Dienstag, 14. Juli 2020

La douce France


Dass ich schon einmal an einem 14. Juli in Paris gewesen bin, habe ich letztens in dem Post Straßenphotographie geschrieben. Der französische Nationalfeiertag ist schon häufig in meinem Blog erwähnt worden. Alles andere Französische auch, der Post Abendlied war lange ein Bestseller, und auch der Post über den französischen Existentialismus schlug sich zahlenmäßig nicht schlecht. Der Post über Alain Robbe-Grillet ist vor Jahren auf eine französische Kulturseite gewandert. Ich habe sehr viele Leser in Frankreich, in der Leserstatistik der letzten zehn Jahre sind die Franzosen nach Deutschland und den USA auf Platz drei. Es gibt ja auch viel von la douce France in diesem Blog, nicht nur die vielen Posts über französische Filme.

La douce France ist der Titel eines Chansons von Charles Trenet (den kennen Sie schon aus dem Post Que reste-t-il de nos amours) aus dem Jahre 1941, in dem der Sänger den Franzosen etwas wiedergibt, was sie unter der deutschen Besatzung zu verlieren glaubten: ihre nationale Identität. Die Identität eines ländlichen Frankreichs der Vergangenheit (cher pays de mon enfance), wo das Leben noch schön ist:

Douce France
Cher pays de mon enfance
Bercée de tendre insouciance
Je t'ai gardée dans mon cœur
Oui je t'aime
Et je te donne ce poème
Oui je t'aime
Dans la joie ou la douleur


Aber dieses la douce France ist älter, viel älter. Es taucht zuerst im Jahre 1080 im Chanson de Roland, dem Rolandslied, auf. Wenn Roland im Sterben liegt, blickt er auf Spanien und auf seine Eroberungen zurück:

Le comte Roland s'étendit dessous un pin.
Vers l'Espagne, il a tourné son visage.
Bien des choses lui reviennent en mémoire,
Tant de terres que le baron conquit,
La douce France, les hommes de son lignage,
Charlemagne, son seigneur qui l'éleva.
Il ne peut s'empêcher de pleurer et de soupirer
.

Charles Trenet nimmt dieses Erinnern (Bien des choses lui reviennent en mémoire) beinahe wörtlich wieder auf, wenn er singt Il revient à ma mémoire des souvenirs familiers. Erinnerung an la douce France bei Roland, dem Paladin von Karl dem Großen, Erinnerung an ein douce France vor der deutschen Besatzung bei Charles Trenet. Das mit dem douce France im Rolandslied weiß ich schon lange, nicht weil ich aus Bremen komme und die Stadt einen Roland hat. Sondern weil ich mich einmal zusammen mit meinem Freund Peter in den Semesterferien durch das altfranzösische Rolandslied gequält habe. Das habe ich schon in dem Post Charlemagne gesagt, wenn Sie beinahe alles über Roland und Karl den Großen wissen wollen, dann lesen Sie diesen Post.

Die Marseillaise wird am heutigen Tag sicher überall in Frankreich gesungen, aber es ist nichts von la douce France darin. Es ist ein Kriegslied, dem Claude Joseph Rouget de Lisle den Titel Chant de guerre pour l’armée du Rhin gegeben hatte. Es war dem Marschall Nikolaus von Luckner gewidmet, dem Oberbefehlshaber der Rheinarmee (unser Seeteufel Graf Luckner, der Telephonbücher zerreissen konnte, ist sein Urenkel gewesen). Es ist ein blutrünstiger Text, der eigentlich nicht mehr in unsere Zeit passt.

Als Nicolas Sarkozy (dessen Frau Carla Bruni Trenets La douce France auf italienisch gesungen hat) im Jahre 2005 anordnen wollte, dass jedes Schulkind in Frankreich die Nationalhymne auswendig lernen sollte, fragte sich der Sänger Graeme Allwright, ob kleine Kinder in der Schule wirklich diesen Text lernen sollten: Je me suis toujours demandé comment les Français peuvent continuer à chanter, comme chant national, un chant de guerre avec des paroles belliqueuses, sanguinaires et racistes. Und er fügte hinzu: Le jour où les politiques décideront de changer les paroles de La Marseillaise, ce sera un grand jour pour la France. Aber dieser jour de gloire ist nicht gekommen, Sarkozy interessierte das alles nicht. Und so schrieb Allwright eine neue, pazifistische Marseillaise:

Pour tous les enfants de la terre
Chantons amour et liberté.
Contre toutes les haines et les guerres
L’étendard d’espoir est levé
L’étendard de justice et de paix.
Rassemblons nos forces, notre courage

Pour vaincre la misère et la peur
Que règnent au fond de nos cœurs
L’amitié la joie et le partage.
La flamme qui nous éclaire,
Traverse les frontières
Partons, partons, amis, solidaires
Marchons vers la lumière.


Es wäre schön, wenn sich dieser Text einmal durchsetzen würde. Eine alternative Marseillaise hat sich ein französischer Präsident allerdings schon einmal anhören müssen. Nicht am 14. Juli, sondern am 10. Mai 2019 im Jardin du Luxembourg bei einer Feierstunde zur Abschaffung der Sklaverei in Frankreich. Da sang die in Nigeria geborene Omo Bello die 1867 von Camille Naudin in New Orleans geschriebene Marseillaise Noire vor Präsident Macron.

