Mittwoch, 16. März 2016

Klopstock


In Goethes Werther findet sich eine Stelle, die wir heute wohl nicht mehr mit der ➱Empfindsamkeit lesen können, die den damaligen Lesern vielleicht eigen war: Wir traten ans Fenster. Es donnerte abseitwärts, und der herrliche Regen säuselte auf das Land, und der erquickendste Wohlgeruch stieg in aller Fülle einer warmen Luft zu uns auf. Sie stand auf ihren Ellenbogen gestützt, ihr Blick durchdrang die Gegend; sie sah gen Himmel und auf mich, ich sah ihr Auge tränenvoll, sie legte ihre Hand auf die meinige und sagte: »Klopstock!« – Ich erinnerte mich sogleich der herrlichen Ode, die ihr in Gedanken lag, und versank in dem Strome von Empfindungen, den sie in dieser Losung über mich ausgoß. Ich ertrug's nicht, neigte mich auf ihre Hand und küßte sie unter den wonnevollsten Tränen. Und sah nach ihrem Auge wieder – Edler! Hättest du deine Vergötterung in diesem Blicke gesehen, und möcht' ich nun deinen so oft entweihten Namen nie wieder nennen hören!

Klopstock war einmal ein großer Name der deutschen Literatur, er ist heute so gut wie vergessen. Vielleicht ist es an der Zeit, ein wenig zu seiner Wiederbelebung beizutragen, auch wenn er mit seinem Pathos schon seinen Zeitgenossen ein wenig auf die Nerven ging. So dichtete der junge Lessing: Wer wird nicht einen Klopstock loben? Doch wird ihn jeder lesen? – Nein! Wir wollen weniger erhoben und fleißiger gelesen sein. Noch unfreundlicher ist Christian Dietrich Grabbe, wenn er in ➱Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung den Teufel sagen lässt: Es ist doch gut, daß ich mein altes, unfehlbares Schlafmittelchen, Klopstocks 'Messias', mitgebracht habe! Ich brauche nur drei Verse darin zu lesen, dann bin ich so müde wie der Daus! Ich hätte diesen Post vorgestern einstellen können, da war Klopstocks Todestag. Aber ich habe natürlich einen Grund, dies heute zu veröffentlichen, das werden Sie gleich sehen.

Der deutsche Dichter Dirk von Petersdorff wird heute fünfzig, er hatte hier im letzten Jahr im Poetry Month April einen Post, der ➱Nachbarn hieß. Der wird ihm nicht gefallen haben, aber da kann ich nichts machen. Man kann Petersdorff leichter lesen als Klopstock. Er ist ja manchmal auch witzig, aber niemals so witzig wie ➱Uli Becker. Er schreibt über das Alltägliche, aber das hat ➱Rolf Dieter Brinkmann besser gemacht. Peter Rühmkorf lasse ich mal ganz unerwähnt. Petersdorff kann nette Gedichte schreiben, auch nette Liebesgedichte, so etwas, was das Feuilleton von Welt und Kieler Nachrichten gerne haben. Ich zitiere mal sein Gedicht Alter Freund, alte Freundin:

Das Leben ging so leicht wie Rennradfahren 
im weißen Flatterhemd zum Ostseestrand, 
als wir noch straff und voller Zukunft waren, 
rieb ich auf deinen Rücken Creme und Sand. 
Der Salzgeruch vom Meer, das war die Frühe, 
man tat so viele Dinge ohne Grund –
jetzt ist in deinem Lächeln manchmal Mühe, 
und bitte kauf dir keinen Schäferhund. 
Die vollen Lippen waren nur geliehen, 
es geht nicht darum, Süße, sich zu halten,
in Jahren, die wie Ostseewolken ziehen, 
sind wir Modelle, die nun sanft veralten:
Ich seufze plötzlich auf im Sommerwind,
und du brauchst einen Mann, du willst ein Kind.


Klingt ein wenig nach ➱Weichbergers Gedicht über Klavier und Gummischuhe, aber wir lassen mal die Kritik beiseite, es gibt hier heute Glückwünsche. Und noch ein Gedicht von dem Geburtstagskind, das Raucherecke heißt. Zu dem Helmut Krausser sagte: Nehmen wir ein Gedicht von Dirk von Petersdorff, das eine, um das ich ihn beneide. Ach, Dichter untereinander können ja so gemein sein: das eine, um das ich ihn beneide...

Ihr Langen, wo seid ihr? Ich hab
nicht mal mehr eure Nummern.
Gibt es denn Besseres als am Morgen
eine Schar,
eng zusammen,
frierend;
ich glaube, wir froren fast immer.
Damals sprach keiner zu viel,
sondern stand, den Rücken zur Welt,
in Mänteln aus Stoff,
ihr Dünnen.

Nur der verhangene Blick
sieht tief, kennt sein Schicksal,
das traurige Pochen
ferner Hügel,
sieht freudig erschreckt
sich am seligen Busen erwachen.
Wie ihr den Rauch
ausstoßen konntet,
ihr Edlen, ach,
alles war gut, als ich mit euch
sah sich röten den Tag, viertel vor acht.

Helmut Krausser hat zu dem Gedicht auch noch gesagt: Ist das Pathos oder nur hoher Ton? Es ist ironisch gebrauchtes Pathos mit komischer Wirkung, das scheint erst mal klar, aber wie stellt sich das zweifelsfrei fest, wenn es doch offensichtlich im besten pathetischen Sinne darum geht,  etwas tatsächlich hervorzuheben und zu verklären.

