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Freitag, 29. Oktober 2010
Don Giovanni
Als ich vor beinahe einem halben Jahrhundert mein ganzes Taschengeld zusammengekratzt hatte, um Dietrich Fischer-Dieskau als Don Giovanni in der neuen Deutschen Oper in Berlin zu sehen, da war er schon nicht mehr da. Der hatte die Premiere gesungen, in der zweiten Woche war er schon weg. War vielleicht auch gut so, er ist eh nicht meine Idealbesetzung für den Don Giovanni. Und da wir gerade bei der Idealbesetzung sind, es ist schwer, eine zu finden. In der Welt der Kunst ist natürlich die Darstellung des Sängers Francisco d'Andrade von Max Slevogt nicht zu übertreffen (wie oft hat der den eigentlich gemalt?), aber wie ist es mit der Welt der CD? Ich möchte an dieser Stelle mal die Wikipedia loben, denn der Don Giovanni Artikel ist von jemandem geschrieben worden, der etwas davon versteht. Das muss man hervorheben, das ist leider nicht immer so.
Generell kann man bei den zitierten Aufnahmen der Oper wohl sagen, dass man keine großen Fehler macht, wenn man dem Verfasser folgt. Obgleich, gerade bei Opernaufnahmen gibt es ja große geschmackliche Differenzen bei den Kritikern. Hat eine Aufführung einen guten Don Giovanni, so hat sie vielleicht einen unerträglichen Ottavio. Hat sie eine hervorragende Donna Ana, so ist die Elvira vielleicht nicht auszuhalten. Nur bei Masetto und Zerlina gibt es selten Fehlbesetzungen, die beiden Rollen sind beinahe immer gut besetzt. Der Commendatore auch, aber der braucht ja auch nicht so viel zu singen. Und stimmen alle Rollen - was selten der Fall ist - dann hat vielleicht der Dirigent überhaupt kein Verhältnis zu Mozart. Oder die Aufnahme klingt technisch so, als wäre sie in einer Garage oder unter Wasser aufgenommen.
Ich möchte das an einem Beispiel erläutern. Es gibt eine Live-Aufnahme aus Salzburg von 1960 von Herbert von Karajan mit Wächter, Price, Schwarzkopf, Valletti, Berry, Panerai, Sciutti, Zaccaria. Zu Karajan sage ich jetzt nichts. Aber die Schwarzkopf als Elvira? Und dann noch den Schmalspurtenor Caesare Valletti ertragen? Nicht auszuhalten. Nun hat es diese Aufnahme drei Jahre später als Live-Mitschnitt im Radio aus Wien noch einmal gegeben. Und im Prinzip bleibt alles beim alten, lediglich Frau Schwarzkopf wird durch Hilde Güden ersetzt. Hilde Güden ist immer gut und immer etwas unterschätzt, hier singt sie die Rolle zum ersten Mal. Und Caesare Valletti weicht glücklicherweise Fritz Wunderlich. Da ist sie plötzlich, die Traumbesetzung! Eberhard Wächter ist sicher einer der besten Don Giovannis gewesen, Leontyne Price ist eine sehr gute Donna Anna, obgleich sie, wie viele Sängerinnen, diese Rolle etwas zu sehr in Richtung Rachegöttin anlegt. Walter Berry ist als Leporello kaum zu übertreffen, und Rolando Panerai ist sowieso immer gut. Und dann noch Graziella Sciutti als Schnuckelchen Zerlina. Und Wunderlich als Don Ottavio, was kann man sich noch mehr wünschen? Sie ahnen schon, was jetzt als Antwort kommt. Man wünscht sich eine bessere Aufnahmequalität - man wünscht sich ja am liebsten den Decca Standard (dessen Mikrophonanordnung als Decca Tree bekannt wurde). Ist hier leider nicht. Da ist es wieder, das fehlende Eckstück bei der Quadratur des Kreises.
