Samstag, 31. Oktober 2015

Admiral Thomas Cochrane


Er ist schon häufig in diesem Blog aufgetaucht, der Admiral Thomas Cochrane. Unser deutscher ➱Admiral Brommy war sein Untergebener im griechischen Freiheitskrieg. Damals war Cochrane nicht mehr Captain in der Royal Navy, damals war er Admiral in ➱Griechenland. Zuvor ist er in den Diensten von Chile und Brasilien gewesen (wo er den Titel eines Marquess do Maranhão bekommt). Freiheitskriege sind jetzt seine Lebensaufgabe. Die Royal Navy hatte den Seekriegshelden der napoleonischen Kriege 1814 mit Schimpf und Schande ausgestoßen. Cochranes Leben reicht für eine Vielzahl von Romanen. Manche von den Romanen sind schon geschrieben, allerdings hat Cochrane da einen anderen Namen. Da heißt er Hornblower (wie in den Romanen von C.S. Forester) oder Jack Aubrey. Wie in den Romanen von einem gewissen Patrick O'Brian.

Der überhaupt nicht Patrick O'Brian heißt, kein Ire ist und niemals zur See gefahren ist. C.S. Forester, der Schöpfer von ➱Horatio Hornblower, ist immerhin mal mit einem kleinen Segelboot um ganz England gesegelt. Northcote Parkinson, dem wir die wunderbare Biographie The Life and Times of Horatio Hornblower verdanken, war Dozent am Royal Naval College. Douglas Reeman, der als 'Alexander Kent' schreibt, war britischer Marineoffizier im Zweiten Weltkrieg. Richard Patrick Russ, der seine Romane als Patrick O'Brian in Südfrankreich schreibt, hat sich immerhin irgendwann einmal ein kleines Segelboot gekauft. Aber alles, was er an nautischen Fachtermini in seinen Büchern verwendet, hat er aus Büchern. Vor allem aus den Romanen von C.S. Forester.

Ich habe schon in dem Post ➱Intertextualität meinen Unmut über die postmodernen Schreiber geäußert, die ihre Romanwelt nur aus anderen Romanwelten beziehen. Und die, wie Patrick O'Brian, ungeheuer fachmännisch daherkommen. Richard Henry Dana, Captain Marryat, ➱James Fenimore Cooper, Herman Melville und Joseph Conrad sind zur See gefahren. Die wissen, worüber sie schreiben. Sie brauchen ihre seemännischen Kenntnisse nicht durch die Verwendung von tausenderlei Fachausdrücken zu beweisen.

Das erste Mal taucht Lord Cochrane in der Literatur als Captain Thomas Kirkwall Savage in dem Roman Peter Simple (hier im ➱Volltext) auf. Und dieser Roman war glücklicherweise von jemandem geschrieben worden, der die See kannte. Und der als Midshipman unter Cochrane gedient hatte. Er heißt Frederick Marryat und hat gerade seinen Dienst als Captain der Royal Navy aufgegeben, um sich der Literatur zu widmen. Wenn wir mal Romane wie Roderick Random (geschrieben von einem Autor, der einmal Schiffsarzt in der Royal Navy war) draußen vor lassen, dann beginnt der englische Seeroman mit Captain Marryat. Und Thomas Cochrane.

Die Beliebtheit der Romane seines ehemaligen Untergebenen (und seine Beliebheit bei der Bevölkerung) verhilft Cochrane zu seinem Wiederaufstieg. Auf diesem politischen Cartoon ist er zur Hälfte als stolzer Marineoffizier zu sehen. Die andere Hälfte zeigt den zu einem Jahr Gefängnis verurteilten Lord Cochrane, der angeblich an dem Great Stock Exchange Fraud beteiligt war. Er wird aber begnadigt, erhält seinen Titel als Knight Grand Cross of the Order of the Bath zurück und wird wieder Admiral der Royal Navy. Jahrzehnte später wird die Regierung seinem Enkel eine Riesensumme als Wiedergutmachung zahlen. Es ist Cochranes Glück, dass inzwischen William IV König ist, den man den ➱Sailor King nennt. Der kümmert sich um die Sache des Admirals (auch einen Teil der Schulden von Admiral Sir Sidney Smith wird die englische Regierung jetzt übernehmen). Die Schilderung der Geschehnisse des Jahres 1814 und die Abrechnung mit falschen Zeugenaussagen ist der langweiligste Teil des ersten Bandes der Autobiography of a Seaman, die im Todesjahr Cochranes erschien.

In den nächsten fünfundzwanzig Jahren wird Cochrane nur noch befördert, bis er Admiral of the Red und Rear-Admiral of the United Kingdom ist. Höher kann niemand kommen. Auf seinem Grabstein in der Westminster Cathedral wird stehen: Here rests in his 85th year Thomas Cochrane Tenth Earl of Dundonald of Paisley and of Ochiltree in the Peerage of Scotland Marquess of Marenham in the Empire of Brazil GCB and Admiral of the Fleet who by his confidence and genius his science and extraordinary daring inspired by his heroic exertion in the cause of freedom and his splended services alike to his own country, Greece, Brazil, Chile and Peru achieved a name illustrious throughout the world for courage, patriotism and chivalry. Born Dec 14 1775. Died Oct 31 1860.

Cochrane ist ein Exzentriker wie ➱Sir Sidney Smith, jener Admiral, der einmal Napoleon besiegte. Nicht auf See, sondern an Land, wie man hier sehen kann. Bis zu seinem Lebensende hat sich Napoleon darüber gegrämt: cet homme m'a fait manquer ma fortune. Aber es gibt noch einen anderen Cochrane als den Seehelden, der ebenso wie Sidney Smith ungern Befehle von Vorgesetzten entgegennimmt. Es gibt da noch den Thomas Cochrane, der ein Tüftler und Erfinder ist. Der zusammen mit Isambard Brunel, den Schildvortrieb für den Tunnelbau entwickelt, mit dem Brunel den Themsetunnel bauen wird. Für die Royal Navy schlägt der Sohn eines Chemikers und erfolglosen Erfinders eine Weiterentwicklung des Brandschiffes, den Einsatz von smoke-screens, und den Einsatz von noxious effluvia vor. Hinter diesem schönen Begriff verbirgt sich nichts anderes als Giftgas. Die englische Regierung hat diese geheimen Pläne bis 1908 unter Verschluss gehalten.

