Samstag, 20. April 2024

Forget Me Not


Heute vor zweihundertsechzig Jahren wurde Rudolph Ackermann in Stollberg in Sachsen geboren. Er wird wie sein Vater Sattler und Wagenbauer sein. Nicht in Stollberg. In Paris und London. Aber er bleibt nicht in dem Luxuskutschen Geschäft, obgleich er berühmte Kunden hat. Er macht noch etwas ganz anderes, was ihn noch berühmter macht. 1795 eröffnet er am Strand einen Laden, in dem man Bücher und Briefpapier, Farben und Drucke, Radierungen und Gemälde kaufen kann. Man kann hier auch Bücher leihen. Der Laden wird zu einem kulturellen Zentrum von London. Weil da auch noch eine Zeichenschule und eine Druckerei angeschlossen sind. 

Ackermann steigt ganz groß in das Lithographiegeschäft ein. Bekannte Künstler wie Thomas Rowlandson arbeiten für ihn. Seit 1809 erscheint Ackermanns Repository of arts, literature, commerce, manufactures, fashions, and politics, allgemein Ackermann's Repository oder schlicht Ackerman's genannt. Es ist der Vorläufer der Illustrierten und der Magazine. Ein Journal, in dem man alles finden konnte, natürlich auch die Mode der Regency Zeit. Die eleganten Damen und Herren des age of elegance - die Dandies natürlich eingeschlossen - konnten sich hier ihre Anregungen für die Inszenierung ihres Lebens holen. Nicht nur durch die Illustrationen der zeitgemäßen Mode, auch die englische Möbelkunst war hier reichhaltig repräsentiert. Wenn man sich mit der Welt des Regency beschäftigt, von Jane Austen bis Beau Brummell, wird man um das Studium von Ackerman's Repository nicht herumkommen. Und natürlich hat Rudolph Ackermann in diesem Blog längst einen Post.

1822 bringt Ackermann ein Jahrbuch auf den Markt, das Forget me not; A Christmas and New Year’s Present for 1823 (hier im Volltext) heißt. Voll mit Geschichten und Gedichten, Sir Walter Scott und Mary Shelley finden sich hier, verziert mit Kupferstichen von Mitgliedern der Royal Academy. Diese Forget me Not Jahrbücher erscheinen von 1822 bis 1846. Man findet erstaunliche Dinge darin. Im ersten Jahrbuch gibt es zum Beispiel eine Übersetzung von Kleists Die Verlobung in St Domingo. Und ich nehme mir aus dem ersten Band auch ein kleines Gedicht, mit dem der Monat April in dem Buch anfängt:

Now, April's varying month appears, 
With sunny smiles and show'ry tears, 
When pregnant nature gives their birth 
To the first fruits of teeming earth, 
And does the growing Spring prepare 
To deck with charms the early year 
Then beckons eager May to come, 
And shower around its fragrant bloom.

Freitag, 19. April 2024

Friederike


Haben die beiden so ausgesehen, Goethe und seine Friederike? Dies ist ein Holzstich von Eugen Klimsch aus dem Jahr 1890, die Kolorierung ist später erfolgt. Ich komme auf die beiden, weil Friederike Elisabeth Brion wahrscheinlich an einem 19. April geboren wurde. Sie war neunzehn, als sie Goethe traf. Nach der Liebesaffaire, die vielleicht anderthalb Jahre dauerte, hat er sie schnöde verlassen. Der Goethe Biograph Nicholas Boyle schreibt dazu: Man muß sagen, daß die ganze Episode Goethe wenig Ehre macht. Der lange Aufenthalt in Sesenheim im Mai und Juni sowie der Umstand, daß er und Friederike mit ziemlicher Sicherheit bei dieser wie vielleicht schon bei früheren Gelegenheiten längere Zeit allein gelassen wurden, lassen vermuten, dass man ihn, süddeutscher Gepflogenheit entsprechend, zu diesem Zeitpunkt als den Verlobten Friederikes betrachtete. (...) Unter diesen Umständen bedeutete der Bruch mit Friederike eine schwerwiegende Kompromittierung ihrer gesellschaftlichen Stellung – von ihren Gefühlen ganz zu schweigen. Nicholas Boyles Goethe Biographie ist auf drei Bände geplant, die ersten beiden Bände erschienen 1991 und 2000. Den dritten Band hat er immer noch nicht fertig. Ob ich den Band noch zu lesen bekomme?

