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Montag, 21. Juni 2010

Nord Ostsee Kanal


An einem 21. Juni hat Wilhelm II den Nord Ostsee Kanal eröffnet, der natürlich im Jahre 1895 noch nicht Nord Ostsee Kanal hieß, sondern den schönen Namen Kaiser Wilhelm Kanal trug. Allerdings heißt er nicht nach unserem Willem II, wie man gemeinhin glaubt, sondern nach seinem Großvater. Bei den Engländern und in der internationalen Schiffahrt heißt er seit eh und je Kiel Canal.

Auf jeden Fall heißt er 1903 so bei den beiden englischen Gentlemen, die die Helden des ersten englischen Spionageromans The Riddle of the Sands sind. Denn bevor Carruthers und Davies die englischen Invasionspläne auf den Ostfriesischen Inseln entdecken, segeln sie erst einmal (wie der Autor Erskine Childers) durch die Ostsee. Den kaiserlichen Namen hatte der Kanal noch bis 1948, dann bekam die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt den neuen neutralen Namen. Zur Hälfte (zwischen Rendsburg und Kiel) folgte der Kanal einer älteren künstlichen Wasserstraße, dem alten Eiderkanal.

Ein Teilstück des alten Kanals ist zwischen dem Gut Knoop bei Kiel und der Rathmannsdorfer Schleuse noch heute erhalten, es lädt zu einem Spaziergang durch idyllische Natur ein. Die Rathmannsdorfer Schleuse war früher ein Geheimtip, ist aber jetzt schon auf YouTube zu sehen. Über den Kanal führen eine Vielzahl von Brücken und vierzehn Fähren, die alle kostenlos zu benutzen sind (inklusive der Schwebefähre unter der Eisenbahnbrücke von Rendsburg). Das hat der Kaiser Wilhelm so angeordnet, als der Unmut der Landbevölkerung zu ihm drang, die jetzt ihre Ländereien durch den Kanal zerstört sahen.

Schiffe, die den NOK befahren, müssen neben einem Lotsen einen Kanalsteurer an Bord haben. Diese Kanalsteurer (eine Berufsgruppe, die es nur hier gibt) hat man gleich bei der Eröffnung der Kanals nach holländischem Vorbild eingeführt, die tun ihr Leben nichts anderes, als auf dem Kanal hin- und herzufahren. Sie haben alle ein Kapitänspatent und sollen durch ihre genaue Kenntnis des Gewässers verhindern, dass es zu Havarien auf dem Kanal kommt. Aber dennoch rasseln jedes Jahr große Schiffe in die Böschung oder in die Schleusentore von Holtenau. Das liegt aber meistens nicht am mangelnden nautischen Vermögen der Kanalsteurer, sondern beinahe immer daran, dass die vollcomputerisierte Steuerungsanlage des Schiffes ausfällt.

Es gibt auch andere Unglücke am Kanal, die nichts mit der christlichen Seefahrt zu tun haben. Im September 1974 setzen Flugzeuge im Rahmen des Manövers Bold Guard Teile des 15th Scottish Airborne Regiments irrtümlich bei Sehestedt in den Nord Ostsee Kanal. 15 Soldaten landen im Kanal, sechs können nicht mehr gerettet werden. Abgesehen davon, dass die Landbevölkerung allen zur Hilfe kommt, die jetzt noch in irgendwelchen Baumkronen hängen, sacken sie auch alles (vom Fallschirm bis zum Jeep) ein, was die Briten links und rechts des Kanals von Klein Königsförde bis Osterade verteilt haben. Dieser Teil der schrecklichen Nacht taucht in der Berichterstattung der Presse nie auf, aber lassen wir das dahingestellt sein. Es wird noch eine sehr erfreuliche Entwicklung zwischen den Kanalanrainern und dem schottischen Regiment geben. Das Regiment hatte dreißig Jahre zuvor (auch im September) auch mit den Deutschen zu tun, das war dieses bescheuerte Operation MarketGarden von Montgomery, wo im Film der Kommandeur der Fallschirmjäger von Sean Connery gespielt wird. Die Schotten sind, wie alle britischen Regimenter, traditionsbewusst und besuchen jedes Jahr den neuen Schottenstein, aber irgendwann wird mehr daraus, als der jährliche Besuch einer Militärdelegation.