Without a particle of romance in my composition, my life has been one of the most romantic on record, and the circumstances of my marriage were not the least so, hat er in seiner Autobiographie (hier im ➱Volltext) gesagt. Cochrane hat 1812 eine Miss Katherine Corbett Barnes geheiratet. Sehr zum Missfallen seines immens reichen Onkels Basil Cochrane, der ihn umgehend aus seinem Testament strich.

Es kümmert ihn nicht besonders, seine lange Ehe mit Kitty (die ihn beinahe überall hin begleitete) ist sehr glücklich gewesen. Er hat sie übrigens dreimal geheiratet. Das erste Mal in Schottland, als er mit der Sechzehnjährigen durchgebrannt war. Aber eine schottische Ehe gilt nicht überall auf der Welt. Als er nach Südamerika aufbricht, heiratet er sie sicherheitshalber noch einmal in einer anglikanischen Kirche nahe Tunbridge Wells (wo er gerade wohnte). Und Jahre später noch einmal nach den Riten der Church of Scotland, das war die Bedingung eines Verwandten, der ihm den Familiensitz Culross (wo Cochrane seine Jugend verbrachte) vermachte.

In Chile ist man glücklich, wenn der chilenische Gesandte in England nach Hause schreibt: I have extreme satisfaction in informing you that Lord Cochrane, one of the most famous and perhaps the most valiant seaman in Great Britain, has determined to travel to Chile in order to direct our navy and co-operate decisively in the consolidation of liberty and independence. Man wird ihm den Verdienstorden des Landes verleihen. Und die chilenische ➱Marine besitzt heute immer noch ein Schiff, das Almirante Cochrane heißt. Die sind da schon sehr dankbar, denn der Engländer, den die Royal Navy gerade herausgeworfen hatte, hat ihnen ihre Unabhängigkeit gebracht.

Noch im 20. Jahrhundert hat der Dichter Pablo Neruda Lord Cochrane als ein Symbol der Freiheit in sein Gedicht Cochrane de Chile hinein geschrieben. Er hat über sein Gedicht gesagt: Este es un homenaje a un hombre tan valeroso como obstinado, tan romántico como sagaz: un hombre temperamental, inflexible, dedicado y apasionado. Su corazón era una rosa de los vientos que le mostraba de noche y de día el camino de la libertad. El siguió ese camino. ➱Curt Meyer-Clason könnte das sofort übersetzen, aber ich denke, es geht auch so. Und mit dem Bild des Denkmals in Valparaiso und einer kleinen Probe aus Nerudas Cochrane de Chile höre ich heute mal auf:

Lord of the sea, we call you, singing, to battle
We are as water and sand oppressed,
We are a people mute and besieged
Lord of the sea, we call you, singing, to battle
Spanish chains deny us the seas.
Our hopes wither in the Spanish night
Lord of the sea, grief and rage await you in the harbour,
Southern seas are calling you, Lord of the sea...


Noch mehr Admiräle (ohne den Opel Admiral): Admiral John Byng, Admiral John Jervis, Invasion, Jean-Baptiste Kléber18th century: FashionHoya, Nelsons Orden, Horatio Nelson, Eisbären, William Beckford, Peter Finch, George Romney, Joseph Nollekens, Inigo Jones, Larcum Kendalls K2, Bounty, St Helena, Stephen Decatur, St Helena, Intertextualität, Gregory Peck, Robert FitzRoy, Hellas, hélas, Admiral Brommy, CSS Hunley, Havanna, Bunga Bunga, Schnellboote, Minen, Rum, Silvester, Unsere Marine, Schlipse, Max Oertz

Mittwoch, 28. Oktober 2015

John Thomson of Duddingston


Es ist seltsam, dass dieser schottische Maler, der heute vor 175 Jahren starb, hier in Deutschland so gut wie unbekannt ist. Aber auch auf der Insel ist John Thomson anscheinend nicht überall bekannt. Richard und Samuel Redgrave, die mit A Century of British Painters eins der umfangreichsten Werke zur britischen Malerei des 19. Jahrhundert vorgelegt haben (➱hier im Volltext), erwähnen den Maler nicht. Das gilt auch für Raymond Listers Buch British Romantic Painting: er ist nicht drin.

Aber es hat ihn gegeben, andere Maler haben ihn gemalt. Wie oben sein schottischer Landsmann Sir Henry Raeburn, der natürlich in diesem Blog einen ➱Post hat. Da ist es nur fair, dass John Thomson auch einen bekommt. Raeburn hat das Portrait im Tausch gegen ein Landschaftsbild von Thomson gemalt, mochte sein eigenes Werk aber dann so sehr, dass er es behielt. Die Landschaft, die er von Thomson bekam, natürlich auch. Die schottische Malerei dieser Zeit wird von den Kunsthistorikern immer nur am Beispiel von Allan Ramsay und Henry Raeburn behandelt. Die Ausnahme ist das voluminöse Buch von David und Francina Irwin Scottish Painters at Home and Abroad, 1700-1900.

Thomson hat in Glasgow und Edinburgh studiert, nicht Malerei, wie man vermuten könnte, sondern Theologie. Er ist über vierzig Jahre der Pfarrer der Gemeinde von Duddingston gewesen. Deshalb wird er auch manchmal nicht John Thomson, sondern John Thomson of Duddingston genannt. Die schottische Landschaft hat der Hobbymaler immer wieder gemalt. Seinen ersten Unterricht in der Malkunst hat er während des Studiums von dem schottischen Landschaftsmaler Alexander Nasmyth erhalten. In Edinburgh hatte er auch Sir Walter Scott kennengelernt, sie blieben lebenslange Freunde.

Das hier ist die Ruine von Fast Castle, von der man annimmt, dass sie für Walter Scott die Vorlage von Wolf's Crag in The Bride of Lammermoor gewesen ist. Wenn Sie die Wolf's Crag Szene aus Donizettis ➱Oper sehen wollen, müssen Sie ➱hier klicken. John Thomson hat die Ruine mehrfach gemalt, eins dieser Bilder hat er 1823 seinem Freund Sir Walter Scott geschenkt.

