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Samstag, 2. Juli 2011

James Stewart, Westernheld


John Wayne und James Stewart begegnen sich im Western in The Man Who Shot Liberty Valance als Inkarnationen des alten und des neuen Westens, sie begegnen sich in The Shootist, dem Abgesang auf den "wilden" Westen. Sie könnten sich in How the West Was Won begegnen, aber da ist der Captain (Stewart) schon tot, bevor ihn der General (Wayne) kennenlernen kann. Im wirklichen Krieg begegnen sie sich nicht, da ist Stewart Bomberpilot, John Wayne war niemals Soldat, obwohl unzählige Hollywood-Filme den Eindruck vermitteln, daß er ebenso heldenhaft war wie Audie Murphy.

James Stewart war schon früh in seiner Karriere zu "Jimmy" geworden (an actor so beloved by the movie-going public that they call him "Jimmy", just like a member of the family), dem schlaksigen Burschen von nebenan, den jedermann liebt. Sein Tod am 2. Juli 1997 wurde in seinem Heimatland mit gelassener Würde zur Kenntnis genommen, Nachrufe, Wiederholungen seiner Filme im Fernsehen (der American Movie Classics Channel sendete 24 Stunden Jimmy Stewart-Filme). Die Trauer Amerikas um "Our Jimmy" hatte nichts von der disneylandhaften Hysterie eines neuen Marienkultes, der wenig später England erschüttern sollte. Für viele Amerikaner gehört sein Film It's a Wonderful Life seit einem halben Jahrhundert zu Weihnachten wie der Truthahn zu Thanksgiving. Und auch Harvey (auf den einige Cartoons in den Nachrufen anspielten) gehört mit Stewart als Elwood P. Dowd zur nationalen TV-Kultur. Seinen ersten Oscar hatte Stewart 1940 für eine screwball comedy (The Philadelphia Story) bekommen, vierzig Jahre später erhielt er einen Life Achievement Award vom American Film Institute. In der Würdigung hieß es:

In a career of extraordinary range and depth, Jimmy Stewart has come to embody on the screen the very image of the typical American. Whether flying the ocean as Charles Lindbergh, going to Washington as Senator Jefferson Smith, or playing ordinary men who somehow never got around to leaving their home towns, Stewart has captured the essence of American hopes, doubts, and aspirations. His idealism, his determination, his vulnerability, and above all, his basic decency shine through every role he plays.

Der Mann, der sich weigerte, für die Swimmingpool-Szene von The Philadelphia Story einen Badeanzug anzuziehen, weil er dünnere Beine hatte als Katherine Hepburn, ist nicht jedermanns erste Wahl, wenn es gilt, einen Westernhelden zu spielen. Allerdings käme auch niemand, der Stewarts Westernhelden aus den 50er und 60er Jahren kennt, auf die Idee, ihn als bisexuell zu bezeichnen wie das ein gewisser Dennis Bingham in seinem Artikel James Stewart: Our Average Bisexual tut. Das ist wieder dieser typische amerikanische Schwachsinn fehlgeleiteter gender studies, der einen Hautgout auf die Wissenschaftlichkeit dessen wirft, was in der Nachfolge von Laura Mulvey geschrieben wurde.

James Maitland Stewart (ein anderer James Stewart mußte seinetwegen in Hollywood seinen Namen ändern und trat danach als Stewart Granger auf) wurde am 20. Mai 1908 in Indiana (Pennsylvania) geboren, und diese Kleinstadt hat sicherlich sein Leben geprägt (Indiana means home to me. It is a town for me to cling to, because my mother and father are here. I was born and reared here. I have a great love and pride for Indiana. I love every bit of it). Das Jimmy Stewart Museum unterhält im Internet ganze Seiten, die die rührende Verbindung des Filmstars zu seinem Heimatort, die sicherlich etwas von einem Frank Capra-Film hat, dokumentieren. Seine erste Theatererfahrung war eine Rolle als Froschkönig an der örtlichen Schule.

