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Dienstag, 21. Mai 2013

Albrecht Dürer


Könnten Sie dieses Aquarell datieren? Wenn Sie jetzt sagen: deutsche Romantik, wäre meine Antwort: netter Versuch. Die richtige Antwort lautet natürlich 1495. In seinem nach mehr als sechzig Jahren immer noch lesenswerten Buch Landscape into Art sagt ➱Kenneth Clark über die Landschaftszeichnungen und Landschaftsaquarelle Dürers:

The curiosity about the precise character of a particular spot, which was a part of the general curiosity of the fifteenth century, culminated in the topographical water-colours of Dürer. They begin in 1494 with some drawings which, in their earnest desire to give every available fact, are almost like the work of a Sunday painter. But a few months later Dürer produced the water-colour of Innsbruck, now in the Albertina, which is not only the first portrait of a town, but shows a delicate perception of light. The drawings of the Castle of Innsbruck done at the same time are pure topography, and are more remarkable for curiosity and dexterity than for those qualities which we nowadays call aesthetic. Yet this curiosity, by its intense concentration, has a compelling effect. 'He holds us with his glittering eye.' We move through the olive grove, and scale to the summit of Arco, led on by the force of Dürer's unfaltering hand. This drawing was done on the way back from Venice in the spring of 1495 and is the first of a series of water-colours which not only show Dürer's phenomenal skill, but are timeless. In his figure drawings he mastered, almost too completely, the idiom of the time. In his landscapes he is the master of all styles and subjects, from rocks, like Cezanne's quarry, to visions of poetical solitude that strangely anticipate the sentiment of the nineteenth century.

Das ist es: strangely anticipate the sentiment of the nineteenth century. Diese Skizzen sind zeitlos, sind etwas ganz anderes als diese Betenden Hände (ein Symbol gelebter Frömmigkeit), der Feldhase und Ritter, Tod und Teufel - und was sonst noch so früher in den deutschen Wohnzimmern hing. Bei uns im Hause hing auch eine Reproduktion von Ritter, Tod und Teufel. Als ich klein war, habe ich mich vor diesem Bild gefürchtet. Wie vor dem Rübezahl von ➱Moritz von Schwind.

Ich habe in meinem Leben erst einmal einen Bogen um Dürer (der 21. Mai 1471 geboren wurde) gemacht. Na ja, es ging nicht ganz. Wenn man in Bremen nach dem Krieg groß wurde, dann wusste man natürlich, was die Bremer Kunsthalle im Krieg alles verloren hat. War es um ➱Emanuel Leutzes Washington Crossing the Delaware schade? Um die verloren gegangen Werke von Dürer - vierzig Handzeichnungen sowie zahlreiche Druckgrafiken und drei Gemälde - die man dank des Weitblicks des Senators Hieronymus Klugkist seit dem 19. Jahrhundert besaß, war es auf jeden Fall schade. Darüber redete man damals schon. Tut man heute immer noch, weil man inzwischen weiß, wo manche dieser Kunstwerke sind. Restitutionsverhandlungen heißt das eine Schlagwort. Baldin Sammlung das andere.

Dieser Dame sollte Bremen dankbar sein. Sie heißt Anne Röver-Kann, sie hat im letzten Jahr in einer ➱Ausstellung gezeigt, was Bremen alles von Dürer besessen hat. Die Kustodin des Kupferstichkabinetts konnte von großem Glück sprechen, dass die ehemaligen Kunsthallendirektoren Gustav Pauli und Emil Waldmann das Bremer Archiv so gut pflegten. Man hatte rechtzeitig von den Beständen Lichtdrucke angefertigt, die man dann (wie das Bild der Ansicht von Trient ganz oben) diesem kleinen Zusatz seit 1945 vermisst versehen konnte. Zu der Ausstellung ist bei Hirmer der Katalog Dürer-Zeit: Die Geschichte der Dürer-Sammlung in der Kunsthalle Bremen erschienen.

Obgleich ich Dürer als Thema im Rigorosum wählte, obgleich ich Fedja Anzelewskys 1971 erschienenen Katalog besitze, obgleich ich Panofskys ➱Dürer Buch gelesen haben, obgleich ich beinahe alle Kupferstiche und Holzschnitte einmal in der Hand hatte (man durfte sie in die Hand nehmen, aber nur mit weißen Baumwollhandschuhen), mag ich Dürer nicht so besonders. Ich mag Albrecht Altdorfer, ich mag ➱Adam Elsheimer, aber Dürer mit seiner kalten Schönheit bleibt mir fremd. Neben Grünewald oder auch nur neben Altdorfer erscheint er furchtbar trocken und arm. Es kommt hier zu Tage daß sein Verhältnis zur Farbe doch der natürlichen Wärme entbehrte, hat Heinrich Wölfflin gesagt. Vielleicht ist es bei mir aber auch eine gewisse Antipathie, weil um sein Werk immer so ein Gewese gemacht wurde.