William Turner hat ihn einmal besucht, er soll angesichts des Anblicks von Duddingston Loch ausgerufen haben: By Jove, though, Thomson, I envy you that piece of water! Die beiden Herren haben in den 1820er Jahren übrigens zusammengearbeitet und Kupferstiche für Walter Scotts Provincial Antiquities and Picturesque Scenery of Scotland produziert. Sie können in der Biographie von ➱Robert W. Napier eine Vielzahl von wunderbaren Anekdoten über Thomson und Turner lesen. Und natürlich hat Thomson den See von Duddingston gemalt. Auf diesem Bild - das sehr modern aussieht -  scheint er die Farbe mit dem Messer aufgetragen zu haben, was er gerne tat, um den Bildern mehr Ausdruck zu verleihen. Den See von Duddingston hatte der berühmte Henry Raeburn auch schon einmal gemalt.

Allerdings zugefroren. Es ist der flachste See Schottlands, der friert schon einmal zu. Das ➱Bild The Skating Minister zeigt nicht den Reverend John Thomson, sondern einen anderen Geistlichen, der Mitglied im Schlittschuhklub von Edinburgh ist. Und falls es Sie jetzt in Gedanken aufs Eis ziehen sollte, kann ich noch den Post ➱Schlittschuhlaufen zur Lektüre empfehlen. Dem Sport auf dem Eis bleibt Thomson verbunden, denn er hat sein Studio in einem kleinen ➱Turm am Strande des Duddingston Loch, der einmal für den Duddingston Curling Club gebaut worden war. Er hatte den Turm Edinburgh genannt. Da konnten seine Hausangestellten ohne rot zu werden sagen, dass Thomson in Edinburgh sei, wenn ungebetene Besucher kamen.

Als Maler war Thomson kein Revolutionär wie Turner oder ➱Constable, er hielt sich an die Konventionen und die Vorbilder. Und das ist in vielen Fällen ➱Claude Lorrain, dessen Einfluss im 19. Jahrhundert immer noch zu spüren ist. Auch bei Turner und Constable. Wenn manche Bilder von Thomson (auf dieser Seite können Sie ganz viele Bilder von ihm sehen), so ist er doch manchmal sehr originell: one of the most original painters of his time in Scotland hat David Bindman im Dictionary of British Art über ihn gesagt.

Ein Amateurmaler? Gut, er ist nicht in der Royal Academy, doch immerhin wird ihn die Royal Institution for the Encouragement of the Fine Arts in Scotland und die Royal Scottish Academy als Ehrenmitglied aufnehmen. Wenn wir ehrlich sind, malt er besser als viele Mitglieder der Royal Academy, die sich in dieser Zeit dem sentimentalen Genrebild verschreiben. Er malt keine ➱Hirsche im Hochland, wie Sir Edwin Landseer das zu Begeisterung von Queen Victoria tut. Glücklicherweise sind seine schottischen Landschaften eine hirschfreie Zone. Das vereinzelte Bähschäfchen taucht da allerdings schon mal auf.

Seine Freund ➱Walter Scott, dessen Abbotsford er hier malt, als sei Claude Lorrain für einen Augenblick nach Schottland gekommen, hat ihm zahlreiche Aufträge vermittelt. John Constable nagt manchmal am Hungertuch, dann ist er glücklich, wenn er schreiben kann: I have just received a commission to paint a mermaid for a sign to an inn in WarwickshireUnser Reverend Thomson hat dagegen gut verdient. Das Dictionary of National Biography schreibt: For ten years (1820–30) he is said to have made 1,800l. a year by his art, an income which no Scottish landscape-painter resident in Scotland has perhaps equalled.

Auch wenn er als Maler ein höheres Einkommen hat als das, das ihm die Pfarrei einbringt: seine Pflichten als Gemeindehirte hat er in einundvierzig Jahren keinen Tag versäumt. In dem Punkt bleibt er doch ein Amateurmaler. Er malt en plein air, dazu sind damals noch nicht alle Maler übergangen. Hier hat sein Freund Sir Thomas Dick Lauder, Amateurmaler wie er, ihn und seinen Hund gezeichnet. Der siebte Baronet ist übrigens übrigens nicht nur mit ihm befreundet, er ist auch sein Schwiegersohn, da er 1833 Thomsons Tochter Isabella geheiratet hat.

Wenn die Königin Victoria auch keine Bilder von ihm kauft, so profitiert Thomson doch ein wenig von dieser neuen Begeisterung für Schottland, die Victoria und ihr Gatte (der für ➱Balmoral Teppiche im Tartanmuster kreiert) losgetreten haben. Aufträge hat der Reverend genug, seine Auftraggeber müssen sich in Geduld üben, Thomson ist ein langsamer Maler. Die Sonntagspredigt, Taufen und Beerdigungen gehen vor. Aber die Langsamkeit hat auch Vorteile: die Farbe fällt auch nicht gleich von der Leinwand, kaum dass das Bild aufgehängt ist wie bei ➱Joshua Reynolds.

Und er ist sehr zurückhaltend mit seinen Preisen. Sein Freund Sir Walter Scott muss ihn schon mal ermahnen, von einem Herzog für ein Bild wie dieses hier ein wenig mehr zu nehmen: I have a letter from my friend John Thomson of Duddingston. I had transmitted to him an order from the Duke of Buccleuch for his best picture at his best price, leaving the choice of subject and everything else to himself. He expresses the wish to do at an ordinary price a picture of a common size. This declining to put himself forward will, I fear, be thought like shrinking from his own reputation, which nobody has less need to do. The Duke may wish a large picture for a large price for furnishing a large apartment and the artist should not shrink from it. I have written him my opinion. The feeling is no doubt an amiable though a false one. He is modest in proportion to his talents. But what brother of the finer arts ever approached excellence so as to please himself ?

Der Kritiker Walter Armstrong hat über Thomson geschrieben: In his painting he gave evidence of a truer gift for landscape than any other Scotsman of his time. His fame ‘—referring more particularly to his appreciation south of the Tweed—’ has suffered here through the presence in the (London) National Gallery of an atrocious example of his work. Like all amateurs he was very uncertain: now he would paint a landscape worthy almost of Richard Wilson, and this he would follow up with a performance feeble enough for a schoolgirl.

