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Donnerstag, 7. Januar 2010

Kleider machen Leute


Ende der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts besuchte der Herzog von York (der spätere König George VI) mehrfach Amerika. Er trug dabei einen grauen Zweireiher mit Kreidestreifen. Wahrscheinlich von Davies&Sons, dem Schneider, der schon seinen Vater eingekleidet hatte (und ein Jahrhundert zuvor Lord Nelson). Der Kreidestreifen Zweireiher erregte grosses Aufsehen in Amerika, alle Hollywood Schauspieler liessen sich in den dreissiger Jahren so etwas in London anfertigen. Nicht mehr bei Davies&Sons, sondern bei Frederick Scholte in der Cork Street, dem berühmtesten Schneider der dreissiger Jahre. Der hatte den drape look erfunden, abgeschaut von den Uniformen der Gardeoffiziere, breite Schultern, schmale Taille.

Aber nicht nur Hollywood Stars wie Gary Cooper, Clark Gable und Fred Astaire trugen diese Zweireiher. Der Anzug wurde auch die Uniform der amerikanischen Gangster, bei denen wurden die Revers, die Schultern und die Streifen noch breiter (der amerikanische Gangsterfilm hat auch noch zur Verbreitung dieses Looks beigetragen). Die amerikanische Zeitschrift Esquire hat vor Jahren als ein sartorial besonders abschreckendes Beispiel eines Gangsters im Zweireiher ein Photo von Adolf Hitler im Kreidestreifen Zweireiher abgedruckt.

Die nächsten, die den Zweireiher tragen werden, sind die schwarzen amerikanischen Jazzmusiker. Die überdimensionierten Anzüge werden zu einer Art Identitätsgewinnung und zu ihrem Markenzeichen. Das lässt sich noch steigern, wenn Anfang der vierziger Jahre die sogenannten zoot suits aufkommen, getragen von jungen Farbigen und jungen Latinos an der Westküste. Definitiv mehrere Nummern zu gross, die Jacketts reichen manchmal bis zu den Kniekehlen. So viel Stoffverbrauch gilt in Kriegszeiten, wo alles rationiert wird, als unpatriotisch. Es wird in Los Angeles und San Francisco zu den zoot suit riots kommen. Erstaunlich, was ein englischer Adliger mit einem zweireihigen Anzug alles anrichten kann.

Bei festlichen Anlässen ist festliche Kleidung angebracht. Adolf Hitler hat bei seiner Amtseinführung als Reichskanzler nicht seine Phantasieuniform getragen, sondern brav den ➱Cutaway angezogen. Der ist für Diplomaten weltweit noch immer die Standarduniform (der Stresemann, benannt nach dem deutschen Aussenminister hat sich da nicht ganz durchgesetzt) bei feierlichen Anlässen am Tage. Auch amerikanische Präsidenten haben den lange am Tage der Inauguration getragen. Eisenhower trug da noch einen Zylinder. Und auch John F. Kennedy, der Hüte hasste, hat zur Amtseinführung einen Zylinder getragen. Willy Brandt hat 1972 in der Eile die falschen Sachen aus dem Kleiderschrank geholt. Er präsentierte der Presse sein Kabinett in den Hosen, die zu einem Cutaway gehören, kombiniert mit der Jacke eines Fracks. Das hat sich aber nicht durchgesetzt. Sozialdemokraten haben es ja nicht so mit den pompösen Kleidungsstücken. Gustav Heinemann begnügte sich immer mit dem schwarzen Anzug, und Wolfgang Thierse beendete als Bundestagspräsident die Tradition, dass der Präsident die Legislaturperiode im Cutaway eröffnet. Und Wilhelm Kaisen wäre nie im Leben in einen geliehenen ➱Frack gestiegen. Ausser zur Bremer Schaffermahlzeit, da ist das vorgeschrieben, die achten noch auf Tradition. Aber Wilhelm Kaisen ist da in seinem schwarzen Anzug mit einem silbernen Schlips hingegangen, sie haben ihn trotzdem reingelassen.

Der erste Präsident Amerikas, ➱George Washington, wollte mit den aristokratischen Traditionen brechen. Seine Uniform aus dem Revolutionskrieg wollte er, der jetzt ein Bürger und kein General mehr war, nicht anziehen. Seinen Londoner Schneider, der ihm bisher die Anzüge gemacht hatte, konnte er jetzt als frisch gebackener Amerikaner guten Gewissens auch nicht mehr beschäftigen. Er ließ sich von einem amerikanischen Schneider einen Anzug aus einem grobgewirkten amerikanischen Stoff machen. In braun, nicht in scharlachrot oder königsblau. Trug allerdings schwarze Schuhe mit einer silbernen Schnalle zu den weissen Kniebundhosen. Die amerikanische Demokratie beginnt mit einem vestimentären Symbol, dem braunen Anzug aus homespun. Für die Reise nach New York musste sich George Washington hundert Dollar leihen. Großgrundbesitzer und Millionäre aus dem Süden haben nie Bargeld. Im späteren Leben ist Washington dann doch zu der Farbe der Diplomatie (und der Farbe seiner Uniform aus dem Revolutionskrieg) zurückgekehrt und hat dunkelblaue Jacketts über gelben Westen getragen.

Soviel bürgerliche Zurückhaltung mag sich der Prince of Wales, der George IV werden wird, nicht auferlegen. Für seine Krönungsfeierlichkeiten beschäftigt er alle Schneider Londons. Die Schneiderrechnungen belaufen sich auf zweistellige Millionenbeträge. Wird alles von den Franzosen bezahlt, die haben den Krieg verloren. George möchte ein grosser Dandy sein, wie sein Freund ➱Beau Brummell. Aber die Freundschaft zu dem arbiter elegantiarum steht auf der Kippe. Zwar glaubt Brummell noch I made him what he is, and I can unmake him. Aber spätestens, seit er bei einem Empfang, zu einem Nebenstehenden gewandt, gesagt hat: Alvanley, who is your fat friend? ist sein Schicksal besiegelt. Sein fat friend verbannt ihn vom Hofe.

Brummell, der die schlichte, zurückhaltende Eleganz erfunden hat, wird die sartorialen Missgriffe seines ehemaligen Freundes missbilligend beobachten. Vor allem, wenn George IV zum ersten Mal Schottland besucht. In einem Kilt, den er über rosa Strumpfhosen trägt. ➱Sir Walter Scott, der den König in Edinburgh begrüsst, muss sich angesichts dieses Anblicks sehr beherrschen. Vielleicht ist der fette George die Vorlage für ein Märchen von ➱Hans Christian Andersen gewesen, in dem es heißt: Vor vielen Jahren lebte ein Kaiser, der so ungeheuer viel auf hübsche Kleider hielt, dass er all sein Geld dafür ausgab, um recht geputzt zu sein. Er wird, zu Recht, das Opfer von Betrügern, bis endlich ein kleines Kind sagt Aber er hat ja nichts an! Hüten wir uns vor den Betrügern, die uns überteuertes Zeug anschnacken wollen, ob sie nun in Mailand sitzen und Armani heißen oder ob sie in der Savile Row sitzen und Huntsman heißen.

2 Kommentare:

  1. Nette kleine Geschichte des Dandytums!

    Wir haben uns erlaubt, auf unserem Blog darauf hinzuweisen - natürlich mit Link:
    http://www.dandy-club.blogspot.com

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  2. Many thanks. Bin schon auf Ihrer Dandy-Seite gewesen, gefällt mir sehr gut. Hier wird irgendwann noch mehr zu Dandies und Gentlemen stehen.

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