerudert, schließlich hatten wir am Zwischenahner Meer unser Boot mit dem Namen F 47 liegen (das aber in Wirklichkeit eigentlich No Moss hieß, lesen Sie ➱hier mehr zu dem Boot). Das war bei Abeking und Rasmussen gebaut, und Henry Rasmussen war 1900 auch zusammen mit dem Stadtdirektor Johann Friedrich Rohr einer der Gründer des Vegesacker Rudervereins gewesen, der damals noch ganz bescheiden unten im Garten des Hotels Bellevue logierte (Bild). Die Boote des Clubs wurden aber nicht von Rasmussen, sondern von Lürssen gebaut, der Werft, die eines Tages durch ihre ➱Schnellboote berühmt wurde. Aber das hat nichts mehr mit dem Rudersport zu tun. Genau genommen zählte Friedrich Lürssen auch mit zu den Gründern des Vereins, denn bevor der sich am 15.12.1900 gründete, war er ein Teil des 1893 gegründeten Vereins Wassersport: Verein für Segeln und Rudern auf der Unterweser gewesen.
Da wo der Ruderverein heute sitzt, in Grohn an der Lesum, da bin ich auch schon einmal gerudert. Ich erzähle die Geschichte gerne, obgleich sie ein wenig peinlich ist. Käpt'n Janssen hatte mir erlaubt, jederzeit das Ruderboot zu benutzen, das auf dem Rasen seines Hauses an der Lesummündung lag. Und da bin ich einmal mit meinem Freund Ekke (der den Lesern dieses Blogs schon bekannte Karikaturist ist übrigens ➱hier zu sehen) die Lesum hinauf gerudert.
Es ist ja ein hübscher Fluss, der sich für Ruderpartien perfekt eignet. Das da oben auf der Grohner Düne (rechts unten ist das Haus von ➱Admiral Brommy) ist eine kleine neugotische ➱Ruine. Vom Turm aus hatte man eine tolle Aussicht über Lesum und Weser, bis weit hinein ins Stedinger Land. Ich weiß das, weil mein Vater mal überlegte, das Gemäuer zu kaufen, aber es war doch zu baufällig.
Es war ein schöner warmer Sommertag, als wir damals losruderten, perfekt für eine Ruderpartie. Wir konnten an die Romanfiguren von ➱Marga Bercks Sommer in Lesmona denken, während wir dahinglitten. In dem Roman wird ja auch viel gerudert: Die anderen Vormittage rudern wir, er rudert meist hinüber ans andere Ufer.... Er spricht oft englisch, und ich antworte deutsch. Im Boot ziehe ich immer meine Schuhe aus, wie ich es von jeher tat. Es ist so befreiend ohne Hut und ohne Schuhe. Dann lege ich mich gemütlich in meine Kissen und sehe in den Himmel oder in Percys Augen, was dasselbe ist.
Wir hätten natürlich auch Daisy, Daisy, give me your answer, do, I'm half crazy all for the love of you singen können, das wir bei ➱James Tröbs gelernt hatten. Das wird im Roman auch gesungen. Wir hätten auch die englischen Kinderreime singen können:
Row, row, row your boat,
Gently down the stream.
Merrily, merrily, merrily, merrily,
Life is but a dream.
Doch als wir die Lesumbrücke erreicht hatten - da wo früher Burmesters Ashanti, die größte Yacht Deutschlands lag - und uns auf den Rückweg machten, da merkten wir, dass wir einen schlimmen Fehler gemacht hatten. Wir hatten nicht an die Flut gedacht. Die Schönheiten des Flusses, die schon bei Friedrich Engels erwähnt werden (Die Lesum bildet mit ihren Hügeln ganz niedliche Ufer, die sogar romantisch sein sollen, wie der Schulmeister von Grohn, einem Dorfe bei Vegesack, auf Ehre versicherte), interessierten uns jetzt nicht mehr. Wir hatten nur noch das Ziel, die acht Kilometer bis zur Lesummündung zu bewältigen. Das Boot war schwer (und die Riemen saßen auch nicht richtig in den Dollen), schwer wie der Fährkahn, mit dem man von Grohn nach Lesumbrook übersetzen konnte, wenn man zur Moorlosen Kirche wandern wollte.
Da brauchte man nur eine Glocke zu läuten oder Hol Ober (so hieß auch die kleine Fähre, die uns zum Schönebecker Sand brachte) zu rufen und schon kam der Fährmann. Dies Bild ist von 1890, aber der Bootstyp hatte sich auch in den fünfziger Jahren nicht verändert. To cut a long story short, die acht Kilometer gegen die immer stärker werdende Flut waren fürchterlich. Da konnten wir fluchen wie römische Galeerensklaven, es half nichts, das Boot musste zurück. Als wir es endlich auf den Rasen von Kapitän Janssens Garten zogen, haben wir uns erst einmal daneben gelegt. Na ja, gut, dass keine Frauen dabei waren. Und wenigstens hat es nicht geregnet. So wie am Ende des wunderbaren kleinen Romans Three Men in a Boat von Jerome K. Jerome (➱hier im Volltext). Und da ich bei Engländern bin, muss ich das hübsche Bild von Ernest Board noch einmal zeigen, das ich schon in dem Post über ➱Thomas Eakins verwendet habe.
Wir haben auch außer einem Muskelkater (und leichten Verletzungen des Egos) keine bleibenden Schäden davongetragen. Ich habe später natürlich wieder gerudert, mit F47 ging das ganz leicht (Ekke ist sogar Mitglied des Rudervereins geworden). Auf dem Zwischenahner Meer gibt es auch keine Ebbe und keine Flut. Und wenn ich es mir recht überlege, dann besitze ich die Mütze des Rudervereins eigentlich wirklich zu Recht. Sie hat mich mal zehn Mark gekostet. Denn als ich damals meinen klatschnassen Bruder nach der verpatzten Wanderfahrt mit all seinem nassen Gepäck beim Ruderverein abholte, hielt mich vor der ➱Strandlust ein Polizist an. Und belehrte mich, dass ich die Strandstraße gar nicht hätte befahren dürfen. Als ich auf der Polizeiwache mein Ticket bezahlte, sagte der Reviervorsteher zu mir: Tja, Dschunge, das iss Pech. Warum musst Du auch den einzigen Kollegen erwischen, der kein Patient bei Deinem Vater ist.
