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Donnerstag, 25. April 2013

Groschmann dägi


Falls Ihnen der schöne Begriff Groschmann dägi nichts sagt, ist das nicht so schlimm. Das ist Fachvokabular. Heißt auch eigentlich nicht Groschmann dägi, sondern crochement d'aiguilles und kommt natürlich aus dem Französischen der Horlogerie. Aber die Schweizer Uhrmacher, denen dieses crochement d'aiguilles zu schwierig war, haben irgendwann den Groschmann dägi daraus gemacht. Egal, wie die Sache heißt, es ist schlicht eine Berührung der Zeiger, die den Gang der Uhr stoppt. Kommt bei alten Taschen- und Armbanduhren mit kleiner Sekunde gerne in der Zeigerstellung vor, in der die kleine und die große Hand zur Hölle zeigen. Also um halb sieben. Hatte meine alte Omega letztens. Die genauso aussieht wie das erste Seamaster Modell da links auf dem Photo. Liegt auch in der Referenznummer genau neben der ersten Seamaster.

Es ist noch eine alte Hammerautomatik (Sie können hier zuschauen, wie eine ➱Hammerautomatik zerlegt wird). So etwas hat Omega lange gebaut (nur Jaeger LeCoultre hält noch länger daran fest), da hatten viele Firmen (wie die ➱Eterna) schon die modernere Rotorautomatik. Die schwere Schwungmasse oben schlägt dabei gegen kleine Federn, die hier (unten links) in einem kleinen Tunnel unter der Brücke eingelassen sind. Eine Hammerautomatik ist (trotz des nur einseitigen Aufzugs) sehr wirkungsvoll: morgens umbinden, Kaffee (oder Tee) eingießen und in der Zeitung blättern - und schon läuft sie. So etwas Ähnliches bekam der Feldmarschall Montgomery auch zu hören, als er nach dem Krieg die Omega Fabriken in Biel besuchte und eine Hammerautomatik geschenkt bekam: Il faut se lever de bon heure et bien se secouer. Monty, der den ganzen Krieg über eine Omega trug, wollte mit seinem Besuch 1947 (den er 1949 wiederholte) anerkennen, dass die Firma Omega (die die Wehrmacht nie mit Uhren belieferte) der zuverlässigte Uhrenlieferant für die Engländer gewesen war.

Das mit den ➱Uhrenlieferungen während des Krieges an Deutschland ist ein dunkles Kapitel der Schweizer Uhrenindustrie. Die IWC in Schaffhausen wurde sogar bombardiert, aber die Alliierten wollten die IWC gar nicht treffen, sondern eine kriegswichtige Fabrik daneben. Ja, die Schweiz ist im Zweiten Weltkrieg mehrfach bombardiert worden - wurde hinterher immer als Pilotenfehler deklariert. Im Fall des Rüstungskonzerns Oerlikon wird die Ausrede mit dem Pilotenfehler natürlich ein wenig absurd. Ich lasse das Thema jetzt einmal weg. Und zeige stattdessen die Hammerautomatik, die der Engländer John Harwood in den zwanziger Jahren erfunden hat und sich von der Schweizer Firma Adolf Schildt (die mit dem Handaufzugskaliber ➱AS 1130 auch die meisten Uhrwerke an die Wehrmacht lieferte) hat bauen lassen. Wenn sich auch die Details verändern, das Prinzip bleibt das gleiche.

Hammerautomaten haben ein paar Eigenheiten: man kann sie hämmern hören, wenn man sie ans Ohr hält. Man kann die Schwungmasse beim Tragen auch spüren, was manche Träger damals sehr störte. Als ich meine Omega vor vielen Jahren auf einem Flohmarkt für zehn Euro kaufte, sah sie ziemlich tot aus. Während mir der Händler eine Lügengeschichte nach der anderen erzählte (wenn die das nicht täten, wären sie keine Flohmarkthändler), schüttelte ich die ganze Zeit vorsichtig die Uhr. Und beobachtete die Krone. Die Krone bewegte sich, es war Leben in der Uhr. Bei diesen frühen Hammerautomaten ist die Krone nämlich nicht entkoppelt, wenn der Hammer hämmert, bewegt sich die Krone langsam. Wenn man Hammerautomaten gut pflegt, ihnen von Zeit zu Zeit eine Überholung gönnt (und sie nicht zu stark schüttelt), können sie sehr alt werden. Das erste Automatikwerk von Omega aus den vierziger Jahren hat noch eine Schwachstelle: hier sind die kleinen Federn auf der linkenSeite (wie auch bei dem Werk unten) lediglich verschraubt. Dass die irgendwann abbrechen, ist vorauszusehen. Ab dem Kaliber 342 (28.10) im Jahre 1949 gibt es bei Omega nur noch die verdeckten Prellfedern. Sie sehen an dem ©Rannft, dass ich diese Werksabbildung aus dem wunderbaren ➱Uhrwerke Archiv von Dr. Ranfft entliehen habe.