His model seems to have been Gaspar Poussin tempered by Claude and Wilson. As a colourist he was conventional, but he often achieved a silvery harmouy which is very agreeable. Unlike most amateurs he succeeded best when he tried least. Some of his more sketchy pictures, in which the colour is put on freely, with a dexterity and sympathy almost equal to Morland’s, hint at a mastery which is found in none of his more ambitious 'pictures', ...

Wir lassen das einmal so stehen, ein wirklich ausgewogenes Urteil über das Gesamtwerk von Thomson findet man nicht. Von den beiden Biographien (die oben erwähnte von Robert W. Napier und die von William Baird, die man ➱hier lesen kann) ist die von Baird die interessantere. Aber sie ist schon sehr alt (1895), die von Napier ist kaum jünger (1919), seitdem scheint sich die Kunstgeschichte nicht mehr für Thomson interessiert zu haben.

Im Vorwort zu der ersten Ausgabe von John Thomson Of Duddingston, Pastor And Painter: A Memoir. With A Catalogue Of His Paintings And A Critical Review Of His Works schrieb William Baird: The rise of the Scottish School of Landscape Art is both an instructive and interesting story, and with the events of that story the life of the Rev. John Thomson is so closely bound up that we feel justified in claiming for him more recognition than he has as yet received. Das könnte noch heute gelten. Ich finde das sehr schade, dass es nichts Neues über Thomson gibt. Der Maler, der sicher mehr ist als ein kleiner Amateurmaler, hätte mal eine große Ausstellung und einen Katalog verdient. Vielleicht liest ja heute irgendwo in Schottland ein Kunsthistoriker diesen Post, und es beginnt eine John Thomson Renaissance.

Dienstag, 27. Oktober 2015

Chanson


Den Herrn hier, der aus dem Schaufenster des Ladens auf die Dänische Straße schaut, kenne ich schon lange. Bevor er hier im Plattenladen (schräg gegenüber von Kelly's) arbeitete, arbeitete er in einem kleinen, feinen Schuhladen um die Ecke. Der Laden war plötzlich über Nacht da. Hatte alles, was die feine Welt der Pariser Schuster den Damen anbot, von Stéphane Kelian aufwärts. Gabi war damals begeistert. Und damit es für die Herren auch etwas gab, bot man Kuckelkorn Schuhe an. Da hat mir der Herr in Schwarz, der riesig nett ist, mein erstes Paar Kuckelkorn Schuhe verkauft. Ich ärgere mich noch immer, dass ich damals den braunen Wholecut Schuh nicht gekauft habe.

Diese Dame kenne ich schon viel länger als ihren Mitarbeiter Klaus Kay. Das ist Ruth König, die Besitzerin von Ruth König Klassik in der Dänischen Straße. Dem einzigen Laden in Kiel, wo man CDs kaufen kann. Wahrscheinlich kann man auch bei Saturn in dem Gebäude - das die Werbung Nordlicht nennt und das die ganze Stadt verschandelt (lesen Sie hier mehr) - CDs kaufen. Aber da war ich noch nie drin. Bevor Ruth König ihren eigenen Laden aufmachte (in dem sich, so klein er ist, zehntausend CDs finden), war sie die Fachfrau für Schallplatten in einem anderen Geschäft.

Die boten damals das ganze Programm von Braun Atelier an, das war schon etwas gehobener als mein Schneewittchensarg (der hier einen Post hat). Mein Freund Volker hat noch Teile von der Braun Atelier Kollektion (inzwischen ergänzt durch NAD) im Wohnzimmer, die sehen nach Jahrzehnten immer noch gut aus. Damals gab es noch kein Internet, mit dem man gesuchte Platten blitzschnell finden konnte. Damals gab es den Bielefelder Katalog, und den kannte Frau König, die mit einem Berufsmusiker verheiratet ist, beinahe auswendig. Ich bin ihr immer noch dankbar, weil sie mir Platten besorgt hat, die kein anderer Händler finden konnte.

Das Gefährliche an dem Laden in der Dänischen Straße ist, dass die Musik auf die Straße dringt. Die gläserne Ladentür ist meistens offen, ich glaube, die haben auch kleine Lautsprecher auf der Straße. Das verlockt einen häufig, so wie die Sirenen auf diesem Bild von Friedrich Preller Odysseus zu locken versuchen. Das war auch am letzten Wochenende so. Es war kein schöner Herbsttag, es war kalt und windig. Der goldene Oktober hatte am Tag zuvor stattgefunden. Ich war auf dem Weg zu meinem Auto, ging aber - wie immer - an diesem Laden vorbei. Und hörte diese Musik (es ist witzig, aber vor ziemlich genau einem Jahr habe ich auch über Musik aus diesem Laden geschrieben), ich wusste nicht, was es war. Französisches Chanson war auf jeden Fall immer richtig, aber wer sang da?

Yves Montand war es nicht, den habe ich komplett, es musste etwas Neueres sein, obgleich es irgendwie doch nach den fünfziger oder sechziger Jahren klang. Renaud? Nein. Aznavour und Brel waren es auch nicht, manchmal glaubte ich, einen Hauch von Paolo Conte zu hören. Ich ging in den Laden und fragte: Wer singt da? Bekam sofort einen Namen genannt, der mir nichts sagte: Christophe Bourdoiseau. Und bekam die ganze Geschichte zu dem Sänger, der heute in Berlin (Prenzlauer Berg) lebt. Und alles über seine CD Tant de saisons perdues über das Berlin nach der Wende.

Da kommt in manchen Liedern auch etwas Russisches hinein, wie man hier in Loin de mes p'tits soucis hören kann. Französische Chansons mit Ossi Touch. Die Bilder hier zeigen seine zweite CD Constellation périphérique (auf der er die Vororte von Paris besingt). Die habe ich abgebildet, weil sie dies schöne Cover hat. Das Album ist eine Art Abrechnung mit meinem Land, mit seinen schönen und seinen hässlichen Seiten, sagt Bourdoiseau. Das Thema Banlieues beschäftigt mich sehr. Dort liegt die Zukunft Frankreichs, und sie wird ignoriert.