Bei YouTube finden sich hunderte von Aufnahmen der Nationalhymne. Mireille Mathieu ist dabei, aber auch Charles De Gaulle, der die Hymne 1945 bei seiner Heimkehr nach Frankreich eigentlich sehr gut singt. Wir haben Aufnahmen von Opernsängern, Kindern, Militärkapellen (auch dem Chor der Roten Armee) und Nationalmannschaften. Die Beatles tauchen mit All you nee is love auch manchmal auf. Und immer wieder dazwischen der Filmausschnitt aus Casablanca. Ich habe mich durch ein halbes Hundert von Aufnahmen durchgearbeitet, auf der Suche nach der Antwort auf die Frage: Wie soll die Marseillaise gesungen werden? Opernsänger und Opernsängerinnen fallen aus, zuviel Theatralik, zuviel Pathos. Obgleich man Fjodor Schaljapin, der lange in Frankreich lebte, immer anhören kann. Marthe Chenals erstaunliche Aufnahme aus dem Jahre 1915 auch. Serge Gainsbourg mit seiner als skandalös empfundenen Reggae Version und sein Auftritt in Straßbourg sollten auch erwähnt werden.

Ich habe nach langem Suchen eine Version gefunden, die ich sehr schön finde. Ich weiß nicht, wer da die Hymne singt, aber so sollte das Lied gesungen werden, einfach und schlicht und ohne Pathos. Diese Nationalhymne findet sich bei YouTube in einem kleinen, sehr ironischenVideo, das Le jour de gloire est arrivé! heißt. Wir sehen Szenen aus einem alten Spielfilm, wo eine vornehme Dame mit einer Louis Vuitton Tasche mit unsicherem Schritt ein schloßartiges Haus verlässt. Sie beachtet die im Hof liegenden Toten nicht; als sie in der Einfahrt des Hofes stehenbleibt, ihren Mantel lüftet und zu einer Art Striptease ansetzt, erklingt die Nationalhymne. A cappella, nicht strahlend von einem Heldentenor gesungen, sondern eher von einem Chansonnier mit Trauer in der Stimme. Und dazwischen immer wieder Szenen von Straßenkämpfen und Polizeigewalt, die uns beweisen, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf ist. Und dass offenbar manche das Aux armes, citoyens falsch verstanden haben. Diese Szenen sind zeitlos, Straßenkämpfe und Polizeigewalt gibt es in Frankreich immer wieder. Das hört nie auf. Außer bei Corona, da ist Ruhe.


Lesen Sie auch: Le jour de gloire est arrivé, 14. Juli, Aufstand, sansculotte, 14. Juli, Gesten, Piloten

Samstag, 11. Juli 2020

Flensburg


Das Bild ist hier nur als Amuse Gueule gedacht, Sie wissen, ich liebe so einen kleinen fetzigen Aufmacher am Anfang. Wir werden aber im Laufe des Posts noch seriös. Diese junge Dame hat etwas mit Flensburg zu tun, sie ist da geboren worden. Ist mit ihre Eltern als Kind nach Amerika ausgewandert und ist bei dem Pionier das Pornofilms Lasse Braun ein Pornostar geworden. Ist aber schon lange aus dem Geschäft raus. Wir bleiben noch mal eben bei dem Thema, denn Flensburg war lange Zeit dank Beate Uhse die Hochburg des deutschen Erotikversandhandels. Der Firma geht es heute nicht mehr so gut, die Pornographie hat sich ins Internet verlagert.

Im Wikipedia Artikel zu Flensburg wird Brigitte Maier nicht erwähnt, da heißt es über die Stadt im Norden: Bundesweite Bekanntheit erlangte die Hafenstadt durch die vom Kraftfahrt Bundesamt gespeicherten 'Punkte in Flensburg', den Erotikversandhandel von Beate Uhse, das Flensburger Bier und den Handballverein SG Flensburg-Handewitt, international durch den Sitz der letzten Reichsregierung 1945 unter der Leitung von Karl Dönitz im Stadtteil Mürwik. Faktoren wie der Rumhandel und militärische Einrichtungen, etwa der Marinestützpunkt Flensburg-Mürwik, die das Wachstum der Stadt im 19. und 20. Jahrhundert prägten, spielen heute nur noch eine unwesentliche Rolle.

Auch wenn der Rumhandel, wie es hier heißt, heute nur noch eine unwesentliche Rolle spielt, gibt es ihn immer noch. Er ist seit dem 18. Jahrhundert eine Konstante, die Flensburg groß gemacht hat. Und das hat etwas damit zu tun, dass Flensborg eine dänische Stadt ist (und erst durch die Volksabstimmung von 1920 endgültig zu Deutschland kommt), und weil Dänemark in der Karibik Kolonien hatte. Vor einigen Jahren hat man in Flensburg mit der Ausstellung Rum, Schweiß und Tränen im Flensburger Schiffahrtsmuseum auf diesen Aspekt des dänischen kolonialen Erbes hingewiesen.

