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Sonntag, 16. Juni 2013

Bloomsday


Im letzten Jahr gab es hier nichts zu Joyce, da gab es etwas zu dem australischen Maler ➱John Peter Russell. Aber im Jahr davor, da habe ich an den Bloomsday gedacht. Der natürlich nach Leopold Bloom benannt wurde, dem Helden von James Joyces Roman Ulysses. Seine Erlebnisse in Dublin am 16. Juni des Jahres 1904 sind der Inhalt des Romans. Er tritt nicht gleich zu Anfang des Roman auf, er kommt erst im zweiten Kapitel. Das mit den Sätzen beginnt: Mr Leopold Bloom ate with relish the inner organs of beasts and fowls. He liked thick giblet soup, nutty gizzards, a stuffed roast heart, liverslices fried with crustcrumbs, fried hencods' roes. Most of all he liked grilled mutton kidneys which gave to his palate a fine tang of faintly scented urine.

Ich habe zur Feier des Tages meine Ulysses Ausgabe aus dem Regal geholt. Das ist die alte Penguin Ausgabe, die mir die liebste ist (ich habe noch andere, aber den Corrected Text von ➱Hans Walter Gabler mag ich nicht). Vorn steht mit Bleistift notiert, dass ich das Buch 1968 gelesen habe. In meiner deutschen Ausgabe, deren irisches Grün schon ziemlich verblasst ist, steht das Datum XII 1960. Es ist die alte Übersetzung von Georg Goyert, vom Verfasser autorisierte Übersetzung steht im Buch. Joyce hat Teile davon gelesen, aber seine Deutschkenntnisse waren nicht so toll. Er war ja froh, dass er Geld vom Rhein Verlag in Zürich bekam, da autorisiert man auch schon mal eine Übersetzung. Es sollen achtundachtzig Seiten gewesen sein, die Joyce und Goyert, der mit dem getippten Manuskript aus München gekommen war, gemeinsam durchgearbeitet haben.

So steht es in Richard Ellmanns James Joyce Biographie (die natürlich, das wissen wir alle, die beste Joyce Biographie ist). Joyce und Goyert haben sich noch einmal in Paris getroffen und standen in der Folgezeit in brieflicher Verbindung. Dr Georg Goyert, den der Rhein Verlag durch einen Übersetzungwettbewerb gefunden hatte, hat dann für den Rhein Verlag noch viel mehr an Joyce übersetzt. Auch Stuart Gilberts Buch (in dem sich diese nützliche ➱Skizze findet, die Joyce für Gilbert gezeichnet hatte) Das Rätsel 'Ulysses': Eine Studie hat er 1932 übersetzt. An Finnegans Wake hat er sich aber nicht herangetraut. Allerdings hat er 1946 in der Zeitschrift Die Fähre das Kapitel Anna Livia Plurabelle veröffentlicht (der Übersetzer der lieferbaren Suhrkamp Ausgabe von Anna Livia Plurabelle ist aber nicht Goyert, sondern Wolfgang Hildesheimer). 

Teilübersetzungen von Finnegans Wake hat es von einer Vielzahl von Autoren gegeben (sogar Arno Schmidt war daran interessiert und hatte sich in Teilen versucht), aber der deutsche Leser musste bis 1993 auf eine Übersetzung des ganzen Werks warten. Man hätte es natürlich bei der Idee belassen können, die Dieter E. Zimmer 1967 in der ➱Zeit vortrug, als er über die Pläne von Unseld berichtete, den ganzen Joyce zu veröffentlichen: Was mit 'Finnegans Wake' geschehen soll, ist noch nicht entschieden. Am vernünftigsten erscheint mir selber der Plan, eine kommentierte Edition des Originaltextes (rechts er, auf den linken Seiten die Erläuterungen) in die Gesamtausgabe einzureihen – denn ich glaube nicht, daß eine Übersetzung denkbar ist, die genug vom Original bewahrte, um die nur zu gut vorstellbare, wahnwitzige Mühe eines solchen Unterfangens zu rechtfertigen; und das nicht etwa, weil die Übersetzer zu unzulänglich wären, sondern weil die Sache selbst es verbietet.