Stewart studierte in Princeton (wie schon sein Vater), irgendwie rutscht er danach ins Filmgeschäft (diese Karriere ist ihm, trotz der Erfahrungen als Froschkönig, nicht vorgezeichnet). Und seit Mitte der 30er Jahre ist er auf der Leinwand zu sehen - gleichzeitig mit Henry Fonda, seinem lebenslangen Freund, mit dem er in New York ein Apartment teilte. Diese ersten Filmrollen sind nichts Großartiges. Er darf sympathische, ungeschickte junge Männer in den obligatorischen Kreidestreifen-Zweireihern und Tweedanzügen spielen, die lebende Illustration der Maxime just remember your lines and don't bump into the furniture (man denke da an seine Auftritte in After the Thin Man). Wenige Jahre später ist er schon groß im Geschäft, in seinem ersten Western (Destry Rides Again) darf er schon neben Marlene Dietrich auftreten - gleichzeitig sind Henry Fonda mit Jesse James und John Wayne mit Stagecoach auch in Western zu sehen, allerdings in richtigen Western, keinem Pastiche wie Destry Rides Again. Doch es sollte noch lange dauern, bis Stewart zu einem amerikanischen Westernhelden werden sollte, zuerst wird er einmal (wie auch Fonda und Wayne) zu einer Ikone des cinema of populism der 30er und 40er Jahre.

Der Krieg unterbricht seine Karriere. Aber es ist Stewarts eigener Wunsch, in den Krieg zu ziehen: seine Großväter haben am Bürgerkrieg teilgenommen, sein Vater hatte sich in Princeton beurlauben lassen, um am Spanisch-Amerikanischen Krieg teilnehmen zu können und war mit 46 noch Soldat im Ersten Weltkrieg. Der Junge aus Pennsylvania zweifelt die Familientradition nicht an und geht zur Luftwaffe (Fonda geht zur Marine, John Wayne bleibt im Studio). Bei Kriegsende ist er Colonel und dekorierter Kriegsheld und ziert das Titelbild von Life drei Monate nach Audie Murphy, vierzehn Jahre später wird er zum Brigadegeneral ernannt. Der Mann, den wir als liebenswerten jungen Mann aus der Philadelphia Story kennen, der schüchtern im Smoking (neben Bob Hope im Frack) seinen ersten Oscar entgegennimmt, bombardiert Deutschland und geht danach wieder zu Frank Capra zurück, um It's a Wonderful Life (1947) zu drehen.

Die 50er Jahre sind die Zeit, in denen Stewart zum Westernhelden wird - alle jungen Schauspieler der 30er Jahre werden jetzt zu Westernhelden, obgleich sie eigentlich zu alt für ihre Rollen sind. Aber Western versprechen in dieser Zeit des ökonomischen Niedergangs von Hollywood viel Geld. Stewart ist daneben auch noch in "richtigen" Filmen zu sehen, Harvey (1950), The Glenn Miller Story (1953) und die Hitchcock-Filme (Rope, Rear Window, The Man Who Knew Too Much, Vertigo) können die Vielfalt seines Rollenrepertoires illustrieren. Gewiß gibt es hervorragende Rollen bei dem, was Stewart seit 1947 gespielt hat, aber für einen guten Schauspieler müßte es doch enttäuschend sein, acht Jahre nach The Man Who Shot Liberty Valance einen Zelluloidschrott wie The Cheyenne Social Club (Co-starring Shirley Jones and Rigor Mortis, who enters early and stays through the very last scene, so Halliwell's Film Guide) drehen zu müssen. Fonda und Wayne haben in dieser Zeit eindeutig die besseren Rollen. Und sie haben am Ende ihrer Karriere Filme, die einen würdigen Schlußpunkt markieren: John Wayne mit The Shootist, Henry Fonda mit On Golden Pond. Stewart ist nur noch die Stimme in dem Zeichentrickfilm An American Tail: Fievel Goes West (1991) und die Stimme der Campbell Soup-Werbespots.

Die Regisseure des cinema of populism, das von Jeffrey Richards in Visions of Yesterday so mustergültig beschrieben wurde, sind in den 30er Jahren Franklin Delano Roosevelts stärkste Verbündete. Im Angesicht der wirtschaftlichen Depression entwerfen sie die Utopie einer mitmenschlichen Gesellschaft, die auf die inalienable rights der Unabhängigkeitserklärung vertraut und life, liberty, and the pursuit of happiness mit neuem Leben erfüllt. Bezeichnenderweise sind es Neu-Amerikaner wie John Ford und Frank Capra, die die ihnen aus Irland und Italien vertrauten Ideale des Zusammenlebens auf die amerikanische Gesellschaft übertragen und den Mythos des American Dream in ihren Filmhelden wieder auferstehen lassen. Man kann diese Helden, etwas bösartig, auf die Formel reduzieren: They are perfect Lincoln-Christ figures, hailing from Small Town, U.S.A. (Richards, 236), aber man muß doch die filmische Effektivität bewundern, die von Figuren wie Mr. Smith, George Bailey (Stewart), Willoughby und Mr. Deeds (Cooper) ausgeht. Bei Ford heißen die John Doe-Figuren Young Mr. Lincoln, Tom Joad (The Grapes of Wrath) oder Ringo (➱Stagecoach), aber sie haben die gleiche ideologische Basis.