Es war nicht die erste Ausstellung zu dem Thema. Zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung des Buches des Kieler Professors Christian Degn Die Schimmelmanns im atlantischen Dreieckshandel: Gewinn und Gewissen (1974), hatte Dieter Lohmeier, der Leiter der Schleswig Holsteinischen Landesbibliothek, eine große Ausstellung im Kieler Schloss organisiert: Sklaven-Zucker-Rum: Dänemark und Schleswig-Holstein im Atlantischen Dreieckshandel.

Der Rum und Flensburg sind in diesem Blog schon mehrfach erwähnt worden, es gibt schon einen Post, der Rum heißt. Und einen anderen, der Smit heißt, weil der Däne Erik Niels Smit im Jahre 1666 die erste dänische Flagge auf der Karibikinsel St Thomas gehisst hat. Und in dem Post über Gottfried Benns Bremer Brieffreund Oelze ist auch die Rede von Rum. Denn Oelzes Mutter wurde in Kingston geboren, der Stadt, die Harry Belafonte mit Jamaica Farewell in unsere Köpfe gebracht hat. Oelzes Großvater F. A. Ebbeke hatte da 1865 Zuckerrohrplantagen erworben und eine Rumfirma aufgemacht. In dem Post Benn & Oelze habe ich geschrieben: Ist die Kulturgeschichte des Rums wirklich schon geschrieben? Die mit yo-ho-ho, and a bottle of rum!, Admiral Vernon und Lord Nelson im Rumfass? Und diesem sauteuren Rum, den mir Volker von einem Segeltörn aus der Karibik mitgebracht hat?

Eine kleine, immens lesbare, Kulturgeschichte des Rums ist gerade geschrieben worden ist. Das Buch heißt Rund um Rum, der Verfasser ist Hannes Hansen. Der Kieler Schriftsteller wurde in diesem Blog zuerst in dem Post Schwarzenbek erwähnt, da findet sich auch die Geschichte mit Louis Armstrong, der in Schwarzenbek die leckeren Bratkartoffeln aß. Ich habe Hannes Hansen auch in dem Post sattes Gelb vorgestellt, weil sein Roman über seine Heimatstadt Potsdam damals gerade erschienen war. Obgleich ich Hannes eher mit Rotwein und schottischem Whisky in Verbindung bringe, versteht er doch auch viel von Rum.

Susanne Grigull vom Flensburger Schiffahrtsmuseum schreibt in ihrem Vorwort: Der Autor dieses Buches, Hannes Hansen, bettet die Geschichte dieser Spirituose kurzweilig in ihrem historischen Kontext ein und leistet so einen wichtigen Beitrag. Nicht nur der Rum - auch Lektüre kann ein Genuss sein. Und historisch läßt der Autor nichts aus, auch nicht den Black Tot Day im Jahre 1970, an dem zum letzten Mal auf den Schiffen der Royal Navy Rum ausgeschenkt wurde. Dem war im Parlament die hitzige Great Rum Debate vorangegangen, aber man wollte das, was der Admiral Edward Vernon, den man auch Old Grog nannte, im 18. Jahrhundert eingeführt hatte, nicht länger beibehalten. Spuren von Admiral Vernon gibt es außer beim Grog heute immer noch. Die Londoner Portobello Road hat ihren Namen nach einer Seeschlacht, die Vernon gewann, und Washingtons Landsitz heißt immer noch Mount Vernon. Weil sein Bruder Lawrence, der unter dem Admiral Vernon gedient hatte, seinen Vorgesetzen so ehren wollte. Das wollte George Washington nicht ändern, als er den Landsitz erbte, er war ja noch Engländer, die halten es mit der Tradition.

Die Firma Johannsen Rum, die 1878 gegründet wurde, ist heute das älteste unabhängige Rumhaus in der Rumstadt Flensburg. Und sie ist auch eine der letzten Firmen, die noch in der Grenzstadt ansässig sind. Auf dem Höhepunkt des Westindienandels, als Flensburg auch eine Tabakstadt war (lesen Sie mehr in dem Post danske piber) waren es einmal 200 Rumhäuser, damals lief zehn Prozent des dänischen Westindienhandels über Flensburg. Davon ist wenig geblieben. Die 1738 gegründete Firma Herm. G. Dethleffsen (mit den Marken Asmussen, Balle, Hansen, Schmidt, Andresen und Sonnberg) wurde 1999 von der Firma Berentzen in Haselünne gekauft. Die Rum Marken Asmussen, Balle und Boddel sind 2015 von der Firma Nordbrand übernommen worden, die eine Tochter des Rotkäppchen Sektkonzerns ist. Die hatten auch schon die traditionsreiche Firma Eggers & Franke in Bremen geschluckt. Es ist viel Bewegung auf dem Spirituosenmarkt.

Man kann immer noch Geschäfte mit dem Rum machen. Im 18. Jahrhundert war es für manche noch leichter, mit Sklavenhandel und Ruminport sehr reich zu werden. Dieses Bild zeigt den jungen Grafen von Baudissin mit seinen Hunden und im Hintergrund einen schwarzen Lakaien, das Bild hängt heute im Landesmuseum Schleswig. Im Text dazu heißt es bei der Datenbank der schleswig-holsteinischen Museen: In der halbgeöffneten Tür im Hintergrund erscheint ein Schwarzer im Livree. Es ist der Kammermohr Christoph Tafeldecker, ein Geschenk des dänischen Schatzmeisters Heinrich Carl Schimmelman an seine Tochter Caroline Baudissin, ein von den Plantagen in der Karibik in den Norden verpflanzter Sklave. Er macht das scheinbar harmlose Idyll zu einem einzigartigen Dokument, denn nun verweist das Bild so sinnfällig wie kein anderes Gemälde auf die Tatsache, daß gerade die besonders reich ausgestatteten und stilvollen schleswig-holsteinischen Herrenhäuser Ahrensburg, Emkendorf und Knoop einen dunklen Hintergrund hatten: den Wohlstand, der auf den Schimmelmannschen Zuckerrohrplantagen in der Karibik mit Sklavenarbeit erwirtschaftet wurde.

