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Montag, 25. Februar 2013
Tellheim
Graf: So recht, mein Sohn! Ich höre es; wenn dein Mund nicht plaudern kann, so kann dein Herz doch reden.—Ich bin sonst den Offizieren von dieser Farbe (auf Tellheims Uniform weisend) eben nicht gut. Doch Sie sind ein ehrlicher Mann, Tellheim; und ein ehrlicher Mann mag stecken, in welchem Kleide er will, man muß ihn lieben. Das steht natürlich in Lessings Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück. Ein Stück, über das Goethe sagte: Eines Werkes aber, der wahrsten Ausgeburt des Siebenjährigen Krieges, von vollkommenem norddeutschen Nationalgehalt, muß ich hier vor allen ehrenvoll erwähnen; es ist die erste aus dem bedeutenden Leben gegriffene Theaterproduktion, von spezifisch temporärem Gehalt, die deswegen eine nie zu berechnende Wirkung tat: Minna von Barnhelm. Ihm sekundiert Heinrich Christian Boie: Tellheims preußischen Officiersrock hat man mit Vergnügen auf dem Theater gesehen, weil das etwas ganz neues war.
Der spezifisch temporäre Gehalt ist das Ende des Siebenjährigen Krieges. Viele Offiziere sind jetzt arm dran, nicht nur der Major von Tellheim. Friedrich verkleinert die preußische Armee. 1763 hat Lessing begonnen, seine Minna von Barnhelm zu schreiben, und im Jahre 1763 spielt das Stück auch. Der Major Tellheim ist gerade unehrenhaft entlassen worden. Ein anderer preußischer Major ist glücklicher dran als unser Tellheim, der Major Wilhelm René Baron de l’Homme de Courbière. Der rückt mit seinem Bataillon im Jahre 1763 in Emden ein. Und im Jahre 1763 wird übrigens auch Johann Gottfried Seume geboren, dessen Leben eines Tages schicksalhaft mit dem des Barons Courbière verbunden sein wird.
Der Mann aus einer hugenottischen Familie aus der Dauphiné war (wie sein Vater und Großvater) Offizier im Dienste der Generalstaaten gewesen. Mit solch einem Namen muss man ja Offizier werden, sein Sohn wird das auch. Er fällt in der Schlacht von Großgörschen. Und auch die Wehrmacht wird noch einen Generalleutnant René de l’Homme de Courbière in ihren Reihen haben. Das Holländische wird sein Courbière Leben lang beherrschen, das Französische sowieso. Nur mit dem Deutschen hat er Schwierigkeiten. Wie heißt es so schön in Minna von Barnhelm? Oh, was ist die deutsch Sprak für ein arm Sprak! für ein plump Sprak! Zu Beginn des Siebenjährigen Krieges hatte er die Uniform des preußischen Königs angezogen. Lessings Satz ein ehrlicher Mann mag stecken, in welchem Kleide er will, man muß ihn lieben, gilt für ihn wie für kaum einen anderen.
Obgleich er auch einige negative Seiten hat, er ist jähzornig. Und ehrpusselig wie Tellheim, zu dem das Fräulein von Barnhelm sagt: Oh, über die wilden, unbiegsamen Männer, die nur immer ihr stieres Auge auf das Gespenst der Ehre heften! für alles andere Gefühl sich verhärten! Das Fräulein Minna hat sowieso erstaunlich moderne Ansichten in diesem Theaterstück. Aus ihr spricht die Aufklärung, aus Tellheim die Vergangenheit. Oh, mein Rechthaber, so hätten Sie sich auch nicht unglücklich nennen sollen. - Ganz geschwiegen oder ganz mit der Sprache heraus. - Eine Vernunft, eine Notwendigkeit, die Ihnen mich ganz zu vergessen befiehlt? - Ich bin eine große Liebhaberin der Vernunft, ich habe sehr viel Ehrerbietung für die Notwendigkeit. - Aber lassen Sie doch hören, wie vernünftig diese Vernunft, wie notwendig diese Notwendigkeit ist.
Obgleich der König das Duell verboten hat, wird Courbière sich mehrmals duellieren. Er herrscht in Ostfriesland, wohin ihn der König mit seinem Freibataillon (was für andere eher ein Strafbataillon ist) geschickt hat, mit strenger Hand. Bis auf das Courbièrsche Freibataillon hatte der König diese Einheiten nach dem Krieg aufgelöst. Sie haben nicht eben den besten Ruf. Als sich Johann Friedrich Adolf von der Marwitz weigert, ein Schloss des Gegners auszuplündern, sagt er seinem König: Weil sich dies allenfalls für Offiziere eines Freibataillons schicken würde, nicht aber für den Kommandeur von Seiner Majestät Gensdarmes.