Dienstag, 29. Juli 2014
Werbung
Why is it?
A man wakes up after sleeping
under an advertised blanket,
on an advertised mattress,
pulls off advertised pajamas,
bathes in an advertised shower,
shaves with an advertised razor,
brushes his teeth with advertised toothpaste,
washes with advertised soap,
puts on advertised clothes,
drinks a cup of advertised coffee,
drives to work in an advertised car,
and then, refuses to advertise,
believing it doesn’t pay.
Later when business is poor,
he advertises it for sale.
Das Gedicht, das gemeinhin als The Advertising Poem zitiert wird, ist schon über neunzig Jahre alt. Damals gab es schon Werbung, aber noch keine Fußballweltmeisterschaft. Heute sind wir von Werbung umgeben. Im Radio, im Fernsehen, in der Zeitung, auf der Straße. Die geheimen Verführer, die ➱Mad Men sind die heimlichen Herrscher des Alltags, auch wenn niemand ihre Namen kennt. Warum muss sich die Werbung unserer Weltmeistermannschaft bemächtigen? Wo bleiben die Dichter? Warum konnte Eckhard Henscheid nicht mal eben eine Hymne auf ➱Jogi Löw schreiben? Es wäre doch ein Leichtes gewesen, die schöne Hymne auf Bum Kun Cha (➱hier im Volltext) mal eben umzuschreiben. Jeder Werbefuzzi könnte das.
Aber die Werbefuzzis schreiben keine Gedichte, sie haben ihre eigene Sprache, da brauchen sie auch keinen ➱Roland Barthes, der ihnen den Unterschied zwischen dem Signifikanten und Signifikat erklärt. Die Sprache der Werbung ist so einfach, dass jeder sie verstehen kann. Und wenn sie etwas ganz Großes will, also so etwas wie eine Hymne, dann produziert sie diese Werbung:
Das ist ➱Daimler Benz, das ist geschmacklos, aber was soll man von einer Marke halten, die überall in ihren Filialen schon Mitarbeiter entlässt? Wahrscheinlich weil die Leute die blöde ➱Mercedes Werbung leid sind und deshalb BMWs und Audis kaufen. Aber das ist nicht das Ultimative, was die Werbung aus der Fußballweltmeisterschaft machen konnte. Nein, der Lorbeerkranz der Werbung mit der Weltmeisterschaft gehört einwandfrei dieser Anzeige:
Sonntag, 27. Juli 2014
Fräcke
Thomas Hengelbrock hat letztens das Schleswig Holstein Musikfestival im Frack eröffnet. Ohne weiße Weste. Es ist eine Unsitte. Auch den Dirigenten Christian Thielemann habe ich schon so gesehen, das Hemd (nicht einmal ein Frackhemd) einfach in die Hose gestopft. Das rutscht natürlich beim Dirigieren hoch und sieht scheußlich aus. Vor allem, weil man seine ➱Hosenträger auch noch sehen kann. Wären Furtwängler oder Günter Wand so auf die Bühne gekommen? Hat das Ganze mit Karajan angefangen, der einen fatalen Hang zum Rollkragenpullover hatte? Warum kommen die Herren, die früher einmal Götter im Frack waren, nicht gleich in ➱Jogginghosen? Pierre Boulez hat in einem Interview gesagt: Und dann dieser Frack – ich kann ihn nicht mehr sehen. Das ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts – schafft ihn ab! Das klingt jetzt vielleicht dumm, aber wir brauchen mehr Nähe zum Publikum. Aber erhält man dadurch eine Nähe zum Publikum?
Das Bild rechts zeigt den Ritter von Karajan in einer für den Kapellmeister unvorschriftsmäßigen Bekleidung: ein schwarzer Cummerbund mit einem Frack kombiniert. Er sieht aus wie ein Torero beim coup de grâce, will er dem korrekten Frack den Todesstoß versetzen? Ein Cummerbund gehört zum Smoking nicht zum Frack. Karajans Kollege ➱Charles Mackerras hatte es sich im Alter angewöhnt, anstelle einer weißen Weste zum Frack einen weißen Cummerbund zu tragen (➱Alfred Brendel übrigens auch). Was sollen diese Transgressionen? Als ➱Willy Brandt dem Bundespräsidenten Heinemann sein Kabinett vorstellte, trug er die Jacke eines Fracks zur Hose eines Cutaway, aber da sagten alle, dass er noch von der Nacht vorher ein wenig beschickert gewesen wäre.
Christoph Eschenbach trägt so etwas Ähnliches, aber das ist aber von ihm selbst entworfen. Er sieht darin wie ein Verwandter von Dr No aus dem James Bond Film aus. In beinahe allen James Bond Filmen wird der Bösewicht von Schauspielern gespielt, die seltsame Varianten des Mao Jäckchens tragen müssen. Ob das Michel Lonsdale als Hugo Drax ist, oder ob es die Herren Charles Gray, Donald Pleasance und Telly Savalas als Ernst Stavro Blofeld sind: immer dieser Dr No-Blofeld Look. Ich glaube, Christoph Eschenbach sollte sich das Ganze noch mal überlegen. Früher hat er ja auch Frack getragen und sah gut darin aus
Für den jungen Mozart war ein roter Frack der große Traum. So schreibt er 1782 seinem Vater: wegen dem schönen rothen frok welcher mich ganz grausam im herzen kitzelt, bittete ich halt recht sehr mir recht sagen zu lassen wo man ihn bekommt, und wie theuer, denn daß hab ich ganz vergessen, weil ich nur die schönheit davon in betrachtung gezogen, und nicht den Preis.- denn so einen frok muß ich haben, damit es der Mühe werthe ist die knöpfe darauf zu setzen, mit welchen ich schon lange in meinen gedanken schwanger gehe;- ich habe sie einmal, als ich mir zu einem kleide knöpfe ausnahm, auf dem kohlmarkt in der Brandauischen knöpffabrique vis a vis dem Milano gesehen.- diese sind Perlmutter, auf der seite etwelche weisse Steine herum, und in der Mitte ein schöner gelber Stein.- Ich möchte alles haben was gut, ächt und schön ist! Ist es dieser Rock gewesen? Man hat das Bild dem Wiener Hofmaler Joseph Hickel zugeschrieben, aber so ganz sicher ist man nicht, das dies wirklich Mozart in dem schönen rothen frok welcher mich ganz grausam im herzen kitzelt ist.