Hier hat Goethe gerade die Familie des elsässischen Pfarrers Brion kennengelernt, und da kommt sie zur Tür herein. Blond und schlank, Goethe ist hin und weg: In diesem Augenblick trat sie wirklich in die Türe; und da ging fürwahr an diesem ländlichen Himmel ein allerliebster Stern auf. […] Schlank und leicht, als wenn sie nichts an sich zu tragen hätte, schritt sie, und beinahe schien für die gewaltigen blonden Zöpfe des niedlichen Köpfchens der Hals zu zart. Aus heiteren blauen Augen blickte sie sehr deutlich umher, und das artige Stumpfnäschen forschte so frei in die Luft, als wenn es in der Welt keine Sorge geben könnte; der Strohhut hing am Arm, und so hatte ich das Vergnügen, sie beim ersten Blick auf einmal in ihrer ganzen Anmut und Lieblichkeit zu sehn und zu erkennen.

Theo Stemmler sagt in einem Interview dazu: Ich will mal so sagen: Goethe war ein Augenmensch. Deshalb darf ich das Visuelle erstmal in den Vordergrund stellen. Er besucht die Familie des Landpfarrers Brion, eines Freundes von Weyland, und spannend ist der Auftritt dann der Familie. Sukzessive treten wie auf einer Bühne auf: Der Vater, die Mutter, die ältere Schwester – später kommt auch der junge Sohn, der Christian, hinzu. So. Aber Spannung geriert er, nochmals – wie in einem Theaterstück, indem er ganz zum Schluss erst Friederike auftreten lässt, und das ist schon grandios, der Eindruck, den er vermittelt. Visuell. Sie ist ein überirdisch schönes Wesen. Ich sage es ein bisschen sarkastisch auch in meinem Buch: streng deutsch. Lange blonde Zöpfe, blaue Augen und so weiter. 

Theo Stemmler ist ein emeritierter Anglistikprofessor, der gerade das Buch Goethe und Friederike. Wahrheit und Dichtung veröffentlicht hat. Er war schon mal hier in diesem Blog, weil er auch ein Buch über Tennis geschrieben hat. Er hat witzige Dinge geschrieben, auch eine Geschichte des Fußballspiels. Jetzt nimmt er sich die Liebesaffaire des einundzwanzigjährigen Jurastudenten Goethe noch einmal vor: Von den zahllosen Interpretationen, Analysen und so weiter, wollte ich Goethe befreien, zurück zu den Originaltexten, die wir ja zur Verfügung haben. Wir haben seine Briefe. Wir haben seine Gedichte, wir haben ‚Dichtung und Wahrheit‘, wir haben Dokumente. Also mit anderen Worten: Ich wollte einfach Goethe mal sozusagen nackt präsentieren, fern von aller philologischen Ausdeutung

Gab es Sex? Nein, sagt der Psychoanalytiker Kurt Eisler in seiner 1.538 Seiten langen Studie Goethe: Eine psycholanalytische Studie zu dem Thema: Wenn Goethe in späteren Jahren absichtlich oder unabsichtlich den Mythos seiner ausgiebigen genitalen Erfahrungen kultivierte, muß er über etwas in seinem Sexualleben tief beschämt gewesen sein. Erst im Alter von neununddreißig Jahren hätte Goethe in Italien richtigen Sex gehabt. Wie immer die Liebesaffaire in der Wirklichkeit war, Friedrike hat ihn zum Dichten gebracht: Unter diesen Umgebungen trat unversehens die Lust, zu dichten, die ich lange nicht gefühlt hatte, wieder hervor. Ich legte für Friederiken manche Lieder bekannten Melodien unter. Sie hätten ein artiges Bändchen gegeben; wenige davon sind übriggeblieben, man wird sie leicht aus meinen übrigen herausfinden. Das sind die Gedichte, die man heute die Sesenheimer Lieder nennt. Und eins davon, Willkommen und Abschied, gibt es heute hier:

Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde!
Es war getan fast eh gedacht.
Der Abend wiegte schon die Erde,
Und an den Bergen hing die Nacht;
Schon stand im Nebelkleid die Eiche,
Ein aufgetürmter Riese, da,
Wo Finsternis aus dem Gesträuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.

Der Mond von einem Wolkenhügel
Sah kläglich aus dem Duft hervor,
Die Winde schwangen leise Flügel,
Umsausten schauerlich mein Ohr;
Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,
Doch frisch und fröhlich war mein Mut:
In meinen Adern welches Feuer!
In meinem Herzen welche Glut!

