John Betjeman hat den deutschen Emigranten Nikolaus Pevsner nicht so richtig gemocht. Betjeman liebte die Architektur des viktorianischen Londons, Pevsner stand spätestens seit seinem Buch Pioneers of Modern Design für die Moderne. Ein Freund Betjemans, Peter Clarke (Mitbegründer der Victorian Society), wird im Punch die Spottverse Lieder aus der Pevsnerreise veröffentlichen:
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Hier stoßen jetzt zwei Welten aufeinander. ➱Betjeman und Clarke sind englische Gentlemen, die sich als Amateure mit der Kunstgeschichte beschäftigen. Dieses Fach gibt es an englischen Universitäten, bevor die aus Deutschland vertriebenen jüdischen Gelehrten ins Land kommen, überhaupt noch nicht. Und nun kommt der deutsche Professor to show der englisch dummkopfs some echt-deutsch scholarship. Clarkes Zeilen treffen das schon genau, zumal Pevsner bei all seiner Liebenswürdigkeit ein sehr deutsches, sehr pedantisches Wesen nicht abzusprechen war.
Betjeman hat ihn immer gehasst: his arch-nemesis, Nikolaus Pevsner, the apostle of Kunstgeschichte, whose Prussian efficiency and professionalism offended his determined sense of amateurism schrieb vor wenigen Jahren Brooke Allen im New Criterion (was wäre die Zeitschrift ohne sie?). Der Krieg zwischen dem späteren poet laureate Betjeman und dem deutschen Gelehrten - that dull pedant from Prussia - beginnt im Jahre 1941, als Betjeman einen Nachruf auf Charles Voysey geschrieben und dem Architectural Review zugeschickt hatte. Betjeman hatte den völlig vergessenen Baumeister des Arts-and-Crafts Movement in den dreißiger Jahren wiederentdeckt und dafür gesorgt, dass der als Achtzigjähriger noch eine Goldmedaille vom Royal Institute of British Architects bekam. Aber der Architectural Review druckt den Nachruf von Betjeman nicht sondern den von Pevsner. Denn Pevsner ist da inzwischen in der Redaktion der Zeitschrift und lässt niemanden vergessen, dass er es war, der Voysey in Pioneers of Modern Design zu einem Vorreiter der Moderne gemacht hatte.
Als der Voysey sich niemals gefühlt hat, wie Betjeman bei seinem ersten Besuch bei Voysey 1931 feststellen musste. Er hasste die moderne Architektur, und er hasste es, von Pevsner als ein Begründer dieser Moderne in ein Buch hineingeschrieben worden zu sein. Es ist schon ein klein wenig schäbig, wie Pevsner das jetzt verkauft, wo er doch wissen sollte, dass die Wiederentdeckung Voyseys Betjemans Verdienst war. Es ist diese typisch deutsche Arroganz von jemandem, der auf seine akademischen Titel sehr stolz ist und der Betjeman als an undergraduate at Oxford bezeichnet. Womit er betont, dass Betjeman im Gegenzusatz our Herr-Professor-Doktor of today (so Betjeman) kein Examen vorweisen kann. Doch Betjeman hat seine Liebe zur Architektur, Pevsner nur diese kalte deutsche wissenschaftliche Klassifizierungssucht.
Charles Voysey wird Jahrzehnte später noch einmal neu entdeckt werden. Broad Leys am Lake Windermere wird eine Rolle in dem Film The French Lieutenant's Woman von Karel Reisz (zu dem Harold Pinter das Drehbuch geschrieben hatte) spielen und nach dem Erfolg des Films zu einer Touristenattraktion werden.
Die Fahrradklammern an den Hosen werden beinahe zu einem Symbol für Pevsner, wenn er nach dem Krieg beginnt, von Kirche zu Kirche zu radeln und das gewaltige Werk The Buildings of England zu schreiben. Allen Lane, dem der Penguin Verlag gehört, hat ihn dazu überredet. Spendiert ihm auch irgendwann ein Auto (einen Vorkriegs Wolseley Hornet), damit der Professor nicht immer mit dem Fahrrad durch England radeln muss. Aber Pevsner hat keinen Führerschein, seine Frau muss ihn fahren, oder seine Sekretärin, die Allen Lane ihm auch noch spendiert hat. Später fahren ihn seine Studis durch England. Driving Professor Pevsner, das wäre doch mal eine schöne Filmidee, ich würde auch das Drehbuch dazu schreiben. Allen Lane wird das alles nicht bereuen, The Buildings of Britain (angelegt wie Dehios Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler) werden ein großer Erfolg. Und sind es bis heute.
