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Mittwoch, 1. Mai 2013

Catch-22


Wenn man völlig durchgedreht ist, darf man nicht mehr fliegen. Captain Yosssarian hat in Joseph Hellers Roman Catch-22 keine Lust mehr auf den sinnlosen Krieg: Yossarian ... decided right then and there to go crazy. Also geht er zum Stabsarzt Doc Daneeka, damit der ihn untauglich schreibt. Aber da wird ihm klar, dass die Sache einen Haken hat.

“You’re wasting your time,” Doc Daneeka was forced to tell him.
“Can’t you ground someone who’s crazy?”
“Oh, sure, I have to. There’s a rule saying I have to ground anyone who’s crazy.”
“Then why don’t you ground me? I’m crazy. Ask Clevinger.”
“Clevinger? Where is Clevinger? You find Clevinger and I’ll ask him.”
“Then ask any of the others. They’ll tell you how crazy I am.”
“They’re crazy.”
“Then why don’t you ground them?”
“Why don’t they ask me to ground them?”
“Because they’re crazy, that’s why.”
“Of course they’re crazy,” Doc Daneeka replied. “I just told you they’re crazy, didn’t I? And you can’t let crazy people decide whether you’re crazy or not, can you?”
Yossarian looked at him soberly and tried another appraoch. “Is Orr crazy?”
“He sure is,” Doc Daneeka said.
“Can you ground him?”
“I sure can. But first he has to ask me to. That’s part of the rule.”
“Then why doesn’t he ask you to?”
“Because he’s crazy,” Doc Daneeka said. “He has to be crazy to keep flying combat missions after all the close calls he’s had. Sure, I can ground Orr. But first he has to ask me to.”
“That’s all he has to do to be grounded?”
“That’s all. Let him ask me.”
“And then you can ground him?” Yossarian asked.
“No. Then I can’t ground him.”
“You mean there’s a catch?”
“Sure there’s a catch,” Doc Daneeka replied. “Catch-22. Anyone who wants to get out of combat duty isn’t really crazy.”
There was only one catch and that was Catch-22, which specified that a concern for one’s own safety in the face of dangers that were real and immediate was the process of a rational mind. Orr was crazy and could be grounded. All he had to do was ask; and as soon as he did, he would no longer be crazy and would have to fly more missions. Orr would be crazy to fly more missions and sane if he didn’t, but if he was sane he had to fly them. If he flew them he was crazy and didn’t have to; but if he didn’t want to he was sane and had to. Yossarian was moved very deeply by the absolute simplicity of this clause of Catch-22 and let out a respectful whistle.
“That’s some catch, that Catch-22,” he observed.
“It’s the best there is,” Doc Daneeka agreed.


In Deutschland kam der Roman Catch-22 im Jahre 1964 unter dem Titel Der IKS-Haken auf den Markt. Ich erinnere mich noch genau an das Buch, wie es im Schaufenster von Conrad Claus Otto in meinem Heimatort lag. Sein kleiner Buchladen war gegenüber dem Haus vom Zahnarzt Pickel in der Bismarckstraße, das ➱Ernst Becker-Sassenhof gebaut hatte. Ich wusste nicht, was der Titel bedeutete, hatte auch noch nie etwas von Joseph Heller gehört. Aber das Buch mit dem geheimnisvollen Titel schien ein Bestseller zu sein. Conrad Claus Otto hatte immer die wichtigsten Titel der zeitgenössischen Belletristik in seinem Fenster. Damals verschaffte einem ein Blick in das Schaufenster einer guten Buchhandlung ja noch eine Übersicht über den Literaturmarkt. Die Zeit von Hugendubel, Thalia und Amazon war noch weit weg.

Conrad Claus Otto, der im Ort im Gegensatz zu seinen Verwandten (die auch eine Buchhandlung hatten) immer der junge Otto hieß, veranstaltete auch Aufsatzwettbewerbe an unserer Schule. Als ich mich das erste Mal beteiligte, gewann ich den dritten Preis. Es war ein Buch von Hans Hass (oder war es Jacques-Yves Cousteau?) über Haie und die Welt der Tiefsee. Wenn ich irgendetwas hasse, dann sind es Bücher über Haie. Ich nächsten Jahr war ich der Sieger des Aufsatzwettbewerbs. Ich gewann einen Nachmittag mit einem Jugendbuchautor, dessen Namen ich vergessen habe. Das war noch weniger toll als das Buch über die Haie. Wenn das wenigstens ein Nachmittag mit Gottfried Benn gewesen wäre, es wurde gemunkelt, dass Conrad Claus Otto den kannte. Ich musste an dem Tag zuerst zusammen mit Conrad Claus Otto die Stühle im Saal vom Jugendheim Alt-Aumund aufstellen, dann fuhren wir mit Ottos kleinem VW zum Bahnhof, um den Autor abzuholen. Die Fahrkünste des jungen Otto waren grauenhaft. Am Ende der Dichterlesung schenkte mir der Autor einige signierte Manuskriptseiten. Ich beschloss, nie mehr an Aufsatzwettbewerben teilzunehmen. Das war erst einmal das Ende meiner Karriere als Essayist. Aber Bücher habe ich natürlich weiterhin bei Otto gekauft. Wo sonst? Leuwer oder Geist in Bremen waren nicht besser als C.C. Otto.

Es war eine erstaunliche Buchhandlung für so ein kleines Nest wie Vegesack, sie lebte natürlich von der Persönlichkeit des jungen Buchhändlers. Der auch noch die schönste Frau unserer Schule geheiratet hatte, kaum dass die achtzehn war. Sie hatten sich bei den Proben zu Hindemiths Oper Die Harmonie der Welt kennengelernt, bei denen unser Schulchor mitwirkte (wie sie ➱hier lesen können). Conrad Claus Otto war für Bremen-Nord so etwas wie ➱Eckart Cordes in Kiel, obgleich der Kieler Kulturpreisträger vielleicht noch mehr berühmte Autoren in seine Buchhandlung gelockt hat als Conrad Claus Otto in seine. Nach siebenundfünfzig Jahren hat Doris Otto im letzten Jahr die ➱Buchhandlung geschlossen. Der Ort ist tot. In meinem Kopf schleppe immer noch das Bild des Schaufensters mit dem Buch Der IKS-Haken mit mir herum. Aber das liegt daran, dass ich dieses photographische Gedächtnis habe, dass ich diese Photos nicht löschen kann. Ich schleppe natürlich auch immer noch ein Bild von der jungen schönen Doris Otto mit mir herum.

Den IKS-Haken habe ich nicht gekauft, der war mir mit 26 Mark zu teuer. Auf den Bücherwunschlisten, die ich damals anlegte, standen andere Bücher. Für 26 Mark bekam man schon zehn Bände von Fischers Reihe ➱Exempla Classica. Ich war bei der Bundeswehr und las gegen die allgemeine Verblödung an, die die Armee mit sich bringt. Allerdings muss ich im Nachhinein sagen, dass Catch-22 für diese Zeit auch genau gepasst hätte. Doch ich las Alfred de Vignys Glanz und Elend des Miltärs und Goethes Kampagne in Frankreich.

Joseph Hellers Catch-22 kam eines Tages in der Form dieses scheußlichen Corgi Books zu mir. Ich hätte es natürlich längst durch eine Hardcover Ausgabe ersetzen können (alle anderen Bücher von Joseph Heller besitze ich als Hardcover), aber ich habe mir gedacht: don't judge a book by its cover. Mein Leseerlebnis von Catch-22 steckt in genau diesem Buch. Keins der anderen Bücher von Joseph Heller war so gut wie dieses. Als ihm ein Reporter einmal sagte, dass er nie wieder ein so gutes Buch wie Catch-22 geschrieben habe, blaffte Heller zurück: Who has? Es hat einige Zeit gebraucht, bis man das Talent von Joseph Heller wirklich erkannte. Denn dies war nicht nur ein witziger Besteller über den Krieg, der langsam ein Kultroman wurde, dies war wirklich große Literatur.

Was einige schon am Anfang der sechziger Jahre wussten. So Philip Toynbee, der 1962 im Observer schrieb: When I began reading 'Catch-22', I thought it was a farcical satire on life in the United States Army Air Force. Later I believed that Mr. Heller's target was modern war and all those who are responsible for waging it. Still later it seemed that he was attacking social organisation and anyone who derives power from it. But by the end of the book, it had become plain to me that it is—no other phrase will do—the human condition itself which is the object of Mr. Heller's fury and disgust. A reviewer must always keep an anxious eye on the state of his currency. If he announces too many masterpieces he risks inflation (though it is sometimes forgotten by some of us that the cowardice of perpetual crabbing receives its own kind of punishment). It does not seem many weeks since I was proclaiming that Malcolm Lowry's 'Under the Volcano' is one of the great English novels of this century; and not long before that I was urging that attention should be paid to the magnificent and neglected talent of William Gerhardt. But at the risk of inflation I cannot help writing that 'Catch-22' is the greatest satirical work in English since 'Erewhon'.