James Stewart, Henry Fonda, Gary Cooper und John Wayne werden zur perfekten Verkörperung amerikanischer Werte: If ever a country got the film heroes it needed, it was the USA in the decade up to the Second World War (Walker, 289). Small Town, USA ist Bedford Falls (It's a Wonderful Life), Mandrake Falls (Mr. Deeds Goes to Town), Grover's Corners bei Thornton Wilder oder eben Stewarts Heimatort Indiana (PA), eine sentimentale arkadische Vision eines Amerikas jenseits der Großstädte - deren Scheitern 50 Jahre später, wenn Stewarts Heimatstadt Indiana dank der Massenarbeitslosigkeit beinahe zur ghost town geworden ist, angesichts der traurigen Realität noch mehr schmerzt: Throughout Capra's work, the tone is unashamedly sentimental, a fact which many critics decry and which calls for some comment. The only comment that one can make is that it is simply not possible to eliminate the sentimentality for it is at the root of his vision. It is this which links him to John Ford. The work of both is permeated by nostalgia for a vanished America, an idealized pre-urban America where a purer, better, freer life was lived. Sentimentality is an integral part of nostalgia and so there is simply no point in decrying it. (Richards, 252)

Mr. Smith (links) und John Bailey waren Jimmy Stewart auf den Leib geschneidert, und er wird für den Rest seines Lebens mit diesen Figuren identifiziert werden. Aber sie sind auch eine schwere Bürde für einen Schauspieler, der allmählich sein Image wechseln will, wenn er erkennen muß, daß diese Helden nicht mehr en vogue sind (viele Schauspieler waren in den 30er Jahren durch Vertrag mit dem Studio auf ein bestimmtes Image in ihren Filmen festgelegt). Der Colonel Stewart kehrt in ein anderes Amerika zurück, der Film Noir hat das cinema of populism abgelöst. Skeptische, desillusionierte Helden sind gefragt, keine Idealisten mit Ivy League-Background. Eine Presseerklärung vom Ende der 30er Jahre wie: The rule is simple but inflexible. A James Stewart picture must have two vital ingredients: it will be clean and it will involve the triumph of the underdog over the bully, die wie ein Heiligenschein auf Stewart lastet, würde zehn Jahre später zu einem Karrierehemmnis werden, zumal sich Stewart über seine eigene Rolle in Hollywood nicht länger im klaren war: I felt when I got back to movies that I had lost all sense of judgment, I couldn't tell if I was good or bad.

Stewarts Übergang zum Genre des Western ist auf einer höheren Ebene durchaus logisch, es ist das einzige Filmgenre, das noch eine Botschaft zu verkünden hat. Michael T. Marsden hat die Westernfilme als America's secularized religion bezeichnet, und wenn man ihm in vielem nicht folgen kann, ist doch seine Überzeichnung instruktiv:

The transformation of the American Western hero of popular nineteeth-century romance into the twentieth-century hero of Westerns required a two-pronged development: one prong involved his attitudes towards his environment, and the other concerned his modified Christianity which combined the New Testament Messiah with the qualities of the wrathful God of the Old Testament. As the loving and forgiving and merciful Christ of the New Testament, the Western hero could not survive West of the Mississippi. The essential lawlessness of the West required a hero with a strong sense of divine justice at times untempered with mercy. The coming of the Western hero is a kind of second coming of Christ, but this time, he wears a gun instead of carrying a cross, and he wears the garb of a gunfighter, not a carpenter. (Marsden, 108)

Die Botschaft vom idealen Amerika kann auch im Western gepredigt werden, und es ist sicher kein Zufall, wenn ➱Michael Wood in seinem wunderbar lesbaren Buch America in the Movies in diesem Zusammenhang James Stewart erwähnt: How can a justice which is founded on the heroic action of an individual become the justice of an invariably cowardly group of townsfolk or settlers? Westerns regularly end on this question, which leaves us with society seemingly ordered, but owing everything to the lonely character it now has no room for. Sometimes this state of affairs is rubbed in by a sermon, ideally delivered by James Stewart: democracy is praised, isolated deeds of valor played down. (Wood, 48)

