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Donnerstag, 27. Januar 2011
Giuseppe Verdi
Er ist heute vor 110 Jahren gestorben. Er hat schöne Arien für Maria Callas geschrieben. Irgendjemand hat mal gesagt, dass seine Musik durch die Drehorgelspieler bekannt wurde. Oder ist es andersherum? Die Drehorgeln klingen in seinem Werk immer wieder durch. Ich mag ihn nicht so besonders, aber ich habe viele CDs von Verdi Opern. Eigentlich nur, weil da Leute singen, die ich mag. Also zum Beispiel Ferruccio Tagliavini als Graf von Mantua. Niemand singt La donna e mobile so parfümiert süßlich wie der kleine dickliche Italiener. Und dann ist da natürlich die großartige Aufnahme von La Traviata aus dem Teatro Nacional de Sǎo Carlos in Lissabon vom 27.3.1958. Habe ich in einer billigen Raubkopie, aber die teure EMI Aufnahme ist wahrscheinlich klangtechnisch nicht viel besser. Wenn Sie einen Eindruck von Maria Callas und Alfredo Kraus bekommen wollen, klicken Sie hier einmal in das Un dì, felice, eterea hinein. Ich sollte La forza del destino nicht vergessen, diese Oper, wo niemand die konfuse Handlung versteht, aber die Callas ist göttlich darin.
Verdi, der auch einmal in das Parlament gewählt wurde, lebte in einem Italien, das sich im politischen Ausnahmezustand zwischen Revolution und Restauration befindet. Aber wann ist Italien nicht in einem Ausnahmezustand? Haben die heute etwa normale Verhältnisse? Die Zensur behindert häufig sein Schaffen. Ganz besonders bei Un ballo in maschera. Es ist natürlich auch ein starkes Stück, in Neapel eine Oper über einen Königsmord in Schweden aufführen zu wollen, wo es da wenige Jahre zuvor ein Attentat auf den König von Neapel gegeben hat. Und in Frankreich eins auf Napoleon III, da sehen es die Bourbonen nicht so gern, wenn dieser Verdi eine Attentatsoper komponiert. Es gibt sie auch in zwei Fassungen. Die von der Zensur entschärfte spielt in Boston, das ist weit weg. Aber später wird sich die originale Fassung durchsetzen (obgleich die Boston Version manchmal noch gespielt wird), die natürlich am Hof von Gustav III von Schweden spielt.
Die Ermordung des schwedischen Königs durch Jacob Johan Anckarström ist vom dem Literaturfabrikanten Eugène Scribe (der immer eine Vielzahl von ghostwriters beschäftigte) zu einem Theaterstück verarbeitet worden, das die Grundlage für Verdis Oper war. Verdi hätte natürlich auch den Roman Das Geschmeide der Königin (Drottningens juvelsmycke) von Carl Jonas Almqvist nehmen können. Kennen Sie nicht? Da haben Sie etwas verpasst. Ein Schmuckstück der europäischen Romantik hat man den Roman aus dem Jahre 1834 genannt, und ein Schmuckstück ist der Roman über die (oder den?) androgyne Tintomara wirklich. Diese geheimnisvolle Tintomara soll die Tochter der Ballerina Giovanna Bassi gewesen sein, vielleicht eine Halbschwester des Königs Gustav Adolf IV.
Der Roman, der 1970 als Tintomara verfilmt wurde, hat Kindler im Jahre 2005 in einer Neuübersetzung herausgebracht. Die ist leider schon wieder vergriffen (eine englische Übersetzung, The Queen's Tiara, ist noch lieferbar). Im Jahr 2004 hatte ein anderer Roman von Almqvist Furore gemacht. Der stammte aus dem Jahre 1839 und war damals ein gesellschaftlicher Skandal. Unter dem Titel Die Woche mit Sara geriet er 2004 auf die Bestsellerliste. Dieser Carl Jonas Love Almqvist ist auch heute noch ein erstaunlich moderner Autor.
Wenn man nicht wüsste, dass sein Roman Das Geschmeide der Königin (den er ein Romaunt in zwölf Büchern nannte) aus dem Jahre 1834 stammt, man könnte ihn für ein Werk der Postmoderne halten. Thomas Pynchon hätte bestimmt seine Freude an diesem Roman. Der Autor zieht alle literarischen Register, Rahmenerzählung, Briefe, ganze Kapitel als kleine Dramenaufzüge (Melville macht das in Moby-Dick auch an einigen Stellen), ständig wechselnde Erzählperspektiven. Abenteuerlich.
Abenteuerlich wie das Leben des Autors, das in voller Länge darzustellen würde mehr Raum erfordern, als die Handlung von La Forza del destino wiederzugeben. Er wird 1793 geboren, ein Jahr nach dem Tod von Gustav III, sein Vater ist Kriegskommissar. Das ist kein Oberst, wie in einer schwedischen Quelle zu lesen ist, das ist ein kleiner Beamter, der für die Verpflegung der Armee zuständig ist. Seine Mutter ist eine Tochter von Carl Christoffer Gjörwell, einem berühmten Journalisten. Sein Onkel Carl Christoffer Gjörwell, Jr. ist ein bekannter Architekt, der unter anderem das Wrangelsche Palais umbaut. Almqvist studiert, macht seinen Magister, wird Lehrer, wird auch zum Pfarrer ordiniert. Sieht wie eine bürgerliche Karriere aus, täuscht aber. Denn da war die Phase mit der Landkommune, als er zu viel von Rousseaus revenons à la nature gelesen hatte. Und eigentlich hält er es nirgendwo richtig aus. Wahrscheinlich, weil er auch alles gleichzeitig ist: Dichter, Romanschriftsteller, Komponist, Journalist, Lehrer, Pastor, Sozialreformer. Seinen Beruf als Lehrer verliert er, als seine ersten Bücher zum Skandal werden. Vor allem Det gȧr an im Jahre 1839. Das ist der Roman, der bei uns anderthalb Jahrhunderte später zum Bestseller wird. 1851 muss Almquist Schweden verlassen, er wird verdächtigt, einen Mordversuch an einem Wucherer unternommen zu haben. Mit Arsen. Tintomara! zweierlei ist weiß: Unschuld - Arsenik, steht auf dem Vorsatzblatt zu seinem Romaunt in zwölf Büchern. Ein Apotheker in Stockholm kann sich später in dem Prozess gegen Malmqvist genau daran erinnern, dass Malmquist das Arsen kaufte, weil er wissen wollte wie es aussehe. Er wolle es in einen Roman schreiben.
