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Samstag, 8. Mai 2010

che gelida mani


Eine rührende Szene: eine Mutter mit Kleinkind lauscht dem Spiel eines Mandolinenspielers, die Dame im Profil, leicht zu dem Musiker gewendet. Das Kind, das offensichtlich nichts an zuziehen hat, ruht am Busen der Mutter und scheint dem Klang der Mandoline zu lauschen. Wenn wir nicht über das Bild wüssten, hätten wir Schwierigkeiten, es einzuordnen. Die Kleidung des Mannes kann etwas sein, was man im 19. Jahrhundert altdeutsch nennt. Altdeutsche Mode wird irgendwann verboten, weil revolutionäre Studenten sie tragen. Die Obrigkeit erkennt sie leicht, weil sie wie Albrecht Dürer herumlaufen. Die altdeutsche Mode, die heute die Neonazis tragen, ist nicht verboten. Was der Herr (ist es der Ehemann?) trägt, könnte aber auch ein second hand Teil aus der Renaissance sein. Mit der haben es ja viele Maler im 19. Jahrhundert. Von der Romantik bis zum Historismus werden jetzt alle Stile und Epochen geplündert. Aber ich will nicht auf eine Kunstbetrachtung dieser rührenden Szene aus, ich will auch nichts zu dem Maler, Anselm Feuerbach, sagen, weil der für mich ein Tiefpunkt der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts ist.

Ich darf das sagen, weil ich mit Feuerbach und Konsorten aufgewachsen bin. Die dicken Bildbände zur deutschen Kunst in der Bibliothek meines Opas, die ich als Kind fasziniert studierte, enthielten viel Feuerbach. Und auch viel Defregger, Piloty und Makart, und wie die Kitscher alle heißen, die das deutsche Bildungbürgertum so liebte. Ich war noch nicht auf dem Gymnasium, da war ich Fachmann für die deutsche Historienmalerei des 19. Jahrhunderts. Leider war in diesen Büchern von dem hervorragenden Menzel immer nur der patriotische Teil des Werkes, wie zum Beispiel wenn Friedrich der Große im ➱Schloss Lissa Bonsoir, messieurs zu den überrumpelten österreichischen Offizieren sagt. Es ist eine Art Hassliebe, die mich mit dieser Malerei verbindet, weil sie meine ersten Bilder waren (und es damals noch kein Fernsehen gab), und ich alle Kompositionen, Gesten und Posen auswendig gelernt habe.

Der Mandolinenspieler von Anselm Feuerbach wird überall im Internet als Reproduktion angeboten. Das Original hängt in der ➱Kunsthalle Bremen, es ist 140 x 100 cm groß, und die Kunsthalle hat das Bild seit dem Jahre 1902. Damals war Gustav Pauli noch nicht Direktor der Kunsthalle. Gustav Pauli ist der Ehemann jener Bremerin, die unter dem Pseudonym Marga Berck den herzzerreißenden ➱Roman Sommer in Lesmona geschrieben hat. Und er ist einer der ganz großen Kunsthallendirektoren aus der Gründerzeit der vom Bürgertum finanzierten Kunsthallen. Das Bild ist (wie so vieles in der Aufbauphase der Bremer Kunsthalle) aus der Kulenkamp Stiftung bezahlt worden. Der Geldgeber Friedrich Wilhelm Eugen Kulenkamp, ein reicher kunstbegeisterter Kaufmann, war da schon tot. Er brauchte den Feuerbach nicht mehr zu sehen. Er hatte in seinem Testament 300.000 Reichsmark für den Bau von Arbeiterwohnungen ausgesetzt und weitere 300.000 für den Bremer Kunstverein. Aus den Zinsen dieser Summe sollten Ölgemälde bedeutender Meister erworben werden. Damals hielt man Anselm Feuerbach für einen bedeutenden Meister.

Aber in Bremen hielt man damals ja auch Arthur Fitger für einen großen Meister. Falls Sie von dem noch nie gehört haben sollten, hier ein Bild von ihm, in dem aber auch alles irgendwo geklaut ist. Arthur Fitger schreibt auch Theaterstücke, die findet man in Bremen auch ganz toll. Na ja, außer Otto Gildemeister und Hermann Allmers. Mit der Freundschaft zwischen Fitger ist es aus, nachdem sich Allmers bei einem Theaterstück von Fitger schon nach kurzer Zeit aus dem Parkett entfernt und lieber den Ratskeller aufgesucht hatte. Wenn Sie jetzt noch mehr vom Bremer Geschmack der Jahrhundertwende sehen wollen, dann gibt es noch ein Bild, das den Künstler bei der Herstellung des Freskos vom Heiligen Georg zeigt:


Dieser schlechte Geschmack der Jahrhundertwende ist natürlich auch genau die Kunst, die die Nazis lieben werden.Der Mandolinenspieler war ein Bild, das ich bei den ungezählten Besuchen der Bremer Kunsthalle keines Blickes mehr würdigte. Bis zu dem Abend, als ich mit meinem Freund Uwe (der später noch Kunstprofessor wurde) in der Kunsthalle war, und der kleine Mann mit der grünen Uniformjacke uns in den Saal zurückrief. Er wolle den jungen Herren mal etwas zeigen, sagte er. Gucken Sie mal die Hände an. Was sehen Sie? Ich sah nix, Uwe auch nicht. Sehen Sie es jetzt auf den ersten Blick, wenn Sie das Bild oben anschauen? Es sind völlig unterschiedliche Hände. Weiß und feingliedrig die rechte, plump und sonnenverbrannt die linke. Seine Geliebte Anna Risi, genannt Nanna, die sein Modell auf zwei Dutzend Bildern war, hatte ihn verlassen, weil sie seine Eifersucht und sein egomanisches Wesen nicht mehr ertragen konnte. Aber die linke Hand ist noch nicht fertig. Und weil das große Malergenie Feuerbach unfähig ist, eine linke Hand zu malen, nimmt er die Hand der Mutter seiner Geliebten als Vorlage. So erzählte es der Museumswärter an jenem Abend. Die Geschichte ist natürlich schön. Und Uwe und ich hatte unsere Lektion gelernt: genauer hinzugucken, selbst bei Bildern, die man nicht mag.

Ich weiß nicht, ob die Geschichte wirklich wahr ist. Anna Risi mit den neoklassischen Gesichtszügen hatte ihn schon Jahre zuvor  verlassen, war mit einem reichen Engländer abgehauen. Mit Engländern kennt sie sich aus, bevor sie Feuerbach kennenlernte, hatte sie ➱Lord Leighton Modell gestanden. Der Meister des viktorianischen Kitsches hatte sie viel schöner als Feuerbach gemalt:

1868 (auf das Jahr ist das Gemälde datiert) soll sie bettelnd zu Feuerbach zurückgekehrt sein. Aber er hatte sie abgewiesen. So wird es allen gehen, die sich an meinem Genie versündigen, soll er gesagt haben. Er hatte damals auch schnell Ersatz gefunden, eine Italienerin namens Lucia Brunacci, die beinahe so aussieht wie ihre Vorgängerin. Feuerbach wird sie als Iphigenie verewigen. In diesem kalten neoklassischen Stil, den Adolf Hitler so lieben wird. Ist es nun Nanna, die den Mandolinenspieler anhimmelt, oder ist es Lucia? Und weshalb diese andere, missratene Hand? Die Fragen bleiben.

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