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Donnerstag, 26. Januar 2012

Erwin Blumenfeld


Wenn man in Berlin geboren wird und aus einer jüdischen Familie kommt, dann bleibt einem eines Tages nur die Emigration. Wenn man in der falschen Zeit lebt. Wenn man einer der berühmtesten Photographen der Welt geworden ist, dann schreibt man eines Tages seine Autobiographie. Ich rede nicht von Helmut Newton, ich rede von Erwin Blumenfeld, der heute vor 115 Jahren in Berlin geboren wurde. Helmut Newton hat zwar auch eine Autobiographie geschrieben, aber die ist nichts gegen das Buch, das Blumenfeld im Alter schreibt.

Kein Verlag will es haben. Ein Buch voller Hass. Hingerotzt ist es, sagt Alfred Andersch im Vorwort zu Durch tausendjährige Zeit. Der französische Schriftsteller Kléber Haedens verglich die französische Erstausgabe Jadis et Daguerre in seinem Artikel Du Balzac avec des Touches Céliniennes 1975 mit Céline. Diesen Vergleich wies Jürg Federspiel in seiner Besprechung Das Leben vor dem Sterben des Erwin Blumenfeld des inzwischen auf deutsch als Durch tausendjährige Zeit erschienenen Buches im Zürcher Tages Anzeiger Magazin 1976 zurück. Aber für mich war das damals, als ich das Buch in einem Grabbelkasten eines Antiquariats fand, völlig klar, dass mit Blumenfelds Buch ein kongeniales Werk zu Célines Voyage au bout de la nuit erschienen war.

Célines ➱Roman habe ich vor Jahrzehnten gelesen, als meine Französischkenntnisse noch richtig gut waren. Inzwischen besitze ich aber die schöne Neuübersetzung, die 2003 bei Rowohlt erschienen ist. Erwin Blumenfelds Werk sollte zuerst Einbildungsroman heißen (die Ausgabe von Eichborn von 1998 hat auch diesen Titel), man weiß nicht so recht, ob dies ein Roman oder eine Autobiographie ist. Aber sind nicht auch alle Romane Autobiographien? Das Buch beginnt mit seiner Geburt und endet mit seiner Ankunft in Amerika. Da, wo seine Karriere als weltberühmter Modephotograph beginnt, da hört er auf. Dem Buch ist noch eine Seite hinzugefügt, die sich in seinem Nachlass fand. Eine Art Schreibübung, die Beschreibung der Gefühle bei einem Herzinfarkt. Die mit den Worten endet: ... alles war Vergangenheit: Ich war tot. Das ist nun ein klein wenig makaber, denn wenige Tage später war er wirklich tot, Herzinfarkt.

Erwin Blumenfeld ist Dada-Künstler gewesen, ➱Experimentalfilmer und Photograph. Er hat in Amerika für Harper's Bazaar und Vogue photographiert, und es gab da wahrlich keinen Mangel an Modephotographen, seit der Baron Adolphe de Meyer die Modephotographie sozusagen geadelt hatte. Da war sich dann auch Edward Steichen dafür nicht zu schade, und dann kamen sie alle: George Hoyningen-Huene, Man Ray, Horst P. Horst, Clarence Sinclair Bull (der hauptsächlich für Hollywood arbeitete), George Platt-Lynes und Lee Miller. Und man sollte natürlich Louise Dahl-Wolfe und die von ihr beeinflussten Photographen Irving Penn und Richard Avedon nicht vergessen. Ach, ich merke beim Auflisten dieser Namen, dass ich irgendwann mal über Modephotographie schreiben muss. Deutsche Photographen wie F.C. Gundlach eingeschlossen.

Mittendrin bei all der Prominenz ist Blumenfeld, ewiger Neuerer und Experimentierer. Und über all dies, die schöne Welt des schönen Scheins, erfahren wir in Durch tausendjährige Zeit so gut wie nichts. Dafür alles über das Leben. Und das nicht in gepflegter Form. Da hat Andersch mit seinem hingerotzt schon recht. Dies Buch ist ordinär und prollig, komisch und grotesk, geflunkert und hoffnungslos ehrlich. Es ist das Werk keines Ghostwriters, der einen international berühmten Photographen beweihräuchert, dies ist ein Werk der deutschen Literatur. Vielleicht merkt die Literaturwissenschaft das ja noch mal.

Im Ersten Weltkrieg ist Blumenfeld Fahrer eines Sanitätswagens gewesen. Ernest Hemingway auch. Aber während Hemingway seine Uniform umarbeitet, damit es aussieht, als sei er Offizier der Armee gewesen (Faulkner macht mit seiner Luftwaffenuniform ähnliches: die Amerikaner müssen immer übertreiben) und sein kleines Kriegserlebnis in Romanen und Short Stories vermarktet, beschönigt Blumenfeld nichts. Es macht wenig Sinn, über Blumenfelds Einbildungsroman zu reden, man muss ihn lesen. Das Buch ist zwar vergriffen, aber man findet es noch leicht im Modernen Antiquariat.

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