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Sonntag, 2. Oktober 2011
Marcel Duchamp
Das da hat ihn berühmt gemacht, den Marcel Duchamp (heute vor 43 Jahren gestorben). Und es hat den Weg geebnet für eine Vielzahl von "Kunstwerken", die es vorher so noch nicht gegeben hat. Bei denen sich immer wieder die Frage aufdrängt Ist das Kunst oder kann das weg? Von Joseph Beuys sind gleich zwei Kunstwerke gerichtsnotorisch geworden. Am 3. November 1973 war bei einem geselligen Abend im SPD-Ortsverein Leverkusen-Alkenrath eine mit Heftpflaster und Mullbinden versehene Badewanne gereinigt worden. Gründlich mit ATA geschrubbt, damit man die Biergläser darin spülen konnte.
Der Hausmeister hatte den Künstler offensichtlich nicht verstanden: Eine Fettecke ist ja nicht deswegen gemacht, um einen Tisch mit Fett zu beschmieren, sondern eine Fettecke ist deswegen gemacht, um als Fettecke im Gegensatz zu stehen zu anderen Prozessen, die ein solches plastisches, anfälliges Material macht, in Raum und Zeit, also gerade die Sachen mit Fett erheben einen großen Anspruch auf Theorie. Und diese Theorie ist natürlich vielleicht nicht immer da, wenn Menschen im Museum so eine experimentelle Anordnung sehen. Die Firma ATA hat die Sache hinterher für einen TV-Werbespot gebraucht. Man sollte das Ereignis der Kunstzerstörung durch die Banausen von der SPD nicht mit dem späteren Fettecken-Skandal verwechseln. Und dabei sind wir dann wieder bei der Frage Ist das Kunst oder kann das weg?
Ich habe einmal bei einer Ausstellung moderner Kunst den Kustos der Kunsthalle dabei beobachtet, wie er mit moderner Kunst umging. Zwei Wärter hatten ihn darauf aufmerksam gemacht, dass ein modernes Kunstwerk vor dem augenblicklichen Zerfall stünde. Er kam, guckte sich das Ganze an und ging mit den beiden Wärtern wieder weg. Fünf Minuten später kam er mit Hammer und Nägeln wieder, guckte sich verstohlen um - konnte mich aber nicht sehen - und hämmerte dann fachmännisch das Ganze wieder zusammen. Wenn ich damals eine kleine Kamera gehabt hätte, oh Manno, was wäre das für ein Kurzfilm für eine Baumarktwerbung geworden!
Vor vielen Jahren war ich mit meinem Freund Uwe in der Kunsthochschule LilLaLerchenfeld im Hamburg. Uwe wollte sich die Bewerbungsunterlagen abholen, weil er da Kunst studieren wollte. Und da war ein Typ auf einer Leiter und malte einen roten Strich an die Decke. Als wir ihn fragten, was das sei, hat er gesagt, dass das Kunst sei. Die Kunsthochschule hat ihn dann wenig später gefeuert. Er ist aber noch berühmt geworden, hatte sich von Friedrich Stowasser in Friedensreich Hundertwasser umgetauft, und die Leute kauften ihm alles ab, was er bemalte. Uwe hat da trotz des abschreckenden Erlebnisses Kunst studiert und ist später noch Kunstprofessor geworden. Letztens hat er mir geschrieben: Kunst ist, was man als Kunst verkaufen kann. Ja, im Alter werden die Kunstprofessoren zynisch. Andererseits ist der Satz gar nicht so schlecht, eine echte passepartout Definition, passt für Damien Hirsts Schweine wie für Jeff Koons Porzellanpudel.