Dich sah ich, und die milde Freude
Floß von dem süßen Blick auf mich;
Ganz war mein Herz an deiner Seite
Und jeder Atemzug für dich.
Ein rosenfarbnes Frühlingswetter
Umgab das liebliche Gesicht,
Und Zärtlichkeit für mich – ihr Götter!
Ich hofft es, ich verdient es nicht!

Doch ach, schon mit der Morgensonne
Verengt der Abschied mir das Herz:
In deinen Küssen welche Wonne!
In deinem Auge welcher Schmerz!
Ich ging, du standst und sahst zur Erden,
Und sahst mir nach mit nassem Blick:
Und doch, welch Glück! geliebt zu werden!
Und lieben, Götter, welch ein Glück!

Donnerstag, 18. April 2024

Daniel JeanRichard

Die Uhr, die ich zurzeit am Arm trage, ist ziemlich selten. Es gibt kein einziges Bild meiner Uhr im Internet. Nur eins von dem Uhrwerk, das in ihr tickt. Sie ist über sechzig Jahre alt und hat ein Edelstahlgehäuse. Mit einer Gehäusenummer auf dem Schraubboden. Wenn Uhren eine Gehäusenummer besitzen, dann sind sie etwas Besseres. Wenn dann auch noch Genève auf dem Zifferblatt steht, dann ist es bestimmt eine Qualitätsuhr. Das Genève steht nicht nur auf dem Zifferblatt, es steht auch auf dem Rotor des Automatikwerks. Das ist ein berühmtes Werk. Der Felsa Bidynator war das erste Automatikwerk, das in beide Richtung aufzog. Die Firma Felsa wurde sofort von Rolex verklagt, die sich schon Anfang der 1930er Jahre die von Aegler gebaute Rotorautomatik für ihre bubblebacks patentieren ließ. Aber Rolex musste sich von den Richtern belehren lassen, dass eine Automatik, die in zwei Richtungen aufzieht, etwas ganz anderes ist, als eine Automatik, die nur in einer Richtung wirkt.

Die Firma JeanRichard, die meine Armbanduhr gebaut hat, trägt einen berühmten Namen. Es gibt sie nicht mehr, aber es gibt seit 1988 wieder JeanRichard Uhren, weil die Firma Girard-Perregaux den Namen gekauft hat. Der Name JeanRichard ist deshalb von Bedeutung, weil Daniel JeanRichard vielleicht der Vater der ganzen schweizer Uhrenindustrie gewesen ist. Er lebte von 1672 bis 1741, man nannte ihn sein Leben lang Bressel, weil er aus dem Ort Les Bressels kam. Und er soll als junger Mann in einer Nacht die Taschenuhr eines durchreisenden Engländers repariert haben. Er hat sich alle Teile gut gemerkt, hatte sich eine Zeichnung gemacht und beschlossen, diese Uhr nachzubauen. Er wird anderthalb Jahre dafür brauchen. Ein Jahr für das Anfertigen der Werkzeuge, ein halbes Jahr fur die Uhr.

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts verlegte JeanRichard, der eigentlich Goldschmied war, sein Atelier nach Le Locle, wo heute ein Denkmal für ihn steht. Eine Sonderbriefmarke der schweizer Post hat es für ihn auch einmal gegeben. Sein Atelier bestand bis 1750, aber JeanRichard hatte für viele im Kanton Neuenburg den Anstoß gegeben, Uhrmacher zu werden. Er will nicht mit den Uhrmachern im calvinistischen Genf konkurrieren, die goldene Schmuckuhren bauen. Er will preiswerte Taschenuhren herstellen, und er hat auch schon neue Produktionsmethoden in Sicht. Deshalb ist er in einem Buch, das Swiss Pioneers of Industry and Technology heißt.

Kurz nach seinem Tod zählt man im Kanton Neuenburg schon achtzig Uhrmacher, vorher gab es da niemanden außer ihm. Hundert Jahre später sind fünfzehn Prozent der Einwohner von Neuenburg Uhrmacher. JeanRichards Firma ist von seinen fünf Söhnen unter dem Namen Daniel JeanRichard et Fils weitergeführt worden. Bei dieser JeanRichard Uhr aus dem Jahr 1950 hat die Legende über die Wirklichkeit gesiegt. Da ist nämlich unter dem Firmennamen ein kleiner Amboss zu sehen, weil JeanRichard ein Hufschmied gewesen sein soll. Diese Mär kommt im 19. Jahrhundert auf. Aber ein Hufschmied war er wohl nie. Es gibt über sein Leben mehr Legenden als Fakten, die besten Informationen findet man auf dieser Internetseite.

