Seiten

Donnerstag, 29. September 2011

Winslow Homer


Wenn wir dieses Bild sehen und nichts darüber wissen, würden wir auf einen französischen Impressionisten tippen und Deauville oder Trouville sagen, wohin es die Pariser Gesellschaft im ausgehenden 19. Jahrhundert zieht. Sieht ein wenig aus wie Eugène Boudin, finden Sie nicht auch? Es ist aber der Amerikaner Winslow Homer, der hier den Strand von Long Branch (New Jersey) malt. Wir sind im Jahre 1869, und die amerikanische Gesellschaft des Gilded Age hat offensichtlich die gleichen Interessen wie die Pariser Gesellschaft der Belle Epoque. Die Damen tragen auch die gleiche Mode, an der Dame ganz rechts kann man den cul de Paris bewundern. Die Nähe zu Boudin hat Lloyd Goodrich, Amerikas Spezialist für Winslow Homer (und Edward Hopper) auch gesehen, er spricht von many curious parallels, weiß aber letztlich auch nicht, woher es kommt. Homer ist zwar nach dem Bürgerkrieg in Paris gewesen, aber man kann keine wirklichen Beziehungen zwischen ihm und Boudin oder dem frühen Monet nachweisen. Der ehemalige Grafiker lässt sich auch kaum von jemandem beeinflussen: From the time I took my nose off that lithographic stone, I have had no master, and never shall have any. Aber so wie Boudin sein Leben lang vom Strand, vom Meer und dem Himmel darüber fasziniert ist, wird Homer das auch sein. Doch wird seine Begeisterung auf Papier und Leinwand ganz andere Formen annehmen.
 
Vier Jahre nach dem Bürgerkrieg hat Winslow Homer große Sprünge in seiner Entwicklung als Maler gemacht, er hat ja erst 1864 angefangen Ölbilder zu malen. Er ist ein slow learner, er kann (oder will) nicht von anderen lernen. Artists should never look at pictures, but should stutter in a language of their own, hat er einmal zu dem Maler und Schriftsteller Eugene Benson gesagt. Er hat sich beinahe alles selbst beigebracht, darin ähnelt er John Singleton Copley. Zwei amerikanische Originalgenies, beide aus Boston, durch ein Jahrhundert getrennt. Es ist erstaunlich. Schauen wir uns mal eben dieses Bild an. Homer hat es kurz nach Ende des Bürgerkrieges gemalt. Es heißt Prisoners from the front - und eigentlich können wir kaum glauben, dass beide Bilder - dies doch eher triste Genrebild und der Strand von Long Branch ganz oben - vom gleichen Maler sind. Das 61 x 96 Zentimeter große Bild zeigt einen Nordstaatengeneral, dem drei Südstaatengefangene vorgeführt werden. Die schon beinahe karikaturhaft die Lage des Südens verdeutlichen sollen. Links der Dorftrottel, der bestimmt nicht lesen und schreiben kann. In der Mitte der alte Mann, einer der Poor Whites, der sich nicht mehr ändern wird. Und rechts der junge Kavallerieoffizier (mit einer Haarpracht wie General Pickett) in herausfordernd aristokratischer Pose.

Eugene Benson, ein schlechter Maler, aber ein einflussreicher Kulturkritiker bot in der New York Evening Post folgende Interpretation: On one side the hard, firm-faced New England man, without bluster, and with the dignity of a life animated by principle, confronting the audacious, reckless, impudent young Virginian. . .; next to him the poor, bewildered old man, . . . scarcely able to realize the new order of things about to sweep away the associations of his life; back of him the `poor white,` stupid, stolid, helpless, yielding to the magnetism of superior natures and incapable of resisting authority. Und für den patriotischen Nordstaatler Benson ist die Sache klar: Mr. Homer shows us the North and South confronting each other; and looking at his facts, it is very easy to know why the South gave way. The basis of its resistance was ignorance; its front was audacity and bluster.

