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Samstag, 25. September 2010

Glenn Gould


What has three legs, never walks, but transports you, 
has no arms but embraces hundreds at a time? 
What single key opens eighty-eight different doors, 
is black and white but blinds you with its colour? 
What silent visitor sits in your living room and sings?

Ja, vielen Dank für dieses Gedicht Kate Braid. Es heißt Burlesca, ein musikalischer Scherz, sehr witzig. Die Antwort auf dieses Rätselgedicht heißt natürlich Piano. Und ich vermute mal, dass mit der letzten Zeile auf Glenn Gould angespielt wird. Das mit dem Singen hat man ihm ja nie austreiben können. Kate Braid ist eine kanadische Dichterin, und sie hat gerade über ihren kanadischen Landsmann einen ganzen Band Gedichte geschrieben, der A Well-Mannered Storm: The Glenn Gould Poems heißt.

Sie ist nicht die einzige, die Glenn Gould als Anregung für eine künstlerische Tätigkeit nimmt. Thomas Bernhard hat ihn in den Roman Der Untergeher hineingeschrieben. Und ein Professor für Computer Science namens Stephen Payne hat das Photo von 1957, das Karsh von Glenn Gould gemacht hat (oben), als Ausgangspunkt für ein Gedicht genommen, das Glenn Gould into the music heißt.

He stares at the keys beyond his hands.
Not a note is depressed, nor even touched.


He is listening to the chord just played,
already hearing the ones to come,


just as his hands, high and arched,
hold traces of both past and future


whether they are rising or falling
or in that moment’s stillness between.

There is no blur, although perhaps
the tips of his fingers soften

into their reflections on the polished wood,
the way sound softens into quiet.


Es gibt nicht nur Gedichte, es gibt auch Filme über ihn wie Au delà du temps von Bruno Monsaingeon oder Genius Within: The Inner Life of Glenn Gould von Michèle Hozer. Oder den wirklich schönen Thirty Two Short Films About Glenn Gould von François Girard, das wäre irgendwie mein Tagestipp. Gibt es leider nirgends zu kaufen, aber ich habe ihn glücklicherweise im Kino gesehen und im Kopf abgespeichert. Aber wenn es ihn nirgendwo auf dem Markt gibt, dann retten uns die Japaner, und man kann den ganzen Film ➱hier sehen. Allein dieser Anfang, mit der einsamen Figur in der Schneewüste und dazu die Aria aus den Goldberg Variationen, wow!

Ich schreibe heute über Glenn Gould, weil der heute Geburtstag hat. Seine Kollegin Alicia de Larrocha (die nicht so exzentrisch war wie er, aber einen schönen Mozart spielen konnte) ist heute vor einem Jahr gestorben, sie ist 86 Jahre alt geworden. Glenn Gould war nur fünfzig Jahre alt, als er 1982 starb. Er hat den Erfolg der Goldberg Variationen nicht mehr erlebt, die er gerade zuvor neu eingespielt hatte. Viel langsamer als die Aufnahme von 1955. Vier Wochen vor seinem Tod hatte er Tim Page noch ein einstündiges Interview gegeben (ist als Bonus Disc auf Glenn Gould: A State of Wonder).

Ich schreibe über Glenn Gould, weil ich mit seinen Platten aufgewachsen bin und nicht mit denen von Elly Ney. Wenn es nach meiner Klavierlehrerin gegangen wäre, hätte ich mir nur Elly Ney Platten kaufen dürfen. Von Zeit zu Zeit ist es schon ganz richtig, Ratschlägen und Empfehlungen nicht zu folgen. Glenn Gould hat das auch gesagt, als man ihn 1964 in Toronto zum Ehrendoktor machte und er den versammelten Studenten noch etwas auf den Lebensweg mitgeben sollte: wenn ich einen Satz finden sollte, der meine Wünsche für Sie in diesem Augenblick zusammenfasst, so würde ich versuchen, Sie davon zu überzeugen, dass es sinnlos ist, allzusehr nach dem Rat anderer zu leben. An dem Tag trägt er unter seinem neuen roten Talar einen eleganten pinstripe Anzug.

