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Dienstag, 6. April 2010

Lindenbäume


Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum. Da soll man seinen Rolls Royce nicht abstellen, rät eine alte Rolls Royce Fibel, die die Firma für Chauffeure geschrieben hat. Die Linde ist unser liebster Baum. Die Basis unserer nationalen Mythen von der germanischen Göttin Freya und unserem Nationalhelden Siegfried bis zur Lindenstraße und der Zimmerlinde. Wenn ein Krieg zu Ende ist, pflanzt man Friedenslinden, an die sich, wie an die Kriege, heute kaum noch jemand erinnert, nur die Kneipen heissen noch Zur Friedenslinde. Die Eiche ist das Symbol der Obrigkeit, und der Volksmund weiß: der Eiche weiche. Die Linde dagegen ist der Baum des Friedens, der Treue und der Gerechtigkeit. Wallfahrer trugen Lindenblätter, selbst auf den bewaffneten Wallfahrten nach Jerusalem.

Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum. Warum steht er vor dem Tore? Normalerweise steht er in der Ortsmitte, ist die Dorflinde, die Gerichtslinde. Hier träumt in seinem Schatten das lyrische Ich so manchen süßen Traum. Eigentlich ist die Linde seit Walther von der Vogelweides Under der linden/an der heide/da unser zweier bette was etwas für junge Paare, nicht für Einzelträumer. Eichendorff gebraucht die Linde in Der junge Ehemann ähnlich wie Walther, aber schon etwas biedermeierlich domestiziert.

Jetzt neben meinem Liebchen
sitz ich im Schatten kühl,
sie wiegt ein muntres Bübchen,
die Täler schimmern schwül,
und unten im leichten Winde 
regt sich das Kornfeld kaum,
und über uns säuselt die Linde -
Es ist mir noch wie ein Traum.

Der einsame Wanderer in Wilhelm Müllers Winterreise hat nicht solches Eheglück. Bei Müller wird die romantische Reise nicht zu der Reise, die Eichendorffs Taugenichts macht, sie führt in der Winterreise und in der Schönen Müllerin in den Untergang. Und natürlich sind die Frauen schuld. Die ganze deutsche Romantik steckt in diesen beiden Liederzyklen, mit denen Dietrich Fischer-Dieskau nach dem Krieg mit seinem Begleiter Gerald Moore berühmt geworden ist. Vor ihm hatte es schon andere gegeben, die diese ➱Zyklen gesungen hatten, Hans Hotter, Peter Pears, Peter Anders und Axel Schiötz, aber diese Aufnahmen gab es in der fünfziger Jahren nicht. Zur Schönen Müllerin gehört eigentlich eine Vorrede, die sich von dem romantischen Müllerburschen ironisch distanziert, aber die kommt meistens nicht zur Aufführung (obgleich es eine Version von Fischer-Dieskau in der Originalfassung gibt). Wir wollen die Romantik, nicht die Ironie. ➱Müller hat beide Zyklen wohl aus verschmähten Liebe zu Luise Hensel gedichtet, verschmähte Liebe ist in der Romantik immer gut. Der Dichter hat dann eine andere Frau geheiratet. Sein Sohn Max Müller ist berühmter geworden als der Vater, der berühmteste Sprachwissenschaftler der Universität Oxford, an seinem Lebensende sogar in den Kronrat berufen. Romantik der Vater, Wissenschaft der Sohn, das ist das, was wir Deutschen können.

Für den Spätromantiker Mahler war der Müllersche Lindenbaum noch nicht genug, er musste in seinen Liedern eines fahrenden Gesellen (natürlich aus unglücklicher Liebe geschrieben) noch eins drauf setzen.

Die zwei blauen Augen von meinem Schatz,
die haben mich in die weite Welt geschickt.
Da mußt ich Abschied nehmen vom allerliebsten Platz.
O Augen blau, warum habt ihr mich angeblickt?
Nun hab' ich ewig Leid und Grämen.

Ich bin ausgegangen in stiller Nacht
wohl über die dunkle Heide.
Hat mir niemand Ade gesagt.
Ade! Mein Gesell' war Lieb' und Leide!

Auf der Straße steht ein Lindenbaum,
da hab' ich zum ersten Mal im Schlaf geruht!
Unter dem Lindenbaum,
der hat seine Blüten über mich geschneit,
da wußt' ich nicht, wie das Leben tut,
war alles, alles wieder gut!
Alles! Alles, Lieb' und Leid'
und Welt und Traum.

Und dazu Gustav Mahlers plüschige Musik, Fischer-Dieskau hat das sehr schön gesungen. Ich habe ihn einmal mit dem Lied von der Erde gesehen, da stand er sehr elegant mit seinem Frack auf der Bühne. Joseph Keilberth am Pult sah mit seinen wuscheligen weißen Haaren aus wie Beethoven. Es war noch ein zweiter Sänger im Frack auf der Bühne, den habe ich 1964 aber gar nicht beachtet. Damals ging man wegen Fischer-Dieskau ins Konzert und in die Oper. Fischer-Dieskau gestaltet es hinreissend. Sehr gut Wunderlich, hat Keilberth in seinem Tagebuch notiert. Mahler war damals im Konzertsaal ein Wagnis, das Keilberth mit seinen Bamberger Symphonikern immer wieder eingegangen ist. Nach dem Soundtrack von Tod in Venedig hörte jeder Mahler. Es ist mir heute noch peinlich, dass ich damals nicht wußte, wer Wunderlich war. Heute habe ich alle seine Aufnahmen. Leider hat er von Mahler nur wie an dem Frühlingsabend 1964 Das Lied von der Erde gesungen. Ich hätte gerne Die zwei blauen Augen von ihm. Was hätte er noch alles singen können, wenn er nicht so früh gestorben wäre.

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