Es ist ein Bild vom Süden, das in Literatur und Film noch lange Bestand haben wird: nur redneck Trottel und Aristokraten. Die old folks at home nicht zu vergessen. Der Yankee Offizier auf der rechten Seite (dessen Kopf in letzter Sekunde ins Bild gemalt wurde) ist das Porträt einer wirklichen Person, des Brigadegenerals Francis C. Barlow. Ich lasse dessen militärische Leistungen im amerikanischen Bürgerkrieg einmal beiseite, sie sind nicht so großartig, wie es uns die amerikanische Hagiographie von Bürgerkriegsgeneralen vermittelt. Seine wirkliche Leistung wird Jahre später in New York liegen, wenn er als Politiker und Generalstaatsanwalt die kriminellen Aktivitäten von 'Boss' Tweed und seiner Organisation bekämpfen wird.

Es gibt mehrere Gründe, weshalb Francis Barlow auf diesem Bild ist und den siegreichen Norden symbolisiert. Die einfachste Erklärung ist: Maler und Modell kennen sich. Sie kennen sich nicht nur, sie sind miteinander verwandt. Und Barlow, der wegen seines jugendlichen Aussehens auch the Boy General heißt, ist ein Vorzeigesoldat der Union. Barlow (auf diesem Photo ganz links, rechts neben ihm sitzend General Winfried Scott Hancock) ist der junge Dandy aus Boston, der sich niemals an die Vorschriften der Dienstkleidung hält. Nur auf dem Bild von Winslow Homer ist er korrekt gekleidet. Er trägt auf dem Photo seine Uniformjacke gegen alle Vorschriften aufgeknöpft. Wahrscheinlich sollen wir sein elegantes Hemd bewundern, das sich auch in keiner Dienstvorschrift findet. Der lange Säbel, den er auf diesem Photo wie auf Homers Bild trägt, ist ein Kavalleriesäbel. Allerdings ist Barlow gar nicht bei der Kavallerie, er trägt ihn nur, weil der so schön martialisch aussieht. Und dann diese arrogante überlegene Pose - wenn einer sich zu inszenieren versteht, dann ist das Francis Barlow. Die Presse liebt ihn, denn wenn jemand aussieht wie Paul Newman, Steve McQueen oder Robert Redford, dann kann man das auch gut verkaufen. Wo es doch jetzt Mathew Brady und die Photographie gibt. Neben dem Krimkrieg ist dies der erste photographierte Krieg der Geschichte. Von nun an haben wir Bilder von allem, vor allem von Tod und Zerstörung. Sie haben aber keinen Lerneffekt für die Menschheit, die Bilder von Tod und Zerstörung haben wir heute noch.

Waren Winslow Homers Zeichnungen, Holzschnitte und Lithographien vom Bürgerkrieg bis dahin nur den Lesern von Harper's bekannt, macht ihn das Bild Prisoners from the front macht Winslow Homer schlagartig in Amerika berühmt. Henry T.Tuckerman schrieb, dass das Bild attracted more attention, and, with the exception of some inadequacy in color, won more praise than any genre picture by native hand that has appeared of late years. Und Clarence Cook schrieb Jahre später: No picture has been painted in America in our day that made so deep an appeal to the feelings of the people...Though painted in the heat of the war, and when the bitterest feelings were aroused on both sides, the influence of this picture was strong on the side of brotherly feeling.

Das Bild The Veteran in a New Field schließt Homers Beschäftigung mit dem Bürgerkrieg ab. Der ehemalige Soldat der Unionstruppen hat seine Uniform (unten rechts im Bild) abgelegt, jetzt ist er wieder Farmer. A New field ist jetzt seine Aufgabe, sein altes Feld waren die Schlachtfelder des Sezessionskrieges. Manche Interpreten haben daran erinnert, dass ein berühmtes Photo von Mathew Brady vom Schlachtfeld von Gettysburg A Harvest of Death hieß, dies Bild könnte ein Kommentar auf das Photo sein. Aber wird er jemals dieses Feld abernten können? Oder ist es doch eine Anspielung auf den Schnitter, der Tod heißt? Diese Assoziation, die heute jedem Kunsthistoriker einfällt, ist damals keinem Kritiker in den Sinn gekommen. Das Bild, was immer seine Symbolik sei, zeigt aber auch schon, wohin Homers Weg (vor allem in seinem Spätwerk) gehen wird, zu den großen klaren Flächen. Es ist beinahe schon ein Plakat in seiner Flächenhaftigkeit. Ein Bild wie The Fox Hunt ist beinahe dreißig Jahre später gemalt, hat aber viel mit The Veteran in a New Field gemeinsam.

