611 Seiten, Farbabbildungen und angeblich eine authorised biography (das klingt immer gut, bedeutet aber meistens gar nichts), so kam die Biographie Dirk Bogarde von John Coldstream mit großem Getöse 2004 auf den englischen Markt. Es ist ein Buch, das überflüssig wie ein Kropf ist, für das das Goethe-Wort Getretner Quark wird breit, nicht stark gilt. 1974 gab es das Buch The films of Dirk Bogarde von Margaret Hinxman und Susan D'Arcy, 200 Seiten, schwarz-weiße Photos, in dem jeder Film von 1947 bis 1973 vorgestellt wurde (bei Amazon Marketplace kann man noch ab 3,02 € Exemplare bekommen). Auf einem höheren Niveau war 1996 das Buch Dirk Bogarde: Rank Outsider von Sheridan Morley (dem Sohn des unvergessenen ➱Robert Morley). 192 Seiten, auch schwarz-weiße Photos (besser gedruckt als bei Hinxman und D'Arcy), resümierte es die Filmkarriere von Englands vielleicht bedeutendstem Schauspieler der Nachkriegszeit. Das Buch ist heute noch als Paperback lieferbar.
Mehr brauchte man eigentlich nicht an Büchern, weil der Schauspieler inzwischen zu seinem eigenen Biographen geworden war und begonnen hatte, eine mehrbändige Autobiographie zu schreiben. Dazu kam noch die Veröffentlichung eines Bandes von Briefen an eine unbekannte Amerikanerin (A Particular Friendship, 1989). Man konnte seine Filme kaufen, man konnte seine Stimme hören (manches aus seiner Autobiographie wie A Short Walk from Harrods hat er selbst gelesen). Man konnte seine Romane kaufen und seine hervorragend geschriebene Autobiographie in sieben Bänden lesen (A Postillion Struck by Lightning, Snakes and Ladders, An Orderly Man, Backcloth, Great Meadow, A Short Walk from Harrods, Cleared for Take-Off). Wunderbar geschrieben, nicht dieser übliche Quatsch, den Schauspieler sich von Ghostwritern schreiben lassen, wenn sie keine Rollen mehr kriegen. Dies sind die Lebenserinnerungen eines gebildeten Mannes, eines geborenen raconteurs.
Man hätte es bei all dem belassen können. Aber nun kommt John Coldstream, der auf dem Photo des Klappentextes aussieht wie ein nerd und der auch so schreibt. Pedestrian ist das Wort, das die Engländer für solchen Stil haben. Dies ist die gleiche Sorte von Biographie wie diese unsäglichen Diana Biographien. Coldstream muss an der Tür horchen, durchs Schlüsselloch gucken und die schmutzige Wäsche waschen. Muss die überflüssigsten und unwichtigsten Details hervorkramen. Und seitenlang auf dem Thema einer möglichen Homosexualität Bogardes herumharfen. Wen interessiert das außer verklemmten Engländern mit Public School Erziehung? Si tacuisses, John Coldstream.
Man hätte es bei all dem belassen können. Aber nun kommt John Coldstream, der auf dem Photo des Klappentextes aussieht wie ein nerd und der auch so schreibt. Pedestrian ist das Wort, das die Engländer für solchen Stil haben. Dies ist die gleiche Sorte von Biographie wie diese unsäglichen Diana Biographien. Coldstream muss an der Tür horchen, durchs Schlüsselloch gucken und die schmutzige Wäsche waschen. Muss die überflüssigsten und unwichtigsten Details hervorkramen. Und seitenlang auf dem Thema einer möglichen Homosexualität Bogardes herumharfen. Wen interessiert das außer verklemmten Engländern mit Public School Erziehung? Si tacuisses, John Coldstream.
Dirk Bogarde ist neben seinem öffentlichen Image ein anderer gewesen, ein introvertierter Künstler, der malt und zeichnet. Und der mit ersten Gedichten in einer Sammlung von War Poetry vertreten ist. Ich zitiere aus dieser Zeit einmal das Gedicht Steel Cathedrals:
It seems to me, I spend my life in stations.
Going, coming, standing, waiting.
Paddington, Darlington, Shrewsbury, York.
I know them all most bitterly.
Dawn stations, with a steel light, and waxen figures.
Dust, stone, and clanking sounds, hiss of weary steam.
Night stations, shaded light, fading pools of colour.
Shadows and the shuffling of a million feet.
Khaki, blue, and bulky kitbags, rifles gleaming dull.
Metal sound of army boots, and smoker's coughs.
Titter of harlots in their silver foxes.