Die Zeiten scheinen vorbei, da sich Dirigenten, Pianisten, Violinisten und Sänger nicht nur durch ihre Kunst, sondern auch durch gut geschneiderte Fräcke hervortaten. ➱Victor Borge konnte auf der Bühne Faxen machen so viel er wollte, sein Frack saß immer perfekt. Denn ein Frack gehörte auf dem Podium dazu, wie der Eppendorf Kittel zum Chefarzt. ➱Arturo Benedetti Michelangeli hat nicht immer im Rollkragenpullover am Klavier gesessen. Glenn Gould auch nicht. Nicht einmal bei seinem Auftritt in Moskau. Ich zitiere hier mal eben etwas, das schon in ➱Andante ma non troppo stand:
Und nun kommt 1957 Glenn Gould, der erste klassische Musiker aus Nordamerika. In der kanadischen Botschaft erklären ihm Bedienstete, dass das Publikum beleidigt wäre, wenn er wie gewohnt seinen schwarzen Anzug tragen würde. Im kommunistischen Arbeiterparadies will man den Pianisten im Frack, des Kleidungsstück des Feudalismus, sehen. Gould fügt sich. Er ist in seiner Karriere nie so gefeiert worden, wie bei den Auftritten in Moskau und Leningrad. Er wird ein zusätzliches Konzert für Studenten geben, wo er Musik spielt, die seit den dreißiger Jahren verboten war, allerdings hätten die Studenten lieber Bach oder Mozart gehabt. Die Konzerte enden in einem Zugabenmarathon, und beim letzten Konzert beschließt Gould keine Zugaben mehr zu geben.
Da erreicht ihn in der Pause ein kleiner Brief: Lieber Herr, wir bitten Sie inständig, etwas von Bach ohne das Orchester zu spielen. Viele von uns hatten keine Gelegenheit, Ihr Konzert am 16. zu hören, und haben lange auf der Straße gewartet, alle vergeblich. (gezeichnet) Ihre russischen Bewunderer. Bach ohne das Orchester zu spielen, dass tut Glenn Gould nun gerne, seit er in den Vorjahren die Goldberg Variationen ganz anders als die anderen gespielt hatte (dass er dabei ein wenig bei Rosalyn Tureck geklaut hat, wußte niemand, weil es von ihr damals keine Aufnahmen gab). Evgeni Koroliov war acht Jahre alt, als er Gould hörte, er hat das nie vergessen.
Die Photos im Absatz oben wurden 1957 in Moskau gemacht; dieses Bild, das Leonard Bernstein, Glenn Gould und Igor Strawinsky zeigt, wurde 1960 in einer Pause der Dreharbeiten zu dem Fernsehfilm Leonard Bernstein and the New York Philharmonic gemacht. Es war Goulds erster Auftritt im amerikanischen Fernsehen. Und geben wir es zu: er sieht verdammt gut in seinem Frack aus. Diesmal ist es auch sein eigener, man kann auf dem Photo oben (mit Swjatoslaw Richter) sehen, dass dieses Kleidungsstück ihm nicht auf den Leib geschneidert ist.
Wahrscheinlich hat der Herr, der sich hier mit Glenn Gould unterhält (der in perfekter Inszenierung selbst bei dieser Gelegenheit seine wollenen Handschuhe trägt), in seiner Jugend auch unglücklich in seinem Frack ausgesehen. Er beschreibt diesen Frack in seiner Autobiographie: Aber was für einen Frack ich da hatte! Man bekam ja damals gar nichts zu kaufen, und Schleichhandelspreise konnte ich nicht bezahlen. Meine Jacke war aus einem alter Trauerkostüm meiner Mutter geschneidert, und von einem recht schäbigen schwarzen Stoff hatte ich ein Meter zwanzig gekauft, gerade genug, um eine Hose machen zu lassen. Mit diesem Frack dirigierte ich also im Alter von neunzehn Jahren meine erste Oper. Allerdings viele meiner Kollegen, zumindest etliche, die ich kannte, haben in einem Frack von Knize angefangen und doch keine Karriere gemacht...
Die Oper, die der junge Josef Krips am 3. September 1921 in der Wiener Volksoper dirigiert, ist Verdis Ein Maskenball. Ich weiß nicht, ob Krips seine Fräcke später bei Knize gekauft hat. Ich glaube nicht, dass ihm der dämliche Wahlspruch des Hauses - Die Intelligenz eines Herrn erkennt man im Gespräch, seinen Stil dagegen an Knize - gefallen konnte. Aber Karajan - auf den die Bezeichnung stabführende Frack-Primadonna, die Thomas Mann in Doktor Faustus verwendet, schön passt - ist Kunde bei Knize. Wie übrigens auch Oskar Kokoschka (der seine Anzüge mit Gemälden bezahlte). Und Horowitz schwor wie viele andere Künstler auf die Fräcke von Knize.
Der Frack, der bei den Engländern tailcoat oder tails, bei den Franzosen l'habit noir heißt, stammt aus einer anderen Welt. Das ist uns klar, für den Erzähler von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit ist (wie für ➱Proust selbst) der Wechsel in den abendlichen Frack Routine des Alltags: Im Vestibül, das er früher, als er noch ganz Gesellschaftsmensch war, im Abendmantel betreten und im Frack wieder verlassen hatte, ohne daß er wußte, was inzwischen geschehen war, da er in Gedanken während der kurzen Augenblicke, die er dort verbrachte, noch bei dem Fest, das er eben verlassen hatte, oder schon bei dem war, das ihn gleich aufnehmen würde - Es sei denn, man gehört zum Kreis der Verdurins, die etwas prollig sind: Der Frack war verboten, weil man ja „unter sich“ war, und um nicht den „Langweilern“ zu gleichen, die man mied wie die Pest und die nur zu großen Abendgesellschaften eingeladen wurden, welche jedoch so selten wie möglich stattfanden, eigentlich nur dem Maler zu Gefallen oder um den Musiker zu lancieren.
