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Sonntag, 12. Februar 2012

Otto Ludwig


Haben Sie 'Zwischen Himmel und Erde' von Otto Ludwig? fragte der Mann, der in das Antiquariat  gekommen war. Tut mir leid, sagte der Buchhändler, habe ich gerade nicht. Aber ich habe eine schöne Ausgabe von der 'Heiterethei'. Fürwitzig, wie ich nun mal bin, sagte ich: Der Roman ist viel schöner, sehr poetisch. Es ist ein kleines Antiquariat, die Kunden reden hier häufig miteinander. Ich habe da schon gehaltvollere Gespräche geführt als in den Räumen der Universität. Weil hier die wirklichen Leser sind. Weil man hier nach einem Roman von Karl Immermann fragen kann, ohne doof angeguckt zu werden

Aus welchem Grunde der Mann mir glaubte, weiß ich nicht, aber er kaufte die Heiterethei. Ich bin nun wahrlich kein Otto Ludwig Experte, ich kenne seine Opern, seine Dramen, seine Gedichte nicht. Aber ich habe Zwischen Himmel und Erde und die Heiterethei gelesen. Den Roman über die Schieferdecker las ich, als ich sechs oder sieben war, ich habe nichts davon verstanden. Aber der Titel gefiel mir: Zwischen Himmel und Erde. Ich hatte mich damals über die Bücher von meinem Großvater hergemacht, las Gottfried Keller, Willibald Alexis, Adalbert Stifter und Wilhelm Raabe. Glücklicherweise war da auch Felix Dahns Kampf um Roman dabei, der war wenigstens spannend. Es kam damals aber gar nicht auf das Verstehen an, es kam darauf an, dass man Bücher las. Verstehen kommt später. Je mehr man liest, desto mehr versteht man.

Die Heiterethei verstehe ich natürlich besser, weil ich sie erst vor zwei Jahren gelesen habe. Ich hatte in dem oben erwähnten Antiquariat ein schönes Exemplar gefunden und begann zu lesen. Ein Roman von Liebe und Emanzipation, vom kleinbürgerlichen Spießertum - in manchen Passagen Wilhelm Raabe nicht unähnlich, manchmal erinnert es auch an den frühen Charles Dickens. Mit wunderbaren Landschafts- und Naturbeschreibungen, das Wetter spielt eine große Rolle. Das Wetter spielt im Roman des 19. Jahrhunderts eigentlich immer eine große Rolle. F.C. Delius, der heute Geburtstag hat, hatte seine Dissertation Der Held und sein Wetter betitelt. Ich fand das Buch damals wirklich originell. Ist es wahrscheinlich heute noch. Die Heiterethei ist voll von kleinen, bezaubernden Passagen wie: Und auch heller wurde es. Schon zeigten sich Lücken im Gewölke. Das flog nun selbst wie eine endlose Folge dunkler Regenschirme in den Händen eilender Riesen am Himmel dahin. Der Mond stellte sich auf die Zehen und sah zwischen ihnen hindurch auf die nasse Straße herab. Die hielt ihm tausend Spiegel vor und er sah wohlgefällig, um wie viel schöner und vollwangiger er nun seit gestern wieder geworden war.

Otto Ludwig, der heute vor 199 Jahren geboren wurde, war einmal berühmt. Er ist heute so gut wie vergessen. In neueren Literaturgeschichten wird er häufig gar nicht mehr erwähnt. Selbst in dem Buch der sonst so gründlichen Eda SagarraTradition and Revolution: German Literature and Society 1830-1890, gibt es für ihn nur einen Satz: Otto Ludwig (1813-65), author of the short novel 'Zwischen Himmel und Erde', wrote about small town life with a visual sense. Wenn Sie eine kleine Probe von diesem visual sense aus der Feder des Erfinders des poetischen Realismus haben wollen, dann lesen Sie doch einmal dies aus dem Anfang von Die Heiterethei. Und natürlich gibt es wieder viel Wetter:

   Die Wirtin sah sich um, und auf dem feinen Dufte haftend, der hinter den Bergen ringsum am Himmel heraufzog, sagte sie: »Dauert nicht bis zur Nacht. Es müßt' heut nicht Gründer Markt sein.«
   Die Wirtin weiß es, und, sie nicht allein, alle Welt weiß es, wie's mit dem Wetter ist zum Gründer Markt. Und wenn er beginnt so blau und golden, wie es der Farbenkasten des Frühlings nur hergeben will, wie ein Tag vor sechzig Jahren; denn damals war Alles besser, selbst das Wetter; frage nur die Reicker Wirtin, wer's nicht glauben will. Kaum ist's Mittag, da steigt's von allen Seiten auf; da hebt's und drängt's, bis es einen neuen Himmel gewölbt hat unter dem alten. Das wär schon gut, wenn es nur aufzuhören verstände zur rechten Zeit. Aber immer noch steigt's und drängt's. Da wird ein Hin- und Herwogen, dunkler und immer noch dunkler, ein Zusammen- und Übereinanderschieben, daß endlich die Funken davon stieben und das ganze Wolkengewölbe unter seiner eigenen Last zusammenbricht mit Donnerkrachen, und die Wolkentrümmer aneinander in ungezählte Tropfentrümmerchen zersplittern über Buden, Platz, Käufer und Verkäufer.
   Wehe dem, der da noch unter diesen letzteren ist; in dem wilden Durcheinander von Stöcken, Köpfen, Hüten, Mützen, das der gleichzeitige Druck nach allen Richtungen, nach deren Enden rettende Türen sich öffnen, in eine kreisende Bewegung bringt. Zugleich mit der ganzen Masse um ihre und noch einmal besonders um seine eigene Achse gewirbelt, weiß er bald nicht mehr, was sich dreht, er oder die Häuser und Buden um ihn herum. Bald erscheint die rettende Tür, bald verschwindet sie, ohne daß sie ihm näher gekommen ist. Die Hutkrempe, von Regen und Mitleid erweicht, senkt sich allmählich und verhüllt dem Auge des Dulders liebevoll wenigstens den Anblick seines Schicksals, bis eine Flut ihn plötzlich davonführt, er weiß nicht, wohin, und eine Tür ihn einschlingt, die er nie zu passieren gemeint hat. So ist's im Marktflecken selbst; die Straße nach dem Städtchen bietet bei allem Ähnlichen doch ein ganz verschiedenes Bild.


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