Das Cover von Constellation périphérique sieht mit dem Blau ein wenig so aus, als sei es aus Jean-Jacques Beneix' Film Diva. Obgleich in dem Film nicht die Citroen Déesse, sondern das alte Gangsterauto, der Citroen Traction Avant mit der Selbstmördertür, eine Rolle spielte. Mein Post über die Citroen Déesse ist in den letzten Jahren so oft angeklickt worden, dass mir die Firma Citroen eigentlich ein Honorar zahlen müsste. Hier auf dem Photo ist Christophe Bourdoiseau natürlich wieder mit einem Citroen DS zu sehen.

Der gelernte Journalist Bourdoiseau (der auch Stadtführungen durch Berlin in französischer Sprache macht) ist als Korrespondent der Tageszeitung Le Parisien nach Berlin gekommen. Seine Mutter kommt aus Deutschland, hat einen Franzosen geheiratet und nur noch Französisch gesprochen. Das Deutsch hat sich Bourdoiseau selbst beigebracht, bei ihm zu Hause wurde es nicht gesprochen. Christophe Bourdoiseau singt Texte von Louis Aragon, Charles Baudelaire und Arthur Rimbaud (auf der CD La mort du loup), singt über das Berlin der Wendezeit und die Vororte von Paris. Über Kokain und über die schöne afrikanische Hure Laila (Laila, c'est le soleil de ma rue La lumière des cœurs foutus L'espoir des enfants perdus Laila) und über den Straßenkehrer Mohamed. Musikalisch begleiten ihn keine Franzosen, die drei Musiker kommen aus der Ukraine. Es ist das Trio Scho, das nicht unbedingt zu den Unbekannten der Berliner Szene zählt. In den Jahren 2000 und 2011 gewannen sie den Musik Wettbewerb des Berliner Senats. Sie waren schon bei Schlingensief in Talk 2000 und in Filmen von Dominick Graf zu sehen. Und sie sind wirklich gut, das gibt es gar keine Diskussion.

Ich weiß nicht, weshalb mir jetzt bei der CD Constellation périphérique der Film Alain Tanners Une flamme dans mon coeur einfällt. Wahrscheinlich, weil er auf einem DVD Stapel ganz oben liegt und ich mir überlege, ob ich darüber schreiben soll (wenn Sie den Film sehen wollen, klicken Sie hier). Handelt auch von Pariser Vorstädten und von der Liebe. Davon handeln wahrscheinlich alle französischen Chansons. Christophe Bourdoiseau, der als Jugendlicher Chansons von Barbara, Jacques Brel und Georges Brassens (Brassens était la seule personne dans mon entourage qui me racontait des histoires vraies. Je ne comprenais rien au catéchisme, mais je comprenais ses textes) mochte, entdeckt seine Liebe zum französischen Chanson. Der Prenzlauer Berg wird seine banlieue. Was soll ich in Paris? war der Titel eines Konzerts im letzten Jahr in Berlin. In Paris wäre ich nie Sänger geworden, hat er in einem Interview gesagt.

Aber im letzten Monat ist er zum ersten Mal in Paris aufgetreten. Nicht im Olympia, wo Montand, Aznavour, Becaud und Gréco (und all die andern Größen des Chansons) aufgetreten sind, sondern im Théâtre de Ménilmontant. Das ist etwas kleiner, aber es ist ein Anfang. In Paris gibt es auch mindestens einen Laden, wo man seine CDs kaufen kann. Auf der Seite von Christophe Bourdoiseau (wo man in viele Chansons hinein hören kann) kann man lesen: Händler die die Cds im Sortiment haben: Paris Mistimusic Shop | Frankfurt am Main CDs am Goethe-Haus | München Ludwig Beck | Murnau Buchhandlung Gattner | Berlin Dussmann - Librairie Zadig - Fidelio (Schöneberg) | Dresden Sweetwater Recordstore - Opus 61 | Erlangen Musica - records & books | Kiel Ruth König Klassik | Tübingen Rimpo Tonträger | Offenburg La Musica | Königs Wusterhausen Musikladen | Geneve Plain Chant. Und dann gibt es noch die Möglichkeit, die CD bei Amazon Marketplace zu kaufen, da bekommt man sie direkt vom Künstler zugeschickt. Mit Autogramm.

Wie französisch sind sie überhaupt noch? ist er gefragt worden. Seine Antwort war: Ich habe die französische Kultur in mir. Meine Seele, meine Träume, mein Humor. Meine Musik. Schon wegen der Sprache werde ich mich in Berlin immer fremd fühlen. Um dieses Gefühl zu beschreiben, habe ich ein Lied geschrieben: „Mon beau pays“ (Mein schönes Land). Da fühlst du dich fremd im Exil aber auch in deiner eigenen Heimat. Es geht um dieses Heimweh, das nicht mehr zu überwinden ist. Nach zu vielen Jahren Exil gibt es nur noch ein schönes Land: deine Familie. In Mon beau pays singt er: Ich bin ein Fremder, hier in dem Land das mich aufnahm, ich bin ein Fremder dort, in dem Land meines Sargs. Sie sollten sich das Video zu Mon beau pays unbedingt anschauen. Und wenn Sie nach so viel deutscher Autobahn wissen wollen, wie man in acht Minuten mit dem Auto durch Paris kommt, dann müssen Sie unbedingt noch dies sehen.

Jemand, der wie ich 1962 sein ganzes Taschengeld zusammenkratzte, um ➱Juliette Gréco bei ihrem ersten Auftritt in Deutschland in Berlin zu hören, hat ein offenes Ohr für französische Chansons. Und bleibt schon mal auf der Straße stehen, um den Sirenenklängen aus einem Plattenladen zu lauschen. An einem Oktobertag vor mehr als einem halben Jahrhundert hörte ich in einem kleinen Kaff im französischen Zentralmassiv auf der Straße Françoise Hardys Tout les garçons et les filles de mon âge se promènent dans la rue deux à deux. Hatte ich noch nie gehört. Ich ging in den Laden, um die Platte zu kaufen. Drei herumlungernde Jugendliche in Lederjacken, die wie schlechte Kopien von Johnny Halliday aussahen, guckten mich mit offenem Mund an. Erst in dem Augenblick wurde mir klar, dass eine deutsche Uniform hier nicht unbedingt zum Alltag gehört. Die Platte von Françoise Hardy habe ich immer noch.