Der Frack ist das älteste Kleidungsstück der Herrenmode. Er hat sich in den Jahrhunderten nur wenig geändert. Um 1900 bekam das Jackett eine Brusttasche, die es vorher nicht gehabt hatte. Darauf hat Joseph Losey bei den Dreharbeiten von The Go-Between (lesen Sie ➱hier mehr dazu) geachtet, als er Edward Fox als Viscount Trimingham einen Frack ohne Brusttasche schneidern ließ. Bei allen modischen Variationen sollten wir nicht vergessen, dass die Anfänge des Fracks in England nicht bei den Triminghams und anderen Adligen liegen.
Denn der frock ist die ➱Kleidung der Landarbeiter und der kleinen Leute, der Gentleman trägt den hoch geschlossenen Anzug der kein Revers und keinen Kragen besitzt. Der rote Rock von Mozart auf dem Bild oben ist also kein Frack, was der schottische Colonel McMurdo hier beim Fliegenfischen trägt, ist ein frock. Ungefähr um 1730 finden die country gentlemen es ganz chic, diese Jacke mit Kragen und Revers zu adaptieren. Zum Missvergnügen eines schottischen Beobachters, der 1739 schreibt: There is at present a reigning Ambition among our young Gentlemen, of degrading themselves in their Apparel to the Class of the Servants they keep. It may at first seem very extraordinary that these Sparks should act thus to gain Admiration: But from what other Cause can it be that my Lord Jehu wears a frock, a little hat, a coloured handkerchief, and in this habit drives a motley sett of horses. Der frock ist jetzt in der feinen Gesellschaft angekommen. Von nun an geht es mit dem Kleidungsstück aufwärts.
Vor allem, weil es bequem ist. So schreibt Arthur Murphy im Jahre 1752 aus Paris: We sent for a taylor, and Jack Commons who jabbers a little French, directed him to make us two suits, which were brought us home the next morning at ten o'clock, and made compleat Frenchmen of us. But for my part, I was so damned uneasy in a full-dressed coat, with hellish long skirts, which I had never been used to, that I thought myself myself as much deprived of my liberty, as if I had been in the Bastile. I frequently sighed for my little loose Frock, which I look upon as an Emblem of our happy constitution; for it lays a man under no uneasy Restraint, but leaves it in his Power to do as he pleases. Der junge George Washington - zu dem es hier den Post ➱George Washington (sartorial) gibt - notierte im Alter von sechzehn Jahren in seinem Tagebuch: Memorandum to have my Coat made by the following Directions to be made a Frock with a Lapel Breast the Lapel to Contain on each side six Button Holes and to be about 5 or 6 Inches wide all the way equal and to turn as the Breast on the Coat does to have it made very long Waisted and in Length to come down to or below the bent of the knee.
Es gibt Fräcke in anderen Farben als der heutigen, die Farbe schwarz ist eine Erfindung des viktorianischen Zeitalters. Goethes Werther trug einen blauen Frack, und ➱Nicholas Boyle hat in seiner Goethe Biographie darauf hingewiesen, dass Werther mit Blau und Gelb die Farben der Whig Partei trägt. Allerdings mit der Einschränkung: Unklar bleibt, ob Goethe wußte, daß diese Farbkombination von den englischen Whigs zum Kennzeichen einer kompromißlos bürgerlichen Partei gewählt worden war. Der Herzog von Windsor ließ sich seine Abendgarderobe immer aus einem ganz dunklen blauen Stoff schneidern, der im Licht des Ballsaals schwärzer als schwarz wirkte.
Doch ansonsten bleibt der Frack schwarz. Einmal abgesehen von exklusiven Jagdgesellschaften, wo man man das da oben trägt. Da gilt der Satz von ➱Adolf Loos offensichtlich nicht: Es handelt sich darum, so angezogen zu sein, dass man am wenigsten auffällt. Ein roter Frack fällt im Ballsaale auf. Folglich ist der rote Frack im Ballsaal unmodern. Ein Zylinder fällt auf dem Eise auf. Folglich ist er auf dem Eise unmodern. Alles Auffallen aber gilt in der guten Gesellschaft für unfein. Wenn man diesen l'habit vert trägt, dann ist man Mitglied der Académie Française. Ich habe ➱hier schon einmal über dieses Kleidungsstück geschrieben. Bin damit auf eine Seite geraten, die ➱Frankreich-Kultur-France heißt. Ja, die Franzosen haben einen guten Geschmack.
Und da ich bei Geschmack bin, muss ich mal eben den Film Brust oder Keule erwähnen. Der lief nämlich letztens auf 3sat als Deutschland Weltmeister wurde. Habe ich immer wieder reingezappt, weil mir der Fußball zu blöd wurde. Am Ende des Films (➱hier ganz zu sehen) lässt sich Louis de Funès auch so einen l'habit vert schneidern, weil er in die Académie aufgenommen wird. Nur im Film, nicht im wirklichen Leben.
Wir anderen wissen natürlich, dass Oberkellner eine schwarze statt der weißen Schleife (und meistens auch eine schwarze Weste) trägt. Die schwarze Weste der Kellner ist als modische Variation in der Herrenmode immer wieder einmal aufgetaucht, es gibt allerdings einen Anlass, bei dem sie gefordert wird. Es existieren eine Vielzahl von Photos, die Kemal Atatürk mit weißer Weste zeigen (die sich für Politiker empfiehlt), wenn er hier eine schwarze Weste trägt, dann will er keine neue Mode kreieren. Für Beerdigungen ist die zum Frack völlig korrekt. Und wenn Sie zu der weißen Weste noch eine weiße Schürze tragen, dann sind Sie Freimaurer. Die dürfen das, aber sie tun das natürlich nie in der Öffentlichkeit.
