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Freitag, 6. Januar 2012

Seeroman


The Pilot: A Tale of the Sea (1824) war der vierte Roman des Amateurschriftstellers James Cooper (Fenimore, den Geburtsnamen seiner Mutter fügte er seinem Namen erst zwei Jahre später hinzu). Mit The Pilot hatte er jetzt in vier Jahren vier Romane geschrieben. Seit er nicht mehr bei der amerikanischen Marine ist, langweilt Cooper sich. Er fängt an Romane zu lesen, also diese Romane im Stil von Jane Austen, und er findet sie schrecklich. So etwas könne er auch schreiben, sagt er seiner Frau. I could write a better book myself! sollen seine Worte gewesen sein. Und seine Frau sagt Mach doch! Und schon schreibt Cooper ➱Precaution. A Novel. Es ist nicht sein bester Roman, furchtbar sentimental und kitschig, aber für einen Erstling vielleicht gar nicht so schlecht. Den Anlass für The Pilot gab ihm der gerade erschienene Roman ➱The Pirate von Sir Walter Scott. Den schottischen Autor zitiert er auf der Titelseite süffisant ironisch: dort findet sich nicht der Name Cooper, sondern nur by the author of the 'The Pioneers'. Die Romane von Scott nach seinem Erstling Waverley hatten ja immer nur by the author of 'Waverley' auf dem Titelblatt, niemals Walter Scott. So konnte unser Fürst Pückler nach einem Dinner schreiben Ich habe heute neben dem großen Unbekannten gesessen; natürlich wußte jedermann in Europa, wer der große Unbekannte war.

Von der See hat Sir Walter ja nicht so viel Ahnung, Cooper schon. Als er in Yale rausflog, hatte er erst einmal bei der Handelsmarine angeheuert. Eher als eine Art gentleman passenger denn als Schiffsjunge oder Matrose, da sieht das Schicksal des jugendlichen Herman Melville (über das er in seinem Roman Redburn schreibt) ganz anders aus. Die Verbundenheit mit der Welt der See wird Cooper sein Leben lang behalten. Jahrzehnte nach seiner Reise auf der Stirling nach England wird er noch mit deren Kapitän John Johnston korrespondieren.

Nach der einjährigen Seereise ist es nur logisch, dass der junge Cooper seinen Weg in die noch junge US Navy findet. 1808 unterzeichnete Thomas Jefferson die Urkunde, die James Cooper zum Midshipman (dem untersten Offiziersdienstgrad) machte. Drei Jahre später heiratete Cooper und gab die Marine auf. Und fing an, Romane zu lesen. Und zu schreiben. Auf diesem Portrait trägt er - elf Jahre nachdem er den Dienst quittierte - immer noch etwas, was ihn wie einen Marineoffizier aussehen lässt. Und eine History of the US Navy musste er aus alter Verbundenheit auch noch schreiben.

Diese Verbundenheit zeigt sich auch in der Widmung des Romans To William Branford Shubrick, Esq. U. S. Navy: My Dear Shubrick, Each year brings some new and melancholy chasm in what is now the brief list of my naval friends and former associates. War, disease, and the casualties of a hazardous profession have made fearful inroads in the limited number; while the places of the dead are supplied by names that to me are those of strangers. With the consequences of these sad changes before me, I cherish the recollection of those with whom I once lived in close familiarity with peculiar interest, and feel a triumph in their growing reputations, that is but little short of their own honest pride. But neither time nor separation has shaken our intimacy: and I know that in dedicating to you this volume, I tell you nothing new, when I add that it is a tribute paid to an enduring friendship, by Your old Messmate, The Author. Shubrick, der es noch zum Admiral bringen wird, ist Cooper ein lebenslanger Freund gewesen.

The Pilot ist der erste amerikanische Seeroman, Cooper begründet damit für Amerika eine Gattung, die im 19. und dem 20. Jahrhundert florieren wird, man denke an Dana, Melville, Marryat und Conrad (die alle im Gegensatz zu Sir Walter zur See gefahren sind). Sicherlich kann sich Cooper mit Melville und Conrad nicht messen, aber Joseph Conrads Respekt hat er durchaus gehabt: Cooper loved the sea and looked at it with consummate understanding. In his sea tales the sea inter-penetrates with life.... His descriptions have the magistral ampleness of a gesture indicating the sweep of a vast horizon. They embrace the colours of sunset, the peace of starlight, the aspects of calm and storm, the great loneliness of the waters, the stillness of silent coasts, and the alert readiness which marks men who live face to face with the promise and the menace of the sea.