Mit dem Kriegsende wechselt Homer radikal sein Thema, das wird er noch häufiger tun. Er hat genug vom Bürgerkrieg. Das Publikum nicht, das wünscht sich noch mehr Bilder wie Prisoners from the Front. Und wenn ein Kritiker, dem die eleganten Damen am Strand von Long Branch nun gar nicht gefallen, schreibt The success which attended 'Prisoners from the Front' seems to have somewhat spoiled a good artist, fällt Homer dazu nur der Satz ein: I'm sick of hearing about that picture. Es ist selten, dass er sich zu seiner Kunst äußert, er ist ein verschlossener Mensch

Jetzt wendet er sich in seinen Bildern Kindern und der Kindheit zu, noch bevor Mark Twain das Thema für sich entdeckt hat und seinen Huckleberry Finn schreibt. Man kann diesen Themenwechsel als einen Versuch sehen, den Schrecken des Krieges entkommen zu wollen. Man kann es aber auch als ein Bemühen sehen, jetzt populär und berühmt zu werden, denn solche Bilder wie Snap the Whip kommen beim Publikum an. Es wird sogar 1876 auf der Weltausstellung in Philadelphia gezeigt (Prisoners from the front war schon 1867 auf der Pariser Weltausstellung gezeigt worden). Der Kunstkritiker Robert Hughes hat über diese Bilder gesagt: Some major artists create popular stereotypes that last for decades; others never reach into popular culture at all. Winslow Homer was a painter of the first kind. Even today, 150 years after his birth, one sees his echoes on half the magazine racks of America. Damit hat er sicher recht, man kann sicherlich Spuren dieser Bilder noch bei Norman Rockwell, Amerikas beliebtesten Illustrator des 20. Jahrhunderts, entdecken.

Es gibt aber auch Kritiker, die diese Bilder partout nicht mögen. Wie Henry James. Der sich gar nicht mehr einholen kann, dies alles potthäßlich zu finden: His barren plank fences, his glaring, bald, blue skies, his big, dreary, vacant lots of meadows, his freckled, straight-faced Yankee urchins, his flat-breasted maidens, suggestive of a dish of rural doughnuts and pie, his calico sunbonnets, his flannel shirts, his cowhide boots. He has chosen the least pictorial features of the least pictorial range of scenery and civilization . . . it is damnably ugly. Aber zugeben muss, dass Homer damit Erfolg hat: We frankly confess that we detest his subjects. He has chosen the least pictorial features of the least pictorial range of scenery and civilization; he has resolutely treated them as if they were pictorial, as if they were every inch as good as Capri or Tangiers; and, to reward his audacity, he has incontestably succeeded. Doch Winslow Homer wird bei einem Bild wie der Country School (oben) nicht stehen bleiben. Er wird immer wieder die Kritiker verblüffen und eines Tages zu einer bewundernswerten Abstraktion finden. Der Fairness halber sollte ich anfügen, dass Henry James in seiner Besprechung der amerikanischen Kunstszene für die Zeitschrift The Galaxy im Jahre 1875 auch nette Dinge über Winslow Homer gesagt hat.

Denn dieses Red Canoe hat mit der langweiligen Country School ja wenig gemein. Winslow Homer ist heute vor 111 Jahren gestorben. Es war ein wenig größenwahnsinnig von mir zu glauben, dass ich heute den ganzen Winslow Homer in einem kleinen Artikel präsentieren könnte. Geht einfach nicht. Also schreibe ich irgendwann noch einmal, oder zweimal, wie es mit Winslow Homers malerischer Karriere weitergeht. Versprochen. Bis dahin könnten Sie sich ja hier seine Bilder anschauen. Und dann gibt es bei mir auch richtig tolle Bilder von Winslow Homer. Wie zum Beispiel dies hier, im Jahre 1900 in Prouts Neck gemalt:










Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen