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Samstag, 5. Juni 2010

Somewhere West of Laramie


Emanuel Leutze, dem die Amerikaner das ikonische Bild Washington Crosses the Delaware verdanken, schuf 1862 für ein Honorar von 20.000 Dollar für die Rotunde des Capitols das monumentale Bild Westward the Course of Empire Takes its Way. Künstlerisch ist das sechs mal neun Meter große Bild eher vernachlässigenswert, aber es hat seinen festen Platz in der amerikanischen Ikonographie. Auf den Bekanntheitsgrad dieses Bildes - es war im gleichen Jahr entstanden, in dem der Homestead Act die Besiedlung des Westens einleitete und wurde so gleichsam zu einem Symbol für Manifest Destiny - vertraute damals die Firma McCormick mit ihrer großformatigen Werbeanzeige. Die ist für das 19. Jahrhundert eigentlich erstaunlich, da sie heute geläufige, "postmoderne" Zitiertechniken vorwegnimmt. Die Anzeige findet sich, zusammen mit 49 anderen historischen Plakaten der Firma McCormick, auf dieser ➱Internetseite.

Die Anzeige übernimmt das Hauptstück aus Leutzes Bild, sie läßt aber bei der Vereinfachung von Leutzes Komposition wichtige Komponenten fort, insbesondere die Darstellung von Krankheit und Tod. Aber da, wo sich den herandrängenden Siedlern auf Leutzes Bild die Versprechungen von Bischof Berkeley ... westward the course of empire takes its way aus seinem Gedicht On the Prospect of Planting Arts and Learning in America (1726) auftun, da, wo sie sich erst einen Weg mit ihren Äxten freischlagen müssen, schauen die Siedler auf ein, dank Cyrus McCormick, schon parzelliertes agrarisches Idyll. Und über den schneebedeckten Bergen, im blauen Himmel, empfiehlt die Fa. McCormick neben dem Berkeley Zitat, McCormick Reapers im Planwagen mitzuführen, eine schöne Kombination von amerikanischem Geschäftssinn und der promotional literature Berkeleys:

In happy Climes, where from the genial Sun
And virgin Earth such Scenes ensue,
The Force of Art by Nature seems outdone,
And fancied Beauties by the true

Alles auf dem Bild drängt zum linken Bildrand. Ebenso wie auf John Gasts berühmten American Progress von 1872, wo über einer ähnlichen Szene von Siedlern und Planwagen eine luftig bekleidete Columbia schwebt (sie schwebte hier im Blog schon am 25. Mai). Doch dort im neuen Garten Eden ist schon die Firma McCormick mit ihren Erntemaschinen tätig geworden. Es gibt keine Paradiese mehr, nur noch Maschinen, die die Natur schöner machen.

Man könnte die Anzeige (ebenso wie Leutzes Bild) auch noch unter einem anderen Aspekt behandeln, der sicher auch spezifisch amerikanisch wäre, nämlich dem des Kitsches. Washington Crosses the Delaware könnte man ja noch als Historienbild und als Hommage an den Geist von 1848 für die Kunst retten, Westward the Course of Empire Takes its Way ist schlimmer Kitsch ebenso wie John Gasts Bild, über das Curtis Brown in dem Buch Star-Spangled Kitsch urteilt:

It may not be art or even credible history, but kitsch seldom comes in so lovely a form. This oil painting of a prairie traffic jam by John Gast, a patriotic enthusiast of America's Manifest Destiny, is entitled Westward the Course of Empire (1872). The balloonlike apparition before whom the Indians flee may represent the blessings of civilization. As she strings telegraph wires across the continent, she clutches in her right arm a volume inscribed, with simple directness, School Book