Auch wenn das Atelier von Daniel JeanRichard 1750 schließt, hat es immer wieder Firmen gegeben, die den Namen JeanRichard getragen haben. Wie die Firma, die meinen Flohmarktfund gebaut hat. Wahrscheinlich war das die 1915 gegründete Firma Eduard JeanRichard. Die Uhr ist erste Qualität, steht einer Omega in nichts nach. Wir können an dem Werk oben sehen, dass es sogar eine Art von Schwanenhals Feinregulierung für den Rücker besitzt, das ist schon etwas Besonderes. Der Gehäuseboden ist innen perliert, die Platine des Werks hat auch eine Perlage, so etwas war noch gute schweizer Qualität. 

Was der junge Daniel JeanRichard auf dem Denkmal in Le Locle in der Hand hält, sieht aus wie zwei Hälften eines Tennisballs. Aber so kugelig haben englische Spindeltaschenuhren um 1700 wirklich ausgesehen. Ich habe so etwas schon mehrfach in der Hand gehabt und immer wieder gestaunt, dass die Uhren noch liefen, wenn man sie aufzog. Bedenken Sie aber beim Aufziehen, dass man die linksherum aufziehen muss. Sind Engländer, die haben auch Linksverkehr.

Ich habe heute ein schönes Uhrengedicht, das schlicht The Watch heißt. Es ist von der Amerikanerin Danusha Laméris, einer Dichterin, die schon zahlreiche Preise gewonnen hat. Das Gedicht ist in dem Band Best American Poetry 2017 abgedruckt. Diese Anthologie wurde von Natasha Trethewey herausgegeben, die einmal den Pulitzer Preis gewonnen hatte und Poet Laureate der Vereinigten Staaten war. Es bedeutet für eine Dichterin wie Danusha Laméris schon etwas, in diese Sammlung aufgenommen zu werden. Der französische L'Observateur sagte ein klein wenig ironisch über Best American Poetry: For the small community of American poets, the Best American Poetry is the Michelin Guide, the Reader's Digest, and the Prix Goncourt

The Watch

At night, my husband takes it off
puts it on the dresser beside his wallet and keys
laying down, for a moment, the accoutrements of manhood.
Sometimes, when he’s not looking, I pick it up
savor the weight, the dark face, ticked with silver
the brown, ostrich leather band with its little goosebumps
raised as the flesh is raised in pleasure.
He had wanted a watch and was pleased when I gave it to him.
And since we’ve been together ten years
it seemed like the occasion for the gift of a watch
a recognition of the intricate achievements
of marriage, its many negotiations and nameless triumphs.
But tonight, when I saw it lying there among
his crumpled receipts and scattered pennies
I thought of my brother’s wife coming home
from the coroner carrying his rings, his watch
in a clear, ziplock bag, and how we sat at the table
and emptied them into our palms
their slight pressure all that remained of him.
How odd the way a watch keeps going
even after the heart has stopped. My grandfather
was a watchmaker and spent his life in Holland
leaning over a clean, well-lit table, a surgeon of time
attending to the inner workings: spring,
escapement, balance wheel. I can’t take it back,
the way the man I love is already disappearing
into this mechanism of metal and hide,
this accountant of hours
that holds, with such precise indifference,
all the minutes of his life.

Mittwoch, 17. April 2024

der siebzehnte April

Ich hatte das eigentlich nicht vor, im Poetry Month April jeden Tag zu schreiben, aber irgendwie hat es sich ergeben. Es war auch schön, dass ich so hohe Leserzahlen habe, kein Tag ohne tausend Leser. Als ich damit begann, den ganzen Monat April mit Gedichten zu füllen, blieben die Leser weg. Das hat sich aber mit den Jahren geändert. Vor einigen Tagen überlegte ich, erstmal überhaupt nicht mehr zu schreiben, weil meine Seite bei Googles Bloggersystem defekt war. Auf dieser Seite, die für niemanden außer mir zugänglich ist, schreibe ich. Kann alle Statistiken einsehen, weiß, welche Posts gerade gelesen werden. Aber plötzlich funktionierte nichts mehr, ich kam nicht mehr in meine anderen Blogs. Und konnte keine neuen Posts mehr erstellen. Die Bedienungsanleitung bei Blogger sieht so aus:

Posts erstellen, bearbeiten, verwalten oder löschen

Sie können jederzeit Posts und Entwürfe verfassen, bearbeiten oder löschen.
Neue Posts verfassen
Melden Sie sich in Blogger an.
Klicken Sie auf "Neuer Post" .
Erstellen Sie den Post. Klicken Sie auf Vorschau, um zu prüfen, wie der Post nach der Veröffentlichung aussieht.
Speichern oder veröffentlichen Sie den Post: Speichern und nicht veröffentlichen: Klicken Sie auf Speichern.
Veröffentlichen: Klicken Sie auf Veröffentlichen
.

Ich konnte auf Neuer Post klicken, soviel ich wollte, es passierte nichts. Ich nahm alte, unveröffentlichte Posts, bei denen ich den Text löschte und schrieb den neuen Text hinein. Das war alles sehr lästig, aber nach vier Tagen ist es Google gelungen, alles wiederherzustellen. Als ich zu bloggen begann, gab es mal eine ganze Woche, in der Googles Bloggersystem weltweit vom Netz war, und kein Blogger etwas ins Netz stellen konnte. Mein Gedicht heute ist von Ringelnatz. Es heißt Der Leu und ist speziell für den 17. April geschrieben:

Auf einem Wandkalenderblatt 
ein Leu sich abgebildet hat. 
Er blickt dich an, bewegt und still, 
den ganzen 17. April. 
Wodurch er zu erinnern liebt, 
daß es ihn immerhin noch gibt.

Dienstag, 16. April 2024

Frauen nachschauen


Der englische Schriftsteller Kingsley Amis, der heute Geburtstag hat, war schon häufig in diesem Blog. Er hat schon den langen Post Kingsley Amis, der ihn und sein Werk vorstellt. Da steht mehr drin als in einem Wikipedia Artikel. Und es gab, immer am 16. April, auch noch die Posts Women are really much nicer than men und Higgledy-piggledy. Ich habe heute ein kleines witziges Gedicht von ihm, das sich in dem kleinen Gedichtband (es sind 57 Seiten) A Look Round the Estate: Poems 1957-67 findet. Es ist ein Gedicht, das in die Kategorie light verse gehört. Damit kennt Amis sich aus, er war der Herausgeber des The New Oxford Book of Light Verse. Das Gedicht ist nicht so bekannt, es heißt Sight Unseen. Aber der Autor mochte es offenbar; als er zum ersten Mal in Amerika war, hat er es bei einem Vortrag vorgelesen. Das Gedicht handelt von den Schwierigkeiten, die Männer haben, wenn sie Frauen nachschauen:

As I was waiting for the bus
A girl came up the street,
Detectable as double-plus
At seven hundred feet.

Her head was high, her step was free
Her face a lyric blur;
Her waist was narrow, I could see,
But not the rest of her.

At fifty feet I watched her stop,
Bite at a glove, then veer
Aside into some pointless shop,
Never to reappear.

This happens every bloody day:
They about-turn, they duck
Into their car and drive away, 
They hide behind a truck.

Look, if they knew me, well and good,
There might be cause to run;
Or even saw me---understood;
No. Not a peep. Not one.

Love at first sight---by this we mean
A stellar entrant thrown
Clear on the psyche's radar-screen,
Recognized before known.

All right: things work the opposite
Way with the poles reversed;
It's galling, though, when girls omit
To switch the set on first.

Wenn man lange genug den Frauen nachschaut, kommt vielleich irgendwann das Girl from Ipanema vorbei. Aber bis dahin könnten Sie natürlich die Music to watch Girls By hören. Das Bild im ersten Absatz ist natürlich in Italien entstanden. Es ist in idesem Blog in dem Post Cinecittà und die Mode zu sehen. Ich kenne auch den Namen des Photographen, er heißt Federico Patellani. Er hat bei den Dreharbeiten vieler italienischer Fime photographiert. Sie können hier einige hundert Photos davon sehen, aber es gibt auch ein Federico Patellani Archiv.. Meine erste Begegnung mit dem Photograophen war dies Buch hier, ein Geburtstagsgeschenk von meiner Freundin Gabi. Ich war hin und weg von diesen Photos, die so viel über das Italien einer bestimmetn Zeit sagt. Patellani ist nicht nur in Cinecittà und die Mode, er ist auch noch den Posts Vittorio Gassman und Steve Cochran.