Die CD, die Herr Kay mir verkaufte, lag das ganze Wochenende im CD Player. Ich schickte einer Bekannten, die demnächst nach Paris fährt, eine Mail mit dem Namen des Sängers und einem Link zu einem YouTube Video nach Dänemark. Und bekam nach einer Viertelstunde diese Mail: Merci Jay, Ça c'est absolument superbe - en fait, je me demande pourquoi jusqu'à maintenant, je n'ai rien écouté de ce mec assez talenté... la chanson que vous m'avez envoyée, c'est aussi très charmante au style franco-russe... Et il a même mis en musique des poèmes de Baudelaire ou Rimbaud qui j'adore... Cordialement X. Die Berliner Zeitung, die geschrieben hatte Diese Stimme macht süchtig, hat recht. Diese Stimme bringt junge Frauen dazu, E-Mails auf Französisch zu schreiben.


Noch mehr Chansons hier: Élysée VertragKulturwandel, Französisch, Albert CamusParis, Sommer 1959ParisFremdenlegion, Le Tréport, Henri Langlois, Aimez-vous Brahms?, Jean-Louis Trintignant, Lastkraftwagen, Madeleine Peyroux, Fernandel, Léo Malet, Alain Resnais, Tim Fischer, Le grand blond, Geier-Wally, saudade, souvenirs at regrets

Sonntag, 25. Oktober 2015

Walter Leistikow


Wilhelm II, der mit der Kunst seiner Zeit große Probleme hatte, hat zu ➱Walter Leistikows Bildern gesagt: er hat mir den ganzen Grunewald versaut. Im Gegensatz zu ihm finde ich Leistikows Bilder aus dem Grunewald und der Mark Brandenburg sehr schön. Menschenleer, voll stiller dunkler Melancholie. Landschaften zum Träumen. Unser oberster Kunstrichter hat auch noch gesagt (das berichtet ➱Lovis Corinth in Das Leben Walter Leistikows: Ein Stück Berliner Kulturgeschichte), er kenne den Grunewald und außerdem wäre er Jäger. Dies Bild hätte nicht die geringste Naturwahrheit.

Kurz zuvor hatte ihre Majestät bei dem Museumsbesuch den Direktor der Nationalgalerie gerüffelt, weil er französische Impressionisten gekauft hatte. Und da hatte ➱Hugo von Tschudi ihn zu diesem Bild geführt, das der Bankier und Kunstmäzen Richard Israel der Nationalgalerie geschenkt hatte. Er wollte ihm etwas Deutsches zeigen. Das Bild aus dem Grunewald hängt noch immer in Berlin, der Mäzen Richard Israel ist übrigens von den Nazis im KZ Theresienstadt ermordet worden.

Leistikow, hier von Lovis Corinth gemalt, hat mit dem Bild vom Grunewald Pech. 1898 hatte die Jury der Großen Berliner Kunstausstellung es abgelehnt, das Bild zu zeigen. Woraufhin der Maler zusammen mit Max Liebermann die Gründung der Berliner Secession betrieb. Die etwas anderes wollte, als die Kgl. preußische Beamtenkunst zu produzieren. Den Liebermann mochte der Kaiser auch nicht. Aber een Anarchist ist der Kerl doch, soll er gesagt haben, nachdem er Liebermann nach langem Zögern den Roten Adlerorden verliehen hatte. Er hasst es auch, dass dieser Schmutzmaler Liebermann ihm sozusagen vis-à-vis wohnt. Pariser Platz Nummer 7, unmittelbar neben dem ➱Brandenburger Tor: Gleich links, wenn man nach Berlin 'reinkommt. Er hatte mal den Plan, das Haus zu kaufen und es abreißen zu lassen.

Liebermann sagte über seinen Kollegen Leistikow: Es ist Leistikows unvergängliches Verdienst, den Stil gefunden zu haben für die Darstellung der melancholischen Reize der Umgegend Berlins. Die Seen des Grunewalds oder an der Oberspree sehen wir mit seinen Augen; er hat uns ihre Schönheiten sehen gelehrt. Und der Kunstkritiker Oscar Bie schrieb 1904: Leistikow kehrt den Menschen den Rücken, um sie nie wieder mit seiner Kunst zu verfolgen. Denn die Landschaft wird lebendig, sie hat jenes tiefe Schweigen, das alle guten Landschaften haben und in dem der Mensch eine höchst störende Leblosigkeit bedeutete. Was der deutsche Kaiser nicht mochte, mochte allerdings das Publikum: Immer ja ist es noch so: Die Welt will Grunewald von mir, oder was sie darunter versteht. Ich wate im Geld.

Es wäre schön, wenn ich jetzt wüsste, wo das Buch Walter Leistikow (1865-1908): Maler der Berliner Landschaft von ➱Margrit Bröhan geblieben ist. Da ich das Buch auf Anhieb nicht finde, bekommt Leistikow zum 150. Geburtstag einen kurzen Post. Heute hat noch ein anderer Maler Geburtstag, nämlich der Engländer Richard Parkes Bonington. Während Leistikow bisher im Blog nur einmal in dem Post ➱Anders Zorn erwähnt wird, hat ➱Bonington hier schon einen Post. Der offensichtlich größere Beachtung gefunden hat. Im Wikipedia Artikel zu Bonington kann man unter dem Punkt Nachwirken lesen: Allerdings gibt es heute auch Stimmen, die trotz ihrer Sympathie für Bonington vor einer buchstäblich „romantischen“ Verklärung, damit auch Überschätzung warnen.[6] Wenn Sie die Fußnote sechs anklicken, werden Sie sehen, wer dieses Kunsturteil abgegeben hat.

Samstag, 24. Oktober 2015

Schuhe aus Portugal


Ich habe vor Jahren bei ➱Kelly's Christian Geffers kennengelernt. Er hat eine ➱Agentur für Modemarken. Wir redeten aber nicht über Herrenmode, sondern über Uhren. Er hatte eine schöne Zenith Rainbow am Arm, und machte leicht gehässige Bemerkungen über ➱Rolex. Das gefiel mir. Damals war in den Rolex Chronographen ja noch das berühmte Zenith El Primero Werk drin, weil Rolex kein eigenes Chronographenwerk hatte. Heute haben sie eins. Hat aber lange gedauert, bis sie das zustande bekommen haben. Ich habe Christian Geffers später noch mehrfach getroffen, da redeten wir dann auch schon mal über Mode. Und er hatte einen Geheimtip für mich: Schuhe von Mack James.