Und ansonsten halten Sie sich doch einfach an das Handbuch The English Gentleman von ➱Douglas Sutherland, wo es heißt: He has a dinner jacket with trousers to match which must under no circumstances be called a 'dinner suit'. If he has evening tails he apologises for them, saying that they belonged to his grandfather, which is almost certainly true. A gentleman will sometimes wear a white waistcoat with his dinner jacket, particularly if he cannot find a black one and not mind being whispered about by non-gents, for it is perfectly permissible. He will not, however, wear a black waistcoat with tail, which is the prerogative of hotel waiters. A gentleman will also have a morning coat which he wears with rather dashing light-coloured trousers unlike those dark striped ones which are rented out by dress-hire firms.
Könige dürfen ihren Frack mit Orden verzieren, wie hier der schwedische König Gustav V auf dem Bild von ➱Anders Zorn. Für alle anderen ist das wohl ein wenig lächerlich, obgleich man beim Wiener Opernball ja all das sehen muss. Die Bremer, die (mit Ausnahme von Wilhelm Kaisen) den Frack zur ➱Schaffermahlzeit tragen, wo es ➱Kohl und Pinkel gibt, tragen keine Orden. Das hat Stil. Der Frack, wenn er es schon sein muss, ist sich selbst genug. In einem der vielen grassierenden Stilratgeber habe ich unter dem Titel Welche Uhr zum Frack, ein Stilfrage folgende Frage gefunden (die hier in der Originalschreibweise belassen wird):
Ich habe in den letzten Jahren zum Frack immer eine Rolex-Daydate in Gold getragen. Da ich diese aber letztes Jahr verkaufen musste, und mir später dann doch wieder eine Uhr zulegte (Ulysee Nardin, Marinechronometer), bin ich nun im zweifel ob ich diese Uhr mit Edelstahlgehäuse und Edelstahlband in kombination mit goldenen Manschettenknöpfen zum Frack anziehen kann. Oder ob ich nich lieber meine goldene Taschenuhr von 1921 mit goldener Kette umhänge. Frack- ihr wisst schon: Max Rabe, Comedian Harmonits usw.........., ein Frack ist was wirklich tolles, und darum ist mir so auch viel an Stiltreue gelegen.
Was soll man dazu sagen? Außer natürlich, dass man keine ➱Rolex zum Frack trägt. Ich würde unbedingt zur ➱Doxa 300 Sub raten, die passt mit dem orangefarbenen Zifferblatt richtig gut zum Frack. Wenn der schwedische König eine Uhr trug, dann wird er eine Frackuhr (eine besonders flache und kleine Taschenuhr) getragen haben. Aber die sind leider aus der Mode gekommen. Das Bild von Anders Zorn wurde 1911 gemalt, da war der Frack für viele Gelegenheit noch de rigueur. In den dreißiger Jahren kommt er aus der Mode - auch wenn die UFA Filme uns vorgaukeln, dass von Hans Albers bis Heinz Rühmann jeder deutsche Mann zu jeder Gelegenheit einen Frack trägt. Jawoll, meine Herrn.
In den dreißiger Jahren trägt natürlich auch der ehemalige Ulanenoffizier, der Hauptmann a.D. von Eelking (der die größte Sammlung von Spazierstöcken in Deutschland sein eigen nennt), seinen Frack. Wenn der Autor des ➱Buches Die Uniformen der Braunhemden in seiner Eigenschaft als SA-Mann im Stab der berüchtigten SA-Brigade 31 Berlin-Brandenburg nicht gerade das chice Braunhemd trägt. Es sind die dreißiger Jahre, die dem Frack seinen Todestoß versetzen. Und ja, auch Hitler hat am Anfang der dreißiger Jahre noch Frack getragen.
Wenn sich auch die Frauen, die in Amerika flappers (und in Frankreich wie die Romanheldin von Victor Margueritte la garçonne) heißen, männlicher Kleidungsstücke bemächtigen, sind sie nicht unbedingt für die demise des Fracks verantwortlich. Die Uniform der Gesittung ist ein Auslaufmodell, weil die Sitten nicht mehr danach sind. ➱Gregor von Rezzori schreibt in seinem autobiographischen Buch Mir auf der Spur: Der europäische Klassenkampf hatte in London noch nicht die Verwüstungen des Schlachtfelds hinterlassen wie in Wien. Selbst Paris war lotteriger, als ich mir's vorgestellt hatte: Ich trug dort lieber meine Windjacke als meinen Frack.
Das wird kommen, die Sportkleidung statt der formellen Kleidung. Die nur noch bei ganz speziellen Gelegenheiten auftaucht. Also zum Beispiel, wenn ein amerikanischer Präsident die Königin von England besucht. Und da wir gerade dabei sind, nehme ich mal eben George Bush als Beispiel dafür, wie es nicht sein soll. Die weiße Weste sollte niemals unter den Spitzen des Frackjacketts hervorschauen, und ein Hemd mit einem Umlegekragen gehört sich einfach nicht. Früher musste man noch den steifen Kragen an das gestärkte Frackhemd knöpfen, da war an einen Umlegekragen gar nicht zu denken. Gibt es da keine Berater im Weißen Haus? Konnte sich der ➱amerikanische Schneider nicht durchsetzen? Oder war das Teil von Moss Bros geliehen? Obgleich die mit dem Verleihen von Fräcken groß geworden sind, scheinen sie heute alles vergessen zu haben. Auf ihrer ➱Seite bewerben sie einen Frack mit schwarzer Schleife. Und ohne weiße Weste. Der Untergang des Abendlandes steht bevor.