Graf Heinrich Karl von Schimmelmann ist mit dem Sklavenhandel einer der reichsten Männer Europas geworden. Es ist ein klein wenig blöd gewesen, ihm 2006 in Hamburg-Wandsbek ein Denkmal hinzustellen. Wurde gleich mit roter Lackfarbe übergossen. Rot wie Blut. Das Denkmal ist inzwischen abgebaut worden. Denk mal! Sklaverei und Blut sind die dunkle Seite des Rums, Hannes Hansen lässt das alles nicht aus, während die meisten Bücher über den Rum die historische Dimension ausblenden. Man sollte dazu aber auch noch sagen, dass die Dänen die ersten sind, die Sklaverei und Sklavenhandel wieder abschaffen werden.

Hannes Hansen gelingt es mit seinem Buch Rund um Rum: Von der Karibik bis nach Flensburg. Die Geschichte eines Kultgetränks, die ganze Geschichte des Rums zu erzählen, er liefert keine geschönte Kinderbuchversion. Dafür sollte man ihm dankbar sein. Der Kammermohr Christoph Tafeldecker kommt natürlich auch in seinem Buch vor. Und noch vieles andere mehr. Auch, dass Kommissar Maigret von Zeit zu Zeit den Rum einem Cognac vorzieht. Dieses Werbeplakat, das sicher nicht politically correct ist, zeigt uns, dass auch Frankreich zu den Nationen gehört, die Rum importieren. Und Sklaven gibt es da auch. Wenn Sie den Post Sonnenbräune gelesen haben, werden Sie wissen, dass Hölderlin bei seinem Bordeaux Aufenthalt einen schönen Blick auf Frankreichs zweitgrößten Sklavenmarkt hatte.

Dieses Bild aus dem Jahre 1792 dagegen ist politically correct, es zeigt die Göttin Libertas: Liberty Displaying the Arts and Sciences von Samuel Jennings. Die blonde Göttin, die ihre phrygische Mütze auf einen Speer gesteckt hat, verteilt hier die Gaben von Kultur und Bildung an freie Schwarze. Ein erstes Bild der Emanzipation in Amerika (hier eine Interpretation zu dem Bild), eine schöne Utopie. Der Satz von Jefferson: We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the Pursuit of Happiness, hat lange gebraucht, bis er die schwarzen Amerikaner erreichte. Vielleicht ist das Bild auch heute noch immer eine Utopie.

Ich hatte gestern Besuch (ja, das geht wieder) von einer sehr geschätzten ehemaligen Kollegin. Sie fragte mich, woran ich gerade schriebe, ich sagte: Rum. Und holte diesen wunderbaren Rhum JM Vieux aus der Speisekammer. Sie nahm nur ein winziges Schlückchen, aber das wird sie nie vergessen. Denn der echte Rum aus der Karibik ist etwas anderes als der österreichische Stroh Rum oder der Rumverschnitt aus Flensburg. Wieder 2 Flaschen Rum! Herrliches Geschenk kubanischer Sonne oder wenigstens verwandten Lichtsschrieb Gottfried Benn 1941 an Oelze, sein Bremer Brieffreund hatte offenbar noch Reserven von seinen Karibikreisen im Keller. Der Rum, den er Benn schickte, war bestimmt so gut wie der Rhum JM Vieux gestern.


Noch mehr zu diesem Thema in den Posts: RumSmitGraf SchimmelmannLiberty GirlsEmily Ruete, Daniel Defoe, Roots, Sklavenschiff, Sklaverei, Amazing Grace, Harro Harring, DésiréeMauritius, Haiti

Mittwoch, 8. Juli 2020

Elektrorasierer


Obgleich ich einen Bart trage, rasiere ich mich täglich, der Hals muss frei bleiben, alles um den Bart herum auch. Seit 1962, als der Braun Sixtant auf den Markt kam, benutze ich Rasierapparate von der Firma Braun. Die nichts mehr mit der originalen Firma von Max Braun zu tun haben, der 1950 seinen ersten Elektrorasierer präsentierte (Bild). Seit 1967 gehört Braun zu Gilette (die wiederum vor fünfzehn Jahren von Procter & Gamble gekauft wurden). Allerdings wird das heute hier keine Werbung für die Firma Braun, deren Rasierer immer teurer geworden sind. Ich nehme an, dass man sich mit einem Philips oder einem Panasonic auch gut rasieren kann. Für den Premium Elektrorasierer mit 4+1 Scherkopf muss man bei Amazon 309,98€ auf den Tisch legen, angeblich hat er mal 539,99€ gekostet. Für das Geld bekam man vor einem halben Jahrhundert schon einen Kleinwagen. Ich weiß das, weil ich mal einer Freundin einen gebrauchten R4 geschenkt habe, der mich bei einem befreundeten Händler fünfhundert Mark gekostet hat. Sie nannte ihn Paula, sie hätte ihn ja auch Jay nennen können.

