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Montag, 12. April 2010

C.K. Stead: Kiwi


Irgendwie ist Neuseeland sehr weit weg. Seit Abel Tasman, Joseph Banks und James Cook wissen wir aber zumindest, dass es Neuseeland gibt. Dass es da auch eine literarische Kultur gibt (also nach Katherine Mansfield), erfahren wir nicht unbedingt jeden Tag im Feuilleton. Ausser die Autoren bekommen einen Preis wie Keri Hulme oder werden verfilmt wie Janet Frame. Bücher aus Neuseeland zu bekommen, das kann Monate dauern, sagt mir eine Bibliothekarin. Obgleich unsere Welt dank der Computer zu einem global village geworden ist (und jeder Dorfklatsch aus allen Winkeln der Welt im Nu auch bei uns auf den Bildschirmen zu lesen ist oder zwischen zwei Buchdeckel gepresst unter dem Titel Loslabern verkauft wird), bei Büchern sind wir offensichtlich wieder in die Zeit von Sir Joseph Banks zurückversetzt. Das Buch Plume of Bees: A literary biography of C.K. Stead von Judith Dell Panny ist 2009 erschienen, aber Amazon kennt es nicht (auch nicht amazon.com und nicht amazon.co.uk). Amazon weiß immerhin, dass Judith Dell Panny ein Buch über Janet Frame geschrieben hat. Aber das Buch über Neuseelands berühmtesten Literaten, das kennen sie nicht. Es gibt das Buch, ich habe es neben mir auf dm Schreibtisch liegen (und oben gibt es eine Abbildung). Also Amazon, kommt in die Puschen, ich gebe euch schon mal die tags: Judith Dell Panny, C.K. Stead, New Zealand, Biographie, Literatur. Und hier noch die Website des Verlages.

Dabei ist C.K. Stead (das C.K. steht für Christian Karlson, da merkt man noch die skandinavischen Wurzeln der 1832 in Neuseeland eingewanderten Familie) eigentlich weltbekannt, er hat von der englischen Königin einen CBE Orden, und er hat den Order of New Zealand, die höchste Auszeichnung, die Neuseeland zu vergeben hat. In England, wo er studiert hat (und Gastprofessor in Oxford war), kennt man ihn gut (er hat auch immer für Zeitschriften wie den London Review of Books geschrieben). Spätestens seit seiner Doktorarbeit, die 1964 als Buch erschien (The New Poetic) und über 100.000 Mal verkauft wurde. Das ist für ein Buch, das sich mit moderner Lyrik und T.S. Eliot beschäftigt, geradezu sensationell. Einige seiner Romane sind auch in Deutschland erschienen, und er hat gerade vor zwei Wochen den neugeschaffenen Sunday Times Short Story Preis gewonnen. Das bringt 25.000 englische Pfund (oder 52.635 neuseeländische Dollars), brachte ihm auch aber schon gewaltigen Ärger ein. Angeblich soll die Kurzgeschichte eine literarische Rache in einem literarischen Streit gewesen sein, so eine Art Gegenstück zu der Tod eines Kritikers Story. Mit Martin Walser hat Stead gemein, dass er eine eigene Meinung hat, die manchmal überhaupt nicht politically correct ist. Nicht so weichgespült, stromlinienförmig, teflonartig, wie neuerdings Autoren daherkommen. Das hat ihm schon Ärger mit Feministinnen eingebracht und mit Maori Autoren wie Keri Hulme. Ich weiß nicht, ob Stead Martin Walser kennt; der deutsche Autor, den er aber auf jeden Fall kennt, ist ➱Günter Grass. Von dessen Hundejahren hat er gelernt, wie man einen Roman schreibt, sagt er. Das Schreiben von Romanen hat er eigentlich erst angefangen, als er an der Uni als Professor aufgehört hat. Inzwischen sind es 11 Bände Prosa geworden, dem stehen 15 Gedichtbände gegenüber, die (soweit ich sehen kann) noch nicht ins Deutsche übersetzt worden sind. Und davon soll er hier einige Häppchen als poetische amuse gueule geben.