Das ganz schlimm im Jahre 1971 war, als der fünfhundertste Geburtstag des Malers anstand. Wenn die die Berichterstattung aus der ➱Zeit und dem ➱Spiegel lesen, können Sie einen Eindruck von dem bekommen, was beinahe zu einer nationalen Hysterie ausartete. Auf deren Höhepunkt die Stadt Nürnberg ein Überflugverbot für Bundeswehr Starfighter aussprach. Ich habe mich damals an einem studentischen Essaywettbewerb zum Thema Dürer beteiligt, habe aber keinen Preis gewonnen. Ich bekam meinen Essay mit einem leicht indignierten Brief (to say the least) der Ausstellungsleitung zurück.

Man mochte das wohl nicht so gerne, dass ich daran erinnerte, dass die Albrecht Dürer Stadt auch einmal die Stadt der Reichparteitage war und dass wir Deutschen ein klein wenig pathologisch sind, weil wir Dürer immer nur in den Kategorien des Nationalen, des Deutschtums sehen können. Statt ihn im Zusammenhang mit der europäischen Kunst zu sehen. Denn dieses Selbstbildnis zum Beispiel hat etwas von den Italienern der Renaissance an sich. Er war gerade in Italien, jetzt will er zeigen, dass diese italienische grandezza auch beherrscht. Selbstverliebt arrogant blickt er uns an, alles ist mit einer photorealistischen Detailversessenheit gepinselt, wir können die Nähte im Leder der Handschuhe erkennen. Ich kann es genau so gut wie die Italiener, sagt uns sein Blick. Aber auf das Bild schreibt er: 1498. Das malt' ich nach meiner Gestalt. Ich war 26 Jahr' alt. Die Renaissance ist ein europäisches Phänomen, da scheint es absurd zu glauben: Neben der Fülle und Nahrhaftigkeit Grünewalds wirkt sein [i.e. Dürers] Künstlertum als einseitig und manchmal fast als gelehrt-akademisch, und sein Kultus der italienischen Form scheint den angeborenen deutschen Charakter in unheilvollster Weise bei ihm untergraben zu haben.

Ist uns dieses Bild lieber, weil es so deutsch ist? Wenn wir nicht wüssten, dass es von Dürer ist, könnten wir es auch für ein Werk von  Grandma Moses halten (drawings which, in their earnest desire to give every available fact, are almost like the work of a Sunday painter). Da lobe ich mir doch das welsche Selbstportrait, das mit großer Könnerschaft gemalt ist. Irgendwann musste es kommen, dass jemand schrieb: daß aus deinen Werken deines Volkes Charakter spricht, dieses Volkes schlichter Sinn, und keusche Sitte, und tiefes Gemüth, und emsiger Fleiß, das ziehet uns zu dir hin ; darum heißest du der Vater der Deutschen Malerei. und darum wird man dich bewundern, solange die Geschichte die Tugenden Deutscher Nation kennet. Den Sohn des Vaterlandes, des Volkes treues Abbild, verehren wir in dir. Heil! Dreimal Heil Dir!

Wenn Sie jetzt glauben, dass hier ein Kunstdemagoge der Nazis spricht, muss ich Sie leider enttäuschen. Das ist aus einer Rede eines Nürnberger Pfarrers namens Johann Christoph Ernst Lösch im Jahre 1831. Einen Nazi hätte ich natürlich auch noch im Repertoire, einen, der den Schöpfer von Ritter, Tod und Teufel als deutschesten aller deutschen Künstler (das hat Emil Nolde auch mal für sich beansprucht) pries und angesichts des Kupferstichs sagte: Treue zu wahren, wenn es auf alles ankommt und die Gefahr von allen Seiten lauert, so wie auf dem Blatt des großen Nürnbergers, hindurchzuschreiten, unerschüttert und unerschütterlich, und an die große Sache zu glauben, dafür zu kämpfen und einzutreten – das ist eine stolze Tugend, die den Mann ziert und die Ehre der Frau und der Jugend ist!

Oder bei einer anderen Gelegenheit: Der Führer ist in diesem Kampf wahrhaft jenem Ritter gegen Tod und Teufel auf dem Stich von Albrecht Dürer zu vergleichen. Wir müssen durch diese Hölle von Widerständen, Belastungen und Gefahren hindurch, ehe wir am Ende des ... des Weges wieder das Freie gewinnen und klare Luft atmen können. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß uns das gelingen wird... Natürlich spricht hier der Kunstfreund Joseph Goebbels. Die Nazis haben Dürer vereinnahmt, wie sie Caspar David Friedrich vereinnahmt haben.

Gut, das ist lange vorbei, aber irgendetwas scheint bei uns nicht zu verdrängen sein, diese Suche nach dem deutschen Wesen, an der sich jeder beteiligen kann. So wie Thomas Mann im Jahre 1928: An Dürer denken heißt Lieben, Lächeln und Sicherinnern. Es heißt: Besinnung auf Tiefstes und Überpersönlichstes, das außer- und unterhalb liegt der fleischlichen Grenzen unseres Ichs, es aber doch bestimmt und ernährt. Warum lässt man noch 1959 einen Nazi wie Hans Jantzen den Dürer Artikel in der NDB schreiben? Und so können wir dann lesen: Dürers Name besitzt für unsere Vorstellung von der deutschen Kunst um 1500 symbolhaften Klang, obschon sein Schaffen keineswegs die einzige Seite deutscher Kunst darstellt. Doch erscheint die schöpferische und ringende Kraft jener Epoche deutscher Kunst in keinem anderen Künstler so zusammengefaßt wie bei Dürer.

Das alles ist das, was ich oben mit Gewese meinte. Wenn Franz Winzinger im Dürerjahr 1971 seinen Dürer Band in der Rowohlt Bildmonographien Reihe mit dem Satz Im Werk Albrecht Dürers ist es am anschaulichsten ausgesprochen, was deutsche Kunst, ja, was deutscher Geist überhaupt ist beginnt, dann hat er wirklich nix dazugelernt.

Glücklicherweise wurde ihm das auch von der Zeit um die Ohren gehauen: Man kann nur annehmen, daß die Entscheidung über eine Veröffentlichung des Buches Albrecht Dürer in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten von Franz Winzinger von freundschaftlicher Verbundenheit mit dem Autor oder ähnlichen karitativen Gefühlen, jedenfalls nicht von Sachkenntnis oder wissenschaftlichen Verantwortung beeinflußt wurde. Anders wäre die Tatsache, daß 1971 ein solcher Text gedruckt werden kann, nicht zu verstehen. Und wenige Zeilen später: Wenn Winzinger im folgenden schreibt, er wolle versuchen, „neue Wertungen zu finden“, aber im ganzen nur das wiederholt, was ab 1871 und besonders nach 1933 schon deutlich genug gesagt worden ist, dann ist dies – symptomatisch für den ganzen Text – eine hohnvolle Diskrepanz zwischen Anspruch und Leistung. Sie sollten sich das Vergnügen machen und die ganze Rezension von Werner Fud hier lesen. Ich kannte das Buch von Winzinger noch nicht, als ich damals meinen Essay für die Dürerstadt Nürnberg schrieb, aber diese Rezension, die hätte ich auch geschrieben. Rowohlt hat den Band inzwischen durch einen neuen von Johann Konrad Eberlein ersetzt, das hat aber dreißig Jahre gedauert. Man trennt sich ja so ungern vom deutschen Wesen.

Und dafür hätte ich dann noch ein schönes Beispiel (ich lasse heute nichts aus): Hermann von Lingg in seinem Fest-Prolog (in ➱Schlußsteine) zum vierhundertsten Geburtstag von Dürer

Im Donner eines Niagarafalles
Ertönt der Menschenruf wie Geisterlaut,
Und in ereignißreicher Zeit ist Alles
Bedeutungsvoll - da - gleichsam eingebaut -
Wird jeder Tag als Denkstein angeschaut,
Als Träger ihres mächt'gen Widerhalles,
Und wenn die Heldengräber offen liegen,
Dröhnt auch der Vorzeit Gruft, und jedesmal
Sind ihr die großen Schatten auch entstiegen,
Um deren Stirne glänzt ein Götterstrahl.

So wollen wir es nicht für Zufall halten,
Für nur willkomm'ne Festgelegenheit,
Daß von den altehrwürdigen Gestalten
Der nunmehr auferstand'nen Kaiserzeit
Als Erster Albrecht Dürer uns begegnet,
In dieser Feier uns entgegentritt,
Der von der deutschen Muse reich gesegnet,
Als Erster neue Bahnen auch beschritt,
Ja, daß es Dürer ist, der Mann gerade,
Der deutsches Wesen so getreu in sich
Und seinen Werken zeigt, der rauh'ste Pfade
Durchmaß, den Größten nahe war und glich.
So zart und kräftig, innig mild im Herben,
Im strengen Ernst so voller Freudigkeit,
So sehn wir ihn im Sinnen und Erwerben,
Im Schaffen und im Leben wie im Sterben,
Ein reines Urbild deutscher Tüchtigkeit.


Das geht jetzt noch sechs Strophen so weiter, aber für heute ist das genug.

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