Ich liste mal, für den Fall, dass Sie sich zufälligerweise gerade eine Gesamteinspielung von dieser Oper kaufen wollten, die heute vor 223 Jahren in Prag uraufgeführt wurde, die meiner Meinung nach besten Aufnahmen auf. Auch wenn ich damit bei manchen Lesern Ärger bekomme. Ich habe natürlich für meine Hitliste auch ein wenig Literatur zu Rate gezogen wie den Penguin Guide to Compact Discs (sehr zu empfehlen), den Classical Good CD&DVD Guide (na ja) und das Hermes Handlexikon: Opern auf Schallplatten. Das ist nun wirklich unübertroffen (und leider vergriffen, obgleich es noch einzelne Exemplare bei Amazon und dem ZVAB gibt), denn auf das fachmännische Urteil von Karl Löbl und Robert Werba kann man sich eigentlich immer verlassen.
Auf Platz 1 setze ich, und da gehe ich auch kein Risiko ein (denn das tun beinahe alle Kritiker), Carlo Maria Giulinis Aufnahme von 1961, auch wenn die Schwarzkopf da mitsingt und ich lieber Hilde Güden hätte. Auf Platz zwei und drei sind zwei historische Aufnahmen, die so mangelhaft sie in Teilen sind, man doch besitzen sollte. Das ist zum einen die Fritz Busch Aufnahme aus Glyndebourne 1936 (Mildmay, Souez, Helletsgruber, Pataky, Brownlee, Henderson, Baccaloni, Franklin), die leider nicht an seine großartigen Aufnahmen von Cosi fan Tutte und Le nozze di Figaro heranreicht. Aber trotz der mangelnden Homogenität der Besetzung doch einen schönen Mozart bietet.
Und da ich gerade in England bin, hätte ich an dieser Stelle auch noch einen schönen Don Giovanni Cartoon aus dem wunderbaren Jane Austen Blog für Sie. Hier wird der dicke Möchtegern ➱Dandy und Möchtegern Don Giovanni George (das Lieblingsobjekt von allen englischen Karikaturisten der damaligen Zeit) von seiner Frau Caroline überrascht.
Ja, so ähnlich ist es auch auf der Bühne der Oper. Nicht alle Don Giovannis sehen aus, als wären sie God's gift to woman. Optisch sehr überzeugend sind die Sänger auf der DVD einer minimalistischen Inszenierung aus Aix-en-Provence von dem berühmten Peter Brook. Mit einem kaum glaublichen Leporello (Gilles Cachemaille, der auch auf der Glyndebourne DVD einen guten Don Giovanni abgibt) und einer sehr gut aussehenden Mireille Delunsch als Elvira. Als Inszenierung brillant, schauspielerisch exzellent, kann man das sicher empfehlen. Musikalisch gibt es vielleicht Besseres. Es wäre wahrscheinlich nicht auszuhalten, wenn Mireille Delunsch stimmlich mit ihrem großen schauspielerischen Talent und ihrem guten Aussehen mithalten könnte (hier links ist sie als Marilyn Monroe Kopie in der gefeierten La Traviata wiederum aus Aix-en-Provence zu sehen). Mein zweiter DVD Tipp wäre eine Billigproduktion, bei der ich von keinem der Sänger je gehört habe. Aber sie ist da aufgenommen worden, wo Don Giovanni uraufgeführt wurde. Und der Dirigent Charles Mackerras bürgt für das richtige Mozart Verständnis [(1991. Charles Mackerras. Chor & Orchester des Nationaltheaters Prag. Commendatore: Dalibor Jedlicka, Don Giovanni: Andrei Bestchansky. Don Ottavio: Vladimir Dolezal, Donna Anna: Nadezdka Petrenk, Donna Elvira: Jirina Markov, Leporello: Ludek Vele, Masetto: Zdenek Harvánek, Zerlina: Alice Randova. Amado V6:1 DVD 152' live)]. Insgesamt ist das ein erstaunliches, liebenswertes Gesamtkunstwerk. So hat Mozarts Oper vielleicht damals ausgesehen. Gut, die Aufnahme ist nicht zu vergleichen mit dem ultimativen Don Giovanni Film von Joseph Losey. Der auch ein schöner Andrea Palladio Film ist. Den sollte man gesehen haben (man bekommt ihn bei Amazon als DVD ab fünf Euro, da kann man nicht viel falsch machen). Mehr sage ich dazu nicht, weil ich irgendwann hier noch lang über ➱Joseph Losey schreiben will.