Wenn man vor einem halben Jahrhundert einen Braun Rasierer kaufte, dann kaufte man das coole Braun Design, für das die Firma berühmt geworden war. Designer wie Hans Gugelot und Dieter Rams (der den berühmten Schneewittchensarg entworfen hat) waren sich nicht zu schade, auch Elektrorasierern ein klares Design zu verpassen. Dies hier ist der Sixtant SM2 von Dieter Rams, entworfen nach der Devise: Less, but better. Der Chefdesigner von Apple hat Dieter Rams, der von der Hochschule für Gestaltung Ulm kam, die Max Bill (der hier einen Post hat) einst gegründet hatte, als sein ganz großes Vorbild bezeichnet. Die zehn Regeln für gutes Design, die Dieter Rams einst aufstellte, wirken immer noch nach.

Heute sehen Braun Rasierer der Series 9, für die auch die Spieler von Bayern München werben, ganz anders aus. Haben nicht mehr den coolen Dieter Rams Look, sondern sehen eher nach einem Luigi Colani Design aus. Bei einem Blogger, der eine lange Besprechung von Braun Rasierapparaten geschrieben hat, konnte ich lesen: Resümierend ist aus Sicht des sonntagmorgendlich unrasierten Kritikers seufzend zu bedauern, daß die heutigen Designer das Vermächtnis ihrer Vorgänger - klare, funktionsorientierte Produktgestaltung - nicht mehr fortführen (können, wollen, dürfen?): Aktuelle Rasierer schauen aus wie Laserschwerter aus Science Fiction-Filmen, voll auf Emotion getrimmt. Ich habe so ein ähnliches Produkt wie dies hier, fünf Meter wasserdicht, falls ich mich mal in der Nordsee rasieren möchte, aber die Rasierleistung ist nicht überzeugend. Das Ideal glatt wie ein Kinderpopo wird hier nicht erreicht.

Wenn ich eine wirklich glatte Rasur haben möchte, greife ich zu meinem alten Braun Universal. Der hat noch das klare Braun Design, sein Schöpfer war Roland Ullmann, den Dieter Rams 1972 von der HfG Ulm zur Firma Braun geholt hatte; Ullmann war seit 1977 für das Design der Elektrorasierer zuständig. Er ist inzwischen im Ruhestand, der jetzige Chefdesigner von Braun heißt Oliver Grabes. Mein Universal war nach zehn Jahren kaputt und nach Auskunft des Braun Kundendienstes (so etwas gab es mal) war er nicht mehr zu reparieren. Da habe ich mir bei ebay einen anderen gekauft, kam mit einem Jahr Garantie. Hält aber jetzt schon vier Jahre. Dieses schnurlose Gerät hat natürlich nichts von dem, was man heute angeblich braucht. Keine Reinigungs- und Ladestation, keinen Li-Ionen-Akku für 60 Minuten Laufzeit, kein AutoSense, kein SyncroSonicTM. Hat der neue Braun Premium alles, aber ich weiß nicht, wofür man es braucht. Ich weiß auch nicht, was es ist.

Seit der Colonel Jacob Schick Ende der 1920er Jahre den ersten elektrischen Rasierapparat erfand, hat sich technisch einiges getan. In den letzten Jahrzehnten allerdings kaum noch etwas. Doch ständig bringen die Firmen neue Fabrikate auf den Markt. Oder alte Fabrikate unter neuem Namen und mit neuen Modellnummern. Wenn man ein überzeugendes Beispiel für die planned obsolescence sucht, ist man bei Elektrorasierern richtig aufgehoben. Was Vance Packard 1960 in The Waste Makers beklagte, ist längst zum Alltag geworden. Wenn die Firma Braun in ihren Werken in Walldürn und Schanghai jeden Tag mehr als 30.000 Rasierapparate baut, dann sollen die nicht ewig halten.

Rasierapparate sind immer ein beliebtes Weihnachtsgeschenk gewesen, ich weiß nicht, wieviele Brauns ich in meinem Leben hatte. Ich habe mal einen kleinen Pappkarton mit toten oder scheintoten Elektrorasierern mit zum Flohmarkt genommen, wollte sie einem Händler schenken. Ich hatte den Karton kaum auf seinen Tisch gestellt und den Händler begrüßt, als mir ein Mann neben mir einen Fuffi rüberreichte. Ist das so in Ordnung? fragte er. Damit hatte ich nun nicht gerechnet, aber ich nahm den Schein dankend an. Man kann die Dinger ja noch als Ersatzteilspender verwenden. Oder als Briefbeschwerer. Ich habe auch in einer Schubteile noch einige Geräte, und hunderterlei Ersatzteile. Allerdings fand sich da auch noch dieses Teil, ein Braun 6550 (der zur Verwirrung des Kunden auch Type 5704 heißt). Funktionierte der noch? Ich schloß ihn mit einem Kabel ans Netz an, das grüne Lämpchen flackerte auf. Das war mal vor Jahrzehnten Brauns Premiumgerät, hatte den Beinamen Flex Integral Ultra Speed, ich weiß nicht, was das bedeutet.

