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Freitag, 26. Oktober 2012

Don Siegel


Bevor Tarrantino mit seinen Gangstern in schwarzen Anzügen kam, gab es Don Siegel, der uns zeigte, wie cool amerikanische Gangster sind. Auf jeden Fall im Film, wenn sie aussehen wie Lee Marvin. In der Wirklichkeit sehen sie wahrscheinlich etwas anders aus. Dieses Bild stammt aus dem Film The Killers, der nach einer Kurzgeschichte von Hemingway gedreht wurde. Hat aber mit der Kurzgeschichte wenig zu tun. Der Film mit Angie Dickinson (und Ronald Reagan) und Lee Marvin war der Durchbruch von Don Siegel. Thriller konnte er gut, besser als andere. Mit Ausnahme von Die schwarze Windmühle von 1974, da muss er von allen guten Geistern verlassen gewesen sein. Obgleich er damals so einen Lauf hatte. Mit Filmen die bemerkenswert waren: Dirty Harry (1971), Charley Varrick (1973) und The Shootist (1976). Das war beinahe so gut wie im Jahrzehnt zuvor, als er nach The Killers (1964) Coogan's Bluff (1968) und Madigan (1968) drehte. Alles Filme, die schon zu Klassikern geworden sind. Bis auf Die schwarze Windmühle, da konnte Michael Caine auch nichts retten.

Manche im Filmgeschäft verdanken Don Siegel ihre Karriere. Clint Eastwood hatte seinen ersten Erfolg außerhalb von Amerika mit Italowestern, Don Siegel machte ihn zum Hollywoodstar. Was wäre aus ihm geworden, wenn er nicht den umstrittenen Film Dirty Harry gedreht hätte? Der Kritiker ➯Garrett Epps, der Dirty Harry als fascist propaganda and sadomasochistic wet dreams bezeichnete, liegt da nicht so falsch. Mit Dirty Harry II-IV hat Siegel nichts zu tun. Und einen Film wie Ein Mann sieht rot hat er nicht gedreht, das war der Engländer Michael Winner.

Don Siegel hat auch Sam Peckinpah (der in dem Punkt fascist propaganda and sadomasochistic wet dreams viel mit ihm gemeinsam hat) eine neue Karrierechance gegeben. Und sein Film The Shootist zeigt (ebenso wie True Grit Jahre vorher) den Westernhelden ➯John Wayne zum letzten Mal in einer Rolle, die ihm auf den Leib geschneidert war. So eine ähnliche Rolle wie in True Grit. Für True Grit hatte Wayne einen Oscar bekommen, und selbst Leslie A. Fiedler konnte sich für den Film begeistern. Vielleicht hätte er das gleiche über The Shootist gesagt wie: Aber der Film von John Wayne, dieser schöne komische Film, wo er mit dem jungen Mädchen spielt, 'True Grit', das ist wirklich ein wunderbarer Film, denn erstens sehen wir hier nicht einen jungen Gunfighter oder jungen Cowboy, sondern einen alten Mann in dieser Periode seines Lebens, wo er nicht sicher ist, ob er mit einem Pferd über einen Zaun springen kann, und zweitens wird diese Rolle ausgerechnet von John Wayne gespielt, und der Film wird zu einer Parabel des Lebens von John Wayne, dieser elenden reaktionären Kanaille, die das Image des Westens auf die Leinwand projiziert hat und der nun zum ersten mal seine Rolle mit Humor spielt, als Selbstparodie, als Travestie seiner eigenen Figur. Das ist sehr zart, sehr schön, sehr komisch. Dieser Film hat mich tief gerührt.

All diese Filme von Siegel handeln von der Gewalt, cinéaste de la violence et du anti-héros hat der französische Filmkritiker Guy Allombert ihn genannt. Das amerikanische Kino ist von Gewalt besessen, Violent America: The Movies 1946-1964 hieß die Ausstellung, die Lawrence Alloway 1971 für das Museum of Modern Art organisierte. Die begleitende Filmreihe, die das MOMA dazu zeigte, musste in The American Action Movie 1946-1964 umgetauft werden, den Verleihfirmen gefiel das Wort violent nicht. Wie einfach man doch die Gewalt aus dem Film nehmen kann! I’m a firm believer in entertainment, hoping that every picture I make will be a commercial success, hat Siegel gesagt.

