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Mittwoch, 29. Dezember 2010
Brigitte Kronauer
Brigitte Kronauer ist bei facebook. Ich weiß nicht, wofür facebook gut ist, aber vielleicht kann man ihr auf dieser Seite zum Geburtstag gratulieren. Brigitte Kronauer wird heute siebzig. Sie ist eine deutsche Schriftstellerin, die heute vom highbrow Feuilleton sehr geschätzt wird. Und von Raddatz und Reich-Ranicki. Das sagt eigentlich schon alles. Der Erfolg kam spät. Als ihr erster Roman Frau Mühlenbeck im Gehäus erschien, war sie schon 39 Jahre alt. Sie hat wahrscheinlich nicht so viele Leser wie Ildiko von Kürthy. Dafür hat sie aber viele Preise bekommen, die nach Schriftstellern benannt sind: Theodor Fontane, Heinrich Böll, Hubert Fichte, Joseph Breitbach, Grimmelshausen, Eduard Mörike, Georg Büchner. Der Goethepreis fehlt noch, vielleicht kommt das ja noch.
In den letzten Wochen und Monaten ist Brigitte Kronauer häufig in der Zeit und der Süddeutschen aufgetaucht, vielleicht waren das vorweggenommene Geburtstagsgrüsse. Sie ist vor wenigen Wochen auch schon in der Sendung Sternstunde Philosophie (das ist jetzt kein Scherz, das heißt wirklich so) des Schweizer Fernsehens aufgetreten. Was den Schreiber eines der schrägsten Blogs des Internets zu böser Kronauer Schelte veranlasste. Sie hat auch in der SZ über Wilhelm Raabe geschrieben (war nicht so weltbewegend), und ich habe gelesen, dass sie mit zwei Männern zusammenlebt. Das ist bestimmt aufregend, vielleicht schreibt sie ja in zwanzig Jahren noch so etwas wie Diana Athills Somewhere Towards the End. Kronauer hat in diesem Jahr auch einen Essayband über ihre Lieblingsschriftsteller herausgebracht, wie man auf dieser Blog-Seite von Klett-Cotta sehen kann. Die haben bei Klett-Cotta nicht nur einen Blog, die sind auch bei facebook, die ziehen jetzt alle Register.
Zu Kronauers Favoriten (so der Titel der Essaysammlung) zählen Joseph Conrad, William Faulkner, Hubert Fichte, Grimmelshausen, Knut Hamsun, Helmut Heißenbüttel, Eckhard Henscheid, Gerard Manley Hopkins, Victor Hugo, Herman Melville, Eduard Mörike, Hans Erich Nossack, Jean Paul, Wilhelm Raabe, Adalbert Stifter, Robert Walser, William Carlos Williams und Ror Wolf. Manche sind natürlich nur auf dieser Liste, weil die Verfasserin den nach dem jeweiligen Autor benannten Preis bekommen hat und dies ihre jeweilige Dankesrede ist.
Als erster wird, man geht nach dem Alphabet in der Verlagswerbung, Joseph Conrad genannt. Der kommt auch in dem einzigen Brigitte Kronauer Roman vor, den ich gelesen habe. Man kann ihn bei Amazon Marketplace ab 31 Cent erwerben. Ich habe damals richtiges Geld dafür bezahlt, Klett-Cotta ist was Feines, das gibt es nicht billig. Es ist mich hart angekommen, weil ich - wie meine Leser ja schon wissen - Bücher eigentlich immer aus den Grabbelkästen kaufe, die vor einem Antiquariat auf der Straße stehen. Da wo das drin ist, was weg muss. Aber ein ➱Joseph Conrad Experte (um genauer zu sein der Joseph Conrad Experte) hatte mich auf den Roman hingewiesen, weil in Berittener Bogenschütze ständig Joseph Conrad vorkommt.
Als ich den Roman gelesen hatte, war meine erste Reaktion, Conrads Heart of Darkness zu nehmen und es zum x-ten Mal zu lesen: The NELLIE, a cruising yawl, swung to her anchor without a flutter of the sails, and was at rest. The flood had made, the wind was nearly calm, and being bound down the river, the only thing for it was to come to and wait for the turn of the tide.
