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Sonntag, 27. Januar 2013

Haikragen


Es scheint ja jetzt Mode zu sein, diese Kragenform zu tragen, aber bei den meisten Trägern sieht es grauenhaft aus. Also zum Beispiel bei diesem Herrn. Der cutaway Kragen, auch Haikragen oder Haifischkragen genannt, ist nun mal nicht für Jedermann. Da können einem die Berater so schöne Dinge einflüstern wie: Der Haifisch Kragen ist auf dem Vormarsch. Allen voran im Bereich der Businesskleidung hat dieser auffallende Kragen vermehrt seine Liebhaber gefunden, meistens in Weiß und zum Anzug ohne Weste getragen. Man sollte beim Navigieren auf dem Meer des schlechten Geschmacks nicht auf alle Sirenengesänge hören.

Vor allem nicht, wenn man einen solchen Specknacken hat wie dieser Herr. Dann muss man das nicht noch mit einem cutaway Kragen betonen. Die neuerdings in Deutschland in Mode gekommene Kragenform scheint in dieser Partei de rigueur zu sein. Mit Ausnahme des schleswig-holsteinischen Parteivorsitzenden, der meistens Tab Kragen trägt. Wahrscheinlich folgt er damit dem modischen Vorbild von Walter Scheel, der immer einen Tab Kragen trug und der einer der bestgekleideten deutschen Politiker war.

Mit Kleidungskultur haben wir es in der Politik ja nicht so, wobei sicherlich jene aus der Partei der Besserverdienenden, also jenseits des Präkariats und der ➱spätrömischen Dekadenz, ein Spur besser angezogen sind. Aber die mit ihren ständig nagelneuen, glänzenden Anzügen die stille Würde des Landadels vermissen lassen, die jemand wie Uwe Ronneburger immer ausstrahlte. Die meisten Politiker sehen ja eher aus wie dieser Herr. Zugegeben, das ist kein Politiker, das ist der Kabarettist Richard Rogler. Aber der hatte früher ein paar wunderbare ➱Politikernummern im Programm. Sein Buch Finish (Kiepenheuer &Witsch 1992) kann ich als Innenansicht aus der Politik unbedingt empfehlen.

Grundsätzlich kann so ein spread collar natürlich elegant sein, allerdings sind es leider immer die falschen Leute, die ihn tragen. Also dieser kleine Mann da links. Der erwachsene Herr neben ihm ist der Exzentriker unter den Royals, ➱Prince Michael of Kent. Ich weiß nicht, wer ihm seine Hemden schneidert, aber ich habe diesen wahnsinnig hohen Kragen an ihm schon seit ➱Jahrzehnten bewundert. Ein solcher Kragen geht natürlich - ebenso wie der cutaway collar) nur mit einer fetten Krawatte (am besten einem fülligen seven fold) und einem Windsorknoten. Ein Langbinder, der wie ein Paar Schnürsenkel aussieht, wie bei dem Herrn ganz oben, ist natürlich völlig daneben. Den Windsorknoten (ansonsten in Deutschland ja ein furchtbares Relikt aus der Adenauerzeit) darf Prince Michael natürlich mit Berechtigung tragen, weil er ein Windsor ist und sein Verwandter, der Duke of Windsor, den Knoten erfunden hat.

Wenn man nicht (wie Prince Michael) His Royal Highness vor seinen Namen schreiben kann, aber gerne der modische Nachfahre des Herzogs von Windsor sein möchte, dann trägt man so affige Hemden wie dieser Herr hier.
Man kann das mit dem spread collar ja auch übertreiben. Es ist immer unglücklich, wenn Menschen, die von der Natur benachteiligt wurden (wie der specknackige Herr ganz oben und die beiden kleinwüchsigen Herren hier und im oberen Absatz), noch mit modischen Übetreibungen die Blicke auf sich ziehen wollen. Aber dieser 1,68 m große Modemacher aus der Bronx ist offensichtlich sehr stolz auf seine cutaway collars, sie nehmen in seiner Purple Collection viel Raum ein (lesen Sie ➱hier mehr dazu).

Doch der Mann, der sich Ralph Lauren nennt, ist natürlich nicht der arbiter elegantiarum. Denn das ist natürlich einzig und allein dieser Herr aus dem Hause Windsor. Und der hat vor Jahrzehnten für sich einen Kragen erfunden, der ein Mittelding zwischen dem sogenannten Kentkragen und dem cutaway Kragen ist. Die kauft er seit über dreißig Jahren bei Turnbull & Asser. Seine Hemden werden bestimmt noch in England gemacht, genauer gesagt in ➱Quedgeley (Gloucester), wo beinahe hundert Leute für T&A nähen. Bei den Hemden für jedermann bin ich mir nicht so sicher. Jemand, der es wissen sollte, hat mir erzählt, dass die an einer ganz anderen Stelle genäht werden. Doch das ist leider eine Information, die ich nicht verwenden kann. Ich kann ja so vieles nicht in diesen Blog schreiben - die Geschichte mit dem Politiker, der sich aus einer halbseidenen Kneipe durch das Klofenster rettet, um nicht von einem Reporter gesehen zu werden, kann ich eben leider nicht erzählen. Dabei ist die so schön. Aber dieser Blog soll seriös bleiben.

Als Charles Kunde von Turnbull und Asser wurde, war Mr Fish schon nicht mehr im Laden. Michael Fish war derjenige, der Sean Connery für seinen ersten James Bond Film diese Hemden mit diesen rattenscharfen Manschetten geschneidert hatte. Charles liebt diesen Laden. Als ihm die Königin damals nach seiner Hochzeit mit Diana das Recht verliehen hatte, royal warrants zu verleihen, waren T&A (nicht zu verwechseln mit der deutschen Firma T&A, die hervorragende ➱Lautsprecher baut) die ersten, die so etwas bekamen.