Dieses Kleidungsstück ist dagegen vollkommen korrekt. Wird von Damen und Herren getragen, sozusagen unisex. Allerdings hat der equestrian tailcoat eingeschränkte Nutzungsmöglichkeiten, man kann ihn nur tragen, wenn man auf einem Pferd sitzt. Also zur Bremer Schaffermahlzeit oder dem Wiener Opernball wäre das nichts. Und falls ich Sie jetzt etwas verunsichert haben sollte, möchte ich die wichtigsten Regeln am Schluß noch einmal zusammenfassen, damit Sie kein Fracksausen bekommen. Und wer kennt die Regeln besser als Debrett's? Auf deren ➱Seite kann man unter British Etiquette » British Behaviour » A to H » Dress Codes » White Tie lesen:
White tie is the most formal, and rare, of dress codes, worn in the evening for royal ceremonies and balls. It may also be specified for formal evening weddings. White tie is sometimes referred to as 'full evening dress' or 'cravate blanche'. Traditional white tie for men consists of:
• Black single-breasted tail coat with silk lapels, worn unbuttoned (never to be confused with a morning coat).
• Black trousers to match the tail coat, with two lines of braid down each outside leg.
• White marcella shirt, worn with a detachable wing collar, cufflinks and studs.
• Thin, white, hand-tied marcella bow-tie.
• White marcella evening waistcoat - double or single-breasted.
• Black patent lace-up shoes and black silk socks.
• In Winter, a black overcoat and white silk scarf can be worn.
Es wäre schön, wenn die Herren Dirigenten sich daran halten würden. Schließlich können sie ihre Fräcke als Berufskleidung von der Steuer absetzen. Und falls Sie jetzt unbedingt einen Frack brauchen sollten: ich glaube den Empfehlungen How to Convert an Ordinary Suit Coat into a Tail Coat ➱hier sollten Sie nicht unbedingt folgen.
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Freitag, 25. Juli 2014
Thomas Eakins
Dies Bild könnte ein Jahrhundert früher gemalt worden, aber das Portrait der Amelia van Buren stammt aus dem Jahre 1891. Es ist das vielleicht konventionellste Bild des amerikanischen Malers Thomas Eakins, der heute vor 170 Jahren geboren wurde. Es ist vielleicht kein Zufall, dass die Dargestellte eine Photographin ist. Eakins photographierte auch - und benutzte wie viele Maler in dieser Zeit Photographien als Vorlage für seine Bilder. Ich habe auf dieses Phänomen schon in dem Post über ➱Lenbach hingewiesen. Da stehen auch die Sätze: Franz von Lenbach ist nicht der einzige, der in seiner Zeit mit der Photographie experimentiert. Degas macht das auch. Und in Amerika Thomas Eakins (über den ich irgendwann noch mal schreibe).
Also gut, jetzt ist es so weit, jetzt schreibe ich über ihn. Ich weiß nicht, wieso ich mich im Jahre 2011 zu dieser Voraussage hinreißen ließ. Ich mag den Kerl überhaupt nicht. Malerisch haben seine Kollegen von der ➱Ash Can School viel mehr zu bieten. Das Portrait von Walt Whitman aus dem Jahre 1887 finde ich allerdings sehr gut. Whitman fand das Bild seines Freundes auch sehr gut: I never knew of but one artist, and that's Tom Eakins, who could resist the temptation to see what they ought to be rather than what is. Er mochte das Bild auch viel lieber als jenes ➱Bild, welches der Sohn seiner englischen Bewunderin Anne Gilchrist von ihm gemacht hatte. Eakins und Whitman hatten sich Ende der 1880er kennengelernt, sie blieben bis zu Whitmans Tod befreundet. Am Tag nach Whitmans Tod hat Eakins eine Maske des Gesichts abgenommen, die heute in der Houghton Library der Harvard University ist.
Das Bild der Katze seiner Frau ist sicherlich sehr nett, aber dafür brauchte man eigentlich kein Maler zu sein. Mit dieser felinen Studie verlasse ich auch schon die nette Seite der Kunst von Thomas Eakins und komme zu den dunklen Seiten von Thomas Eakins, die eines Tages zu dem Rauswurf aus der Pennsylvania Academy of the Fine Arts führten. Wir bewegen uns da auf schwierigem Terrain. Philadelphia ist ja eigentlich ein ruhiger Flecken Erde. Henry James sagt in ➱The American Scene: Philadelphia then wasn’t a place, but a state of consanguinity, which is an absolute final condition. She had arrived at it, with nothing in the world left to bristle for, or against... she had nothing more to invoke; she had everything; her cadres were full; her imagination was at peace. Der Friedensstörer, der jetzt kommt, heißt Thomas Eakins.
Er hält sich für den größten amerikanischen Maler, allerdings teilt kaum jemand seine Meinung. Bei der Jahrhundertausstellung von 1876 wird dem Werk vom Eakins' Zeitgenossen Winslow Homer ein ganzer Saal gewidmet, das Bild The Gross Clinic von Eakins ist irgendwo in einem kleinen Raum im Pavillon der Medizin ausgestellt. Als Eakins dreizehn Jahre später mit The Agnew Clinic eine noch größere ➱Anatomie malt, weigert sich die Society of American Artists, das Bild auszustellen. Wahrscheinlich nicht aus dem Grund, dass sie die Macho Botschaft des Bildes voll verstanden hat. Professor David Lubin hat in seinem Buch Act of Portrayal: Eakins, Sargent, James (Yale University Press 1985) von the depiction of masculinity subjugating femininity does seem an essential component of this work gesprochen. Und schlimmer noch, das Wort gang rape in die ➱Diskussion gebracht. Da ist allerdings etwas dran, der Mann schreibt interessante Sachen (was er allerdings in seinem Buch über Sargent sagt, ist völliger Schwachsinn). Wer außer ihm wäre auf die Idee gekommen, ein Buch wie Shooting Kennedy: JFK and the Culture of Images zu schreiben?
Eakins bricht alle Beziehung zur Society of American Artists ab. Nicht ohne zu schreiben: I desire to sever all connection with the Society of American Artists. In deference to some of its older members, who perhaps from sentimental motives requested me to reconsider my resignation last year, I shall explain... For the last three years my paintings have been rejected by you, one of them the Agnew portrait, a composition more important than any I have ever seen on your walls. Rejection for three years eliminates all elements of chance, and while in my opinion there are qualities in my work which entitle it to rank with the best in your Society, your Society's opinion must be that it ranks below much that I consider frivolous and superficial. These opinions are irreconcilable.