Und damit ist Pevsner, der sich mit Tweedjackett und Wollwesten immer große Mühe gegeben hat, wie ein Engländer auszusehen, endlich im Herzen der Engländer angekommen. Zumal er dann noch in der BBC die berühmten Reith Lectures zum Thema The Englishness of English Art hält. Er bekommt den CBE Orden und wird 1969 (im gleichen Jahr wie John Betjeman) sogar geadelt, der erste ausländische Kunsthistoriker, dem diese Ehre zuteil wird (Ernest Gombrich wird ihm da nachfolgen). Aber dennoch kommt sein Ruhm nicht an den von ➱Sir Kenneth Clark heran. Nachdem der die TV Serie Civilisation gemacht hat, die Millionen Menschen weltweit gesehen haben, ernennt ihn die satirische Zeitschrift Private Eye zu Lord Clark of Civilisation. Er nimmt sich als Adelstitel aber lieber Lord Clark of Saltwood, da er gerade das gleichnamige Schloss gekauft hat. In den beiden Bänden seiner Autobiographie (Another Part of the Wood und The Other Half) erwähnt er Pevsner kein einziges Mal.
Während viele der emigrierten deutschen und österreichischen Kunsthistoriker in ihren Gastländern sofort eine Anstellung fanden - Erwin Panofsky in Princeton, Alfred Neumeyer am Mills College in Oakland, Ernst Gombrich am Courtauld Institute - hat es Pevsner in England nicht leicht gehabt. England remains alien to me and, despite all my admiration for its qualities, somehow hateful, hat er einmal gesagt. Dabei kannte er das Land schon lange, sein Großvater wohnte in Hampstead. Den hatte er schon als Kind besucht, und er war Ende der zwanziger Jahre der einzige deutsche Kunsthistoriker, der sich mit englischer Kunst beschäftigte. Er arbeitete zwar schon 1933 nach seiner Entlassung in Göttingen in England, konnte sich aber erst 1935 zur Emigration entschliessen. 1933 hatte er dem Reporter der Birmingham Post noch in einem Interview gesagt Hitler is planning public works on a vast scale to cure the unemployment problem, and I believe that he has the courage and will to do what he says und glaubte noch an die puritan and moral aspects des Nationalsozialismus.
Da war er zweifellos nicht so scharfsinnig wie andere Emigranten. Zeitweilig arbeitete er als Berater einer Möbelfirma (die sich aber immerhin dem von ihm propagierten modernen Design verschrieben hatte). Zu Beginn des Krieges wurde er als feindlicher Ausländer in Liverpool interniert, man wollte ihn nach Australien deportieren. Dank seiner Beziehungen konnte er das abwenden und in England bleiben - das Schiff sank übrigens im Pazifik. An jenem Abend, als Pevsner mit seinen Fahrradklammern an den Hosen in der National Gallery sitzt, kann es gut sein, dass er gerade von seinem Dienst als Luftschutzwart gekommen ist. Da hat the Herr Professor Doktor von seiner anfänglichen Begeisterung für die Nationalsozialisten, die Stephen Games in Pevsner: The Early Life: Germany and Art nachgezeichnet hat, schon längst Abstand genommen.
Viele seiner Bücher, nicht nur die Buildings of Britain, sind heute Klassiker der Kunstgeschichte. Pioneers of Modern Design ist immer wieder aufgelegt worden, seine Geschichte der europäischen Architektur auch. Von dem Lexikon der Weltarchitektur, das er mit John Fleming und Hugh Honour herausgegeben hat, ganz zu schweigen. Ian Buruma hat in Voltaire's Coconuts, or Anglomania in Europe (einem der besten Bücher über die Englishness) ein schönes Kapitel über Dr Pevsner. Eine Biographie von Susie Harries Nikolaus Pevsner: Bringer of Riches wird am 18. August 2011 bei Chatto&Windus erscheinen. Darin findet sich auch die kleine Anekdote, dass Pevsner 1965 John Lennon für die Victorian Society werben wollte: From your book and otherwise, I have a strong feeling that you would make an ideal member of the Victorian Society. Warum er diesen Brief geschrieben hat, wird wohl immer ein Rätsel bleiben.
Nikolaus Pevsner wurde am 30. Januar 1902 in Leipzig geboren, er starb hochgeehrt in England im Jahre 1983. Er liegt auf dem Friedhof von Clyffe Pypard in Wiltshire. Seine Frau und er hatten dort ein Wochenendhaus. Auf dem schlichten schwarzen Granitstein steht Lola Pevsner born Kurlbaum 1902-1963 und darunter: Nikolaus her husband 1902-1983. her husband - unter dem grünen Gras braucht man keine akademischen Titel mehr, keinen undergraduate und keinen Professor.
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