Er ist zwanzig Gramm schwerer als der Braun Universal, zeigt aber noch Reste des Braun Designs. Es war wieder Roland Ullmann, der ihn entworfen hat. Die kleinen Gummiknubbel brachten die Entwicklungsabteilung zur Verzweiflung, verhindern aber, dass das Gerät vom Waschbecken abrutscht. Der 6550 Rasierer kostet auch noch heute bei ebay richtiges Geld. Man warb damals mit Sätzen wie bis zu 640.000 Schnittvorgänge pro Sekunde machen den Flex Integral ® ultra speed 6550 zum schnellsten, gründlichsten und sanftesten Braun, den es je gab. Exklusive Technik und wegweisendes Design für allerhöchste Ansprüche. Er bekam 1998 bei der Stiftung Warentest die Note 5 (mangelhaft). Vielleicht mochten die die Gumminoppen nicht. Sonst kommen Elektrorasierer von Braun immer auf den ersten Platz.

Ich teste den schnellsten, gründlichsten und sanftesten Braun, den es je gab jetzt mal diese Woche. Nostalgierasur als neues Erlebnis.

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Sonntag, 5. Juli 2020

Buchtipp für Herrn Tönnies


The manner in which they did this was something to be seen and never forgotten. They worked with furious intensity, literally upon the run-- at a pace with which there is nothing to be compared except a football game. It was all highly specialized labor, each man having his task to do; generally this would consist of only two or three specific cuts, and he would pass down the line of fifteen or twenty carcasses, making these cuts upon each. First there came the "butcher," to bleed them; this meant one swift stroke, so swift that you could not see it--only the flash of the knife; and before you could realize it, the man had darted on to the next line, and a stream of bright red was pouring out upon the  floor. This floor was half an inch deep with blood, in spite of the best efforts of men who kept shoveling it through holes; it must have made the floor slippery, but no one could have guessed this by watching the men at work.

Das geht jetzt immer so weiter. Ich erspare Ihnen den Rest. Wir sind in Chicago, das in einer Gedichtzeile von Carl Sandburg Hog Butcher for the World genannt wird. Der Absatz stammt aus dem Roman The Jungle (hier im Volltext) von Upton Sinclair, einem Roman, der über hundert Jahre alt ist. Fünf Verlage haben den Enthüllungsroman, für den der Autor sieben Wochen undercover in den Schlachthöfen gearbeitet hatte, abgelehnt. Das klang aus der Feder eines Angestellten des Macmillan Verlags so: I advise without hesitation and unreservedly against the publication of this book which is gloom and horror unrelieved. One feels that what is at the bottom of his fierceness is not nearly so much desire to help the poor as hatred of the rich.

Upton Sinclair wird den Muckrakers zugerechnet, heute würde man das Investigativer Journalismus nennen. Der Terminus muckrakers stammt wahrscheinlich von Theodor Roosevelt, der diese Schriftsteller und Journalisten lobte: There are, in the body politic, economic and social, many and grave evils, and there is urgent necessity for the sternest war upon them. There should be relentless exposure of and attack upon every evil man whether politician or business man, every evil practice, whether in politics, in business, or in social life. I hail as a benefactor every writer or speaker, every man who, on the platform, or in book, magazine, or newspaper, with merciless severity makes such attack, provided always that he in his turn remembers that the attack is of use only if it is absolutely truthful. Das sind Sätze, die dem jetzigen Präsidenten nicht über die Lippen kommen würden. Für ihn sind die Aufdeckungen von sozialen Mißständen fake news.

Der junge Jack London hat den Roman in einer Rezension als the 'Uncle Tom's Cabin' of wage slavery bezeichnet. Die Ausbeutung der Arbeiter gibt es schon zu Anfang des 20. Jahrhunderts in Chicago, in Rheda-Wiedenbrück im Kreis Gütersloh gibt es sie heute noch. Die Covid-19 Epidemie bringt es an den Tag, dass sich in mehr als hundert Jahren in den Schlachthöfen wenig verändert hat. Aber das hat natürlich niemand gewusst. Wie auch? Jetzt, wo Herr Tönnies nicht mehr so viel Arbeit mit dem Fußballklub Schalke 04 hat, wird er bestimmt mal den Roman lesen wollen. Vielleicht liest ihm Sigmar Gabriel den auch vor, der kann ja mal für die zehntausend Euro, die er von Herrn Tönnis kriegt, irgendetwas tun.