The sea-reach of the Thames stretched before us like the beginning of an interminable waterway. In the offing the sea and the sky were welded together without a joint, and in the luminous space the tanned sails of the barges drifting up with the tide seemed to stand still in red clusters of canvas sharply peaked, with gleams of varnished sprits. A haze rested on the low shores that ran out to sea in vanishing flatness. The air was dark above Gravesend, and farther back still seemed condensed into a mournful gloom, brooding motionless over the biggest, and the greatest, town on earth. So fängt er an, viktorianische Gentlemen auf einer Segelyacht, in der Themesemündung geankert, auf die Flut wartend. Vor ihnen die Nordsee, hinter ihnen condensed into a mournful gloom London. Und dann fängt einer von ihnen an, diese Geschichte zu erzählen. Von dieser Reise, die ihn in das Herz der Finsternis führt.
Frau Kronauer hält Heart of Darkness nicht für den besten Roman von Joseph Conrad. Was versteht sie davon? Die Frau, die damit groß geworden ist, dass in der Postmoderne alle Literaturkritiker von postmodernen Sprachspielereien besoffen waren, ist angeblich jetzt auch gegen die Postmoderne. Über Heart of Darkness will der Held des Romans von Kronauer einen Aufsatz schreiben, der den Titel Die Leere, Stille, Einöde im innersten Zimmer der Leidenschaft haben soll. Und der auch sehr schön diesen Roman beschreibt, der leer, still und öde ist. Das soll wahrscheinlich so sein. Es ist eine Kunstsprache für eine künstliche Romanwelt. Brigitte Kronauer will Kunst, und die muss offenbar künstlich sein, hat Hubert Winkels vor Jahren in der Zeit über einen anderen Roman der Autorin gesagt, das hat mir gefallen, weil ich das Gefühl hatte, mit meinen Empfindungen nicht allein zu sein. Allerdings kann Frau Kronauer nicht verstehen, dass ihre Bücher abgehoben seien und kalt artifiziell. Das sei ihr das ärgste Missverständnis ihrer Literatur.
Bevor Sie jetzt 31 Cent (als Taschenbuch ab 0,01 Cent, plus drei Euro Porto) investieren, um diesen Roman zu kaufen, lesen Sie doch die Seite von Dieter Wunderlich. Mehr braucht man über den Roman wohl nicht zu wissen. Der Roman ist ganz groß in Kleinigkeiten, nehmen wir mal den Anfang des zweiten Kapitels: Das Mineralwassser im Glas brauste wie jetzt im Herbst die großen Parkbäume bei ruhiger Luft.
Also, wenn es heißt Das Rad an meines Vaters Mühle brauste und rauschte schon wieder recht lustig, dann lese ich weiter, auch wenn ich den Anfang vom Taugenichts schon auswendig kann. Aber Das Mineralwassser im Glas brauste? Dieser Roman beschreibt, mit verbiesterter Detailversessenheit kleine Trivialitäten des Alltags. Eine Darstellung emphatischer Augenblickserfahrungen, klingt toll, habe ich in der Sekundärliteratur gelesen. Hermetische, detailverliebte Beschreibungsliteratur auch. Einen nur schwach kontrollierten Exzess der Beschreibungsredundanz hat Hubert Winkels diesen Stil genannt. Sekundärliteratur gibt es schon massenhaft zu diesem Roman, mit dem Brigitte Kronauer ihren literarischen Durchbruch hatte. Diese Sekundärliteratur folgt im abgehobenen Stil auch gerne dem Stil der Autorin. Die Postmoderne hat schreckliche Folgen.
Ich habe von Brigitte Kronauer keinen zweiten Roman gelesen, wahrscheinlich hätte man noch Die Frau in den Kissen und Rita Münster lesen sollen, weil die Kritik das als eine Trilogie sieht. Aber ich hatte genug von dieser akribisch beschriebenen Welt. Wenn man Detailversessenheit als Kunstform haben will, sollte man Nicholson Baker lesen. Wenn man sehen will, was man mit foregrounding erreichen kann, sollte man Tom Wolfe lesen. Und was war mit den Franzosen der neuen Welle, haben wir die schon vergessen? Wenn man Augenblickserfahrungen und Minutenstillstände haben will, sollte man Proust lesen. Oder Joyce, der solche epiphanies schon lange zuvor zur Kunstform gemacht hatte. In der Zeit, in der man sich durch den Berittenen Bogenschützen quält, könnte man einen Band Proust lesen, leicht und locker. Ist auch leichter zu lesen. Wahrscheinlich würde ich eher Stifters Nachsommer zu Ende lesen als ein zweites Kronauer Buch anzufangen.