In Emden, das seit 1744 zu Preußen gehört, ist Courbière eine Art preußischer Militärgouverneur. Wer die Ostfriesen kennt, weiß, dass die das nicht so gerne haben. Die hätte wohl lieber jemanden wie den Major Tellheim gehabt, der - ebenso wie Marwitz - so gut und edel zu den Besiegten ist. Aber einen solchen Offizier, über den Minna sagt Freund und Feind sagen, daß er der tapferste Mann von der Welt ist. Aber wer hat ihn von Tapferkeit jemals reden hören? Er hat das rechtschaffenste Hertz, aber Rechtschaffenheit und Edelmut sind Worte, die er nie auf die Zunge bringt, gibt es nur auf der Bühne.
In der Wirklichkeit sehen sie wahrscheinlich eher ein wenig menschlich aus, so aus wie Courbière. Der aber für viele ein Vorbild sein kann. Aus anderm Holz geschnitten wie jene Schwächlinge, die dem französischen Usurpator königl. preußische Festungsschlüssel überlieferten, schreibt Ernst Graf zur Lippe-Weißenfeld in der Allgemeinen Deutschen Biographie über den Ritter sämmtlicher Orden Preußens. Da hat er als Gouverneur von Graudenz seine große Stunde. Als er dem Abgesandten Napoleons sagen läßt: Votre Général me dit ici qu'il n'ya plus un Roi de Prusse, puis que les Français ont occupé ses états. Eh bien, ça se peut; mais s'il n'ya plus un Roi de Prusse, il existe encore un Roi de Graudenz. Dites cela à votre général. Das ist ein halbes Jahrhundert nach dem Siebenjährigen Krieg, der General ist immer noch in preußischen Diensten. Er ergibt sich Napoleon nicht.
1807 ist der Major von Tellheim bestimmt nicht mehr bei der Armee. Aber er ist immer noch auf der Bühne. Ist das sein Soldatenglück? Er ist schutzlos mit seiner Soldatenehre den wildesten Verirrungen des sogenannten Regietheaters ausgeliefert. ➱Hans-Joachim Kulenkampff (der den Tellheim einmal auf der Bühne gespielt hatte) antwortete auf die Frage: Sie wollten als junger Mann Charakterdarsteller werden. Ihre Fernsehkarriere haben Sie als Abstieg bezeichnet in seiner klaren Art: Ja, aber ich hatte auch großes Glück, denn müßte ich heute mein Geld beim Theater verdienen, dann müßte ich vertreten, daß die Töchter von König Lear auf der Bühne in einen Eimer pinkeln und der Herzog von Burgund das dann säuft. Ich möchte auch nicht Hamlet auf dem Motorrad spielen oder mich im Schlamm auf dem Boden wälzen. Den heutigen Regisseuren ist doch scheißegal, was der Autor will. Ein gütiges Geschick hat mich davor bewahrt, das machen zu müssen.
Dass es so etwas eines Tages geben würde, hätte der Autor der Hamburgischen Dramaturgie sich bestimmt in seinen schlimmsten Albträumen nicht vorstellen können. 240 Jahre nachdem Lessing Dramaturg in Hamburg geworden war und sein Stück aufführte, führte eine gewisse Karin Henkel (O, Komödiantinnen! ich hätte euch doch kennen sollen) am Deutschen Schauspielhaus ihre persönliche Interpretation des Theaterstückes vor. Dessen Ende aber nach Beobachtungen der Berichterstatter viele Zuschauer nicht mehr miterleben wollten, weil sie längst das Theater verlassen hatten. Heinrich Christian Boie schrieb nach der Uraufführung von Minna von Barnhelm in einem Brief: Der Geschmak des Hamburgischen Publikums ist höchst verdorben; um einen Beweis Ihnen davon zu geben, will ich nur sagen, daß Lessings Minna fast gar keinen Beifall gefunden hat. Im Jahre 2007 war nicht der Geschmack des Hamburgischen Publikums verdorben, sondern der der Regisseurin. Falls Sie Rezensionen lesen wollen, klicken Sie doch ➱dies oder ➱das an.
Der preußische Feldmarschall Guillaume René de l’Homme, Seigneur de Courbière wurde heute vor 280 Jahren geboren. Man wird sich an ihn als den großzügigen Förderer von ➱Johann Gottfried Seume erinnern. Und an den Mann, der den großen Satz gesagt hat: mais s'il n'ya plus un Roi de Prusse, il existe encore un Roi de Graudenz. Glücklicherweise gibt es kein Theaterstück über ihn, das von durchgeknallten Vertretern des Regietheaters verhunzt werden könnte. Dieses Schicksal muss der arme Major von Tellheim erleiden. Ich weiß nicht, wie er sich dabei fühlt.
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