Der Roman The Pilot, der schon im gleichen Jahr als Der Lotse: Ein Seegemälde bei Göschen in Leipzig erschien (bis 1851 erscheinen noch fünf weitere deutsche Ausgaben), ist ein historischer Roman, der eine reale Basis für den Helden des Romans hat. Amerika hat zwar nur eine kleine Flotte, aber große Helden. Wie Stephen Decatur, der das berühmte Right or Wrong, my country! als Toast ausgebracht hat. Oder wie John Paul Jones (hier ein Portrait von ➱Charles Willson Peale), um den es in diesem Roman geht. Der in einer Seeschlacht gegen die Engländer während des Unabhängigkeitskrieges vom Kapitän der HMS Serapis aufgefordert wird, sich zu ergeben. Jones' Schiff, die ➱Bonhomme Richard brennt und ist kurz vor dem Sinken. Da brüllt Jones durch das Megaphon Sir, I have not yet begun to fight zu dem Engländer hinüber. Das ist so ein Satz, den die Amerikaner lieben (wie auch den Satz von Decatur). Am Grab von Jones steht seit hundert Jahren eine Ehrenwache, 24 Stunden am Tag (auf jeden Fall, wenn die Krypta geöffnet ist).

Dieser Roman begründet Coopers Ruhm in Europa, und man kann ihn erstaunlicherweise nach 180 Jahren immer noch gut lesen. Es scheint unzählige Ausgaben von diesem Roman Coopers zu geben, im Zweifelsfall sollte man zu The Pilot: A Tale of the Sea, herausgegeben von Kay Seymour House (mit Anmerkungen und einem wissenschaftlichen Apparat versehen) greifen. Dies ist ein Band aus der großen ➱Cooper Ausgabe, die James Franklin Beard angeregt hatte und bei der sich Amerikas berühmteste Cooper Spezialisten für die einzelnen Bände zusammengefunden haben. Das Buch hat sogar ein Gütesiegel (Approved Edition) von der Modern Language Association bekommen.

Cooper wird es nicht bei diesem einen Seeroman belassen, es werden mehr als zehn werden. Wir reduzieren James Fenimore Cooper ja gerne auf seine Lederstrumpf Romane. Aber sein schriftstellerisches Werk ist viel größer. Ich gebe gerne zu, dass ich nicht alle Seeromane gelesen habe, aber ➱The Two Admirals habe ich gelesen, bereue ich auch nicht. Mit dem Roman hatte Cooper angefangen, kaum dass The Deerslayer, der letzte Lederstrumpf Roman, beendet war. Er wird die Wälder des Staates New York als Romanthema nicht aufgeben, mit der Littlepage Trilogie - von der Arno Schmidt begeistert war, er hat sie (wie auch The Wept of Wish-Ton-Whish) ja auch übersetzt - ist er thematisch wieder in seinem Heimatstaat.

Coopers Tochter Susan hat im Vorwort zu der Household Edition von Coopers Werken über die Entstehung von The Two Admirals gesagt: The "Two Admirals" was written in the library at Otsego Hall, in 1842. Many were the pages composed as he walked up and down the large hall of the house, or paced to and fro over a retired level bit of gravel-walk in the grounds, near the garden, to which the name of "the quarter-deck" had been given. This pacing to and fro was a sailor's habit, which was kept up until his last illness; naturally very active, and fond of exercise, he often left his writing table for a ten minutes' walk in the hall, or on "the quarter-deck." At such times his mind would often be quite filled with the passages on which he was engaged; lost in thought, his clear gray eye would assume the absent far-seeing look well known to those who made up his household circle, the arm and hand would often move with appropriate gesture, and the lips open with half-spoken utterance of some passing thought. He frequently spoke aloud, quite unconsciously, when his mind was busy with thoughts known only to himself. 

Da kommt er wieder heraus, der alte Seebär. Wie Kapitän Ahab schreitet er sein quarter-deck ab. Meine Ausgabe von The Two Admirals (die gleiche wie die auf der Abbildung) ist keine von der MLA approved edition, aber sie würde das Herz jedes Marinebegeisterten höher schlagen lassen. Weil sie mal einem deutschen Großadmiral gehört hat. Also gut, als Henning von Holtzendorf das Buch im Jahre 1907 jemandem zum Geburtstag schenkte, war er noch Kapitän zur See. Aber irgendwie ist das schon eine seltsame Sache: da schreibt ein ehemaliger amerikanischer Marineoffizier am Otsego Lake (der natürlich in The Deerslayer eine Rolle spielt) einen Seeroman und 65 Jahre später verschenkt ein deutscher Marineoffizier den Roman dieses Amerikaners. Und legt knapp zehn Jahre später seinem Kaiser einen Plan vor, in dem er den uneingeschränkten U-Bootkrieg fordert.

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