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Donnerstag, 25. November 2010

Laurence Harvey


Heute vor 37 Jahren ist der Schauspieler Laurence Harvey gestorben, er ist nicht alt geworden. Er hat viele Filme gedreht, mehrere gute und viele schlechte. Seinen Durchbruch hatte er mit dem Film Room at the Top (1959), für den er eine Oscar Nominierung als bester Schauspieler erhielt. Er war der erste in Litauen geborene Schauspieler, der eine Academy Award Nomination bekam. Sein richtiger Name war Zvi Mosheh (Hirsh) Skikne, damit wird man im Filmgeschäft nichts. Angeblich hat sich nach der Firma Harvey Nichols (dem großen Harrods Konkurrenten) benannt, nach anderen Aussagen nach Harvey's Bristol Cream. Wie immer es sei, seit Room at the Top ist er als Laurence Harvey weltberühmt.

Der Film von Jack Clayton ist eine filmische Umsetzung des 1957 erschienenen Romans von John Braine, einem Roman, der mit dem Angry Young Men Movement in Verbindung gebracht wird. Joe Lampton, der Held des Romans, ist ein Aufsteiger, der in dem kleinen Ort Warley (im Film heißt er Warnley) in Nordengland dahin will, wo die feinen Leute wohnen. Da oben auf dem Berg. Er will seinen room at the top. Er wird ihn bekommen, emotional tot und leer, wenn er alles verraten hat, was im lieb und teuer war. Er ist Soldat im Krieg gewesen, jetzt will er in Englands Wirtschaftswunder aufsteigen. You have never had it so good, hat Harold Macmillan im gleichen Jahr gesagt, in dem der Roman erschien.

My clothes were my Sunday best: a light grey suit that had cost fourteen guineas, a plain grey tie, plain grey socks, and brown shoes. The shoes were the most expensive I' d ever possessed, with a deep, rich, nearly black lustre. My trench coat and my hat, though, weren't up to the same standard. Er wird schnell lernen: Later I learned, among other things, never to buy cheap raincoats. Laurence Harvey ist der ideale Joe Lampton, Jack Clayton hätte keinen Besseren finden können. Der Film (der noch als DVD erhältlich ist, und den man sich in kleinen Stücken bei YouTube ansehen kann) nimmt diese Kleidungssymbolik auf und lässt den Helden in der ersten Szene neue Schuhe tragen (die er ausgezogen hat, weil sie noch nicht richtig passen).

Das ist die Welt, von der Joe Lampton träumt, feine Gegend, reiche Leute, ein Jaguar Sportwagen. Man sieht in diesem Szenenbild sehr gut die sorgfältige Ausleuchtung und Komposition der Szene, ein wenig im film noir Stil. Jack Clayton ist ein hervorragender Handwerker, zwei Jahre vor diesem Film hatte er mit The Bespoke Overcoat einen Oscar für den besten Kurzfilm erhalten. Room at the Top bekam zwei Oscars und vier Oscar Nominierungen. Simone Signoret erhielt als erste Französin die begehrte Auszeichnung. Wenige Jahre später drehte Clayton noch eine eindrucksvolle Verfilmung von Henry James' Geschichte The Turn of the Screw, die den Titel The Innocents hatte. Im Deutschen hatte der Film den bescheuerten Titel Schloss des Schreckens. Später hat Clayton noch The Great Gatsby gedreht, aber der kommt niemals an das filmische Niveau von Room at the Top heran.

Laurence Harvey hat dieses Gesicht, das genau zu der Stimmung der Angry Young Man Literatur passt, skeptisch und tough, ein Gesicht für die loneliness der fünfziger Jahre. Er wäre auch der ideale James Bond gewesen. Er hat einen Geheimagenten in dem Film A Dandy in Aspic gespielt. Das ist die Verfilmung eines Romans von Derek Marlowe - ein unterschätzter englischer Romanautor (der sein Geld in Hollywood mit Drehbüchern verdiente) - der einige gute Romane geschrieben hat. Wie A Dandy in Aspic oder A Single Summer with L.B. Derek Marlowe fand allerdings die Verfilmung (und Laurence Harvey) völlig daneben: Regarding the film 'Dandy'. The director, Anthony Mann died during the filming (a superb man and great director) and it was taken over by Laurence Harvey, the badly cast Eberlin. He directed his own mis-talent, changed it and the script - which is rather like Mona Lisa touching up he portrait while Leonardo is out of the room.