Bei dieser Aufnahme (mit Selbstauslöser) vom Maler mit seinem Modell haben wir doch erste moralische Zweifel. Kunst? Pornographie? Es gab eine Vielzahl von Vorwürfen gegen Eakins. Einer war, dass er sich vor der oben portraitierten Amelia van Buren entblößt hätte, um ihr die Bewegungen des männlichen Beckens zu demonstrieren. Man hat ihn, wie es so schön heißt, gebeten, seine Position an der einst von ➱Charles Willson Peale gegründeten Pennsylvania Academy of the Fine Arts aufzugeben. Als ihm Edward H. Coates, der Mann, der ihn gefeuert hatte (und der The Swimming Hole von ihm gekauft hat), ihm siebzehn Jahre später eine Goldmedaille für das Portrait des ➱Erzbischofs Elder überreicht, sagt Eakins zu ihm: I think you’ve got a heap of impudence to give me a medal. Und verscheuert am nächsten Tag seine Goldmedaille für 73 Dollar. Er brauchte das Geld, die Aufträge bleiben aus. Außerhalb Philadelphias hat er keine Kunden. Die feine Gesellschaft des Gilded Age wird sich von ➱William Merritt Chase, ➱John Singer Sargent oder dem durchreisenden ➱Anders Zorn malen lassen. Man schätzt, dass Eakins in seinem ganzen Leben nur 15.000 Dollar verdient hat.
Für viele seiner Studenten - oder sollte man sagen Jünger? - war er danach ein Held und ein Märtyrer der modernen Kunst. So sah er sich wohl selbst, als er in seinem Abschiedsbrief schrieb: Was ever so much smoke for so little fire? I never in my life seduced a girl, nor tried to, but what else can people think of all this rage and insanity. It is not a rare ambition in a painter to want to make good pupils. My dear master Gerome who loved me had the same ambition, helped me always and has to this day interested himself in all I am doing. My figures at least are not a bunch of clothes with a head and hands sticking out but more nearly resemble the strong living bodies that most pictures show. And in the latter end of a life so spent in study, you at least can imagine that painting is with me a very serious study.
That I have but little patience with the false modesty which is the greatest enemy to all figure painting. I see no impropriety in looking at the most beautiful of Nature's works, the naked figure. If there is impropriety, then just where does such impropriety begin? Is it wrong to look at a picture of a naked figure or at a statue? English ladies of the last generation thought so and avoided the statue galleries, but do so no longer. Or is it a question of sex? Should men make only the statues of men to be looked at by men, while the statues of women should be made by women to be looked at by women only? Should the he-painters draw the horses and bulls, and the she-painters like Rosa Bonheur the mares and the cows? Must the poor old male body in the dissecting room be mutilated before Miss Prudery can dabble in his guts? Such indignities anger me. Can not anyone see into what contemptible inconsistencies such follies all lead? And how dangerous they are? My conscience is clear, and my suffering is past. Yours, T.E. Wenn Sie jetzt fragen, was dieser aristokratisch aussehende Herr (der vielleicht der Sohn von Talleyrand ist) in diesem Kontext soll, habe ich natürlich eine Antwort. Auch Delacroix hat in seinem Studio Aktaufnahmen gemacht. Er hat sich allerdings nie nackt mit einem nackten Modell im Arm photographiert.
Das hier, das ist Kunst. Das ist keine Pornographie, die in St Pauli entsteht. In Hamburg ist sie schon entstanden, denn das Photo ist von Karin Székessy. So etwas fand man in den sixties mal ganz toll. Vor allem, weil ihr Ehemann Paul Wunderlich die Nackedeis, wenn sie schon mal im Wohnzimmer saßen, auch gleich malte. Ich weiß nicht, ob das Wort Doppelverdiener für Székessy und Wunderlich erfunden wurde, auf jeden Fall reichte das Geschäft für einen schönen weinroten Rolls-Royce. Ich fand das Ganze irgendwie pervers, aber das habe ich schon in dem Post ➱Patti d'Arbanville gesagt. Weshalb der über zwölftausend Mal angeklickt wurde, ist mir nicht so ganz klar.
Also, Thomas Eakins macht künstlerische Aktaufnahmen. Viele Männer, wenig Frauen. Wie sagte doch Coco Chanel? Ja, richtig, das war's: Weibliche Nacktheit muss man den Männern mit dem Teelöffel geben, nicht mit der Schöpfkelle. Oder mit den Worten von Eakins: When a man paints a naked woman he gives her less than poor Nature did. I can conceive of few circumstances wherein I would have to paint a woman naked, but if I did I would not mutilate her for double the money. She is the most beautiful thing there is — except a naked man. Die Photographien von Eakins sind. eine Tristesse der Nacktheit. Wenn Sie für die Photos von Wilhelm von Gloeden schwärmen, dann sind Sie bei dem Macho aus Philadelphia richtig. So ein klein wenig hat der praktizierte Körperkult und die ästhetische Inszenierung der Nackheit von Eakins auch mit der Welt jenes Fidus zu tun, der in dem Post ➱Lichtgebet behandelt wird.
Dieses Bild, The Clinic of Dr Gross, gilt als ein Hauptwerk des Malers. Der Kritiker der New York Daily Tribune schrieb über dieses Bild, es sei: one of the most powerful, horrible, yet fascinating pictures that has been painted anywhere in this century - a match, or more than a match for David's 'Death of Marat' or for Gericault's ‘Raft of the Medusa' But the more one praises it, the more one must condemn its admission to a gallery where men and women of weak nerves must be compelled to look at it, for not to look at it is impossible. Die Klinik, in der der dargestellte Dr Samuel Gross damals wirkte, hatte das Bild damals für zweihundert Dollar gekauft. Medizinstudenten hatten dafür gesammelt. Vor Jahren wollte sie es für 68 Millionen Dollar an die National Gallery verkaufen, aber der ganze Staat Pennsylvania begann wieder einmal zu sammeln, damit das Bild (das sich in einem sehr schlechten ➱Zustand befindet) im Staat blieb. Weil es inzwischen als Meisterwerk der amerikanischen Kunst angesehen wird. Als Eakins starb, hatten nur drei amerikanische Museen Bilder von ihm, heute reißen sie sich nach ihm.Wenn der anonyme Kritiker der New York Daily Tribune mit Jacques-Louis David und Théodore Géricault zwei französische Maler als Vorbilder zitiert, hätte er ebenso zwei amerikanische Maler nennen können, die mit dieser Art der sensationslüsternen Malerei lange vor den beiden Franzosen angefangen haben. ➱Benjamin Wests Death of General Wolfe und John Singleton ➱Copleys The Death of the Earl of Chatham hatten die Historienmalerei verändert. Beide Bilder wurden ebenso wie die Gross Clinic von den Zeitgenossen als Skandal empfunden. Doch auf den Bildern fließt kein Blut, hier sieht man die blutige Hand des Chirurgen - ebenso wie die goldene Uhrenkette, die für bürgerliche Wohlanständigkeit steht.