Wenn man bösartig wäre, könnte man sogar sagen, daß die McCormick-Anzeige künstlerisch wertvoller ist als ihre Vorlage, da sie ihr eine sehr amerikanische Dimension hinzufügt, nämlich den McCormick Harvester, oder, um Professor Leo Marx zu zitieren, the machine in the garden. Leo Marx hat in seinem gleichnamigen Buch ausgeführt, welch eigentümliche Symbiose der Mythos des pastoralen Idylls und die Maschine in Amerika eingehen, daß der amerikanische Garten eigentlich immer wie ein et in Arcadia ego die Maschine impliziert. Auf der McCormick-Reklame liegt vor den ankommenden Siedlers "kultivierte" Natur, geordnete Weizenfelder, durch die von Pferden gezogene McCormick Reaper ihre Bahn ziehen. Es ist, als blickten die Siedler auf ihre eigene Zukunft (und so wird der anonyme Graphiker seine Anzeige auch wohl verstanden haben), statt der erhabenen und feindlichen Natur sehen wir die wohlgeordnete Landschaft.

Nichts von der Gefährdung des Siedlerlebens im Westen, von denen die Briefe der Einwanderer künden (und die zumindest bei Leutze noch angedeutet ist), nichts von dieser gnadenlosen Einsamkeit der Prärie, die eine der Figuren in Willa Cathers My Ántonia Selbstmord begehen läßt. Nein, jenseits des Berges, den Leutzes Siedler heroisch und melodramatisch erklommen haben (die religiösen Obertöne fehlen hierbei nicht, Kunsthistoriker können unschwer ikonographische Motive wie Moses, der sein sein Volk durch die Wüste führt, und die Madonna mit dem Kind ausmachen), liegt die schöne neue Werbewelt. Man kann dies im Rahmen eines Konzeptes von promotional literature sehen, die mit Michael Draytons To the Virginian Voyage (1606) angefangen hat, und die damals schon genau so log wie die Prospekte der Reisebüros heute. Drayton, der Amerika natürlich nie gesehen hatte, spricht hier von

The fruitfulls't soyle
Without your toyle
Three harvests more
All greater than you wish...

Mit den Maschinen, mit denen Cyrus McCormick ein Vermögen gemacht hatte, geht auch ein agrarisches Idyll vom Farmer, der mit seiner Familie sein eigenes Land im Kreislauf der Natur bestellt, dahin. Von nun an sind die Farmer Teil eines industriellen Ganzen. Um 1880 (der Zeit, aus der die McCormick-Anzeige stammen wird) ist die Vollmechanisierung abgeschlossen, die ersten Mähdrescher laufen in Amerika schon in der Jahrhundertmitte: mechanization takes command. Vom agrarischen Ideal der jungen Republik, das noch Crèvecœur einen American Farmer als Sprachrohrfigur der jungen Demokratie nehmen ließ, blieb (so der berühmte BBC Korrespondent Alistair Cooke) nicht mehr viel übrig:

This realized ideal of "the farm industry" was a far cry from the original American ideal of the sturdy independent small farmer who made all his own farming and building implements, made the tallow for the candles and the soap, raised a few crops and a few cattle, and tapped the trees for the family sugar. Yet, by a familiar human contradiction, the faster this ideal dated, the more it was mooned over. Millions of Americans bought prints of old farming scenes in the hope of asserting a sacred fact of the American life what was already becoming a memory: the idea of America as a continent without cities, a far-flung republic of yeoman farmers.


Die zweite Anzeige, die ich hier vorstellen möchte, ist Somewhere West of Laramie. Eine Anzeige für ein Automobil namens Playboy (den Namen gibt es in Amerika schon lange vor Hugh Hefner) des amerikanischen Automobilproduzenten Edward S. Jordan aus dem Jahre 1923:

Diese Anzeige ist sicherlich die berühmteste Anzeige der 1920er Jahre, wenn nicht die in der amerikanischen Werbebranche bekannteste Anzeige überhaupt. Angeblich, so will es die Saga der Madison Avenue, wird sie noch heute von angehenden Werbetextern auswendig gelernt. Jordan besaß keine Werbeabteilung, er schrieb in der selfmade man Tradition Amerikas seine Texte selbst - auch von Cyrus McCormick wissen wir, daß er die Werbung für seine Firma selbst organisierte. Somewhere West of Laramie besteht aus einem Bildteil, der eine junge Dame am Steuer eines zweisitzigen offenen Sportwagens neben einem Cowboy auf einem galoppierenden Pferd zeigt, einem Textteil und dem in Art Deco-Lettern sorgfältig plazierten Firmennamen. Der male myth des amerikanischen Cowboys wird von der jungen Frau am Steuer hinter sich gelassen, gehört der Vergangenheit an. Aber radikal möchte sich Jordan vom Mythos des Westens nicht trennen, und so überträgt er ihn im Textteil auf die neue, weibliche Käuferschicht. In beinahe poetischen Formulierungen wird eine weibliche Zielgruppe angesprochen, ein geschickter Schachzug Jordans zu einer Zeit, als emanzipierte Frauen und flappers Konjunktur hatten. 

Das berühmte Gibson Girl vergangener Jahrzehnte mutiert hier zum weiblichen Äquivalent des amerikanischen Cowboys und der Verkörperung aller Werte des outdoor life. Dieses positive, ursprüngliche amerikanische Cowgirl (das noch nichts von Buchtiteln wie Even Cowgirls Get the Blues gehört hat) ist sicherlich der Vorläufer des Marlboro Man, und speziell für sie, so Jordan, wurde der Jordan Playboy geschaffen. Nun sind 1923 die Mehrzahl der Käuferinnen wohl keine broncho-busting, steer-roping girls, und so versichert Ed Jordan seiner Klientele, daß das Auto auch a graceful thing for the sweep o' the Avenue sei. Ähnlich, wie man sich mit Esso den Tiger in den Tank packt, holt man sich mit dem Playboy die Wildheit des Westens auf die Straße. Oder, when the hours grow dull with things gone dead and stale, dann hilft einem der Jordan Playboy, der Stadt zu entkommen: Then start for the land of real living with the spirit of the lass who rides, lean and rangy, into the red horizon of a Wyoming  twilight.

Der Westen bedeutet auch in den 1920er Jahren immer noch etwas Ersehnenswertes. Der Mythos vom Cowboy, der alles hinter sich läßt und in den Sonnenuntergang reitet (die Schlußszene vieler Westernfilme) ist immer noch lebendig. Oder, in den Worten des Soziologen David Riesman: If one of the attractions of the Western is the cowboy's liberty to ride off into the sunset, leaving responsibility and complexity behind, the car, which doesn't even require saddling, is even handier.

Somewhere West of Laramie spricht, wie so viele Automobilanzeigen der zwanziger und dreißiger Jahre, das Thema Stadt und Land an, das bei der Verstädterung Amerikas und dem Entstehen der Suburbs ein reales Problem geworden ist. Die versprochene Lösung, daß man der Tristesse des Alltags mit dem Automobil in das land of real living entkommen kann, ist natürlich nur eine Scheinlösung, ein Mythos der Werbewirtschaft. Ein Jahrzehnt später ist ein großer Teil Amerikas auf dem Weg vom mittleren Westen in den Westen, aber es sind keine Fitzgeraldschen flappers auf der Suche nach the land of real living, sondern die Okies, die versuchen, dem Elend der Depression zu entkommen. Anstelle der Madonnendarstellung bei Leutze und McCormick, der Mutter, die dem Kind die Verheissungen des Westens zeigt, tritt das ikonische Photo Migrant Mother (1936) von Dorothea Lange, einer Wanderarbeiterin mit ihren Kindern, trostlos und ohne Hoffnung.

Mein drittes Beispiel für die kommerzielle Vermarktung des Westens ist keine Einzelanzeige, sondern eine jahrzehntelang produzierte Anzeigenkampagne in Form von Anzeigen, Plakaten und Fernsehspots, die berühmte Marlboro Man Kampagne. Der Marlboro Man und Marlboro Country sind Teil der Umgangssprache und der nationalen amerikanischen Mythologie geworden.

1986, auf dem Höhepunkt des Werbefeldzugs, übergab die Firma Philip Morris das gesamte bisherige Material an die Smithsonian Institution. Offenbar war man sich bewußt, daß die Marlboro-Werbung von nun an ein Teil der amerikanischen Kulturgeschichte sein würde. Erstaunlich dabei ist, daß das Werbekonzept noch relativ jung ist, es gibt den Marlboro Man erst seit 1963. Marlboro wurde als Filterzigarette von Philip Morris in den 1930er Jahren eingeführt, als Zigarette für die Damenwelt (The Ladies' Favorite, Mild as May). Der Werbegag war ein rotes Filtermundstück, das Lippenstiftspuren verdecken sollte (das Rot wurde als Signalfarbe in der Werbung später beibehalten).

Aber niemand kaufte die Zigarette, der Marktanteil lag in den ersten 20 Jahren bei unter 1%. Das änderte sich erst, als Marlboro 1954 die Werbung Leo Burnett anvertraute. Der Rest ist inzwischen Geschichte der Madison Avenue. Marlboro war seit 1975 die meistverkaufte Zigarette in den USA (in Deutschland 1985 auf Platz Eins). Der Werbeetat, der größte in den USA, lag 1989 bei einer Milliarde Dollar. Leo Burnett hat (das kann man nachweisen) die Somewhere West of Laramie Anzeige gekannt. Vielleicht ist aber ein anderer Text von Jordan (I want to be happy) noch wichtiger für die Genese der Marlboro-Werbung gewesen, denn dort heißt es:

There is still a country where a cowboy
Can spread his loop without getting it
Caught in a fence post  - where the mountains
Tickle the sky and ten million stars just
Almost scare you...

Und so kann man den von Ed Jordan heraufbeschworenen Geist des Westens auch ein halbes Jahrhundert später noch finden. Allerdings wird er hier einem gesundheitsschädlichen Produkt zugeordnet, das im Prinzip überhaupt nichts mit dem Westen zu tun hat. Burnett stellte als erstes in seiner Werbung die Zielgruppe der Zigarette um, weil er überzeugt war, daß Frauen auch das rauchen würden, was Männer rauchen. Als Filterzigarette hatte Marlboro zwar kein ausgesprochen maskulines Image, aber die ersten großen Krebsstudien der 50er Jahre  trugen dazu bei, dem amerikanischen Raucher den Übergang zu einer "Frauenzigarette" leichter zu machen - dies übrigens ohne große Werbebemühungen. Burnetts Werbeagentur assoziierte in den ersten Anzeigen Marlboro mit harten Männern, regular guys, etwas, was jeder Amerikaner (und nicht nur Ernest Hemingway) gern sein möchte. Dazu kam als zweite Komponente die Betonung des outdoor life. Daß der erste abgebildete Marlboro Man in den fünfziger Jahren ein (tätowierter) Cowboy war, ist eher Zufall, so äußerte ein Werbemann später: we asked ourselves what was the most generally accepted symbol of masculinity in America, and this led quite naturally to the cowboy.

Das most generally accepted symbol der Madison Avenue entspricht hier sicherlich dem Begriff cultural symbol von Leo Marx und anderen, und zur Figur des Cowboys ist sicher seit Henry Nash Smiths Buch Virgin Land genügend gesagt worden. Irritierenderweise ist aber dieses kulturelle Symbol in seiner ureigensten Kunstform, dem filmischen Western, in dieser Zeit in einer tiefen Krise. Budd Boetticher und andere zeigen uns eher neurotische Helden voller Zweifel. Die Zwiespältigkeit der McCarthy-Ära findet sich auch im Western.

Die nächsten Marlboro Men personifizierten ein maskulines Leben außerhalb des Büros, und diese Strategie bestimmt ja immer noch große Teile der Zigarettenreklame (man denke an die Camel-Werbung in Deutschland). Den abgebildeten Männern (successful and sophisticated but rugged) war gemeinsam, daß sie eine Tätowierung trugen. 1963 wurde dieses Merkmal aufgegeben, man kehrte reumütig zu dem kulturellen Symbol No. 1 der USA, dem Cowboy, zurück. Wobei man nun anstelle von Photomodellen nur noch wirkliche Cowboys photographierte. Und gleichzeitig, noch bevor man 1968 mit Darrell Winfield den berühmtesten Marlboro Man der Kampagne fand, wurde das Environment des Marlboro Man (das gleiche wie das des Jordan Playboy Girls) zum Marlboro Country erklärt. Die verbale Aufforderung Come to where the flavor is. Come to Marlboro Country ist seitdem beinahe unverändert geblieben. Lediglich die Werbung für Marlboro Menthol zeigte Marlboro Country (ähnlich wie die Werbung für die Mentholzigarette Salem) in einer idyllischeren Farbgebung.


Marlboro Country, der Mythos vom amerikanischen Westen, ist natürlich eine geschickte Doppelstrategie für den Fall, daß die Attraktivität der Cowboy-Figur eines Tages leiden konnte. Zwar produzierte der Western in den sechziger Jahren nur noch resignierende alte Männer als Helden, man denke an Peckinpahs Ride the High Country, aber in der Werbewelt war der Cowboy immer noch attraktiv:

The desire, evidenced in billboard advertising, to return to a more natural ambience also expressed itself as a fascination with the Old West. The American romance with cowboys only grew stronger and more enduring in the 1960's. The figure of the cowboy sold products as effectively as that of any beautiful woman.

Die Marlboro Men der sechziger Jahre ritten zu der Musik von The Magnificent Seven über den Bildschirm (Marboro hatte dafür die Rechte an der Filmmusik von Elmer Bernstein gekauft). Aber es bleibt eine seltsame Ambiguität: 1964 war das nationale Symbol John Wayne, der vier Päckchen Zigaretten am Tag zu rauchen pflegte, an Krebs erkrankt. Und eine Vielzahl von Legenden der urban folklore behaupten, daß alle Marlboro Man Models an Lungenkrebs gestorben sind. Joan Didion, eine der scharfsinnigsten Kritikerinnen des American Way of Life, hat in ihrem Essay John Wayne: A Love Song sehr genau diesen amerikanischen  Helden zwischen Mythos und Realität beschrieben:

John Wayne rode through my childhood, and perhaps through yours, he determined forever the shape of certain of our dreams. It did not seem possible that such a man could fall ill, could carry within him that most inexplicable und ungovernable of diseases. The rumour struck some obscure anxiety, threw our very childhoods into quesition. In John Wayne' s world, John Wayne was supposed to give the orders  [...] And in a world we understood early to be characterized by venality and doubt and paralysing ambiguities, he suggested another world, one which may or may not have existed ever but in any case existed no more: a place where a man could move free, could make his own code and live by it...

Marlboro Country ist das beständige Heraufbeschwören des Mythos des Westens in einer Welt der  kommerzialisierten frontier, einer elementaren Natur als Dissonanz zum täglichen Leben und einer Festschreibung eines pastoralen Idylls. Marlboro gaukelt uns vor, daß uns eine Zigarette dieser Marke ins Marlboro Country entführt, somewhere west of Laramie, wo wir dann eins mit dem  image der Natur sind. Und wenn Marlboro eine King Size-Größe einführt, wirbt man mit dem Slogan, daß man damit etwas länger im Marlboro Country bleiben könne (und die Zigarette muß natürlich Longhorn heißen). Für eine "Marlboro Medium" warb man in England in den 90er Jahren mit USA Straßenkartenausschnitten und dem Slogan Somewhere in the middle of Marlboro Country (Ed Jordan läßt grüßen). Amerikaner lieben, wie Daniel J. Boorstin in The Image: A Guide to Pseudo-Events in America maliziös betont, offensichtlich solche "Pseudoevents" und ziehen sie dem real thing vor.  Anstelle des Westens tritt das image vom Westen, anstelle des Cowboys das image vom Cowboy - selbst der Marlboro Man Darrell Winfield ist von sich selbst entfremdet, wie folgende Episode belegen mag:

One night at the dinner table his daughter, Debbie, asked, "Daddy, do you ever watch yourself on TV?"
"Sure," Darrell replied, "when they come on the screen."
"What do you think when you see 'em?"
"Why, I think how handsome that guy is." Darrell answered, "and how much I'd like to be like him." 

1969 gab es neben der Marlboro Man und der Marlboro Country Werbung in Magazinen und Zeitungen noch eine weitere Werbestrategie. So wurden kalifornische Highways mit gigantischen Vergrößerungen von Gemälden von Frederick Remington (dessen Bildwelt ja ähnliche Themen wie die der Marlboro  Werbung zeigt) verschönert. Solche billboard Werbung ist heute nicht mehr so sehr en vogue, schon Präsident Johnson hatte auf Betreiben seiner Frau begonnen to beautify and landscape our highways. Und Edward Abbey, der die Zerstörung der amerikanischen Natur zum Thema seiner Romane gemacht hat, gibt den schönen do it yourself Ratschlag: Burn a Billboard.

Marlboro demonstrierte danach, daß man mit dem Marlboro Country auch für andere Dinge als Zigaretten werben konnte. Da der Konzern im Zuge eines Diversifikationprozesses unter dem gleichen Namen in Europa Abenteuerreisen und Freizeitmode anbot, warb er in internationalen Modezeitungen wie L'Uomo Vogue mit doppelseitigen Anzeigen von Pferden in einer majestätischen Winterlandschaft (die Werbung in Europa ging etwas weg vom American Sublime hin zu einer Naturschönheit, die eher dem Lake District der englischen Romantiker entsprach). Marlboro Jeans und Marlboro Classics sind inzwischen Handelsmarken der italienischen Firma Marzotto (der damals auch die Marke Boss gehörte). Nun könnte man sich vorstellen, daß die Italiener ein gewisses Verhältnis zum Westen haben, immerhin haben sie den Italo Western erfunden. Aber wie wird der Westen im Osten verkauft, in den Philip Morris immer stärker drängte? Taiga und Tundra atmen auf - sie werden Marlboro Country titelte eine deutsche Zeitung kurz nach dem Fall der Mauer. Und auf den Flächen, auf denen einstmals der Sieg des Sozialismus beschworen wurde, klebte dann der Marlboro Man. Wenige Wochen nach dem Fall der Mauer konnte man im verschlafenen Mecklenburg-Vorpommern die bunten Farben des Marlboro Country bewundern.

Interessant ist, dass die Marlboro Werbung in England in den neunziger Jahren völlig anders verlief. Das liegt zum einen im Entstehen der neuen Zeitgeist- und Modezeitschriften wie Arena, zum anderen daran, daß John Players Silk Cut und Benson & Hedges sich damals eine Werbeschlacht lieferten, die an Witz und Intellektualität nicht mehr zu übertreffen war (und es hatte auch etwas mit den in der englischen Werbung stillschweigend akzeptierten Richtlinien der Tabakwerbung zu tun). Bei einer solchen battle of wits konnte Marlboro nicht zurückstehen. Ihre erste Kampagne (circa 1993-1994) zeigte nur unterkühlte Schwarzweißphotos aus Marlboro County, bei denen ein einziges Bildelement rot war, wie das Rot einer Ampel in einem verschlafenen Westernnest. Sonst nichts, keine weitere Marlboro Erwähnung. Oder ein Trucker am Steuer, mit einem roten Nacken. Sozusagen ein redneck. Cool. Die zweite Kampagne (95-97) verzichtete auch auf den ganzen Marlboro Apparat und zeigte doppelseitige Farbphotos, die jetzt ironisch kommentiert wurden. Zum Beispiel ein Photo von Monument Valley mit einer Aussichtsplattform in der Mitte und dem Satz It's why we have Cinemascope. Es braucht wohl nicht betont zu werden, dass eine derartige Werbung nicht unbedingt für die USA geeignet war.