Cases, casks, and coffins, clanging of the trolleys.
Tea urns tarnished, and the greasy white of cups.
Dry buns, Woodbines, Picture Post and Penguins;
and the blaze of magazines.
Grinding sound of trains, and rattle of the platform gates.
Running feet and sudden shouts,
clink of glasses from the buffet.
Smell of drains, tar, fish and chips and sweaty scent,
honk of taxis; and the gleam of cigarettes.
Iron pillars, cupolas of glass, girders messed by pigeons;
the lazy singing of a drunk.
Sailors going to Chatham, soldiers going to Crewe.
Aching bulk of kit and packs, tin hats swinging.
The station clock with staggering hands and callous face, says twenty-five-to-nine.
A cigarette, a cup of tea, a bun,
and my train goes at ten.
Der Mann, der als Captain den Zweiten Weltkrieg mitgemacht hatte, wurde von der Rank Corporation in den fünfziger Jahren als schönster Mann Englands verkauft. Hatte natürlich einen Bentley und einen schlossähnlichen Landsitz. Hier auf dem Photo ➱Drummer's Yard in Buckinghamshire, das war vorher ein Kinderheim des Roten Kreuzes gewesen. Rank war der Meinung, er müsste so etwas haben. Er zog aus den zugigen Hallen bald aus, aber ➱Beel war nicht viel besser. Eigentlich war er nirgendwo zuhause, bis er ➱Nore fand.
Er hatte diesen Vertrag mit Rank und musste tun, was das Studio wollte. Musste (beginnend mit Doctor in the House) als Dr Simon Sparrow (in der deutschen Fassung hieß er Herbert Sperling) in diesen Doctor Filmen mitspielen - die wir natürlich alle lieben, vor allem wenn James Robertson Justice da auch drin vorkommt. In Doctor in the House spielt die achtzehnjährige Shirley Eaton eine dralle Landschönheit, da kannte sie noch niemand. Als sie goldlackiert in Goldfinger den ➱Filmtod starb, kannte sie die ganze Welt.
Bevor er als netter Dr Simon Sparrow der box office star von Rank wurde, hatte er neurotische Kleinkriminelle gespielt. Von diesen Filmen wird ➱The Blue Lamp immer in Erinnerung bleiben (vor allem, weil ich bei nächster Gelegenheit über diesen Film schreiben werde). Wenn die Rollen in Blackmailed, Hunted und The Gentle Gunman vielleicht auch ein wenig stereotyp waren, gaben sie Bogarde doch Gelegenheit, eine andere Seite von sich zu zeigen. Die ganzen fünfziger Jahre hindurch war er ein rein englischer Filmstar, aber Ende der fünfziger Jahre begann die Welt, auf ihn aufmerksam zu werden.
Das begann mit der Dickens Verfilmung A Tale of Two Cities (➱hier ganz zu sehen), wo er als Sydney Carton todesmutig für einen Anderen zur Guillotine schreitet (das Photo oben mit dem Zylinder in der Hand ist aus dem Film). Ich kriege da immer noch Tränen in die Augen. Ich habe den Film zu ersten Mal auf einem Minifernseher mit einem Bildschirm im Postkartenformat gesehen, ich kenne noch jede Einstellung (natürlich habe ich inzwischen auch eine DVD). Der nächste Film wurde in Hollywood gedreht (es blieb sein einziger Hollywoodfilm), da verdiente er mit 100.000 Dollar mehr als je zuvor, er war Franz Liszt in Song Without End. In dem Film spielte seine große Liebe Capucine die Prinzessin Caroline Wittgenstein. Sie können sie ➱hier in diesem kurzen Ausschnitt sehen. Dirk Bogarde tut nicht so, als würde er Klavier spielen, er spielt wirklich Liszt. Hatte noch Stunden bei dem Pianisten Victor Aller genommen, hätte den halben Liszt spielen können. Aber dann hatte das Studio angeblich ➱Van Cliburn unter Vertrag, doch daraus wurde nichts. Da nahmen sie dann Jorge Bolet mit dem Los Angeles Philharmonic Orchestra für den Soundtrack. Neben seinen pianistischen Fähigkeiten besaß Bogarde auch eine schöne Singstimme. Eigentlich hätte er Songs for Lovers nicht mit dem Sprechgesang aufnehmen müssen, er hätte es wirklich singen können. Wenn Sie das Multitalent Dirk Bogarde auf die Schnelle kennenlernen wollen, das schauen Sie sich unbedingt dies ➱HIER an.