Damals vertrat er noch diese Marke, das tut er heute nicht mehr. Wahrscheinlich hat das etwas mit der ein klein wenig katastrophalen Vertriebsstruktur der Firma zu tun. Die Internetseite Parisian Gentleman lobte ➱2009 die Marke über den grünen Klee: Parisian Gentleman’s recommendations: Aubercy, Berluti, Carlos Santos [die Dachfirma von Mack James], Corthay, Gaziano & Girling, John Lobb. Da befindet man sich in der besten Gesellschaft.

Aber vor wenigen Monaten musste dieselbe ➱Quelle sagen: Being among the first to support Carlos a few years ago, we anticipated nothing short of a glorious future for his company, given the quality of his work and the notable aesthetics of his shoes. However, weak strategy and questionable marketing decisions have challenged the company’s development, leaving us to wonder if Carlos Santos will one day reach his full commercial potential. Carlos Santos’ shoes are excellent, but distribution logistics are caught up in an artistic blur that has resulted in sheer disorganization.

Als mir Christian Geffers den Namen Mack James nannte, hatte ich noch nie von dieser Firma gehört. Aber ich machte mich peu à peu schlau. Und erfuhr, dass sich hinter dem englischen Namen eine portugiesische Firma verbarg, die Carlos Santos heißt. Nun können sie in Portugal (und Spanien) ja auch Schuhe machen, und Portugal hatte immer gute Verbindungen nach England. Auf jeden Fall, seit Wellington das Land vor Napoleon bewahrt hat. Weshalb man ihn dort auch zum Duke of VitóriaMarquis of Torres Vedras und Count of Vimeiro gemacht hat.

Und da ich gerade bei Portugal und Wellington bin: kaufen Sie sich nie die DVD von Lines of Wellington (Sturm über Portugal) mit John Malkovich als etwas bescheuertem Wellington. Raúl Ruiz hatte diesen Film geplant, hat ihn aber nicht gedreht, weil er vorher starb. Der Regisseur, der eine der besten Proust Verfilmungen (lesen Sie ➱hier mehr) gedreht hat, kann dieses Machwerk nicht gemeint haben. Wenn Sie Wellington noch komischer haben wollen als bei Malkovich, müssen Sie mal eben ➱Prince Blackadder anklicken (dies ist eine Folge von Blackadder, in der ➱Blackadder und der Prince of Wales die Rollen getauscht haben).

Der Herzog von Wellington hat in Portugal keine portugiesischen Schuhe getragen, er vertraute auf das, was ihm sein Schuster ➱George Hoby aus London lieferte. Aber die neue Form der Stiefel (die eines Tages seinen Namen tragen), die hat sich Wellington in Portugal ausgedacht. Beinahe wäre er gar nicht bis Portugal gekommen, sein Schiff Surveillante droht zu sinken. Sein aide-de-camp Colin Campbell kommt zu ihm in die Kabine und sagt ihm, Kapitän  Collier bäte ihn, er möge seine Stiefel anziehen und an Deck kommen. Wellington lässt dem Kapitän ausrichten, er dächte gar nicht daran. Wenn das Schiff unterginge, sei er ohne Stiefel besser dran. Und schläft weiter. Die Surveillante ging nicht unter.

Die Verbindungen zwischen Portugal und England sind natürlich älter als der napoleonische Krieg. In den Portugal hineingezogen wurde, weil man die Kontinentalsperre verweigerte. Da musste Napoleon schon seinen Truppen sagen: Soldiers, I need you. The presence of the hideous leopard contaminates the country of Spain and Portugal. The leopard will flee in terror at your approach. Der Leopard Wellington (hier seine Büste in Porto), der auf einem französischen Schiff kam, das die Royal Navy erobert hatte, flieht nicht. Er befreit Portugal.

Seit Portugal und England 1386 im Schloss Windsor den Vertrag von Windsor schlossen, gibt es eine Allianz (Aliança Luso-Britânica) zwischen den Ländern. Es ist die älteste politische Allianz der Welt, eine Allianz, die nie gebrochen wurde. Und auf diese Allianz konnte sich Portugal (das auch mal eine Engländerin als Königin hatte, hier neben ihrem Gatten João I) verlassen, als Napoleon vor der Tür stand und das Königshaus nach Brasilien floh. Und im ➱Falkland Krieg hat Portugal natürlich die Azoren als Basis zur Verfügung gestellt, damit die Limeys ihre Flugzeuge auftanken konnten.

Wirtschaftliche Beziehungen gibt es (außer den Touristen) heute immer noch, England zählt für die Portugiesen zu den wichtigsten Exportländern. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Portugal und England begannen im großen Stil, als John Methuen im Jahre 1703 einen Vertrag aushandelte, der den Namen Methuen Treaty hat. Oder etwas salopper Port Wine Treaty, denn seit dieser Zeit gehört der süße Wein aus dem Douro Tal zu den Lieblingsgetränken der Engländer. Schöne Schuhe konnten die Portugiesen auch damals schon machen, diese Schuhe vom Ende des 18. Jahrhunderts kann man heute Museu Nacional do Traje in Lissabon bewundern.

Heute boomt die portugiesische Schuhindustrie. Es sind hauptsächlich Damen- und Freizeitschuhe, die aus Portugal kommen. Im Bereich der klassischen Herrenschuhe hat man den Spaniern, die eine Marke wie Carmina haben, nicht so viel entgegenzusetzen. Aber man bemüht sich. Innovative Firmen werden jährlich mit dem portugiesischen Innovations Award ausgezeichnet, und man achtet auf ökologisch nachhaltige Herstellung. Viele Unternehmen tragen das Biocalce Label, das vom Portugiesischen Technologischen Zentrum für Schuhe vergeben wird.