Es ist ja nicht so, dass ich nicht auch andere Pianisten mag, Arturo Benedetti Michelangeli hat bei Mozart große Momente. Glenn Gould ist für Mozart nicht der richtige, seine Einspielung der Mozart Sonaten klingt so, als hätte er statt des Klaviers eine Nähmaschine benutzt. Dennoch sind diese Aufnahmen sehr lehrreich, weil sie die Strukturen der Sonaten offenlegen. Aber wenn man Hintergrundmusik für ein Wiener Café zu dem Klingeln des Silberlöffels in der Porzellantasse haben will, dann sollte es nicht Goulds Mozart sein. Dann sollte man lieber Ingrid Haebler nehmen. Und wenn man sich nur eine Gesamtaufnahme kaufen will, dann kann ich nur Gilbert Schuchter empfehlen. Ich mag auch Tuija Hakkila auf dem Fortepiano sehr, aber die ist leider nicht mehr lieferbar.

Er hat Mozart nicht wirklich gehasst, er hat nur - von einem musikalischen Genie zum anderen - Mozarts Schwächen durchschaut. Er hat ja auch immer wieder Mozart öffentlich gespielt, wie das C-Moll Konzert (KV 491) 1958 in Stockholm, und Mozart Sonaten gehörten zu seinen ersten Aufnahmen (The very first recording of Glenn Gould 1947-1952). Und wenn Sie auf ➱YouTube mal eben in den zweiten Satz von der Salzburger Aufnahme von der Sonate 330 hinein hören: so spielt kein Mozarthasser.  Auf jeden Fall nicht, wenn er in Salzburg noch lebendig aus dem Konzertsaal kommen will. Und da wir gerade bei YouTube sind, da hätte ich noch etwas ➱Lehrreiches. Didaktisch sehr gut gemacht, Mitsuko Uchida gegen Glenn Gould, immer die gleiche Sonate (KV 284). Muss man gehört haben.

Die bösartigen Aussagen über Mozart sollten wahrscheinlich auch die Journalisten verschrecken, Gould liebte jede Sorte Scherz. Seine musikalischen Scherze überflügeln alle Mitglieder von Monte Python leicht und locker. Wenn man seine Briefe liest oder was er sonst noch alles geschrieben hat, wenn man sich seine Radiodokumentationen anhört (und ja, die Filmmusik von Slaughterhouse Five und von The Wars ist auch von ihm), bekommt man einen Eindruck vom ganzen Glenn Gould. Auch wenn noch, wie bei einem Eisberg, sieben Achtel vom privaten Glenn Gould verborgen bleiben. Trotz all der Bücher, die über ihn geschrieben wurde, trotz der Veröffentlichung von Briefen und sogar von Telephongesprächen.

Ich weiß nicht, wer gesagt hat, dass die Sonaten von Mozart sowieso nur für Klavierschüler und ganz große Pianisten da sind, wahrscheinlich stimmt der Satz sogar. Denn die Alberti Bässe für die linke Hand bei Mozart sind für Klavierschüler angenehm leicht zu begreifen, für einen Pianisten sind sie natürlich keine richtige Herausforderung. Was allerdings bei Johann Sebastian Bach für die linke Hand vorgesehen ist, dass kann einen schon manchmal zur Verzweiflung bringen. Nicht Glenn Gould. Dem fällt das leicht, er ist Linkshänder. Und Bach hat er gespielt wie kein zweiter. Darüber vielleicht ein anderes Mal mehr. Vielleicht reicht es, wenn ich an dieser Stelle das Gedicht Ice Man von Kate Braid zitiere.