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Freitag, 3. Juli 2020

Heidenheim


Diesen schönen Cartoon von Til Mette gab es hier vor einigen Wochen in dem Post Geisterspiele zu sehen. Nun hatte ich nach dem 6:1 von Werder gegen Köln geglaubt, dass die Fischköppe Heidenheim ganz locker schlagen würden, aber nichts da. Diese Familie muss weiter bibbern. Ich habe schon mehrfach gesagt, dass ich als Norddeutscher wenig Ahnung vom Deutschland südlich von Hannover habe, aber ich weiß sogar, wo Heidenheim liegt. Als ich noch bei der Bundeswehr war, bekam mein Bataillon jedes Jahr Besuch von einem Herrn aus Heidenheim, der hier aus Spaß eine Wehrübung machte. Er hatte einen dicken Mercedes mit der Autonummer HDH, und er war ein sehr jovialer Herr. Er hatte den Dienstgrad eines Oberstleutnants der Reserve, wir jungen Leutnants liebten ihn. Weil er so gar nichts Militärisches an sich hatte. Und weil er jeden Tag eine Kiste mit Zigarren im Offizierskasino plazierte. Die brauchte er nirgends zu kaufen, die holte er aus dem Kofferraum seines Autos: er besaß in Heidenheim, das einmal eine Stadt der Tabak- und Zigarrenproduktion gewesen war, eine Zigarrenfabrik. Die gibt es schon lange nicht mehr, aber in der nächsten Woche kann Heidenheim doch mal wieder berühmt werden. Wenn sie in der Voith Arena die Bremer vom Platz putzen. Wahrscheinlich telephonieren Frank Baumann und Marco Bode schon mit dem Ehrenbürger von Athen Otto Rehhagel, ob er sie aus dem Schlamassel herausholen kann.

Mittwoch, 1. Juli 2020

Drehbücher


Die Pressekonferenz in Berlin nach der Premiere des Filmes Die Rote, der hier am letzten Samstag erwähnt wurde, war noch nicht zuende, da gab es schon einen Eklat. Andersch und Käutner beschimpften sich, Ruth Leuwerik fing an zu weinen. Alfred Andersch warf dem Regisseur Helmut Käutner vor, sich bei der Verfilmung von ✺Die Rote nicht im geringsten an das Drehbuch gehalten zu haben, das er angefertigt hatte. Dem Schriftsteller wurde von Regisseur und Produzent entgegnet, man habe sein Drehbuch nicht benutzen können, weil es als Drehbuch völlig unbrauchbar gewesen sei, die Vorarbeit des Autors sei allerdings in das endgültige Drehbuch voll eingeflossen.

Dass das Drehbuch von Andersch die einfachsten technischen Dinge nicht berücksichtigt hätte, ist ein wenig absurd. Andersch wusste, wie man so etwas macht, er hatte zehn Jahre für den Rundfunk gearbeitet und schon sechs Hörspiele geschrieben. Autoren, die Hörspiele schreiben, können auch Drehbücher schreiben. Andersch vertraute Käutner, obwohl dessen letzte Filme (Schwarzer Kies und Der Traum von Lieschen Müller) mit dem Preis der Jungen Filmkritik in der Kategorie Preis für die schlechteste Leistung eines bekannten Regisseurs ausgezeichnet worden waren. Andersch musste sich auf der Pressekonferenz vorhalten lassen, er habe den abgedrehten Film gutgeheißen. Das hatte er getan, wobei man anmerken muss, dass Andersch nur eine Version ohne Ton gezeigt worden war. In der Süddeutschen fand sich daraufhin ein Artikel mit dem schönen Titel Des Autors Kummer mit dem Kino: Alfred Andersch über die Verfilmung seines Romans 'Die Rote' durch Helmut Käutner. Die Frage, die sich immer wieder stellt, ist: Können Schriftsteller Drehbücher schreiben?

Helmut Käutner hat zehn Jahre später eingestanden, dass niemand außer ihm für den Mißerfolg des Films verantwortlich war: Ruth Leuwerik war von vornherein verloren für diesen Stoff. Obwohl sie - ich habe den Film wiederholt gesehen zwischendurch - eine ideale Interpretin war. Wenn man sie überhaupt nicht gekannt hätte, hätte damit eine Karriere begonnen. Aber sie, die die untadelige Dame der deutschen Gesellschaft für viele Jahre gewesen ist, (…) war hier eine moderne, gebrochene Figur, eine Sekretärin, die mit zwei Männern lebte und einem dritten anheim fiel in Venedig – das war etwas, was die Leute von ihr nicht wissen wollten. Ich wollte das nicht einsehen und bockig, wie ich so oft in solchen Dingen gewesen bin, wollte ich mich nicht den anderen beugen (...) ich habe mich durchgesetzt und damit den Film leider aufs Spiel gesetzt.

Der Amerikaner Dalton Trumbo hatte mit seinem Roman Johnny Got His Gun ein Buch geschrieben, das den American Booksellers Award (den Vorläufer des National Book Award) erhielt und ihm einen Vertrag in Hollywood einbrachte. Trumbo wurde einer der erfolgreichsten Drehbuchautoren Hollywoods. Vor fünf Jahren wurde sein Leben ✺verfilmt. Bevor Jean-Paul Sartre Philosoph wurde, hatte er einen Roman und Kurzgeschichten geschrieben. Können wir uns Jean-Paul Sartre als Drehbuchautor vorstellen? John Huston konnte das, er verpflichtete Sartre, dessen Theaterstück Huis clos er auf den Broadway gebracht hatte, als Drehbuchautor für seinen Film über Sigmund Freud. Sartre lieferte ein Drehbuch ab, dessen Verfilmung sieben Stunden gedauert hätte. Huston verlangte eine Kürzung. Sartre strich die Hälfte, schrieb aber viel Neues in die zweite Fassung, die dann genau so lang wurde wie die erste Version. Das beendete die Zusammenarbeit von Huston und Sartre. Freud: Das Drehbuch ist 1993 bei Rowohlt erschienen, es ist 640 Seiten lang.

