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Freitag, 5. November 2010
Flieger, grüß mir die Sonne
John Alcock wurde heute vor 118 Jahren geboren. Sagt Ihnen nichts? Mir schon. Weil man ihn ihn Bremen sehen kann, auf diesen zehn sich drehenden Tafeln aus dem Jahre 1934 von Bernhard Hoetger am Haus des Glockenspiels.
Stand ich als kleiner Pöks immer bewundernd davor. Die Helden zur See wie Columbus und Leif Eriksson, die den Atlantik überquert hatten. Und natürlich Dietrich Pining und Hans Pothorst, die noch vor Kolumbus da waren. Die beiden sind nur nicht so bekannt geworden. Und dann die Helden zur Luft, wie John Alcock. John Alcock hatte mit Arthur Whitten Brown den ersten Nonstop Flug über den Atlantik von Neufundland nach Irland geschafft. Sind bei der Landung im Moor versackt, weil die grüne Fläche nach Golfplatzrasen aussah. War aber Moor. Vor fünf Jahren hat der amerikanische Millionär Steve Fossett den Flug wiederholt, der hat es geschafft, auf dem Golfplatz von Connemara zu landen.
Eine Woche nach der Landung der beiden Briten hat der englische König sie zu Rittern geschlagen. Der dritte Name (Scott) auf der Tafel bezieht sich auf den Air Force Major George Herbert Scott, der vier Wochen nach Alcock und Brown den Atlantik mit dem Luftschiff R34 überquert. Eigentlich wartete man ja bei diesem technischen Wunderwerk in der Bremer Böttcherstraße nur darauf, dass die Tafel mit unseren Helden kam. Denn vor dem Grafen Zeppelin und dem Bild von Erde, Mond, Sternen und dem Weltall, da kamen sie, die jeder Bremer kannte: Köhl, von Hünefeld und Fitzmaurice.
Und ihr Flugzeug, eine Junkers W 33, hieß Bremen, und es war die erste Atlantiküberquerung von Ost nach West. Ich habe das so hingenommen und mich niemals weiter damit beschäftigt. Ich habe einen Versuch gemacht, das Buch Hünefelds Ein Leben der Tat zu lesen, das bei uns zu Hause herumlag, das war aber sprachlich unerträglich. Damals erschien es mir so. Ist es wahrscheinlich heute noch, der Mann, der in seiner Berliner Zeit den Beinamen der tolle Baron hatte, ist in allem ein wenig exaltiert. Heute würde man ihn vielleicht eher den durchgeknallten Baron nennen. Die Presse vermutet auch, dass das Abenteuer mit dem Atlantikflug ein versuchter Freitod des schwerkranken Freiherrn ist. Als kaisertreuer Adliger steht er auch noch zwischen allen politischen Lagern. Auf einer kommunistischen Karikatur aus Bremen aus dem Jahre 1928 wird er auf den Armen von zwei schrecklichen Gesellen getragen, die Stahlhelm und Reichsbanner SPD heißen. Die Nazis hätten den Helden, der keinen Flugschein hatte und überhaupt nicht fliegen konnte, wohl gerne als Helden für ihre Propaganda gehabt. Aber da seine Mutter aus einer jüdischen Familie kam, haben sie ihn nicht weiter umworben.
Ich habe auch den Verdacht, dass der Freiherr von Hünefeld (hier bei der Ankunft in Bremerhaven rechts auf dem Photo, Hauptmann Köhl ist links, der irische Major Fitzmaurice in der Mitte), kein wirklicher Luftfahrtpionier ist, sondern dass dem dichtenden Dandy der Flug nur eine grandiose Möglichkeit zur Selbstinszenierung bietet.
Und dann muss er auch noch die Schmach ertragen, dass sich das Deutsche Museum unter seinem ersten Direktor Oskar von Miller nicht für das Angebot einer Schenkung der Bremen interessiert (Miller hatte sich ja auch standhaft gegen die Aufstellung der Bismarck Statue gewehrt). Hünefeld annonciert das Flugzeug im Deutschen Adelsblatt und schenkt es dann nach Dearborn in Amerika. Da im Henry Ford Museum ist es noch heute. Falls Sie es in letzter Zeit einmal in Bremen gesehen haben sollten: da ist es nur zur Überholung und Restauration. Aber es gehört dem Henry Ford Museum. Heute würde sich das Deutsche Museum in München wahrscheinlich die Finger danach lecken.
Bis auf die Kenntnis der Namen unserer Bremer Helden hatte ich mit der Fliegerei nichts im Sinn, ich wollte niemals Pilot werden. Ich habe zwar Papiermodelle von Flugzeugen gebastelt, als ich klein war, das waren die damals beliebten Wilhelmshavener Modellbaubögen, aber weiter reichten meine aviatorischen Interessen nicht. Ich war einmal mit meinem Vater (und ganz Bremen) bei einer Flugschau auf dem Neuenlander Feld. Es war furchtbar laut, und die nächste Eisbude war an diesem heißen Junitag des Jahres 1957 ganz weit weg. Glücklicherweise gab es kein Unglück wie im Juni des Jahres 1912. Ich hatte nach dem Spektakel am Sonntag drei Tage lang einen steifen Hals.
Vielleicht ist mein Desinteresse an der Fliegerei auch nur ein Verdrängen einer geheimnisvollen Episode der Familiengeschichte. Die von dem geheimnisumwitterten Onkel (oder Großonkel) Karl, der ungeheuer reich gewesen sein soll und 1923 bei einem Flugzeugabsturz umkam. Ich hätte besser zuhören sollen, als mir meine Großeltern die Geschichte erzählen, jetzt kann ich niemanden mehr fragen. Ich habe ein Photo von ihm, ein intelligentes Gesicht (viel sympathischer als die Photos von dem Hünefeld, der immer wie die Karikatur eines preußischen Adligen aussieht), eine großbürgerliche Pose mit einem Buch in der Hand, einer Zigarre in der anderen. Ich habe sein Grab gefunden, vor Jahrzehnten an einem schönen Spätsommertag. Ein Friedhofswärter mit einer blauen Drillichjacke sagte mir, indem er eine raumgreifende Bewegung mit seinem linken Arm machte: Das alles hier, das hat ihm einmal gehört. Er hat meinen Großeltern zur Geburt ihrer Tochter ein Klavier und eine ganze Wohnzimmerausstattung geschenkt, was sicherlich ein schönes Geburtstagsgeschenk für meine Mutter war. Auch wenn Babies noch nicht so viel damit anfangen können. Aber er bleibt geheimnisvoll wie das Bild Franz Radziwills mit dem ➱Todessturz Albert Buchstätters.
Normalerweise gucken sich Bremer die Helden der Transatlantiküberquerung gar nicht an. Nur wenn sie Kinder haben, die ganz überrascht sind, dass es außer Super Mario noch andere bewegte Bilder gibt. Und wenn sie Gäste haben, denen sie Bremen zeigen müssen. Dann gehen Bremer an all die Stellen, die sie sonst meiden wie die Pest: in den Ratskeller, in den Bleikeller des Doms, in den Schnoor und in die Böttcherstrasse. Und hoffen, dass die drehbaren Helden der Atlantiküberquerung nicht gerade kaputt sind. Damit sie sagen können, wenn die Tafel mit Köhl, Fitzmaurice und von Hünefeldt kommt: Das sind unsere Helden!
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