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Donnerstag, 25. Februar 2010

Truthähne



Die pilgrims der Mayflower sollen mit den Indianern Erntedankfest gefeiert haben, und seitdem gibt es am Thanksgiving Day Truthahn in Amerika. Der Tag wird inzwischen auch turkey day genannt. Wie alle schönen Geschichten, ist auch diese wohl nicht so ganz wahr. Nationalfeiertag ist der Tag erst seit Abraham Lincoln, und davor gibt es ganze Jahrhunderte, wo wir keinerlei Berichte vom Truthahn auf der Speisekarte des Festtags finden. Aber es stimmt natürlich, dass der Truthahn ein amerikanischer Vogel ist. Obgleich es ja auch in Schleswig-Holstein im Mittelalter Truthähne gegeben haben soll. Die kommen 1937 bei der Restaurierung frühgotischer Wandmalereien im Dom zu Schleswig ans Licht. Ein junger Maler namens Lothar Malskat ist damals der Assistent des Restaurators Professor Ernst Fey. Man hat den Auftrag, die Wandmalereien zu restaurieren, die 1888 vom Restaurator August Olbers übermalt worden waren. Nach dem Ablösen der Malschichten bleibt von der frühgotischen Malerei so gut wie nichts mehr übrig, also malt Malskat, von Fey angetrieben, alles neu. Es fällt niemandem auf, dass die Heiligen plötzlich so aussehen wie die Freunde von Malskat. Eine Maria sogar wie eine Filmschauspielerin (man ist entzückt vom nordischen Typus der mittelalterlichen Heiligen). Malskat, der seine Zusammenarbeit mit Fey mit dem Streichen des Gartenzauns des Professors in Berlin-Lichterfelde begonnen hat, wird jetzt übermütig.

Malt Truthähne ins mittelalterliche Getier, unter den betlehemitischen Kindermord. Truthähne! Da hätten ja nun die Alarmglocken bei den Kunsthistorikern schrillen müssen. Tun sie aber nicht. Man nimmt die Truthähne an der Kirchenwand als Beweis dafür, dass die nordischen Wikinger Amerika entdeckt haben und die Truthähne mit nach Haithabu gebracht haben. Nur der Kieler Professor Alfred Kamphausen spricht 1941 von einem Treppenwitz der Forschungsgeschichte, der Rest der germanischen Kunstkritiker ist begeistert. Lothar Malskat wird sein Unwesen wenig später zusammen mit Fey in der Lübecker Marienkirche fortsetzen. Vorher hatte er für Fey Bilder großer Meister gefälscht, die dieser gewinnbringend verkaufte. Ein Konrad Kujau der Nachkriegszeit. In Lübeck kommen dann zwar keine Truthähne mehr an die Wände, aber Fey malt alles selbst, wo vorher kahle Wände waren.

Es wird der erste Kunstskandal der Bundesrepublik, immerhin ist Bundeskanzler Adenauer zur Eröffnung gekommen, und die Bundespost hat eine Sondermarke mit den mittelalterlichen Kunstwerken von Malskat herausgebracht. Der Landeskonservator Peter Hirschfeld hatte sich mit seinen Bedenken bei den vorgesetzten Stellen kein Gehör verschaffen können, erst eine Selbstanzeige des in seiner Künstlerehre gekränkten Malers führt zum Prozess. Es gibt Gefängnisstrafen für Fey und Malskat. Günter Grass wird den Lothar Malskat in seinen Roman Die Rättin hineinschreiben.

Der bald headed eagle wird zum Wappensymbol Amerikas. Der Adler ist natürlich nicht glatzköpfig, das Wort bald besitzt damals auch noch die Bedeutung weiß, im Deutschen heißt er ja auch Weißkopfadler. Ein Glatzkopfadler wäre doch ein komisches Nationaltier. Benjamin Franklin hat es nicht gefallen, dass man den Adler als nationales Symbol genommen hat. So schreibt er am 26. Januar 1784 an seine Tochter Sarah Bach: For my own part, I wish the Bald Eagle had not been chosen as the Representative of our Country; he is a bird of bad moral character; he does not get his living honestly. Moralische Überlegungen gegenüber Tieren sind ja immer ein wenig seltsam, aber Franklin hätte da auch einen anderen Kandidaten für den Wappenschild des Präsidenten der vereinigten dreizehn Staaten gehabt: in Truth, the Turk'y is in comparison a much more respectable Bird, and withal a true original Native of America.

Franklin hat noch andere Tiersymbole verwendet, 1751 macht er in der Pennsylvannia Gazette den Vorschlag, dass wenn England ständig verurteilte Strafgefangene in die Kolonien schicke, man den Engländern doch Klapperschlangen nach England schicken könnte. Und drei Jahre später wird er den ersten Cartoon in eine amerikanische Zeitung setzen: eine zerstückelte Schlange (deren Stücke die einzelnen Kolonien repräsentieren) mit dem Titel JOIN, or DIE. Das ist noch kein Aufruf zur Revolution, lediglich eine Ermahnung an die Kolonien, im French and Indian War gegen die Franzosen zusammenzustehen. Aber zwei Jahrzehnte später wird Franklins Schlange doch zu einem Symbol der Revolution. Da schreibt er in dem pennsylvannischen Journal über die Schlange: ... She may therefore be esteemed an emblem of vigilance. She never begins an attack, nor, when once engaged, ever surrenders: she is therefore an emblem of magnamity and true courage. Die rattlesnake findet ihren Weg auf eine der ersten Flaggen der Kolonien, zusammen mit dem drohenden Satz Don't tread on me! Sie wird auch mit diesem Satz über den rotweißen Streifen auf der ersten Gösch amerikanischer Kriegsschiffe auftauchen. Diese Flagge hat die US Navy nach den Anschlägen vom 11. September wieder hervorgeholt. Don't tread on me. Was wäre aus Amerika geworden, wenn man statt Klapperschlange und Adler doch den Truthahn als nationales Symbol genommen hätte?


Der Künstler John James Audubon nimmt den Adler nicht als die Nummer 1 seines Werkes The Birds of America, No. 1 ist der wilde Truthahn. Der Adler kommt erst nach einer Vielzahl von amerikanischen Piepmätzen auf Platz 31.

Lesen Sie auch: ➱Lothar Malskat.

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