Die Schuhindustrie in Portugal hat sich gewandelt, diese beiden Bilder stammen aus einer Kampagne, die es seit 2009 gibt. Und da kann man lesen Portuguese Shoes Designed for the Future oder The sexiest industry in Europe. Früher waren, so sagt man, die Schuhe meist Auftragsarbeiten internationaler Schuhhersteller. Die portugiesische Schuhindustrie war von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt. Das hat sich inzwischen geändert, portugiesische Schuhmarken haben sich am internationalen Markt etabliert. Das kann man auf einer Internetseite lesen.

Die Sache mit den Auftragsarbeiten ist wahrscheinlich wahr, selbst berühmte englische Firmen sollen schon Lohnarbeiten nach Portugal vergeben haben. Ist sicher besser, als die Schuhe in Indien fertigen zu lassen, was ➱Grenson zum Teil tut. Man will in Portugal aber heute weg von dem Billiglohnland und dem Billigheimer Image: In the ‘90s, Portugal was the ‘China of Europe, with very low prices, lower quality and mass production, mainly targeting European markets, sagt José Neves, der aus der Schuhbranche kommt und einen Online Handel namens Farfetch betreibt.

Und er sieht gute Chancen für die portugiesische Industrie (die gerade mit 160 Millionen Euro für die Verbesserung der Strukturen aufrüstet, wenn die EU mitspielt): Portugal is an excellent source, especially for footwear, for three reasons. One, it has very similar craftsmanship to Italy and France with significantly lower labour costs. Two, the industry is composed of small-scale factories with very low minimums, which attract higher-end designers and top-tier ranges. And three, it is easy, cheap, super-quick, normally three days for the import of raw materials such as hides, heels, outsoles, trims, metal components, etcetera from Italy, France and the UK, as well as decent local component supply.

Die seit 1942 bestehende Fabrik von Carlos Santos ist in São João da Madeira zu Hause, einem kleinen Ort im Norden des Landes. Der Ort mit seinen 22.000 Einwohnern besitzt zahlreiche Industriedenkmäler wie die denkmalgeschützte ehemalige Nähmaschinenfabrik Fábrica Oliva (die heute ein Kunstzentrum ist) und die ehemalige Hutfabrik Empresa Industrial de Chapelaria (heute ein Hutmuseum). Ich erwähne die Hutindustrie, weil der Vater von Carlos Santos als Hutmacher begonnen hat, bevor er zur Schuhmacherei wechselte.

Aber es gibt nicht nur leerstehende Fabriken in São João da Madeira, die Stadt ist auch das Zentrum der Schuhindustrie (hier ein Blick in die Fabrik von Carlos Santos), sozusagen das Northampton von Portugal. Hier lässt sich selbst ein australischer Händler wie Saba seine Qualitätsschuhe fertigen. Die Fabriken von portugiesischen Firmen wie Profession Bottier und De Gier sind allerdings nicht unter den sieben Schuhherstellern von São João da Madeira.

Ich weiß nicht, wo in Portugal die englische Firma Loake (oder der Händler Herring Shoes) einen Teil ihrer Schuhe fertigen lassen, aber ihre preisgünstigeren Schuhe kommen wohl aus Portugal. Und da ich die Firma Loake schon erwähnt habe, sollte ich auch sagen, dass sie nicht die Schuhe für Charles Tyrwhitt machen, wie hundertfach im Netz zu lesen ist. Sie liefern Tyrwhitt nur ganz wenige Modelle (haben sie in diesem Jahr öffentlich erklärt). Und auf keinen Fall die teuren Modelle, die einen McAfee Absatz haben.

Wie zum Beispiel das Wholecut Modell Arthur, den stellt wahrscheinlich die Firma Barker her. So elegant wie dieser Wholecut ist der allerdings nicht, das hier ist ein portugiesischer De Gier Schuh. Carlos Santos hat inzwischen seine Linie Mack James aufgegeben, jetzt gibt es nur noch Santos und Carlos Santos. Und dann sind da noch Schuhe für andere Firmen, wie zum Beispiel Marc Guyot in Frankreich (vielleicht produzieren sie in São João da Madeira auch die Schuhe für die französischen Marken LodingEmling und Bowen).

Ich habe mir über die Jahre drei Paar Mack James Schuhe gekauft. Bei dem bekannten Schuhhaus ebay, alle nagelneu. Haben zusammen knapp dreihundert Euro gekostet. Zwei sind hervorragend, der dritte (vom sogenannten Green Label) ist solala. Aber vielleicht wird noch was draus, man muss einem Schuh auch Zeit geben. In einem Schuhgeschäft in Deutschland habe ich die alle noch nie gesehen. In den letzten Jahren sind Carlos Santos Schuhe mal bei Manufactum und Pro Idee aufgetaucht, auch auf den Seiten von amazon.com waren sie zu sehen. Die Firma ist natürlich von ➱Urban Buchmann bemerkt und vorgestellt worden (der Artikel enthält auch einen interessanten ➱Link), und Urban Buchmann führt sie auf auf seiner ➱Liste der besten RTW Schuhe.

Qualitativ kommen sie vielleicht nicht an die spanischen Luxusmarken Carmina und Loewe heran, wobei wir die letztere gleich wieder streichen können, Loewe Schuhe werden von Stefanobi gemacht (die auch die Schuhe für ➱Berluti herstellen). Aber die Qualität von Carlos Santos/Mack James ist für den Preis schon erstaunlich. Das einzige Problem ist nur: wo kriegt man sie? Und zu welchem Preis? Hier muss der Satz vom Parisian Gentleman noch einmal wiederholt werden: distribution logistics are caught up in an artistic blur that has resulted in sheer disorganization.

Die schönen Worte Since that time their beautiful men's footwear, which features Goodyear welt construction, has taken the brand worldwide and is a growing presence in the high end men's luxury shoe market sind auch nur Marketinggeschwätz. Da gilt eher das Urteil: Incoherent strategy (if any), obscure distribution pattern, esoteric pricing. Oder His ever-changing lines and collections make little sense; what happened to the superb “Handcrafted” range, that has suddenly disappeared from the brand’s website? And what about the prices, that shuffle around, depending on which website you’re on? Sie machen schon gute Schuhe, aber was hilft es, wenn es mit dem Vertrieb nicht klappt? Hier auf dem Bild hat Carlos Santos den portugiesischen ➱Präsidenten zu Gast. Ich glaube, er verspricht ihm gerade hoch und heilig, dass das mit dem Vertrieb besser werden soll.