Auch Tricker's erhielt einen solchen royal warrant, brachte ihn sofort in Gold in den Schuhen an. Das bereitet mir beim Schuhanziehen immer ein etwas seltsames Gefühl. Neuerdings trägt Charles nicht nur Hemden von Turnbull & Asser. Er kauft da auch - zum Entsetzen der Savile Row - Anzüge zum Mitnehmen. Nicht mehr bespoke suits bei ➱Anderson & Sheppard, sondern made-to-measure suits (die in der ehemaligen Fabrik von Chester Barrie in Crewe gemacht werden) von T&A! Wo soll das enden? Thomas Mahon (➱hier sein Blog), der früher bei Anderson & Sheppard Anzüge für Charles schneiderte, sagte dazu I think what has happened is very sad.

Turnbull & Asser sind nicht die einzigen, die ihre Anzüge aus Crewe beziehen, auch die ➱Kollektion von ➱Tony Lutwych (der vor Jahren den Rechtsnachfolger der Firma von Chester Barrie übernommen hatte) kommt daher. Vielleicht noch einige andere Namen. Der kleine Herr aus der Bronx läßt die Anzüge seiner Purple Line nicht mehr in Crewe machen. Seine Englishness ist jetzt Made in Italy. Im Augenblick ist ➱Crewe (neben der Savile Row) die letzte englische Bastion von Herstellern handgenähter Anzüge, die das Recht haben, ein Made in England in ihre Jacketts zu nähen.

Aber der Verlust des Savile Row Nimbus ficht Charles auf seinem neuen Sparkurs (steckt Camilla dahinter?) nicht an. Der Mann, der einmal von sich sagte I'm a classic, timeless manMy fashion sense only changes every 25 years, trägt auch keine Hemden mit dem übertriebenen cutaway Kragen. Sondern lieber das, was die Firma schon für James Bond geschneidert hatte. Und daran sieht man, dass der Satz von Prince Charles My fashion sense only changes every 25 years eigentlich noch untertrieben ist. Dieses Hemd ist auch fünfzig Jahre später noch elegant.

Wir müssen aber noch einen Schritt in der Modegeschichte weiter zurückgehen, denn wahrscheinlich ist es ein Verwandter von Charles, der Duke of Windsor, gewesen, der diesen Kragentyp zuerst getragen hat (als er aufgehört hatte, den neumodischen Tab Kragen zu tragen). Er sah sich ja als a leader of fashion, with the clothiers as my showmen and the world as my audience. Und er suchte bei seiner Kleidung die Bequemlichkeit: Hosen mit Gürtel (statt der Hosenträger) und Hemden mit weichem Umlegekragen, statt der steifen Kragen, die erst mit Kragenknöpfen am Hemd befestigt werden mussten. Und wenn er dann doch den von ihm erfunden Windsor Knoten (statt des eleganteren ➱four in hand) unter den Kragenschenkel unterbringen wollte, bot sich dieser Hemdentyp geradezu an.

Es sind die dreißiger Jahre, in denen sich die Herrenmode entscheidend wandelt - es ist die gleiche Zeit, in der zum ersten Mal mehr Armbanduhren als Taschenuhren verkauft werden. Der Mann verzichtet immer häufiger auf Hut und Handschuhe, für eine ältere Generation undenkbar. Viele englische Gentlemen sehen noch in den dreißiger Jahren genau so aus wie ihre Väter zur Jahrhundertwende. Doch der morning coat, den Neville Chamberlain hier trägt, wird immer häufiger durch den informelleren lounge suit ersetzt.

Und der förmliche Stehkragen weicht jetzt allmählich dem Umlegekragen, der meistens als detachable collar an das Hemd geknüpft wird. Da kauft man gleich mehrere Kragen für ein Hemd, ein Kragen ist schneller gewaschen und gebügelt als ein Hemd. Der Duke of Windsor, damals noch Prince of Wales, ist der Vorreiter für eine neue Hemdenmode (und eine neue Herrenmode), und eigentlich hat sich von dem Tag, an dem er zum ersten Mal diesen neuen Kragentyp trug, bis zum heutigen Tag nicht viel geändert. Wenn dem Duke of Windsor alle möglichen Neuerungen zugeschrieben werden, dann ist das genau betrachtet mit dem a leader of fashion, with the clothiers as my showmen and the world as my audience nur ein plakativer Spruch. Er hat nichts wirklich erfunden, er hat nur die Veränderungen popularisiert. Auf der anderen Seite des Atlantiks macht das Hollywood.

Die preisgünstigste Offerte für cutaway collar Hemden (die man natürlich nur mit Manschettenknöpfen zum Anzug tragen kann, was anderes geht bei dem Hemd gar nicht) kommt zur Zeit von der Firma Hawes&Curtis, die sich zur Hundertjahrfeier eine aggressive Preispolitik erlauben: Buy One Shirt Get TWO Free. Die haben seit drei Jahren auch einen Shop in Köln, sind natürlich online und offerieren jetzt das Hemd für ➱29 €. Das ist ja noch billiger als ➱Tyrwhitt, aber ich weiß nicht, ob das Zeug was taugt. Ich schreibe demnächst mal einen Post über teure Oberhemden im Langzeittest. Der hat den Arbeitstitel the good, the bad and the ugly. Bis dahin können Sie natürlich Turnbull &  Asser Hemden kaufen, aber Sie lassen bitte die Finger von Hilditch & Key.

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