Dies hier ist übrigens das Werk einer Tissot (so eine trage ich gerade). Sieht aus wie das von Omega, die Uhrwerke sind beinahe baugleich. Das Omega Werk hat lediglich eine qualitativ höherwertige Glucydurunruh. Die Ähnlichkeit ist kein Wunder: Tissot und Omega sind seit Ende der zwanziger Jahre (als Omega in großen finanziellen Schwierigkeiten steckte) praktisch eine Firma. Madame Marie Tissot pflegte noch Jahrzehnte später im Aufsichtsrat die Vertreter der inzwischen mächtigeren Omega daran zu erinnern, wer sie damals gerettet hat. Die Enkelin des Firmengründers, die wie ihr Bruder Paul noch in Russland geboren wurde (damals war Tissot noch groß im Russlandgeschäft), hat fünfundfünfzig Jahre für die Firma gearbeitet, deren Namen sie trug.

Das hier ist eine Cyma mit dem Kaliber 420, das wie die meisten Hammerautomatikwerke im Basiswerk sehr klein ist, den meisten Platz bei diesem Uhrwerkstyp frißt die um das Werk schwingende Pendelschwungmasse. Während meine Cyma aus dem Jahre 1947 heute noch wie neu aussieht, hatte meine schöne alte Omega also diesen Groschmann dägi. Da es im Ort keinen freien Uhrmacher mehr gibt (aber dafür gefühlte tausend Telephonläden und zweitausend Brillenläden), musste ich zu ➱Mahlberg. Die gibt es in meiner Heimatstadt Bremen auch, da heißen sie Meyer. Es ist an sich nichts Böses zu Mahlberg gehen, es ist ein seriöses Geschäft.

Das Ganze ist mir nur etwas zu fein. Und es hat den Nachteil: man kann nicht mehr mit dem Uhrmacher reden. Früher, als sie noch nicht in einem Luxustempel residierten und noch nicht alle Uhrenmarken der Schweiz führten, war das bei Mahlberg anders. Sie alle kennen das Phänomen der Entfremdung von denen, mit denen man eigentlich reden möchte, aus Ihrer Autowerkstatt. Früher kannte man den Meister persönlich, drückte ihm seine ölverschmierte Pfote und klagte ihm sein Leid. Heute sitzen da hochtoupierte Tussis, die je nach Automarke immer vornehmer werden, die pflegen ihre manikürten Finger, lassen den Goldschmuck klingeln und tippen dann irgendetwas in den Computer. Und was man den Damen erklärt und was dann beim Meister ankommt, das ist so ähnlich wie bei dem schönen Spiel, das Stille Post heißt. Ja, da sehnt man sich doch die gute alte Zeit zurück.

Also nicht, dass die da im Laden nicht nett zu einem sind. Die kennen mich da auch. Aber es ist natürlich etwas ganz anderes, wenn man dem Uhrmacher persönlich die Wehwehchen der Uhr erklären kann. Dies hier ist der Geschäftsführer Tim Kleinfeld vor dem Allerheiligsten, wo die Uhren gelagert werden, die so viel wie ein Mittelklassewagen kosten. Aber meistens nicht so interessant sind wie eine alte Omega mit Hammerautomatik. Tim Kleinfeld hat immer Zeit für kleine Fachsimpeleien. Ich weiß nicht ob er Gedichte mag, aber das gibt es heute natürlich auch. Schließlich ist immer noch Poetry Month. Das Gedicht heißt The Watches und wurde von Elizabeth Macklin geschrieben.

Before they became mysterious and quartz, 
we longed to learn 
the workings of watches: eternal spring! 
We knew to rush to make time for things. 
Any delay would make it too late. 
We knew what the hands could say.

Und an dieser Stelle hat das Gedicht, das am 16. März 1992 im New Yorker abgedruckt wurde, einen Groschmann dägi. Es hakt, es geht nicht weiter. Weil ich damals nur diese Zeilen abgeschrieben habe, ich fand den Anfang so toll. Wahrscheinlich ist er das Beste an dem Gedicht, das noch viel länger ist. Auf dieser Seite vom New Yorker (für den Elizabeth Macklin lange gearbeitet hat) sind fünf Strophen, auf der nächsten noch einmal fünf. Das zeigt uns einmal die Grenzen des Internets auf, nicht alles, was jemals gedruckt wurde, ist heute digitalisiert und im Netz. Das ist irgendwie beruhigend, wozu hat man Regale voller Bücher? Ach, ich hätte den New Yorker aufbewahren sollen.

Bevor ich das Geschäft verlassen konnte, zeigte mir Tim Kleinfeld auf seinem Laptop noch ein wunderbares Bild, das ihm ein Kunde gerade geschickt hatte. Ich habe länger als eine Minute gebraucht, um zu sehen, was an diesem Zifferblatt falsch war. Vielleicht sehen Sie es ja schneller. Es ist wirklich sehr witzig. Ist gleich hinter der Stelle, wo die kleine und die große Hand zur Hölle zeigen. Da stimmt jetzt die Zeile We knew what the hands could say aus dem Gedicht garantiert nicht mehr.

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