The image of me out there – Ice Man –
it’s only image. I don’t want to show
how it all comes from the blood, from inside, you know?
I only tell you this now because I’m drunk on sound.
Tomorrow I will deny it.
Blood? What blood? I am Bach

Glenn Gould ist ein wenig exzentrisch gewesen, aber das sind viele Briten. Und wenn man Kanadier ist, ist man ja häufig noch ein Brite. Glenn Goulds Mutter ist stolz auf ihre schottische Abstammung. Glenn Golds Vater hatte den Namen von Gold in Gould geändert, und es ist viel über Goulds angebliche  jüdische Herkunft spekuliert worden (Gould selbst machte Witze darüber) - es ist auch viel über eine angebliche Homosexualität von Gould spekuliert worden. Vladimir Horowitz hat einmal gesagt: There are three kinds of pianists: Jewish pianists, homosexual pianists, and bad pianists. Er sollte es wissen. Aber Glenn Gould passt wohl in keine Kategorie. In die letzte erst recht nicht, selbst wenn diese Banausen vom Penguin Guide to Compact Discs nie mehr als zwei Sterne für ihn übrig haben. Geben aber Keith Jarrett für seine Aufnahme vom Wohltemperierten Clavier drei Sterne, ich fasse es nicht.

Pianisten sind dafür bekannt, dass sie exzentrisch sind. Glenn Gould hat nicht so viele Konzerte abgesagt wie andere Kollegen. Also zum Beispiel wie Arturo Benedetti Michelangeli. Als der einmal in Amerika auftreten soll, sagt der Offizielle von der Firma CBS vor dem Konzert zu dem Klavierstimmer, dass es sein könnte, dass Arturo Benedetti Michelangeli am Abend gar nicht komme. Aber für den Fall hätte sich Glenn Gould bereiterklärt, für das Konzert einzuspringen. Und da sagt der Klavierstimmer: Benedetti Michelangeli, Glenn Gould - wo kriegt ihr bei CBS immer diese Spinner her?

ABM, wie ihn manche nennen, ist sicherlich exzentrischer als Glenn Gould, obgleich sie beide auch viel gemeinsam haben. ABM liebte schnelle italienische Sportwagen, mit denen er voller Todesverachtung über schmale italienische Straßen bretterte. Gould fuhr riesige amerikanische Schlitten, am liebsten nachts auf vereisten Straßen, Radio und Heizung bis zum Anschlag aufgedreht. Im Alter wünschte man ABM, er würde mal zum Friseur gehen, bei Glenn Gould ist es das gleiche. ABM hat immer elegante, teure Klamotten an. Glenn Gould eigentlich auch, aber er trägt sie wie ein englischer Gentleman leicht abgeschabt lässig. Viele Kritiker haben geschrieben, dass er verwahrlost aussähe. Da kann man nur sagen, Leute, guckt genauer hin. Auf allen Photos, die es von ihm gibt (zum Beispiel in Glenn Gould: Ein Leben in Bildern), sind das hervorragende Klamotten. Die darf man auch noch tragen, wenn sie etwas älter sind. Es ist ja lediglich gewöhnungsbedürftig, dass er zu dem Ganzen immer diese warmen Handschuhe, diesen Schal und diese flat cap trägt, die die irischen und englischen Einwanderer im 19. Jahrhundert nach Amerika mitgebracht haben. Er würde mit einem Borsalino sicher eleganter aussehen, aber er liebt nun mal diese Tweedmütze. Soll er doch anziehen, was er will, solange er nur so Klavier spielt, wie sonst kein anderer auf der Welt.













Ich habe zum Schluss noch ein Gedicht von dem kanadischen Dichter James Strecker (aus dem Band Echosystem von 1993), das ich ganz hübsch finde.

At the Grave of Glenn Gould

It's an ordinary place,
for death is ordinary.
The grass is cut,
it's a tidy place.