Nicht sehr nett, aber wenn man lange genug in Hollywood ist, dann schwätzt man wohl so. Branchentalk. Frankieboy Sinatra, mit dem zusammen Harvey in dem hervorragenden Film The Manchurian Candidate spielte, hat sich auch sehr kollegial über Harvey geäußert: What do you expect of a fag Polack Hebe trying to pass as a straight British gent? Angeblich hätte Harvey immer Sinatras Oberschenkel gestreichelt. Schwul, Jude, Polacke, noch was? Und was könnte man alles Nettes über Frankieboy sagen. Die Filmkritiker haben Laurence Harvey nicht gemocht. Aber er war der verkörperte Zeitgeist. Er war der angry young man der fünfziger Jahre, er war eine interessante Alternative zu ➱Sean Connery und ➱Michael Caine in den Agentenfilmen der sechziger Jahre. Und er passte hervorragend in den ➱Zeitgeist des Swinging London von John Schlesingers Film Darling.

Er passte sowieso am besten in Schwarzweißfilme. An seine Rolle als Colonel Travis in John Waynes Alamo möchte ich lieber nicht denken. Vor allem, weil er da zur Feier der Premiere ein lila (?) Dinner Jacket trägt (kam das noch aus dem Kostümfundus?), während John Wayne ganz elegant im ➱Frack daherkommt. Laurence Harvey hätte auch gut in Filme von Visconti oder Losey gepasst, das hätte sein Ansehen bei den Kritikern sicherlich gehoben. Ich fand ihn damals toll. Cool, würde man sagen, wenn dieses Wort nicht inzwischen eine solche Inflation erlebt hätte, dass es schon in der Kita zu hören ist. Aber in Room at the Top gibt es keine Alternative zu ihm. Man ist heute, angesichts des gesamten trash, der auf Kinoleinwände und TV Bildschirme kommt, richtig erschrocken, welch gute Filme damals im Nachkriegsengland gedreht wurden. Jack Clayton, John Schlesinger, Joseph Losey, Tony Richardson, Karel Reisz, Lindsay Anderson, Richard Lester.

Warum schreibe ich nicht mal darüber? Ja, warum eigentlich nicht. Es gab bei mir schon mal einen kleinen Happen davon, als ich über John Schlesinger schrieb. Und ein wenig über Swinging London. Habe ich schon gestanden, dass ich Filmkritiker werden wollte, als ich jung war? Ich bin im Schülerfilmclub gewesen, in den Filmclubs verschiedener Universitäten, und habe glühende Artikel über das Kino geschrieben. Auf Wachsmatrizen getippt und auf der Nüdelmaschine selbst hektographiert, das waren noch schöne Zeiten. Später, als ich ein sogenannter Wissenschaftler war, habe ich seriöses Zeug über Filme geschrieben. Aber wenn man auf der Suhrkamp Ebene angekommen ist, dann hat man zwar keine Farbe vom Umdrucker mehr an den Fingern, aber man darf dann auch nicht mehr con amore schreiben, weil es ja nun Wissenschaft ist. Aber jetzt, jetzt könnte ich ja über englisches Kino schreiben, wie ich es wollte. Ich schreibe das mal auf die Liste der guten Vorsätze für das neue Jahr.

Ich mochte Laurence Harvey noch aus einem anderen Grunde: ich wollte damals aussehen wie er. Also, das war vor einem halben Jahrhundert. Wir inszenieren uns ja immer nach anderen Personen, wenn wir jung sind. Ich wollte niemals wie James Dean oder Marlon Brando aussehen. Oder wie Horst Buchholz oder - um Himmels Willen, nein! - wie Peter Kraus. Ich wollte immer aussehen wie Jean Louis Trintignant oder wie Laurence Harvey. Also den gleichen Hemdkragen, den gleichen Schlips und den gleichen dunklen Anzug haben wir beiden schon mal auf diesen Photos. Diesen verschlagenen Blick, da hätte ich noch ein wenig üben müssen.




2 Kommentare:

  1. Hat er sich nicht in Wahrheit nach Harvey, dem Pooka, benannt?

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  2. Sehr witzig. Aber ich glaube, er hatte seinen neuen Namen schon, bevor "Mein Freund Harvey" in die Kinos kam.

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