Nach diesem kleinen Ausflug in den Bereich der bewegten Bilder möchte ich wieder zu meiner Hitliste zurückkommen. Auf Platz drei steht die New Yorker Aufnahme vom 7. März 1942 von Bruno Walter. Mit Ezio Pinza (links) als Giovanni und Alexander Kipnis als Leporello (und Bidu Sayao als Zerlina). An dieser Aufnahme hat man inzwischen computermäßig mit verschiedenen CEDAR Prozessen solange herumgewerkelt, dass man sich das durchaus (im Gegensatz zur alten Plattenaufnahme) anhören kann. Ist bei Naxos in der Reihe Immortal Performances erschienen. Und hat große Momente, da gibt es nichts.
Und an dieser Stelle weiß ich nicht weiter. Ich habe noch ein Dutzend Aufnahmen neben mir liegen, aber kann ich die wirklich empfehlen? Und es gibt ja noch so viel mehr, wie man auf dieser ziemlich vollständigen Liste hier sehen kann. Manche habe ich gekauft, weil da Sänger oder Sängerinnen dabei waren, die ich mag. Wie Alfredo Kraus als Don Ottavio. Andere wurden gekauft, weil das Label für Qualität steht, wie die Decca Aufnahme von 1955 von Josef Krips (mit Caesare Siepi und Lisa della Casa), eigentlich eine perfekte Aufnahme, wenn man eine andere Donna Anna als Suzanne Danco gehabt hätte. Dann gab es CDs, die lagen im Grabbelkasten und verführten mich durch ihren Preis. 79 Cent für Barenboim (mit Heather Harper, Sir Gerard Evans, Luigi Evans), und ich habe gerade eben dem Rezensenten bei Amazon, der als Resümee seiner Rezension schrieb: Meine Empfehlung zur Aufnahme: Besser eine andere kaufen, ein Kreuzchen in das Kästchen War diese Rezension für Sie hilfreich? gemacht.
Was fällt mir nach zwei Tagen Don Giovanni Hören noch dazu ein? Man kann das Musikerlebnis natürlich literarisch überhöhen, indem man Shaws Man and Superman liest. Man kann es philosophisch überhöhen, indem man ➱Kierkegaard liest (dazu hätte ich eine interessante Einführung durch einen Theologen). Man kann aber auch einfach nur die Musik hören, die nach 223 Jahren immer noch nichts von ihrem Zauber verloren hat. Lautesten Beyfall habe es gegeben, notierte Mozart nach der Uraufführung. Der Kompositeur war extra zum Dirigieren nach Prag gereist. In Wien war man ein Jahr später nicht so begeistert. Banausen.
Leider habe ich die Don Giovanni Aufführung des Music Theatre London vor Jahrzehnten verpasst. Ich finde von denen auch keine DVD im Internet, nur die einzelnen Meinungen von Kennern, die sagen, dass die BBC einfach zu blöd ist, diese herrlichen Aufnahmen auf eine DVD zu pressen. Aber damit ich beweisen kann, dass es die Truppe wirklich gab, bilde ich einmal Jacinta Mulcahy ab. Die zwar nicht soo toll sang, aber hervorragend aussah. Die Truppe glänzte bei ihren Auftritten in Hamburg (übertragen vom NDR) durch völlig schräge Mozart Interpretationen, die auch einer anderen Klientele als dem bürgerlichen Bildungspublikum Spaß machten. Sicher auch dem Kompositeur, dem Herrn Mozart in seinem roten ➱Frack.
Und inzwischen wird diese Truppe auch schon ➱hier im Blog gewürdigt.
Inzwischen gibt es bei youtube ja kostenfrei manche Wiedergabe dieses Werkes, die sich mindest anzuhören lohnt,Harnoncourt zB hatte sowohl i Zürich als auch bei der Plattenproduktion gut anhörbare SängerInnen,zB den fabelhaften Blochwitz als Ottavio. Die Titelfigur erfordert neben dem dolce des Verführens( obwohl ja in der Oper unerhört) das dramma, dem Kontour gewachsen zu sein Augenhöhe. Das verwirklicht für mich vorbildlich Nicolai Ghiaurov, bei Klemperer. Das ist Dramma pur. Nun werden wir hoffentlich bald hören können, was Currentzis aus diesem Werk gemacht hat.
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