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Mittwoch, 9. Mai 2012

colossal


Dem andem Morgen beim Erwachen war der göttliche Mann vor meinen Augen, da kam mir's in den Sinn, ich will Schiller lebig machen, aber der kann nicht anders lebig sein, als colossal. Schiller muß colossal in der Bildhauerei leben, ich will eine Apotheose, schreibt Johann Heinrich Dannecker, als er vom Tod Schillers am 9. Mai 1805 hört. Für die Apotheose sind Bildhauer immer gut, auch wenn ihre Werke in Stein nicht wirklich lebig sind. Dieses hier ist Danneckers Version der Apotheose des Dichters.

Während der Schulzeit habe ich um Goethe und Schiller einen Bogen gemacht. An manchem kam man nicht vorbei. Ich könnte wetten, dass viele meiner Leser nach Fest gemauert in der Erden Steht die Form, aus Lehm gebrannt. Heute muß die Glocke werden. Frisch Gesellen, seid zur Hand auch noch die die nächsten Strophen aufsagen können. Karoline Schlegel notierte damals: Über ein  Gedicht von Schiller "Das Lied von der Glocke" sind wir gestern mittag fast von den Stühlen gefallen vor Lachen. Warum hat uns unser Deutschlehrer das nicht erzählt? Vielleicht sollte ich dazu etwas zitieren, was ich vor zwei Jahren ➱hier schrieb:

Meistens haben Schüler in der Schule Angst vor Gedichten, bis auf diejenigen, die heimlich schreiben. So einen gibt es in jeder Klasse. Lehrer haben auch Angst vor Gedichten. Aber die haben eine Geheimwaffe, sie haben sich alles über Reim, Versmaß und Gedichtform angelesen und quälen Schüler damit. Von A bis Z, Anapäst bis Zäsur, das ganze Repertoire der antiken Rhetorik. Danach haben Schüler noch mehr Angst vorm Gedicht. Und über das, was im Gedicht steht, wird nicht mehr geredet. Früher wurden im Deutschunterricht Gedichte der Höhenkammliteratur auswendig gelernt. Ganze Generationen wurden mit Schillers Glocke gequält. Thomas Mann konnte über einen Hofschauspieler, der sich beim Deklamieren verhaspelte, schreiben: "Er war der Einzige im ganzen Saal, der in der 'Glocke' nicht ganz sicher war". Als Hans Magnus Enzensberger beim Insel Verlag Schillers Gedichte herausgegeben hat, hat er die "Glocke" einfach weggelassen. Gab einen Aufschrei in der Presse. Schüler rächen sich an ihren Lehrern, indem sie nur noch Pop Lyrik, Nonsense Verse oder Underground Gedichte lesen. Oder gar nicht mehr lesen.

Das erste von Schiller, das ich mit Gewinn las, waren die Geschichte des Abfalls der Vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung und die Geschichte des dreißigjährigen Krieges. Irgendwann habe ich mich dann an sein Werk herangewagt, wahrscheinlich gab Zadeks Inszenierung von Die Räuber (die Ernst machte mit Thomas Manns Bemerkung vom höheren Indianerspiel) mit dem tollen Bühnenbild von Wilfried Minks den Ausschlag. Ich ging damals ja sowieso nur wegen der Bühnenbilder von Minks in die ➱Zadek Aufführungen. Und natürlich wegen der schönen Jutta Lampe. Die Bildung, die man auf Umwegen erwirbt, ist sicher nicht die schlechteste. Goethes Kampagne in Frankreich habe ich auf der Ladefläche eines Bundeswehr MAN Fünftonners liegend gelesen, war irgendwie passend. Aber wenn die Bildung etwas mit schönen Frauen zu tun hat, ist das natürlich viel schöner. Ich hätte Jutta Lampe nach der Vorstellung mit Blumen auflauern sollen.

Das Schiller-Jahr ist längst vorüber, die damals wichtige Literatur taucht inzwischen in den Antiquariaten auf. Dabei ist sie noch immer wichtig, das Wichtigste und Beste landet ja immer in den Antiquariaten. Ich schreibe jetzt keinen langen Schiller Essay, aber ich möchte an seinem Todestag doch noch das Beste empfehlen, was mir in den letzten Jahren in die Hände gefallen ist. Für den Fall, dass Sie im Schiller-Jahr die Rezensionen von Deutschlands Kritikerelite verpasst haben sollten. Und ich kann mich da kurz fassen, Einfachheit ist das Resultat der Reife.