The trees, too far apart,
cast no shadow on your name;
nearby, a squirrel, a robin,
and, at another grave, mourners
who mourn a death the first
time. Overhead, some Canada
Geese make petulant sounds.

The sun is unmerciful today,
and so is death. The whole
place seems to yawn as if,
for reasons beyond reason,
the dead are quite bored with us.

Were you ever bored, alive?
Did mastery make you weary?
Did you ever dare tread where
you might make mistakes? The

naysayers said no, and so
many made of water, fire, earth,
and air asked too humbly of the
stars what each day would be;
no wonder you and the world
went separate ways.

Still, I look for something
more on your grave. Was
perfection too painful where
no one might see your ecstasy?

You wouldn't be part
of the world unless you
had your way; you sang perfect
in much but not imperfection;

you doubted where music gave
over to dance and dance
to madness, disorder.
You marvelled at secrets,

wanted no secrets, and you
lived a secret life. You
seemed too cautious to weep
and defied emotion the best
you could, as if the heart
intended some clarity of brain.

But each life remains unlived,
unrealized; and as I leave,
I make only footsteps, only

a passing shadow. You
died at fifty, and I, at
forty-nine, like most of this
world, have not been true to
all that is true in me.











Lesen Sie auch: ➱Mozarts Klaviersonaten, ➱Haydn: Klaviersonaten, ➱Gouldberg Variations

4 Kommentare:

  1. Was halten Sie denn von Guldas Mozartsonaten?

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  2. Lieber Giorgione,
    nun habe ich eine Seite über Glenn Goulds Mozart geschrieben und mich doch wohl um die Beantwortung der Frage gedrückt, was ich selbst davon halte. Beinahe jeder bedeutende Pianist des 20. Jahrhunderts hat Mozartsonaten gespielt. Wenige haben (wie Glenn Gould) alle gespielt. Und wenn man wirklich alle hintereinander hören will, dann würde ich unbedingt Gilbert Schuchter nehmen. Oder Ingrid Haebler mit der neueren (Denon) Aufnahme. Aber ich mag als Gesamtaufnahme der Sonaten die von Klara Würtz (in einer wirklich preisgünstigen Box von Brillant Classics) auch sehr. Nun wird nicht jeder alle Mozartsonaten hintereinander hören wollen, und es gibt für einzelne Sonaten sicherlich großartige Einspielungen, Gerrit Zitterbart fällt mir da spontan ein.
    Glenn Gould hat bei manchen Sonaten große Momente, und je nach eigener Tageslaune kann man ihn lieben oder hassen. Es ist ja das Schöne, dass man sich je nach eigener Laune die dazu passende Mozartaufnahme anhören kann. Das ist wahrer Luxus.

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  3. Sorry. Ja, so geht's, man wird blind bei den Buchstaben, verwechselt Gould mit Gulda. Sie hatten ja beide zeitlich nebeneinander her große Erfolge. Auch wenn es für Thomas Bernhard in seinem Roman "Der Untergeher" nur zu Schmäh über Gulda langt. Ich finde Gulda bei Bach wirklich großartig (Wohltemperierte Clavier I+II). Ausrufezeichen. Mozart Klavierkonzerte: O.K., aber die Sonaten? Ich weiß nicht, wenn man bedenkt, was dieser Mann technisch gekonnt hat, da würde ich von ihm irgendwie mehr erwarten. Was die deutsche Grammophon vor vier Jahre als Sensation herausbrachte ("The Gulda Mozart Tapes") finde ich schlicht eine Enttäuschung. Ist nix gegen die frühe Einspielung von Maria Joao Pires, selbst Klara Würtz kommt dagegen an. Aber dies ist meine subjektive Meinung. Ich habe anderthalb Meter Mozart Klaviermusik im Regal, ich gebe allen CDs immer wieder eine Chance, von mir gehört zu werden. Aber über die Gulda Tapes von 1980 ärgere ich mich immer.

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