Es ist ein viel zitiertes Gedicht. Die meisten Rezensenten haben darauf hingewiesen, dass der Schluss bei Klopstock geklaut ist. Bei dem es in Die frühen Gräber in der dritten Strophe heißt:

Ihr Edleren, ach es bewächst
Eure Male schon ernstes Moos!
O wie war glücklich ich, als ich noch mit euch
Sähe sich röten den Tag, schimmern die Nacht.

Der Schriftsteller Michael Buselmeier kommentierte das mit: Die freche Schlusspointe („viertel vor acht“ statt „schimmern die Nacht“) wirkt etwas platt. Doch Petersdorff, der sich auch in Essays gern als Ironiker vorstellt, ist eher ein sentimentaler Hund, ein Melancholiker, der sich an Ernie & Bert und seine alte Lederjacke erinnert, sich schon mit vierzig altern sieht und sein privilegiertes Los bedauert. Vielleicht hat ihn ja die Universitätskarriere so angekränkelt. Wenn Buselmeier Die freche Schlusspointe ... wirkt etwas platt sagt, dann ist er noch zurückhaltend. Platt bleibt platt, für Petersdorff gilt Eliots mature poets steal nicht, da gilt Eliots: bad poets deface what they take. Wir lassen uns unseren Klopstock nicht verhunzen, der hier mal eben im Original (das von Gluck und ➱Schubert vertont wurde) zitiert werden soll:

Die frühen Gräber

Willkommen, o silberner Mond,
Schöner, stiller Gefährt der Nacht!
Du entfliehst? Eile nicht, bleib, Gedankenfreund!
Sehet, er bleibt, das Gewölk wallte nur hin.

Des Maies Erwachen ist nur
Schöner noch wie die Sommernacht,
Wenn ihm Tau, hell wie Licht, aus der Locke träuft,
Und zu dem Hügel herauf rötlich er kömmt.

Ihr Edleren, ach es bewächst
Eure Male schon ernstes Moos!
O wie war glücklich ich, als ich noch mit euch
Sähe sich röten den Tag, schimmern die Nacht.

Das Gedicht Raucherecke (➱hier auf der interessanten Frankfurter Anthologie Seite) ist etwas für die Generation Golf, Klopstocks Ode Die frühen Gräber ist Lyrik, die ein klein wenig länger hält.

Dirk von Petersdorff (Bild) wird Klopstocks Gedicht aus den Lehrveranstaltungen seines Lehrers Heinrich Detering kennen. Der mag das Klopstock Gedicht, das ein wenig von der englischen ➱graveyard poetry angehaucht ist. Detering hat es sogar einmal in den Kieler Nachrichten interpretiert. Also damals, als die noch einen ➱Kulturteil hatten. Es kommt auch in seiner Vorlesung über das 18. Jahrhundert vor. Sie können ➱hier einen Blick auf Deterings Seite werfen. Schlagworte in Häppchenform, alles schön bunt garniert. Wahrscheinlich geht das für die armen Bachelor Schweine heute gar nicht mehr anders.

Bei ➱Erich Trunz gab es vor fünfzig Jahren zur Vorlesung ein kleines gedrucktes Heft, in dem alle Texte standen, die er in der Vorlesung behandeln wollte. Andere Professoren hatten keine gedruckten Texte, da gab es nur von den Hilfskräften auf Wachsmatrizen getippte hektographierte Seiten. Ein Vervielfältigungsverfahren, das mir gut bekannt ist, weil ich als Hilfskraft jahrelang Matrizen betippt und hinterher mit der Nüdelmaschine (was wäre die 68er Revolution ohne den Umdrucker gewesen?) abgezogen habe. Dass ein Professor hinter einem Pult steht und alle ihm zuhören, ist Vergangenheit. Ein Gestus, wie der hier von ➱Roland Barthes, ist obsolet geworden.

Heute hört niemand mehr einem Vortrag zu. Heute muss das ein Power Point Vortrag sein, möglichst mit allem, was die audiovisuellen Medien E-learningmäßig hergeben. Es wäre schön, wenn wir wieder zu dem gesprochenen Wort und dem geschriebenen Text zurückkehren könnten. Und es wäre auch schön, wenn Studenten ein Standardwerk wie das von Jørgensen, Bohnen und Øhrgaard (das kommt schon in dem Post ➱die Gottschedin vor) lesen würden. Das kriegen sie wahrscheinlich nicht hin, die wären schon stolz, wenn sie ➱so etwas produzieren würden.

Und um ein klein wenig historisch zu denken: als Klopstock - der Dichter der Subjektivität und der Empfindsamkeit - mit seiner herzrührenden Schreibart Die frühen Gräber schreibt, hat er gerade seine Gemahlin verloren. Das ist etwas anderes, als wenn jemand über seine Kumpels schreibt, die sich mit ihren Fluppen cool in der Raucherecke rumlümmeln. Und vom ➱Marlboro Man träumen, selbst wenn sie nur wie Lucky Luke aussehen. Also Lucky Luke, bevor die Kippe auf der Lippe der Zensur zum Opfer fiel.

Klopstock hat das Gedicht Die frühen Gräber praktisch zweimal geschrieben, denn es gibt da noch das Gedicht Sommernacht, das alle Ingredienzien von Die frühen Gräber besitzt.

Wenn der Schimmer von dem Monde nun herab
In die Wälder sich ergießt, und Gerüche
Mit den Düften von der Linde
In den Kühlungen wehn;

So umschatten mich Gedanken an das Grab
Der Geliebten, und ich seh in dem Walde
Nur es dämmern, und es weht mir
Von der Blüthe nicht her.

Ich genoß einst, o ihr Todten, es mit euch!
Wie umwehten uns der Duft und die Kühlung,
Wie verschönt warst von dem Monde,
Du o schöne Natur!

Zu dem Gedicht findet sich aber glücklicherweise kein Pendant bei Petersdorff.

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