Karl Stead verbindet in seiner Lyrik Autobiographisches und Familiengeschichte immer wieder mit der Topographie und Geschichte Neuseelands, häufig verknüpft mit Reverenzen an seine poetischen Lehrmeister Yeats, Eliot und Pound. Als er noch klein war, wollte ihn seine Mutter zu einem kleinen Wunderkind machen. Und während draussen alles so schön grün ist, hat er drinnen clean hands on cold keys/cold feet on clean linoleum. Mütter als Musiklehrerinnen (die auch noch im wirklichen Leben Musiklehrerinnen sind) sind nicht unbedingt die beste Voraussetzung für eine Pianistenkarriere:

'Third finger! Third finger!'
That was the voice
from two rooms away.
I'd used second finger
or fourth.

That's how it was
having your teacher in the house
while you practised.

Not that the note was wrong,
just the finger.
How could she tell?

I was her worst pupil,
her biggest disappointment -
perfect pitch
and some failure of hand and eye.

Never mind, Mum,
you trained my ears.
They're listening still.

Als ich das zum ersten Mal las, stand vor mir der Klavierunterricht von vor über einem halben Jahrhundert wieder auf. Ich habe immer noch ein schlechtes Gewissen: was habe ich alles verpatzt, was hätte ich üben sollen. Ich habe meine Lektionen Jahrzehnte später nachgeholt, und all die Mozartsonaten und Stücke von Bach spielen gelernt, zu denen ich damals zu faul war. Oder weil ich damals davon träumte, Boogie Woogie Pianist zu werden. Karl Stead ist kein Pianist geworden, aber die Liebe zur Musik, die hat er zeitlebens behalten, wie wir es aus den letzten Zeilen entnehmen können.

C.K. Stead ist überzeugter Neuseeländer, aber manchmal, da muss er da einfach weg, muss Neuseeland von aussen sehen: I'm not a European, I'm a good keen kiwi and what is good for me being here is something to do with being shaken free of my own place for a bit - long enough to see it again freshly. And also being an academic I look down and find my feet set in concrete every few years and this is a way of breaking out. I like being here and I'm aware all the time that what is going on out there is of no intrinsic importance unless something is going on in here. Und das Auge des Dichters, das von poetischen Klavierlehrern von Yeats bis Eliot geschult ist zu sehen, entdeckt auch jenseits des vertrauten Landes die Poesie des Alltags.

Ich zitiere hier einmal Love is a lunatic city, das als Motto ein Zitat von Pablo Neruda hat: el amor, sino una ciudad loca. Stead hat es im Juli 2007 geschrieben, als er beim XVII Festival International de Poesia de Medellin war (Rod McKuen war da nie eingeladen):

Tropical fruit and thunder in the mountains;
the flash of water on crazily sloping streets,
precipitation on precipitation; the yellow cabs
and battered buses racing; the tiles I walk on,
the music (samba? salsa?) my ears are hearing
over the fan's buzz; the shout of papaya sellers;
the bank guard with his automatic rifle
and his friend with the silver revolver.
The sign outside the trauma hospital meaning
"we never close"; and in a quarter seeming
without hope, "La Esperanza - Centro Dental"...
Everywhere, derelict lives and smiling faces.

They are dining on balconies; in boulevards
their cars are killing one another; somewhere
they will be be dancing in the streets - because love 
is a lunatic city and a river runs through it
whose gold enticed them to this Nowhere-nonplace
where mule-tracks crossed in the mountains.
The gold is gone. Over a patch of park
where drunks and addicts die, the condors hover.
I climb the stairs to my room - for exercise,
or is it penance? The women are beautiful,
a beauty that lasts only as the gold lasted
and then is gone, replaced by a kind of grace.

Wenn wir nie dort waren, jetzt waren wir da. Das kann Lyrik, der verdichtete Augenblick, atmosphärisch komprimiert (ja, guck Dir das mal gut an, Rod McKuen!), das hier ist ein Dichter, den es zu entdecken lohnt. Ich verdanke die Entdeckung dieses Dichters (obgleich ich sein Buch über T.S. Eliot schon vor vielen Jahren gelesen hatte) natürlich Professor Judith Dell Panny, der unermüdlichen Vermittlerin neuseeländischer Kultur. Und deshalb geht heute Nacht dieses als Gruß nach Neuseeland. Thanks, Dell!

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