Montag, 15. April 2024

Impressionisten


Heute vor einhundertfünfzig Jahren stellten in Paris dreißig Maler ihre Bilder aus. Nicht im Salon, sondern im Atelier des Photographen Nadar. Den hatten sie überreden können, weil er dringend Geld brauchte. Eins der Bilder ist Claude Monets Impression, soleil levant. Ein Journalist nimmt sich das Wort impression für die Schlagzeile L'exposition des Impressionnistes. Seitdem heißen die Maler Impressionisten. Wenn wir das Wort heute verwenden, hat es nicht mehr die pejorative Bedeutung, die es 1874 hatte. Diese Bedeutung nimmt Bruce Berger in seinem Gedicht Impressionists auf, wo es heißt: These paintings Paris laughed down A hundred years ago Have finally attained their salon...

Den Impressionismus finden wir auch in der Literatur, Charles Baudelaire, der auch wunderbar über Malerei schreibt (lesen Sie doch einmal den Post Eugène Boudin) zählt man dazu. Und natürlich Arthur Rimbaud (hier auf dem Bild der zweite von links). Rimbaud hat der Romanist Hugo Friedrich 1956 in seinem Buch Die Struktur der modernen Lyrik (das als eine epochale Studie gilt) groß herausgestellt. Ich habe mit Hugo Friedrich so meine Schwierigkeiten, ich werde zwei Dinge nicht los. Das eine ist natürlich seine Mitgliedschaft in der NSDAP. Und das andere ist eine Geschichte, die mir ein Kollege erzählte, der mal bei Friedrich wissenschaftliche Hilfskraft (Universitätsjargon: Hiwi) war. Der musste für seinen Professor immer Brötchen und Kaffee in einem bestimmten Supermarkt kaufen, weil es da Rabattmarken gab. Denn Professor Hugo Friedrich sammelte Rabattmarken. Rimbaud und Rabattmarken, wie geht das zusammen? 

Aber das lassen wir jetzt mal weg. Ich habe ein Gedicht von Rimbaud, das Marine heißt. Und ich habe hier eine Seite mit einer englischen Übersetzung, auf der man das Gedicht in englischer und französischer Sprache vorgelesen bekommt. Aber ich habe noch viel mehr, ich habe drei deutsche Übersetzungen von Rimbauds Gedicht. Die habe ich von dem Blog Lyrikzeitung & Poetry News, und für diesen Blog des Greifswalder Literaturwissenschaftlers Dr Michael Gratz muss ich mal ein bisschen Werbung machen, es ist wirklich ein ganz erstaunlicher Blog. Neben der Seite von planet lyrik ist das eine der besten Seiten zur modernen Lyrik im Netz. Und die Seite hat eben auch Rimbauds Gedicht Marine mit den Übersetzungen:

Les chars d´argent et du cuivre –
Les proues d´acier et d´argent –
Battent l´écume, –
Soulèvent les souches des ronces.
Les courants de la lande,
Et les ornières immenses du reflux,
Filent circulairement vers l´est,
Vers le piliers de la forêt,
Vers le fûts de la jetée,
Dont l´angle est heurté par des tourbillons de lumière.

Hafen

Die silbernen, kupfernen Wagen,
Schiffsschnäbel aus Silber und Stahl
Peitschen den Schaum,
Pflügen der Brombeere Ranken.

Die Ströme der Steppe,
Die unendlichen Spuren der Flut
Kreisen nach Osten hin ab,
Zu den Säulen des Walds
Zu den Bohlen der Dämme,
Im Winkel getroffen vom Wirbeln des Lichts.

Diese Übersetzung ist von Gerhard Haug, einem Übersetzer, der seit den 1920er Jahren Verlaine und Rimbaud übersetzt hat, 

Seestück

Wagen aus Silber und Kupfer –
Aus Stahl und Silber der Bug –
Durchpflügen den Schaum, –
Entwurzeln die Brombeerstrünke.

Die Ströme der Heide
Und die unendlichen Spuren der Ebbe,
Ziehen in Wirbeln gen Osten,
Zu den Pfeilern des Waldes –
Zum Holzwerk der Mole,
Gegen deren Balken andrängen Strudel von Licht.


Diese Übersetzung aus dem Jahre 1989 ist von dem Schriftsteller Uwe Grüning.