James Stewarts Karriere in Westernfilmen ist seit Winchester '73 (1950) untrennbar mit dem Regisseur Anthony Mann verbunden (obgleich sie nur in fünf Western zusammenarbeiteten: Winchester '73, Bend of the River, The Naked Spur, The Far Country und The Man from Laramie), so wie man John Wayne mit John Ford verbindet, Randolph Scott mit Budd Boetticher, Clint Eastwood mit Sergio Leone. Man könnte die Frage stellen, wie Stewarts Karriere als Westernheld verlaufen wäre, wenn er mit einem anderen Regisseur zusammengearbeitet hätte, denn Anthony Mann ist niemals der Liebling der Filmkritiker gewesen, never found favor among the more cultivated critics of the medium (Sarris, 98). Pauline Kael ist in allen Bänden ihrer gesammelten Filmkritiken völlig indiferrent gegenüber Stewart und Mann, und fragt nur an einer Stelle: why should you go and see another picture with James Stewart? (Going Steady, 119). Die geschmackssichere Engländerin Dilys Powell nimmt keinerlei Notiz von Anthony Mann. Andrew Sarris, der in The American Cinema (1965) Anthony Mann als underrated stylist in der Nähe von Nicholas Ray, Robert Aldrich und Joseph Losey sieht (Sarris, 84), beklagt: Unfortunately, Universal Pictures were seldom taken seriously during this period by anyone except Manny Farber and the French critics, and Mann, like Sirk, was overlooked by the American establishment until it was too late for his career to find a firmer lodging than obscure cult interest. (Sarris, 99)

In den Zirkeln französischer Cinéasten verlief die Rezeption ganz anders, André Bazin hatte schon in den 50er Jahren geurteilt: Anthony Mann could be considered the most classical of the young novelistic directors. We owe the most beautifully true Westerns of recent years to him (Bazin II, 156). Und sein oben erwähnter amerikanischer Kollege Manny Farber, der immer für vom mainstream der Kritik abweichende Meinungen gut ist (um es zurückhaltend zu sagen, wahrscheinlich war er Amerikas originellster Filmkritiker), bespricht Mann in seinem Artikel Underground Film (1957). Allerdings ist sein Urteil nicht ganz so positiv, wie Andrew Sarris glauben machen möchte. Denn Zitate wie The films of this tin-can de Sade have a Germanic rigor, caterpillar intimacy, and an original dictionary of ways in which to punish the human body (Farber, 13) und postcard Westerns with Jimmy Stewart and his harrassed Adam's apple approach to gutty acting (Farber, 23) klingen nicht allzu enthusiastisch. Obgleich da natürlich etwas dran ist.

In den 40er Jahren hatte Mann, dem das Studio nur unbedeutende Produktionen anvertraute, kleine solide Noir-Filme gedreht (Desperate, T-Men, Raw Deal, Side Street), die durchaus ein originelles Talent erkennen ließen. Gewaltdarstellungen und psychologische Charakterzeichnung (charakteristische Elemente des Film Noir) werden nun von Mann in den Western transportiert. Dem nach dem Zweiten Weltkrieg für Gewaltdarstellungen empfänglichen Publikum genügte die von Robert Warshow festgeschriebene "klassische" Westernformel nicht mehr. Der Film Noir bietet sich für den Genre-Transfer zum Western geradezu an: Such inter-genre borrowing was made possible by the increasing sophistication of the once-innocent Western. Themes introduced at this time and extended in the 50s reveal the expanded capacity of aging stars (who needed more complex vehicles), intelligent writers, and conscientious directors, all of whom were supported by an audience that had acquired as a result of war and/or college a knowingness about motivation and violence. After World War I there was a recoil from violence that seems to have no equivalent in the aftermath of World War II. (Alloway, 54)