Man sagt gemeinhin, dass Dramatiker besser geeigneter seien als Romanautoren, um ein Drehbuch zu schreiben. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Ben Hecht wäre das erste. Er war einer der erfolgreichsten Drehbuchautoren Hollywoods (obwohl er das Schreiben von  Drehbüchern geringschätzte), zwei Oscars und vier Oscarnominierungen sprechen dafür. Mein zweites Beispiel wäre der englische Dramatiker Harold Pinter. Ob das nun Filme wie ✺The Servant, Accident (aus dem dieses Bild stammt), ✺The French Lieutenant's Woman oder ✺The Go-Between (zu dem es hier einen langen Post gibt) waren, die Drehbücher von Pinter standen immer für Qualität.

Eins seiner Drehbücher blieb unverfilmt, es war das Drehbuch zu Prousts A la recherche du temps perdu. Es wurde als The Proust Screenplay (das über 400 Seiten kürzer als Sartres Freud Drehbuch ist) veröffentlicht und fand den Beifall der Kritiker. So schrieb Michael Wood im Times Literary Supplement: We read 'The Proust Screenplay' with all kinds of things in our mind: Proust, Pinter's reading of Proust; the problem of abridgment, the problem of dramatization, the problem of visualization; the film which might have been made from this script; the script itself as a literary work, words on the page. In permitting and controlling the interplay of these things Pinter has created a small masterpiece of wit and understanding.

Manche Regisseure schreiben ihre Drehbücher selbst. Bertrand Tavernier hat das Drehbuch für den Film ✺Un dimanche à la campagne (nach dem Roman Monsieur Ladmiral Va Bientot Mourir) selbst geschrieben. Oder doch nicht ganz, da wird in der Titelei auch noch eine Colo Tavernier genannt. Das ist Taverniers Ehefrau (die vor wenigen Wochen gestorben ist), sie war eine professionelle Drehbuchautorin, die für viele seiner Filme die Drehbücher geschrieben hat. Das ist natürlich eine ideale Kombination.

Es gibt Fälle, aber die sind ganz selten, da braucht man überhaupt keinen Drehbuchautor. Da bekommt ein Studio ein Theaterstück von zwei Englischlehrern geschickt, das kein Theater aufführen will. Warner Bros zahlt den beiden Lehrern 20.000 Dollar (was im Jahre 1941 eine Menge Geld ist), angesichts dessen, was der Film einspielen wird, sind es allerdings peanuts. Das Theaterstück von Murray Burnett und Joan Alison hieß Everybody Comes to Rick’s, Warner Bros setzt die Brüder Epstein und Howard Koch an den Text, die polieren ein bisschen dran rum, ändern aber nichts. Das Ganze bekommt nur einen anderen Titel: ✺Casablanca.

Die Namen Burnett und Alison sieht man im Vorspann des Films nicht. Den Namen Alfred Andersch kann man auf der Leinwand sehen, unter Mitarbeit von Alfred Andersch steht da hinter dem Drehbuchautor Käutner. Ein großer Teil des Romans Die Rote besteht aus dem inneren Monolog der handelnden Personen. Das kann der Film wiedergeben, durch einen Erzähler im Off (kann man auch extradiegetische Narration nennen). Käutner macht das, er folgt seinen italienischen Kollegen, die er bewundert. Aber dann muss die Person im Bild auch zu dem Text im Off passen. Nehmen wir mal eben eine Romanstelle: Sie wußte, was diese Burschen dachten, una rossa, die Rothaarigen sind scharf, aber dies war nicht zu ändern, so waren die Männer nun einmal, und sie hatten nicht einmal unrecht, ich bin scharf, ich lasse mich leicht verführen, wenn der Mann in Ordnung ist und wenn er es richtig anstellt, und deshalb habe ich mich immer nur schwer verführen lassen, aber die Wahrheit ist, daß ich richtig scharf darauf bin, es ist so ein wunderbares Vergnügen. Und jetzt stellen wir uns Ruth Leuwerik dabei vor. Das geht einfach nicht zusammen.

Montag, 29. Juni 2020

Richard Oelze


Heute vor 120 Jahren wurde der Maler Richard Oelze geboren. Wenn man in dem Suchfeld auf dieser Seite den Namen Oelze eingibt, wird man auch zwei sehr verschiedene Herren stoßen. Der eine ist der Bremer Kaufmann F.W. Oelze, der ein Brieffreund von Gottfried Benn war und diesen auch finanziell unterstützt hat. Der andere ist der Maler Richard Oelze (hier auf dem Photo vor einem Selbstportrait sitzend), der seltsame Bilder gemalt hat. Ich war ein halbes Jahr im Internet, als ich zu seinem 110. Geburtstag den Post Richard Oelze schrieb. Der sensationelle Leserzahlen erreichte.

Oelze hat einmal in Worpswede gewohnt, und dort gibt es heute auch eine Straße, die seinen Namen trägt. Ein richtiger Worpsweder ist Oelze nicht gewesen und nie geworden, und man erinnert sich auch nicht gerne an den verschlossenen Mann, der nur in der Dunkelheit arbeitete. Aber er war der einzige Maler im Ort, von dem ein Bild im Museum of Modern Art hing. Das wussten die Worpsweder Bauern, die ihn mal in der Nacht verprügelt haben, wahrscheinlich nicht.