Seestück

Die Wagen von Silber und von Kupfer –
Die Buge von Stahl und von Silber –
Schlagen den Schaum, –
Heben hoch die Strünke der Dornen.
Die Ströme der Heide
Und die Spuren, unermeßlichen, der Ebbe,
Ziehen kreisend gen Osten,
Zu den Pfeilern des Walds,
Zu den Stämmen des Damms,
Dessen Kante gepeitscht wird von Wirbeln von Licht.


Und diese Übersetzung aus dem Jahr 2000 hat Michael Gratz selbst beigesteuert. Es gibt auf seiner Seite eine hervorragende Suchfunktion, mit der man unglaublich viel über Arthur Rimbaud finden kann. 

Sonntag, 14. April 2024

Mayence


Am 14. April 1793 hat die Belagerung von Mainz durch die Armee der Ersten Koalition begonnen. Die Koalitionstruppen waren in der Überzahl, am 23. Juli mussten sich die Franzosen ergeben. Sie durften mit ihren Waffen und Ehrenzeichen die Festung verlassen, mussten sich aber verpflichten, in den nächsten zwölf Monaten nicht gegen die Koalitionsarmee zu kämpfen. Der General Jean-Baptiste Kléber führt sie nach Paris zurück, wo sie auf den Straßen als die Feiglinge von Mainz (les lâches de Mayence) verhöhnt werden. Kléber hat Napoleon nicht so richtig gemocht. Da geht er hin, der kleine Schurke. Er reicht mir nicht mal bis zu den Stiefelstulpen, soll er gesagt haben, als sich Napoleon nach der Niederlage von St. Jean d'Acre (dem heutigen Akkon) davonmachte.

Als die Belagerer kommen, ist der Weltumsegler Georg Forster (im Bild oben von Tischbein gemalt), der im Jahr zuvor mit dem Mainzer Jakobinerklub die Mainzer Republik gegründet hatte, nicht mehr in Mainz. Er ist jetzt als Abgeordneter des Nationalkonvents in Paris und soll die Angliederung der Mainzer Republik an Frankreich im Nationalkonvent beantragen. Der Antrag wird angenommen, ist aber durch die Eroberung von Mainz im nächsten Jahr nicht mehr das Papier wert, auf dem er steht. Forster kann nicht mehr nach Mainz zurück, er war als Vaterlandsverräter der Reichsacht verfallen. Völlig mittellos verstirbt er mit vierzig Jahren in der Dachkammer des Maison des Patriotes Hollandais in der Rue des Moulins in Paris. Er braucht die Schreckensherrschaft nicht mehr zu erleben. In seinem letzten Brief an seine Frau schreibt er: Die Revolution ist ein Orkan, wer kann ihn hemmen? Ein Mensch, durch sie in Tätigkeit gesetzt, kann Dinge tun, die man in der Nachwelt nicht vor Entsetzlichkeit begreift. Aber der Gesichtspunkt der Gerechtigkeit ist hier für Sterbliche zu hoch. Was geschieht, muß geschehen. Ist der Sturm vorbei, so mögen sich die Überlebenden erholen und der Stille freuen, die darauf folgt.

Mein Gedicht heute ist die Grabschrift auf Georg Forster von Friederike Brun, die in Sophienholm einen Salon unterhielt und die man die Madame de Staël des Nordens genannt hat.

Weltumseegler! du suchtest auf pfadlosem Ozean Zonen,
Wo die Unschuld der Ruh’ böte vertraulich die Hand!
Edler Forscher, was fandest du dort? Die Kinder der Erde
All’ an Schwachheit sich gleich, alle dem Tode geweiht.
Sohn der Freiheit! du öffnetest ihr die männliche Seele,
Ihr, die vom Himmel herab sandte der Vater zum Heil.
Ach! es wandte die Göttinn sich schnell von der blutigen Erde;
Forster! du schwebtest mit ihr hin, wo dein Glaube sich lohnt.

Die Mainzer Republik, das erste demokratische Staatswesen auf deutschem Boden, hatte ein kurzes Leben. Sie wird in diesem Blog schon in den Posts Georg ForsterMainz und Johann Adam Ackermann erwähnt. Der letzte Post hat den Mainzer Landschaftsmaler Ackermann zum Thema, der in Paris bei Jacques-Louis David studiert hat. Vielen tausend Lesern hat dieser Post gefallen. Das gefällt mir auch.