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Dienstag, 29. März 2011
Cormac McCarthy
Es hat lange gedauert, bis er wirklich bekannt wurde. Genau genommen bis 1992, als All the Pretty Horses erschien. Das Buch wurde ein Bestseller und erhielt den National Book Award und den National Books Critics Circle Award. Das hatte McCarthy, der seit 1965 Romane schrieb, noch nicht erlebt. Kaum jemand hatte seine Romane gelesen. Außer manchen Kritikern, die schon früh sein Talent erkannt hatten. Sein Lektor Albert Erskine bei Random House, der 1965 das Manuskript von The Orchard Keeper akzeptiert hatte, hat den Erfolg noch erleben können. Er starb 1993 im Alter von 81 Jahren. Erskine, der einmal mit Carson McCullers verheiratet war, ist sicherlich eine Ausnahmepersönlichkeit in der amerikanischen Literaturszene gewesen.
Er war der letzte Lektor von William Faulkner. Faulkner vertraute ihm blind. Aber Erskine hat auch Ralph Ellisons Invisible Man zum Ruhm verholfen, Malcolm Lowrys Under the Volcano in der Entstehung begleitet und Eudora Welty gefördert. Und als er den kurzen Brief von Cormac McCarthy liest, der seinen Romanerstling begleitet - The enclosed is a notion I'd been toying with off and on for a year or so. ... If you don't like it please say so, and if you have no opinion one way or the other say that and if you think it won't hurt anything say that - zögert er nicht lange. Außer Erskine haben damals nicht so viele Leute an McCarthy geglaubt.
All the Pretty Horses (Teil der Border Trilogy) ist sicherlich der für den Leser am leichtesten zugängliche Roman des Autors. Obgleich auch dieser Roman dem Leser einiges abverlangt. Although the night was cool the double doors of the grange stood open and the man selling the tickets was seated in a chair on a raised wooden platform just within the doors so that he must lean down to each in a gesture akin to benevolence and take their coins and hand them down their tickets or pass upon the ticketstubs of those who were only returning from outside. The old adobe hall was buttressed along its outer walls with piers not all of which had been a part of its design and there were no windows and the walls were swagged and cracked. A string of electric bulbs ran the length of the hall at either side and the bulbs were covered with paper bags that had been painted and the brushstrokes showed through in the light and the reds and greens and blues were all muted and much of a piece. The floor was swept but there were pockets of seeds underfoot and drifts of straw and at the far end of the hall a small orchestra labored on a stage of grainpallets under a bandshell rigged from sheeting. Along the foot of the stage were lights set in fruitcans among colored crepe that smoldered throughout the night. The mouths of the cans were lensed with tinted cellophane and they cast upon the sheeting a shadowplay in the lights and smoke of antic demon players and a pair of goathawks arced chittering through the partial darkness overhead.
Entdecken Sie irgendwo ein Komma? Bis auf Punkte (und Fragezeichen, die am Ende von Fragesätzen in der wörtlichen Rede stehen) kommen bei McCarthy keine Satzzeichen vor. An- und Abführungszeichen bei der wörtlichen Rede fehlen. Wenn Mexikaner reden, sprechen sie Spanisch. Vierundzwanzig Mal das Wort and, das Stilmittel des Polysyndeton wird sozusagen zum Markenzeichen. Wie in der Bibel. Und bei Ernest Hemingway. Und doch, so karg der Stil scheint, so wortgewaltig sind die Romane. Wenn man sich auf Cormac McCarthy einlässt, reißt es einen mit. Man hat ihn mit Faulkner verglichen, mit Hemingway, mit Herman Melville. Vielleicht ist es von allem etwas.
Die größte Rolle in McCarthys Romanen spielt die Landschaft, selten seit Thomas Hardy oder Paul Bowles The Sheltering Sky hat ein Roman so von der Landschaft gelebt. Mit elementarer Wucht positioniert der Erzähler seine Romanfiguren vor einer extensiv und hoch poetisch beschriebenen Landschaftskulisse. Die häufig eine symbolische Erweiterung der Gefühle, Gedanken und Sehnsüchte der ansonsten lapidar wortkargen Helden ist. All the Pretty Horses ist eine Initiationsreise, eine Romanform, die die amerikanische Literatur von Huckleberry Finn bis zu The Catcher in the Rye ja so liebt. John Grady Cole, der sechzehnjährige Held des Romans, ist nur unwesentlich älter als Huck Finn. Aber er ist erwachsener, irgendwie ist er auch ein kleiner John Wayne, der weiß, dass ein Mann tun muss, was ein Mann tun muss. Ja, und irgendwie ist das auch ein Spätwestern, voller Stereotypen der Westernliteratur. Der Held reitet am Ende in den Sonnenuntergang, passed and paled into the darkening land, the world to come.