Wenn man sieht, wie Firmen wie Timberland und L.L. Bean mit einem ähnlichen Konzept werben, wenn man sieht, daß selbst eine Zigarette mit dem schlichten Namen West erfolgreich ist , könnte man annehmen, daß uns hier ein transkultureller Mythos überrollt, eine weltweite Cowboyisierung. Aber in gewisser Weise war diese Werbung auch der Schwanengesang, bevor die EG-Richtlinien die Werbung einschränkten. Heute klebt auf den Zigarettenpackungen unübersehbar der Hinweis auf den Tod, et in arcadia ego. Und schon Jahre zuvor hatte das französische Comic Magazin Lucky Luke aus Gründen der Political Correctness seinem Helden die Zigarette gestrichen, die als eine Art Markenzeichen an der Unterlippe des Westernhelden klebte. Ja, der Westen ist schon todbringend. Das Go West, das die Zigarettenmarke West in Deutschland verwendet, dürfte sie im englischsprachigen Bereich nicht gebrauchen. Da heißt das nämlich im Slang nichts als sterben.

Verblüffend bleibt die Beharrlichkeit, mit der die amerikanische Werbung den Mythos der frontier und des Westens in den letzten 100 Jahren immer wieder präsentiert hat, getreu der These Boorstins, daß die amerikanische Kultur nicht von der Realität, sondern von dem image bestimmt wird. Michael Draytons Gedicht auf die Reise nach Virginia ist frühe Werbelyrik, der Beginn einer promotional literature, mit der der Westen immer wieder aufs neue verkauft wird, der Titel von Christine Bolds Buch The Selling of the West ist geradezu symbolisch. Vielleicht hat die Attraktivität des Marlboro Man, die auch in dem Maße stabil geblieben ist, in dem das traditionelle Männerbild fragwürdig geworden ist (John Wayne ist tot, und wir haben noch keinen Ersatz für ihn gefunden, schrieb der Spiegel), wirklich etwas Religiöses an sich, wie Bruce A. Lohof vermutet:

The Marlboro Man is not singly a cowboy. He is the symbol of irretrievable innocence, and of the illimitable wilderness wherein, as Emerson said, one might have been "plain old Adam, the simple genuine self against the whole world".

Am heutigen Tag (5. Juni 1895) wurde William Boyd geboren, alle kennen ihn nur als Hopalong Cassidy, einen der großen kleinen Helden des silverscreen. Es ist eine vergangene Welt. Wenn man einen Eindruck davon haben will, sollte man sich auf YouTube Tumbleweed mit seinem Kollegen William S. Hart anschauen. Wo der große Stummfilmstar am Ende ergriffen zum ersten Mal auf Zelluloid redet. Von der vergangenen Zeit: the thrill of it all. Meine kleine Kulturgeschichte der Vermarktung des amerikanischen Westens ist vor Jahren in einer anderen Fassung schon in einer Fachzeitschrift erschienen. Da die aber niemand von meinen Lesern gelesen hat, und der Artikel eigentlich zu schade zum Wegwerfen war, habe ich den Text einmal radikal überarbeitet. Weg mit den ganzen Fußnoten und Literaturangaben und dem ganzen wissenschaftlichen Tüddelüt, geht auch. Man kann's immer noch lesen. Bitte sagen Sie jetzt: Ja!

Und ich schicke hiermit auch ein Dankeschön an Dr Peter Bischoff von der Redaktion der Studies in the Western. Das ist die hochinteressante kleine Zeitschrift der German Association for the Study of the Western [GASW]. Die Gesellschaft ist gerade 20 Jahre alt geworden, hier können Sie mehr darüber erfahren.

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