Lawrence Alloway hat in seinem Katalogbuch für die Ausstellung des Museum of Modern Art, Violent America: The Movies 1946-1964 (1971), diesen Aspekt des amerikanischen Films am genauesten nachgezeichnet, und James Stewart kann hier als Illustration seiner Thesen einer neurotischen Gewaltbessenheit des amerikanischen Films dienen. Nachdem die New York Times Ende der 40er Jahre über das Ende seiner Karriere spekuliert hatte, erkannte Stewart, daß eine Anpassung an die Zeit erforderlich war: I knew right then and there I was going to have to do something. I knew I had to toughen up. Drei Jahre nach It's a Wonderful Life - mit der Zwischenstufe von Call Northside 777 (1948) - ist Stewart der Westernheld in Winchester '73, wobei hier die neurotische Komponente des "neuen" Helden noch durch den Rückgriff auf das Rachemotiv der griechischen Tragödie gemildert wird: Mann's films are not psychological so much as they are neurotic. His hero is perfectly embodied in James Stewart. Their five films in five years literally created a new Western type, nearly as compelling as John Wayne, but possessed of obsessions, self-doubt and emotional eccentricity. (Silver, 87)

Stewart kann in diesen Filmen die Fassade seiner Grundanständigkeit bewahren, aber tief in ihm ist sein neues (Hollywood-) Ich: In Mann's westerns the madness at the heart of the James Stewart character only occasionally breaks through an otherwise calm and controlled surface, like a strong subterranean current suddenly appearing above ground as an inhuman and yet somehow poetically apt thirst for vengeance and primitive biblical justice, where the will to survive is linked to certain old-fashioned cultural and moral values of dignity, honor, and respect. (Elsaesser, 295)

Winchester '73 (noch in Schwarzweiß gedreht und Western Klassikern der vorangehenden Jahre wie Red River und Wagonmaster verpflichtet) wird Manns bester Western bleiben (wenn man den in der Kritik sehr unterschiedlich beurteilten Film Devil's Doorway einmal ausnimmt), in der Wertschätzung gefolgt von Man of the West mit Gary Cooper. Mann hatte mit James Stewart einen glaubwürdigen, "realistischen" Helden gefunden: The James Stewart hero is a lean Westerner whose relaxed, unruffled exterior, aided by Stewart's superbly laconic croak, belies his guts and determination. This hero is a committed, single-minded man with no frills. The West he rides in is uneasy and threatening. Mann's wandering men are products of this uneasiness. 'The man from Laramie', or the hero of 'Winchester '73', are average men in the saddle with just that little extra needed to stamp them as exceptional. It is possible to identify them as the real Westerners, not the glossy exotics who ease the lives of more ordinary mortals, but men of the West capable of acting as real men of the West ought to act. If Mann's Westerns are labelled 'realistic' it is because the distance between hero and common man is not so great, and yet we are not denied the satisfaction of seeing a man of more than ordinary courage and skill in action. (Calder, 179-180)

Daneben bedeutet der neue Realismus von Mann auch, daß dieser Held in eine realistische, häufig feindliche Naturkulisse versetzt wird. Anthony Mann hat in Interviews mit den Cahiers du Cinéma (Juni 1966) und Positif (September 1968) ausgeführt, daß die Strapazen der Filmfiguren im Kampf mit den Naturgewalten für seinen Realismus notwendig sind. Und er hat dabei auch auf etwas gänzlich Unbekanntes im Charakter von Stewart hingewiesen, daß nämlich Stewart diese Extremsituationen beinahe masochistisch gesucht hat (Hembus, 411). Und Jim Kitses, dessen ➱Horizons West (eine Abhandlung über Mann, Boetticher und Peckinpah) sehr gute Interpretationen der Filme Manns enthält, hat diesen Aspekt des "neuen" James Stewart in Manns Konzept von einer ritualisierten Initiation, der die Helden gnadenlos ausgesetzt werden, eine Art von regeneration through violence, verdeutlicht. In dieser neuartigen, graphisch expliziten Darstellung von Gewalt, die man aus dem Film Noir herleiten kann, liegt die Keimzelle für Sam Peckinpah und die Italo-Western. Von Manns künstlerischem Primitivismus könnte man in direkter Linie zu der frontier experience zurückgehen. Hollywoods make-believe bietet - und das ist Stewarts und Manns Verdienst in der Geschichte des Western - zum ersten Male eine realistische, nicht-romantische Version des Lebens im Westen.