Die erste Station seiner Flucht bewältigt er auf dem Schiff Mälaren. Das wäre eigentlich unwichtig zu erwähnen, hätte das Schiff nicht einen berühmten Besitzer, nämlich den Vater von August Strindberg. Gjörwell, Almqvist, Strindberg, Schweden ist schon klein in dieser Zeit. Ähnlich klein wie das Kopenhagen von Kierkegaard wie Harald von Mendelssohn es in seinem Buch Kierkegaard: Ein Genie in einer Kleinstadt beschrieben hat. Und Almquists Weltanschauung (wahrscheinlich ist er Schwedens erster Feminist) gefällt der Kirche genau so wenig wie die dänische Kirche Sören Kierkegaard mag. Da die schwedische Justiz gerade Herrn Assange verfolgt, bringt mich das zu einer schönen kleinen Verschwörungstheorie. Man weiß nicht, wie schuldig oder unschuldig unser Dichter (letzter Beruf: Regimentspfarrer) ist, aber er flieht.
Nach Amerika, wo er unter einer Vielzahl von Pseudonymen lebt. Eins davon klingt so ähnlich wie der Fußballspieler aus Wolfsburg, den Bayern gerade abgeworben hat. Über die fünfzehn Jahre in Amerika ist nicht so viel bekannt. Almqvist soll unter einem seiner Pseudonyme Privatsekretär von Lincoln gewesen sein. Aber das ist wohl nicht wahr, auch wenn es einmal in der Encyclopedia Britannica gestanden hat. Er hat 1854 eine gewisse Emma Nugent geheiratet, eine 69-jährige Pensionswirtin. Obgleich er natürlich Frau und Kinder zu Hause in Schweden hat. Aber vielleicht braucht er dann nicht mehr 1 Dollar 75 cents die Woche für Unterkunft und Verpflegung zu bezahlen. In dem Punkt hat er sich getäuscht, er ist jetzt eine Art Faktotum. Emma behandelt ihn wie einen Hund. Der Komponist muss zur Belustigung der Gäste Klavier spielen.
Seiner Familie wird er immer schreiben, auf Schwedisch natürlich. Er schreibt auch immer noch, an seinem größten Werk, das er nie vollenden wird. Denn Das Geschmeide der Königin war ja nur ein Teil eines größeren Werkes, das Törnrosens bok heißt. Jetzt sollen die anderthalb tausend Seiten von Om Svenska rim da auch noch hinein. Aber mit dem Ende des Bürgerkriegs, da ist er 72 Jahre alt, will er zurück nach Schweden. Er kratzt alles Geld zusammen für eine Schiffspassage. Nach Bremen. Der Name, den er in diesem Ort verwendet, ist Professor Carl Westermann, manchmal auch Jules Charles. Wenn die Bremer wüssten, wen sie da ein Jahr lang in ihrer Stadt haben. Bei Giftmördern oder jenen, die des Giftmords verdächtigt sind, werden die Bremer ja ein wenig neurotisch. Wir haben da auf dem Domshof den berühmten Spuckstein, wo jeder Bremer ausspucken darf. Das ist die Stelle, wo man der Giftmörderin Gesche Gottfried den Kopf abgeschlagen hat.
Carl Jonas Almqvist alias Professor Westermann alias Jules Charles alias Lewis Gustavi kommt zurück nach Solna in Schweden, aber da ist er schon lange tot. Erst einmal spendiert ihm die Freie und Hansestadt Bremen nach seinem Tod im Krankenhaus am 26. September 1866 ein Armengrab auf dem Friedhof vor dem Herdentor, bevor seine sterblichen Überreste 1901 nach Schweden überführt werden. Die Geschichte wäre ja Stoff für einen Roman, oder wenigstens eine Novelle. So wie die schöne Erzählung von Gustav Hillard Der Smaragd über den Tod des dänischen Königs Frederik VIII in Hamburg. Es hat lange gedauert, bis man sich in Bremen dieser Geschichte angenommen hat. Erst das Bremische Jahrbuch 89 im Jahre 2010 enthält einen Aufsatz Der schwedische Schriftsteller Carl Jonas Love Almqvist in Bremen 1865/66 von Jan Osmers, wo, in bewunderswerter detektivischer Kleinarbeit aufgespürt, alles Bekannte und Unbekannte über Almqvist zu finden ist. Das ist übrigens der gleiche Jan Osmers, der schon einmal in diesem Blog als Biograph und Herausgeber von Konrad Weichberger vorkam. Der macht interessante Dinge, dieser Jan Osmers. Denn Verborgenes und Vergessenes wieder zu Tage zu fördern, ist eins der schönsten Ziele von Philologen und Historikern. Und natürlich von Bloggern.
Einen Literaturtip zu Verdi hätte ich auch noch: Joseph Wechsberg, Giuseppe Verdi, es gibt nichts Besseres.
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