Die machen da jetzt seit Jahren Highland Games, mit Baumweitwerfen (tossing the caber) und all den seltsamen Dingen, die es auch in Schottland bei den echten Highland Games gibt. Und dazu gibt es auch noch Kapellen im Kilt, die diese gewöhnungsbedürftige Dudelsackmusik spielen. Klicken Sie doch mal hier, und Sie bekommen einen Eindruck davon, was hier im September am Nord Ostsee Kanal los ist. Bisher war man hier ja nur dadurch berühmt, weil das Herrenhaus Osterrade auf dem Etikett der Unox Dosensuppe ist, aber jetzt hat man richtige Schlagzeilen.

Der Amateurhistoriker, der die unsägliche Dorfchronik ins Netz gestellt hat und ständig den modischen Begriff der Erinnerungskultur strapaziert, hätte auch noch erwähnen können, dass hier in Sehestedt schon einmal ein Schotte war. Der heißt Sir Hugh Halkett und ist als Oberstleutnant in hannöverschen Diensten. Am 10.12.1813 kämpft er hier gegen die Dänen, hat einen dänischen Fahnenträger vom Pferd gehauen und die Fahne erbeutet. Zwei Jahre später nimmt er in der Schlacht von Waterloo den französischen General Cambronne gefangen. Das ist der, der als Kommandeur der Garde angeblich Merde gebrüllt hat (nicht nur französische Fußballer drücken sich ordinär aus), als man ihn zur Kapitulation aufgefordert hat. Auf jeden Fall steht das so in Victor Hugos Les Misérables. Er kann aber weder Die Garde stirbt, aber sie ergibt sich nicht noch Merde gesagt haben, weil ihn zuvor schon der Oberst Halkett an seinen Epauletten ergriffen hatte.

Wenn Sie jetzt sagen, dass hier etwas viel Militär in einem kleinen Artikel über den Nord Ostsee Kanal vorkommt, so muss man bedenken, dass der Kanal von Anfang an nicht nur dafür da war, um der Handelsschiffahrt den beschwerlichen Weg durch das Kattegat zu ersparen. Auf jeden Fall hatte Bismarck etwas anderes im Kopf, als er die Planung Kanal in Auftrag gab, und Kaiser Wilhelm I das so absegnete. Zwei Jahre nach der Eröffnung des Kanals hat man angeordnet, dass Kriegsschiffe auf dem Kanal Vorfahrt vor der Handelsschiffahrt hatten. Der Kieler Marinehistoriker Michael Salewski hat in seinem Buch Die Deutschen und die See in einem langen Kapitel Die militärische Bedeutung des Nord Ostsee Kanals behandelt.

Was Touristen immer zuerst beim Nord Ostsee Kanal auffällt (und was jeder Anwohner seit Kindestagen weiß) ist, dass der Kanal eine Wetterscheide ist. Eine Seite hat immer anderes Wetter als die andere. Aber daran ist der Kanal nicht schuld, sagen Meteorologen, das wäre auch so, wenn man den Kanal mit Sand zuschütten würde. Früher war Kiel ja gar nicht auf der Wetterkarte der ARD, aber Björn Engholm hat dafür gesorgt, dass der Ort auf die Karte kommt. Seine größte politische Leistung, wie gehässige Kritiker gesagt haben.

Einmal im Jahr sperrt man den Kanal für die Schiffahrt und überlässt ihn den Ruderern für den Hanse Cup, die längste Ruderregatta der Welt. Man möchte seit neun Jahren eine Art Konkurrenzveranstaltung zu der berühmten Regatta Oxford gegen Cambridge auf der Themse schaffen. Immerhin lockt man dabei bei gutem Wetter auch schon mal 150.000 Zuschauer an. Und der Achter aus Cambridge hat auch schon mal gewonnen.









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