Es ist zu einem Gemeinplatz geworden, die Landschaft des Western nicht nur als eine Bühne, sondern als emotionale Ergänzung des Helden und der Aktion zu sehen. Hier bedeuten Manns Western (wie auch gleichzeitig die Western von Budd Boetticher mit Randolph Scott) einen wichtigen Schritt in der Westerngeschichte: Mann continually uses the Western terrain in this precise and specific way. It becomes a part of the action. The final fight in Winchester '73 (1950) owes its harsh integrality to its location on barren rock, which is a crucial influence on the fight's outcome. The two bitterly intense rivals, brothers whose mutual hatred has been unequivocally established in the opening sequences, face each other at last in a battle that is devoid of all extraneous features. This really is naked conflict, the naked rock contributes to our sense of it. The entire movies has been moving towards it. (Calder, 14)

Die Diskrepanz zwischen der hervorragend photographierten elementaren Gebirgsnatur und dem extensiven Einsatz von Studiokulissen sollte den nächsten Western, Bend of the River, künstlerisch ruinieren. In The Far Country wird Mann allerdings wieder zu seinem hohen Abstraktionsgrad zurückfinden, Raymond Bellour (in Le Western, 1966) und J.H. Fenwick in seiner Besprechung in Sight and Sound haben diesen Aspekt hervorgehoben.

James Stewart hat im gleichen Jahr wie Winchester '73 noch einen anderen Western gedreht, der heute weniger Aufmerksamkeit auf sich zieht, Broken Arrow (Regie: Delmer Daves) nach dem Roman Blood Brother von Elliot Arnold. Stewart spielt hier (den historischen) Thomas Jeffords, der eine indianische Prinzessin heiratet. Dieser Film, über den Pauline Kael nette Wort gefunden hat (I've never heard of anybody - man or child - who didn't enjoy this movie, Not that it's film art. But it's full of legend, romance, and action, Kiss Kiss Bang Bang, 298 - an anderer Stelle des Buches ordnet sie den Film jedoch unter Movies for Children ein, 218-219), stellt sicherlich eine Wegmarke in der Darstellung des Indianers im Film dar. Der Regisseur hat 1965 in Cinema erklärt, daß es ein Fehler war, die historische Vorlage zu einem lyrisch-poetischem Film umzuformen. Müßte er ihn noch einmal drehen, so würde er sich um mehr Realismus bemühen. Um diesen Realismus hatte sich Anthony Mann in seinem ersten Western, Devil's Doorway, bemüht, ein Film, der gleichzeitig mit Broken Arrow in die Kinos kam und dank des Publikumserfolges von Broken Arrow und Manns eigenem Winchester '73 in der Versenkung verschwand. Devil's Doorway ist ein bitterer, eindringlicher Film, dessen Botschaft allerdings 1950 niemand hören mochte. Und mit einem Star wie Stewart, der das Image (oder das Stigma) des Abraham Lincoln/Jesus Christus-Helden des cinema of populism trug, hätte Mann niemals solch kompromißlos bittere Western realisieren können. Neben der Frage, was wäre Stewart als Westernheld ohne Anthony Mann geworden, muß auch die Frage gestellt werden, was hätte aus dem Westernregisseur Anthony Mann ohne James Stewart werden können.

The Man from Laramie beendet die Zusammenarbeit zwischen Stewart und Mann. Stewart wird als Schauspieler danach zwar noch gute Rollen bekommen (The Man Who Knew too Much, The Spirit of St. Louis, Vertigo, Anatomy of a Murder, Mr Hobbs Takes a Vacation, Shenandoah, The Flight of the Phoenix, The Big Sleep), aber es sollten kaum noch gute Western dabei sein. Die Ausnahmen wären der John Ford-Klassiker The Man Who Shot Liberty Valance (1962), How the West Was Won (1962), wo die James Stewart-Episode den Film dominiert, und sein Cameo-Auftritt als Dr. Hostetler in dem larmoyanten ➱Spätwestern The Shootist. Bandolero (den Joe Hembus als Aus der Abteilung 'letzte Auftritte der müden Helden' mit viel Geschwätz und Anleihen beim Italo-Western charakterisierte) wäre noch diskutabel. Firecreek hätte ein guter kleiner Film werden können, wenn er einen besseren Regisseur gehabt hätte. Sein Freund Henry Fonda (mit dem der konservative Stewart nie über Politik diskutierte) darf hier einen Bösewicht spielen, eine Vorübung für seine Rolle in Spiel mir das Lied vom Tod. Stewart darf nur Stewart spielen, und er wirkt hier schon wie eine Persiflage auf die James Stewart-persona (Sometimes I wonder if I'm doing a Jimmy Stewart imitation myself). Vier Jahre nach dem Life Achievement Award des American Film Institute erhält Stewart einen Ehren-Oscar for 50 years of meaningful performances, for his high ideals, both on and off the screen, with the respect and affection of his colleagues. Den ersten Oscar hatte er nach Indiana geschickt, wo ihn sein Vater in ein Regal des Stewartschen Haushaltswarenladens gestellt hatte.