Es ist die Zeit, in der mit der Yellow Press die ersten Vorläufer der Bild Zeitung in Amerika erscheinen. Es ist die Zeit des Naturalismus, die Zeit von Zola und Stephen Cranes Roman Maggie, a Girl of the Streets. Es ist die Zeit der Muckrakers und Jacob Riis' How the Other Half Lives. Auf den Bildern von Eakins (hier ein Detail aus The Agnew Clinic) schimmert die schmutzige Seite Amerikas durch, die Kehrseite des Gilded Age.
Das ist Eakins' Freund Max Schmitt als Ruderer. Wenn man so will, erfindet Eakins einen Bildtyp, der Sportler darstellt (er hat ja auch Bilder vom Baseball gemalt). Doch das Bild, das einen schönen Sommertag wiedergeben soll, ist irgendwie trist und tot. Ein Kritiker schrieb: While manifesting a marked ability, especially in the painting of the rower in the foreground, the whole effect is scarcely satisfactory. The light on the water, on the rower and on the trees lining the bank indicates that the sun is blazing fiercely, but on looking upward one perceives a curiously dull leaden sky.
Auf der anderen Seite des Atlantik entdecken die Impressionisten das Wasser. Die Personen auf den Bildern von Monet (1) und Caillebotte (2) wirken wie wirkliche Menschen und nicht wie in der Bewegung eingefrorene Helden des lokalen Rudersports.
Erstaunlich bei dem Bild von Monet ist, dass die beiden Damen in einem Ruderboot sitzen, das große Ähnlichkeiten mit dem Rennboot von Max Schmitt hat. In Frankreich ist die Emanzipation durch den Sport offensichtlich schon weit vorangeschritten. In der Männerwelt von Eakins wären rudernde Frauen undenkbar. Claude Monet hatte sich ein Atelierboot bauen lassen, damit er auf der Seine malen konnte. Er war nicht der einzige. Daubigny hatte auch eins, das den Namen Bottin hatte. Der Millionär ➱Gustave Caillebotte, der ein begeisterter Segler war, beginnt sogar 1882 mit dem Bootsbau und gründet 1885 ein Unternehmen mit dem Namen Chantiers Luce, wo mehr als zwanzig Segelyachten gebaut werden.
So etwas wie dieses Bild hätte Eakins in seinem ganzen Leben nicht malen können. Obgleich er den Maler (es ist ➱Winslow Homer) bewunderte. Im Gegensatz zu Eakins hat Winslow Homer nicht vergessen, dass sein Landsmann Benjamin West einst dem jungen ➱John Constable den Rat gegeben hatte: Always remember, sir, that light and shadow never stand still...in your skies... always aim at brightness... even in the darkest effects... your darks should look like the darks of silver, not of lead or of slate.
Winslow Homer hatte die Schlachtfelder des amerikanischen Bürgerkriegs als Zeichner für Zeitungen und Magazine gesehen. Thomas Eakins hatte sich vor dem Bürgerkrieg gedrückt (sein Freund Max Schmitt übrigens nicht), Eakins hatte einen substitute bezahlt. Und war nach Paris gegangen. Seinen Lehrer Jean-Léon Gérôme (My dear master Gerome who loved me) hat er immer verehrt. Dieser Salonmaler ist ja eigentlich ein schlechter Maler gewesen (hier ein bisschen Kitsch von ihm), es ist sicherlich typisch, dass ➱Sir John Henry von Schroder mehrere Gérômes besaß. Das einzige gute Bild, das Gérôme gemalt hat, ist wahrscheinlich der Tod des Marschalls Ney (lesen Sie ➱hier mehr dazu).
Der amerikanische Bildungssender (der einzige!) PBS hat eine Dokumentation über Eakins gedreht, diese interaktive ➱Seite gibt einen sehr guten Überblick über Leben und Werk des Malers. Darrel Sewell Curator of American Art am Philadelphia Museum of Art hat bei der Yale University Press einen ➱Ausstellungskatalog herausgegeben, der in Amerika sehr beachtet wurde. Ich besitze den natürlich, weiß aber eigentlich nicht so recht weshalb. Mein Lieblingsmaler wird Eakins nie.
Das Bild ist natürlich nicht von Eakins. Es ist zu lebendig. Und außerdem ist hier eine Frau abgebildet. Das Bild Girl in a Boat wurde von dem englischen Maler Ernest Board im Jahre 1915 gemalt. Board ist kein berühmter Maler, aber ich finde, dass dieses Bild sehr charmant ist. Ich bin durch das Bild von Max Schmitt auf die Idee gekommen, demnächst einmal über Ruderboote zu schreiben. Einen Namen hat der Post schon, er wird 'Ruderverein' heißen. Ich muss zugeben, es lag nicht allein an dem Bild von Max Schmitt, es lag auch daran, dass ich mir gerade den ersten Film von Inspector Lewis (in dem auch Ruderboote vorkommen) als DVD anschaute. Ist ja nix im Fernsehen. Falls Sie den Post ➱Inspector Lewis verpasst haben sollten, dann könnten Sie den natürlich lesen. Ist sicher auch besser als das Fernsehprogramm heute.