Die Kritiker, die von postmoderner Blut- und Bodenliteratur geredet haben, liegen vielleicht auch nicht so ganz falsch. Aber der amerikanische Westen wurde nun einmal mit Blut und Gewalt erobert (und Blut und Gewalt bestimmen auch heute noch den American Way of Life); da ist der Roman Blood Meridian - den Leser und Kritiker erst nach dem Erfolg von All the Pretty Horses entdeckten - so schrecklich und blutrünstig er ist, sicher keine Übertreibung. So pessimistisch McCarthy in Blood Meridian ist, vielleicht ist dies die realistischste Repräsentation von Amerikas Gründungsmythos Winning of the West.
Ich schreibe heute über Cormac McCarthy, weil es gestern im ZDF die Verfilmung von No Country for Old Men gab. Wurde als schräger Thriller von den legendären Coen Brüdern angekündigt. Der Name McCarthy wurde nicht erwähnt, ist auch besser so. Der Film ist ein typischer Coen Film, so etwas ähnliches wie Fargo, nur ohne Schnee. No Country for Old Men ist der schwächste aller Romane von McCarthy, wahrscheinlich kann man ihn deshalb so leicht verfilmen. Ansonsten kann man McCarthy nicht verfilmen, das kann man nur lesen. Weil man sich dann nicht mehr dem Sog der manchmal dunklen und rätselhaften Sprache von Cormac McCarthy entziehen kann. Der Roman No Country for Old Men wirkt so, als hätte McCarthy die Handlung bei Elmore Leonard oder Jim Thompson geklaut. Brauchte er dringend Geld? Sinister high hokum hat ein Kritiker geschrieben. Und das ist ja noch nett. Denn mit dieser bescheuerten Handlung funktioniert auch das McCarthysche Sprachkunstwerk nicht. Wenn Cornell Woolrich, Elmore Leonard oder Jim Thompson so etwas schreiben, dann stimmt der Inhalt mit der Form überein. Man braucht den Roman wirklich nicht zu lesen.
Doch All the Pretty Horses sollte man lesen, The Crossing auch. Den dritten Band der Border Trilogy, Cities of the Plain, kann man sich schenken. Ich hatte ihn damals sehnsüchtig erwartet und war enttäuscht. Aber dann sollte man unbedingt Blood Meridian, or the Evening Redness in the West lesen. Besser war McCarthy nie. Ich glaube, er weiß das auch, dass man die Art wie er schreibt nicht beliebig strapazieren kann. Mit The Road sollte Schluss gewesen sein. Das reicht eigentlich auch.
Je mehr man von McCarthy liest, desto leichter versteht man ihn. Da geht es dem Leser wie bei der Faulkner Lektüre. Wenn man lange genug im Text mitschwimmt, lernt man schwimmen. Ich habe vor vielen Jahren an der Uni ein Seminar über McCarthy gemacht, damals kannte ihn kaum jemand. Und es gab keine Sekundärliteratur, die einem beim Verstehen der Texte behilflich war (das hat sich inzwischen geändert), lediglich die Homepage der McCarthy Society war im Entstehen. Lesen ohne Lesehilfen, das war ein paradiesischer Zustand. Diese ganzen Lesehilfen von Dr. Königs Erläuterungen bis zu den Cliffs Notes und Monarch Notes, und wie sie alle heißen, produzieren doch nur einen unmündigen Leser. Und das wollen wir ja nicht sein. Didaktisch ganz nett gemacht ist aber die Seite der Spark Notes, probieren Sie sie mal aus.
Lesen Sie auch: All the Pretty Horses
Blood Meridian war eines der Bücher, bei dem ich mir mehrfach gedacht habe "das kann er doch nicht schreiben". Ähnlich wie American Psycho. Erstaunlich, dass es für Bücher keine vergleichbare Institution wie die FSK gibt, wenn man mal drüber nachdenkt - denn die Lektüre von Blood Meridian oder American Psycho dürfte der Entwicklung eines Elfjährigen weitaus abträglicher als ein Harry-Potter-Film (FSK-12)...
AntwortenLöschenUnd dennoch halte ich "Blood Meridian" für ein großes Buch - "American Psycho" allerdings nicht. Nachdem mich heute schon mehrere Mails erreicht haben (Danke für Ihren Kommentar!), werde ich auf dies Thema noch einmal zurückkommen und über dargestellte Gewalt in Literatur und Film in den USA schreiben.
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