Jimmy Stewart war zeitlebens die verkörperte amerikanische Tugend. Er war Pfadfinder, unterstützte das Rote Kreuz und unzählige charities, ging (wie John Updike) jeden Sonntag zur Kirche. Er war die Bescheidenheit in Person, ließ in seine Verträge eine Klausel aufnehmen, daß das Studio niemals für Werbezwecke seine Kriegskarriere erwähnen dürfe. Bei der Aufzählung seiner guten Taten wird meist unterschlagen, daß er auch ein kalkulierender Geschäftsmann und in den 30er und 40er Jahren ein großer Frauenheld war. 1989 überraschte er die Öffentlichkeit mit einem kleinen Gedichtsband (nachdem er zuvor in der Johnny Carson Show daraus vorgelesen hatte). Das charmante Gedicht auf seinen Hund Beau erhielt eine Art Kultstatus, ein Verehrer brachte es nach seinem Tod unter Mißachtung aller Copyright-Regeln in das ➱Internet, wo es Millionen Amerikaner erfreuen wird. He gave people a lot of pleasure, hatte Stewart einmal auf die Frage geantwortet, welches Epitaph er sich wünsche. Wir können nur zustimmen.

Aber ist das der gleiche Stewart, der als Kopfgeldjäger Howard Kemp in The Naked Spur diesen beklemmenden Ausbruch der Verzweiflung darüber zeigt, daß er sein Opfer begraben soll, statt die Prämie für den toten Mörder (Robert Ryan) zu kassieren? Rebelliert Stewart in diesen neurotischen Ausbrüchen gegen seine lebenslange Angepaßtheit an seinen Vater und die Wertwelt von Small Town, USA? Rebelliert er gegen das eigene Image, immer gut und edel sein zu müssen? Anläßlich von Shenandoah hat Dilys Powell bemerkt, daß Stewart hier jemand spiele, den man mit all den edlen Zügen zwar im Film hinnehmen mag, den man im wirklichen Leben aber nicht ertragen könne. Oder ist das alles nur eine weitere Maske? Seine Schauspielerei war nicht natürlich, er mußte sich seine Rollen hart erarbeiten, hat John Ford gesagt. Aber er hat perfekt gespielt, was der Drehbuchautor Philip Yordan in einer Art Komplementärstück zu Raymond Chandlers Definition seines Helden in ➱The Simple Art of  Murder als Helden von Anthony Manns Western entworfen hat - und ich lasse das mal als famous last words stehen:

Ich verabscheue eine bestimmte Kategorie von modernen Helden, oder besser einen bestimmt Typ Mann, aus dem man Helden machen will. Nehmen Sie Gregory Peck in 'Der Mann im grauen Flanell': ihn beschäftigt nur ein einziges Problem, sein Monatseinkommen. Ich wollte etwas gegen diese kleinbürgerliche Mentalität unternehmen und habe versucht, die Reinheit der Helden der antiken Tragödie, der griechischen Tragödie wiederzufinden, und in dieser Absicht bin ich mit Anthony Mann ganz einig. Ich wollte eine neue tragische Mythologie schaffen, in der das Schicksal, die Einsamkeit und die Noblesse eine große Rolle spielen. Einen Mann, der irgendwoher kommt und irgendwohin geht, der von den Furien gejagt wird und verzweifelt seinen inneren Frieden sucht. Diesen Typ Helden wollte ich verbinden mit einer typischen amerikanischen, ganz alltäglichen Figur. Mit jemandem, von dem man sagt, wenn man ihn auf der Straße sieht: "Das ist der Mann". Man weiß nicht recht, warum man das sagt, aber man hat recht. Im allgemeinen lebt dieser Mann für sich, bittet niemanden um irgendetwas, versucht nie, etwas abzustauben, bewahrt seine Würde. Er verachtet die Menschen nicht und fürchtet sie nicht und wenn man ihn angreift, wird er gefährlich. Und wenn er Angst hat, hat alle Welt Angst. Er stellt für niemanden eine Gefahr dar. Er ist kein Faschist. Er hat Würde und sucht Würde. Er schlägt sich nie, außer wenn er dazu gezwungen wird; dann aber ist er schrecklich. Ich habe also versucht, diese beiden Heldentypen miteinander zu verbinden, und dank Anthony Mann ist 'The Man from Laramie'...daraus geworden. Wir waren immer bemüht, die physische Verletzbarkeit dieser Helden zu betonen, um nicht in den gefährlichen Manichäismus des Helden zu fallen, der sich für unfehlbar und mächtig hält, sich ein abschließendes Urteil über seine Mitmenschen erlaubt und sich das Recht über Leben und Tod anmaßt. Die Stärke Stewarts ist moralischer Art.