Aber mit Uwe konnte man zu jedem Happening hingehen, er war da sehr offen. Die Erweiterung des Kunstbegriffs (ein Wort, das wahrscheinlich von Beuys ist) schien für ihn eine Selbstverständlichkeit. Wir waren auf einer Documenta in Kassel, als die noch niemand wirklich interessierte. Einmal wollten wir zu Otto Muehl, weil der angeblich in der PH in Bremen Hühner über nackten Studentinnen schlachten wollte. Kein Mensch interessierte sich damals dafür, ob das Kunst sei. Für die Hühner interessierte sich auch keiner, eigentlich waren alle nur wegen der nackten Studentinnen da. Aber es gab nichts zu sehen, die Polizei hatte die ganze Veranstaltung aufgelöst. Uwe und ich sind dann mit der Straßenbahn nach Bremen reingefahren und in die Kunsthalle gegangen. In Kunsthallen gab es damals noch keine Aktionskunst. Da wusste man noch, wofür man den Eintritt bezahlt hat. Das, was mit dem Pissoir von Duchamp begonnen hatte, die Infragestellung jedes Kunstbegriffes, sollte erst in den folgenden Jahren virulent werden.
Eins der schönsten Beispiele für den in Frage gestellten Kunstbegriff gab es in den siebziger Jahren in England. Ein gewisser Carl Andre, der ein Jahrzehnt später vom Vorwurf des Mordes an seiner Frau freigesprochen wurde (der "Künstler" Otto Muehl dagegen wanderte für Jahre ins Gefängnis), hatte da ein Kunstwerk aus Backsteinen geschaffen und es der Tate Gallery verkauft. Als die Tate bei ihm anrief und sagte, dass sie seine Backsteine für 2.297 Pfund Sterling kaufen wollte, war der Künstler in einer schwierigen Lage. Er hatte nämlich seine Backsteine an die Ziegelei zurückverkauft, weil keiner sein Kunstwerk haben wollte. Also kaufte er sich in der Ziegelei wieder 120 Backsteine und lieferte sie bei der Tate Gallery ab. Die Sunday Times, und wenig später ganz England, fand das damals nicht so komisch. Der Schriftsteller Keith Waterhouse schrieb im Daily Mirror: Bricks are not works of art. Bricks are Bricks. You can build walls with them or chuck them through jeweller's windows, but you cannot stack them two deep and call it sculpture.
Diese insularen Normalos mit ihrem common sense verstehen eben die ganze moderne Kunstdiskussion nicht. Ich auch nicht, aber ich halte mich da raus. Ich habe natürlich einen guten Rat für das Verhalten in Ausstellungen, in denen ganze Räume mit lackiertem Sperrmüll zugeschüttet worden sind. Um Himmelwillen niemals den Satz Ist das Kunst oder kann das weg? laut werden lassen. Auch der Satz, dass es zuhause nach dem letzten Kindergeburtstag ähnlich aussah, ist gefährlich. Halten Sie sich einfach an Jay's goldene Regeln. Ich ziehe zu Ausstellungseröffnungen immer ein englisches Oberhemd mit einem steifen, hohen Kragen an. Das verleiht einem Contenance und Haltung. Und natürlich braucht man schön geputzte englische Schuhe, deren polierte Spitzen kann man prima ganz still während einer Kunstdiskussion betrachten. Und falls Sie wider Erwarten nach ihrer Meinung zu dem ausgestellten Müll gefragt werden, dann sagen Sie doch einfach, dass im Griechischen tekhnê und aísthesis ja noch kein Sammelbegriff für Formen tiefenstruktureller epistomologischer Paradigmen gewesen seien, die erst nach der Konstruktion kultureller Identität durch den postmodernen Kunstdiskurs eine perzeptive Relevanz gewonnen haben. Dann haben Sie für den Rest des Tages Ihre Ruhe.
"dass im Griechischen tekhnê und aísthesis ja noch kein Sammelbegriff für Formen tiefenstruktureller epistomologischer Paradigmen gewesen seien, die erst nach der Konstruktion kultureller Identität durch den postmodernen Kunstdiskurs eine perzeptive Relevanz gewonnen haben."
AntwortenLöschenMeine Rede seit Jahren. Aber auf mich hört ja keiner.
Und außerdem komme ich jetzt plötzlich auch in die Dynamische Sicht. Verstehe einer die tekhnê...
AntwortenLöschenHabe gerade Ihr blog entdeckt und bin bestens unterhalten.Geistreiche Hüpfereien in lockerer Distanziertheit. Wunderbar quergeschaut, voller feinnerviger Bemerkungen ncht zynisch, aber mit sicherem Standpunkt.
AntwortenLöschenHerzlichen Dank dafür! Ich werde wieder vorbeischauen.