Und nun kommen beinahe nur noch gute Filme, er bricht Anfang der sechziger Jahre mit der Rank Organization. Jetzt braucht er so schreckliche Sachen wie The Spanish Gardener nicht mehr zu drehen. Jetzt kommt Victim (in dem zum ersten Mal das Wort homosexual im englischen Film vorkommt), jetzt kommen The Servant, King and Country (oben), ➱Darling, ➱Accident. Jetzt kann er sich Regisseure wie ➱Schlesinger, Visconti, ➱Losey, Faßbinder oder Bertrand ➱Tavernier aussuchen. Und jetzt lieben ihn auch alle europäischen Cineasten. Aber nebenbei spielt er in so liebenswerten Trash wie der Spionageklamotte Hot enough for June. Hat mich mal als DVD 'ne Mark gekostet, ist heute schon schwer zu kriegen (aber ➱hier zu sehen).
Vielleicht hätte er La caduta degli dei oder ➱Il Portiere di notte nicht drehen sollen. Und Despair (links), wo er aussieht wie der Zwillingsbruder von Klaus Löwitsch, hätte er sich auch schenken können. Doch er verdiente da 225.000 Dollar, für Joseph Loseys The Servant hatte er nur ein Taschengeld von 10.000 $ bekommen. Aber sein Auftritt in Tod in Venedig macht natürlich alles an schwachen Filmen wieder wett (wenn Sie zwei Stunden Zeit und einen großen Computerbildschirm haben, schauen Sie doch ➱hier hinein).
Er wollte es zuerst ablehnen, geadelt zu werden, hatte die Ehre dann aber doch angenommen, weil er sich sagte, dass Filmschauspielern das nicht so häufig widerfährt. Außer Charles Chaplin. Es war damals wirklich nicht so häufig, die meisten Schauspieler (wie Gielgud und Olivier) sind wegen ihrer Verdienste um das englische Theater geadelt worden (und Alec Guinness' Titel hat wahrscheinlich mehr mit dem Secret Service als mit dem Film zu tun). Als er von der Königin den Knight Bachelor Titel erhielt, hatte man ihn Frankreich längst zum Commandeur dans l’Ordre des Arts et des Lettres gemacht, ➱Ehrungen hat er in seinem Leben genug erhalten. Dies hier ist so ein typisches Photo aus den fünfziger Jahren, mit dem die Rank Organization dem Publikum ihren Star verkaufte. Im wirklichen Leben hätte er bestimmt nie einen weißen Pullover zum Malen angezogen, die Ölfarbe kriegt man nie wieder raus.
Anfang der siebziger Jahre ist Bogarde - immer auf der Suche nach dem Great Meadow seiner Jugend - nach Südfrankreich gezogen und hat sich einen alten Bauernhof gekauft, den er nach seinem Geschmack umbaute. Da hat er angefangen zu schreiben, da ist er beinahe zu einem Franzosen geworden. Er war der erste Engländer, der der Präsident der Jury des Filmfestivals von Cannes wurde. Obgleich er das nun gar nicht liebte: My idea of hell. You see all the people you thought were dead and all the people who deserve to be dead. After a while, you start to think you might be dead, too.
Für seinen letzten Film war er (obgleich er längst wieder in London lebte, a short walk from Harrods) wieder in Frankreich. Für Bertrand Tavernier wäre er jederzeit aus dem Ruhestand zurückgekommen, hat Bogarde in einem Interview gesagt. Und der Film Daddy Nolstalgie, privat, nostalgisch und elegisch wie Un dimanche à la campagne, ist auch ein würdiger Abschluss seiner Filmkarriere.
Sir Dirk Bogarde (der eigentlich Derek Jules Gaspard Ulric Niven van den Bogaerde hieß) wurde heute vor 91 Jahren geboren. Ich hätte dies eigentlich schon im letzten Jahr zum 90. Geburtstag schreiben sollen, aber da musste ich über Peter Suhrkamp schreiben. Man kann im Internet ein interessantes ➱Interview mit dem jungen Dirk Bogarde finden, und natürlich gibt es auch eine offizielle Dirk Bogarde Website. Wenn Sie den Schriftsteller Dirk Bogarde lesen wollen, dann lesen Sie doch zuerst A Postillion Struck by Lightning. Englands führende Filmkritikerin Dilys Powell sagte damals in der Sunday Times: What emerges is a whole life. Whole in the sense that the sensitive, shy, brilliant human being called Dirk Bogarde speaks to you as you read. Und die Edinburgh Evening News sekundierte: This is a book full of love, and longing, and self-survival...makes wonderful reading. Dem kann man einfach nicht widersprechen.
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