In Deutschland gab es mit Hans Magnus Enzensberger, dem der Spiegel 1964 viel Platz für seine ➱Rezension einräumte, immerhin eine ähnliche Stimme. Sonst weiß ich nicht so viel von der Rezeption des Romans in Deutschland (über die in England und Amerika weiß ich mehr, weil ich das 'Catch-22' Casebook von Kiley und McDonald besitze). Das Exemplar im Schaufenster von Conrad Claus Otto wanderte nach einem halben Jahr in einen Schaukasten im Hauseingang. Das war immer ein sicheres Zeichen, dass ein Buch den Zenith seines Erfolges überschritten hatte. Das nächste Stadium war dann der Grabbelkasten. Wo ich 1967 - das muss ich wegen des ➱Wagner Posts gestern doch noch erwähnen - das Buch von Max Moser, Richard Wagner in der englischen Literatur des 19. Jahrhunderts, billig erstand. Das war ein Band aus der Buchreihe Schweizer Anglistische Arbeiten, man musste die Seiten noch aufschneiden. Es gehörte unternehmerischer Mut dazu, in der Provinz einen solchen Reihentitel im Sortiment zu haben.

Joseph Heller wurde heute vor neunzig Jahren geboren. Ich bin ihm ein anhänglicher Leser gewesen, von ➱Something Happened bis zu seinen Autobiographien ➱No Laughing Matter und ➱Now and Then.  Sein letzter Roman, Portrait of an Artist as an Old Man: A Novel erschien kurz nach seinem Tod. In ihm versucht ein Autor, der einmal einen großen Erfolg hatte, einen neuen, erfolgreichen Roman zu schreiben. Das erste Kapitel des Roman heißt Tom:

"Tom."
No answer.
"Tom."
Still no answer.
"Oh, shit," said Aunt Polly. "Where in the world can that boy be this time, I wonder?"
That boy, Tom Sawyer, was lounging in an armchair up front in the parlor in his new Armani cashmere sport jacket, complacently calculating the overnight appreciation of his stock and bond holdings as he waited for four of his friends to come by in the leased stretch limousine with insolent smoked windows to take them all to the luxury box in the stadium for the big game -- football or basketball, he had forgotten which, perhaps a prizefight. It did not matter to him. What mattered was that he be there. He had bedecked himself in a Turnbull & Asser shirt of aubergine vertical stripes with a gleaming white collar, unbuttoned at the neck. His suspenders were wide and of a red-and-black polka dot. Proudly and deceptively, he had already devised a tricky new riddle to entrap his gullible pals once more into bets of $300 each they were sure they'd win and were certain to lose. He would entice them at the start with an idle observation, as though thinking out loud, the vague surmise "You know, it really is hard for me to accept the fact that -- "
Oh, shit, sighed the elderly author with great regret, and decided to give up on this book too.
Listlessly, he rolled the ballpoint pen away. The last thing he wanted to do now, he told himself, was tax his brain to devise a convincing crafty riddle for the expectations raised in the text in order to move it along...


This book-length parody of the quintessential American pop novel 'Tom Sawyer', with a contemporary Tom Sawyer and a law degree from Yale or a master's degree in business administration from Harvard, was definitely not going to forge in the smithy of his soul the uncreated conscience of the world, or his race, whichever. Not now, he reflected with a rueful smile, certainly not this one in what he had already begun thinking of privately, with dismaying irony, as this last portrait in literary form by the artist as an old man. Although that, as always, was never for a minute what he seriously had in mind. And not even James Joyce had succeeded in making that long stretch to metaphysical perfection in his 'Portrait of the Artist as a Young Man'. But this latest gambit, he now judged, was simple, hackneyed satire, affording no space for expanded aesthetic experimentation or for ambivalent domestic conflicts or wrenching tragedies, and of a kind that swarms of gifted newspaper and magazine writers could do in half a day with eight hundred words, while he would need three or four years for his novel and fill four hundred pages.

A lifetime of experience had trained him never to toss away a page he had written, no matter how clumsy, until he had gone over it again for improvement, or had at least stored it in a folder for safekeeping or recorded the words on his computer.


Gut, er handhabt das name dropping von Klamottenfirmen (trägt irgendjemand noch Armani?) noch  nicht so routiniert wie Tom Wolfe oder Bret Easton Ellis in American Psycho. Aber Sie sehen schon, den Hang zu Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung hat der Autor nie verloren.

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