Ich habe schon einmal eine Autorin nach einem Buch aufgegeben, das war Marianne Fritz nach Was soll man da machen. Das war ein Einführungsband zu ihrem Romanprojekt Dessen Sprache du nicht verstehst. Aber da erkannte ich die Umrisse und Konturen von etwas Gewaltigem, das zu groß für mich wahr. So etwas hat auch Elfriede Jellinek über Marianne Fritz gesagt, und die hat einen Nobelpreis, dann wird es wohl wahr sein. An dieser Stelle muss ich gestehen, dass ich noch ein zweites Buch von Brigitte Kronauer besitze, das habe ich eben erst gemerkt, als ich den Berittenen Bogenschützen wieder ins Regal stellen wollte. Neben diesem Buch stehen Hermann Kasacks Das Birkenwäldchen (die schöne Hommage an Peter Suhrkamp), die Romane von Wolfgang Koeppen und Dieter Kühn, alles hervorragende, lesenswerte Autoren. Und da hatte sich noch ein Buch in die zweite Reihe verkrümelt (das wußte, wo es hingehörte), das Die gemusterte Nacht: Erzählungen hieß. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, es gelesen zu haben. Weil die Autorin bei mir relativ spurlos am Betrachter/Leser vorbeizieht, wie der Literaturkritiker Peter Mohr mal geschrieben hat. Aber ich muss ihr zugestehen, dass in diesem Buch (ihrer Prosa aus den sechziger und siebziger Jahren) ihr Stilwollen in der Kleinform Kurzgeschichte funktioniert.
In ihren Wortketten nistet eine Magie, ihre Sätze sind lauter kleine rituelle Feste, ihre Kapitel kultische Beschwörungen, hat Fritz J. Raddatz gesagt. Warum hinterlässt diese Autorin bei mir nur eine große Erinnerungslücke? Was habe ich an Romanen in den neunziger Jahren gelesen? Das weiß ich immer noch, früher packte ich die frisch gelesenen immer auf einen Stapel neben der Wohnzimmertür, die besten Leseerlebnisse nach oben. Und jahrelang waren da ganz oben, da wo man Staub wischen muss, ➱Sigrid Combüchens Byron und ➱Erwin Einzinger Blaue Bilder über die Liebe. Gut, Sigrid Combüchens Roman hat internationales Lob erfahren und ist in mehrere Sprachen übersetzt worden. Aber hat sich das Literaturfeuilleton jemals in dem Maße um Erwin Einzinger gekümmert wie es Brigitte Kronauer hofiert? Immerhin hat er gerade den H.C. Artmann Preis bekommen, das hätte Artmann sicher auch gefallen. Aber dieser bezaubernde, poetische Roman Blaue Bilder über die Liebe ist (außer wenigen Exemplaren bei Amazon Marketplace und dem ZVAB) völlig vom Markt verschwunden. Leider.
Brigitte Kronauer kann schreiben, was sie will, das Feuilleton wird sie lieben. Weil man das Produkt so gut verkaufen kann, weil sie eine Frau ist, und blond ist wie Thea Dorn, und jeder depperte Moderator im Fernsehen den Satz hinkriegt, dass sie als die sprachmächtigste Vertreterin der aktuellen deutschen Literatur gilt. Und weil sie alle Preise bekommen hat, außer dem Goethepreis und dem Bambi. Die Medien schaffen sich ihre Lieblingsobjekte selbst.
Aber es ist schade, dass die wirklich gute Literatur nicht dieses puffing durch die Medienmaschinerie erfährt. Warum landen Bücher vom Residenz Verlag und von Ammann, die die interessantesten Autoren haben, im Grabbelkasten, wo ich auch mein erstes Buch vom Einzinger Erwin gefunden habe? Da kann man den Autoren doch nur empfehlen, Blogger zu werden. Ich kann aber verstehen, dass das nicht jeder mag. Erwin Einzinger zum Beispiel steht mit der Computerwelt auf Kriegsfuß und schreibt lieber mit der Hand. Ist mir sehr sympathisch. Aber er hat auch eine Homepage, und Der Standard hat letztens Einzinger ist ein stiller Gigant der österreichischen Literatur über ihn gesagt. Das finde ich sehr schön. So sind wir alle in diesem Zwischen-Netz, Brigitte Kronauer bei Sternstunde Philosophie und wie ihr Verlag bei facebook. Jay, der hier ungehindert die blonde Kunstfigur des deutschen Feuilletons schmähen darf - aber auch schon mal den ➱Konrad Weichberger und andere aus der Versenkung hervorgeholt hat. Es ist eine seltsame Welt.
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