Ist es nur das? Viele Kritiker haben seinen Film Invasion of the Body Snatchers als einen Kommentar auf die McCarthy Zeit gesehen. Systemstabilisierend sind seine Filme jedenfalls nicht, seine lakonischen Helden (wortkarg wie die Cowboys) stehen außerhalb der Gesellschaft, gleichgültig, ob sie gut oder böse sind. Man könnte sie als die verspäteten Nachfolger der Film Noir Helden sehen, wo es ja nicht nur ein good bad girl, sondern auch viele good bad guys gibt. Aber selbst wenn sie ein wenig außerhalb des Gesetzes stehen wie Charley Varrick, dann haben sie doch ihren eigenen Code und eine Moral. Darin ähneln sie Hemingways code heroes und den Gangstern des französischen Kriminalfilms. Richard Combs hat in Sight and Sound gesagt: His protagonists, an unarguably consistent line of defiant loners, outside whatever system may be operating, may be interchangeably one side or the other – which seems to beg all sorts of social issues.

Schnell hatte Don Siegel all das adaptiert, was wir als typisch amerikanisch empfinden. Seine Jugend hatte er in England verbracht, er hat in Cambridge studiert. Seit den dreißiger Jahren war er im Filmgeschäft. Er hat hinter den Kulissen alles gemacht, bevor er zum ersten Mal the name above the title lesen konnte. Die französischen Filmkritiker der Nouvelle Vague haben ihn eher als einen Europäer und einen auteur mit einer eigenen Handschrift gesehen - er selbst konnte mit diesem Lob nichts anfangen. Er sah sich als Handwerker, als Professional. Und er weigerte sich auch, Interpretationen zu seinen Helden zu liefern: The more you describe, analyze and explain a character, the less real he becomes. The trick is to suggest—to try to leave holes, problems, questions that the viewer’s imagination will fill in a much more satisfying way than we could ever do.

Manchmal brauchen wir Don Siegels Helden für eine Flucht aus dem Alltag in das Böse, einen Film wie Charley Varrick zu sehen, hinterlässt bei mir immer ein Gefühl der Befriedigung. Ich finde es immer wieder schön, wenn Ronald Reagan am Schluss von ➯The Killers erschossen wird. Ich glaube ja immer noch an Aristoteles' phobos und eleos, obgleich die Katharsis Theorie für die filmische violence wohl nicht stimmt. All normal people need both classics and trash, hat Shaw gesagt, wir können nicht immer Goethe lesen, wir müssen auch mal trash lesen. Solange das nicht Fifty Shades of Grey oder Tintenherz ist, ist ja alles in Ordnung. Wir können nicht immer nur Filmkunst oder Bibel TV sehen, es darf auch schon mal Dirty Harry sein. Solange Clint Eastwood für uns kein role model wird und Sie zu Hause keine 44er Magnum haben, ist das auch O.K.

Übrigens kommt der viel zitierte Satz Go ahead, make my day in Dirty Harry gar nicht vor. Der fällt erst in dem vierten Dirty Harry Film, mit dem Don Siegel nichts zu tun hat. In Dirty Harry sagt Inspector Harry Callahan zu dem Bankräuber, den er angeschossen hat und der ihn noch mit dem Gewehr bedroht: I know what you're thinking, 'Did he fire six shots or only five?' Well, to tell the truth, in all this excitement I kinda lost track myself. But being this is a .44 magnum, the most powerful handgun in the world, and would blow your head clean off, you've got to ask yourself one question. 'Do I feel lucky?' Well, do ya, punk?

Don Siegel wurde heute vor hundert Jahren geboren, seine Filme als DVD zu bekommen, ist nicht so schwer. Gute Literatur über ihn zu finden, ist schon schwerer. Stuart M. Kaminskys Don Siegel: Director (1974) kann man vergessen, der hätte besser bei seinen Krimis bleiben sollen. Violent America: The Movies 1946-1964 von Lawrence Alloway (dem Erfinder des Begriffes Pop Art) bleibt ein Klassiker und ist noch zu finden. Obgleich man heute dafür mehr bezahlen muss als die 1.95 $, die mich das schrille lila Teil beim Strand Book Store vor Jahrzehnten gekostet hat. Aber für Filmfreunde und Don Siegel Fans hätte ich ➯hier noch eine sehr schöne Seite. Die schwarze Windmühle wollte ich ja eigentlich nicht mehr erwähnen, aber wegen der wunderschönen Delphine Seyrig gibt es doch noch ein Photo aus dem Film.

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