Nummer Eins ist Rüdiger Safranskis Friedrich Schiller oder die Erfindung des Deutschen Idealismus. Safranski ist immer gut, deshalb ersetzt ihn das ZDF jetzt auch durch Richard David Precht. Noch besser als Safranskis Buch finde ich Norbert Oellers' Schiller: Elend der Geschichte, Glanz der Kultur, das eine vorzügliche Einführung in Schillers Werk bietet. Ein wenig spröde, sehr down to earth, ohne alle Mythen und ohne Gedöns. Und dennoch wird Schiller lebig, wenn auch vielleicht nicht colossal. Norbert Oellers kennt sich bei Schiller aus, er ist der Herausgeber der Schiller Nationalausgabe. Es wurde ja auch Zeit, dass die Gesamtausgabe von ➱Benno von Wiese (NSDAP Mitgliedsnummer 3 177 157) mal durch eine andere ersetzt wird.

Und dann hätte ich noch zwei Kuriosa, die aber besser sind als alles, was Benno von Wiese zu Schiller geschwöögt hat. Das erste ist Albrecht Schönes Büchlein Schillers Schädel. Dazu zitiere ich doch einmal Hermann Kurzke aus dem Jahre 2002: Albrecht Schönes Essay ist Germanistik vom Feinsten, Literaturwissenschaft als Kunst. Den Jungen, die ihre Themen oft rupfen, quälen und quetschen, bis die so Geschundenen ein wenig Saft absondern, zeigt der Altmeister, wie man ein weithin bekanntes Gedicht so auffrischen kann, daß es sprudelnd lebt und Leben schenkt. Alles fügt sich glücklich: ein fesselnder Gegenstand, lückenlose Kenntnis, unaufdringliche Eleganz des Stils, Geschick in der Anordnung der Materien, ein fast triumphales Zusammenfinden aller Linien am Schluß.

Was der Thomas Mann Biograph Hermann Kurzke über Albrecht Schönes Buch sagte, könnte auch für Dieter Kühns Schillers Schreibtisch in Buchenwald gelten. Für Wolfgang Platzeck war es der gewiss nachdenklichste, vermutlich aber auch literarisch bedeutendste Beitrag zum Schillerjahr. Da kann man nicht widersprechen. Ich will jetzt auch nichts über dieses wunderbare Buch sagen, dies ist ein Leseerlebnis, das jeder selbst machen sollte. Und deshalb zitiere ich zum Schluss nur den Anfang eines Briefes von Schiller an Christian Gottfried Körner vom 13. Mai 1789: Vorgestern, als den Montag, bin ich hier eingezogen, wo mir Dein Brief sogleich überliefert wurde. Mein Logis habe ich über meine Erwartung gut gefunden. Der freundliche Anblick um mich herum giebt mir eine sehr angenehme Existenz. Es sind drei Piecen, die ineinanderlaufen, ziemlich hoch, mit hellen Tapeten, vielen Fenstern, und alles entweder ganz neu oder gut conservirt. Meubles habe ich reichlich und schön: zwei Sophas, Spieltisch, drei Commoden, und anderthalb Dutzend Sessel mit rothem Plüsch ausgeschlagen. Eine Schreibcommode habe ich mir selbst machen lassen, die mir zwei Caroline kostet, und Dir gewiß auf drei zu stehen kommen würde. Dies ist, wonach ich längst getrachtet habe, weil ein Schreibtisch doch mein wichtigstes Meuble ist, und ich mich immer damit habe behelfen müssen.

Wenn Schiller heute lebte, wäre er nach Meinung von Arno Schmidt der gesuchteste Drehbuchautor für Mord- und Räubergeschichten. Und er hätte nicht nur einen Schreibtisch, dies wichtigste meuble, er hätte bestimmt auch einen Computer. Aber ob man damit Weltliteratur schreiben kann, das weiß niemand. Die große Literatur ist immer noch mit der Feder oder bestenfalls der Schreibmaschine geschrieben worden.

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