Als James Stewart 1997 starb, hatte mich die Redaktion von Studies in the Western mehr oder weniger gezwungen, einen Artikel über James Stewart zu schreiben. Obgleich sie wußten, dass ich James Stewart eigentlich gar nicht mag, ich schreibe lieber über John Wayne oder Tommy Lee Jones. Aber dann habe ich mir damals gedacht: mach' was Ordentliches draus. Und als ich den Artikel jetzt auf einer alten Diskette wiederfand, fand ich ihn immer noch ganz ordentlich. Deshalb ich ihn zu dem heutigen Todestag von James Stewart ein wenig überarbeitet (mit Dank an die Redaktion von Studies in the Western) und stelle ihn hier ins Netz. Das habe ich mit Somewhere West of Laramie und Spätwestern auch schon gemacht, der erste ist der unschlagbare Bestseller in diesem Blog geworden und Spätwestern wurde auch schon gut gelesen. Diese Resonanz hat mich ermutigt, den James Stewart Artikel auch hier zu plazieren. Diesmal habe ich die Quellennachweise und das Literaturverzeichnis drin gelassen, vielleicht gibt es ja Jimmy Stewart Fans unter den Lesern, die noch mehr lesen wollen.

    Literatur:
Lawrence Alloway, Violent America: The Movies 1946-1964. New York, 1971.
André Bazin,
What is Cinema. 2 vols. Berkeley, 1972.
Dennis Bingham,
Acting Male: Masculinities in the Films of James Stewart, Jack Nicholson, and Clint Eastwood. New Brunswick, 1994.
Jenni Calder,
There Must Be a Lone Ranger. London, 1976.
Thomas Elsaesser, "Tales of Sound and Fury", in: Barry Keith Grant (ed.), Film Genre Reader. Austin, 1986, 278-308.
Manny Farber,
Movies. New York, 1971.
Tag Gallagher,
John Ford. Berkeley, 1988.
Joe Hembus, Western-Lexikon. München, 1976.
Pauline Kael, Kiss Kiss Bang Bang. New York, 1969.
----,
Going Steady. New York, 1970.
Jim Kitses,
Horizons West. Bloomington, 1970.
Michael T. Marsden, "Western Films: America's Secularized Religion", in: Michael T. Marsden et.al. (eds),
Movies as Artifacts. Chicago, 1982, 105-114.
Jeffrey Richards,
Visions of Yesterday. London, 1973.
Andrew Sarris,
The American Cinema. New York, 1968.
Charles Silver,
The Western Film. New York, 1976.
Jon Tuska,
The American West in Film. Westport (CT), 1985.
Alexander Walker,
Stardom. Harmondsworth, 1974.
Garry Wills,
John Wayne's America. New York, 1997.
Michael Wood,
America in the Movies. London, 1975.
     Bücher über James Stewart:
Jonathan Coe,
JS: A Wonderful Life. Arcade 1994, deutsch: Heyne 1994.
----,
JS: Leading Man. Bloomsbury n.d.
Donald Dewy,
JS: A Biography. Turner 1996, deutsch: Henschel 1997.
Marc Eliot,
Jimmy Stewart: A Biography. Harmony 2006.
Allan Eyles,
JS. Thorndike 1985.
Garry Fishgall,
Pieces of Time: The Life of J.S. Scribner 1997.
Ken D. Jones,
The films of JS. Barnes n.d.
Helene McGowan,
JS. Crescent Books 1992.
Gerard Molyneux,
JS: A Bio-Bibliography. Greenwood 1992.
Roy Pickard,
JS: A Life in Film. St Martins 1993.
----,
JS: The Hollywood Years. Robert Hale 1997, Little Brown 1997.
Lawrence Quirk,
JS: Behind the Scenes of a Wonderful Life. Applause Theatre Books 1997.
Jhan Robbins,
Everybody's Man: A Biography of JS. Putnam 1985.
Tony Thomas,
A Wonderful Life: The films and career of JS. Citadel 1988, Citadel 1997.
Howard Thompson,
JS. Pyramid Publications n.d., deutsch: Heyne 1981.

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