1993 erschien Dieter H. Stündels Finnegans Wehg. Kainnäh ÜbelSätzZung des Wehrkeß fun Schämeß Scheuß. Der Übersetzer hatte genau so lange an seiner Übersetzung gearbeitet, wie James Joyce gebraucht hatte, um das Buch zu schreiben. Nämlich ganze siebzehn Jahre. Zur Qualität der Übersetzung kann ich jetzt wenig sagen, da ich das Buch noch nie von Anfang bis Ende gelesen habe (das Original übrigens auch nicht), aber es ist sehr originell. Wenn auch Friedhelm Rathjen damals zeterte und von einer Spielwiese zum Austoben der eigenen Kalauerwut und einem Schildbürgerstreich der Übersetzungsgeschichte sprach. Aber wenn ich irgendjemand nicht erst nehme, dann ist es dieser ➱Rathjen, gegen dessen Moby-Dick Übersetzung ich einiges zu sagen hätte. Sehr viel abgewogener ist da der Schweizer Joyce Kenner Fritz Senn, der in seiner Besprechung in der NZZ 1993 (Wegh zu Finnegan?) viel Positives zu Stündel zu sagen wusste. Ich habe das Buch damals nicht gekauft, als es frisch auf den Markt kam. Da kostete es nämlich - 1.264 Seiten, deutsch-englisch - stolze 840 Mark. Es war aber auch zehn Kilo schwer, ein Trumm von einem Buch. Schon beinahe vergleichbar mit Arno Schmidts Zettels Traum. Das Buch fiel dann im Laufe der Zeit im Preis, bis es der ➱Zweitausendeins Verlag ganz preiswert herausbrachte.

Natürlich besitze ich auch die neue Ulysses Übersetzung von Hans Wollschläger (die ich auch gelesen habe), über die der Übersetzer sagte Unter der Schwierigkeit der Übersetzung war ich am Anfang so resigniert, daß ich eine richtige Wut hatte auf das Buch und den Mann. Acht Jahre hat er daran gearbeitet, und der Suhrkamp Verlag hat ihm dafür jeden Monat das Gehalt eines Oberstudienrats gezahlt (es gibt ➱hier einen interessanten Artikel von Dieter E. Zimmer zu der Übersetzung). Soviel Geld hat James Joyce in den Jahren 1918 bis 1922 nicht für sein Werk bekommen. Der Rhein Verlag hatte zwar mehrfach angekündigt, dass er die Goyertsche Übersetzung überarbeiten lassen wollte, aber es ist nie dazu gekommen. Der Züricher Verlag wurde von dem Südwest Verlag gekauft, dessen Bestseller in den fünfziger Jahren ein Benimmbuch war, an dem die berüchtigte Benimmpäpstin (über die Friedrich Sieburg einmal sagte Allen Beteiligten wäre gedient, wenn Fräulein Pappritz… in den wohlverdienten Ruhestand träte) Erica Pappritz mitgearbeitet hatte. Der Geschäftsführer des Südwest Verlags sagte nach dem Kauf des Rhein Verlags Wir entwickeln keinen literarischen Ehrgeiz, sondern beobachten den Markt und verkaufte die Rechte an Ulysses umgehend an Suhrkamp. Samuel Beckett soll angeblich Tränen der Freude in den Augen gehabt haben, als er hörte, dass Joyce nun zu einem Suhrkamp Autor geworden war. Heute hat ja niemand mehr Tränen der Freude in den Augen, wenn er den Namen Suhrkamp hört.

Es ist eine kleine Fußnote der Literaturgeschichte, dass der Verlag Volk und Welt in den sechziger Jahren dem Rhein Verlag einen Vorschuss von 4.000 DM auf die Rechte einer DDR Ausgabe von Goyerts Ulysses gezahlt hatte. Aber die Devisenabteilung der DDR stellte sich quer und verhinderte die Auszahlung der restlichen 8.000 Mark. Als Suhrkamp dann die Rechte gekauft hatte, wollte man diesen Vorschuss nicht verloren geben und wartete auf die Neuübersetzung. Aber so preiswert wollte Unseld sein Prestigeprojekt nicht weggeben, er befürchtete auch, dass der Verkauf seines Ulysses (dessen Verkaufspreis für 140 Mark projektiert war) durch eine preiswertere DDR Ausgabe unterlaufen würde. So offerierte er dem DDR Verlag, sich mit 60.000 DM an dem Projekt zu beteiligen, das Wort von einem gewissen Kolonisatorengehabe auf geistigem Gebiet machte auf der Leipziger Buchmesse 1976 die Runde. 60.000 sei eine Null zu viel, monierte Verlagschef Jürgen Gruner und schrieb an Unseld: Wenn ich davon ausgehen darf, daß es sich nicht um einen Tippfehler handelt (Lizenzgebühr sechzigtausend), wird es Sie sicherlich nicht erstaunen, daß wir zu einer Lizenznahme zu solchen Bedingungen beim besten Willen nicht bereit sein können. Am Ende bezahlte man 40.000 Mark für die Wollschläger Übersetzung, und Ulysses erschien 1980 in der DDR.

Über die ➱Übersetzungen von Ulysses (hier noch ein interessanter Artikel) ist viel gestritten worden. Arno Schmidt urteilte über Goyert: handwerklich brauchbar (als Vorarbeit für den - hoffentlich - kommenden Besseren) : die Hälfte. der Rest? : eine Satire auf das grandiose Original! Was hätte er daraus gemacht, wenn er es hätte übersetzen sollen? Aber bei aller Kritik, ich liebe meine alte Ulysses Ausgabe, weil es mein erstes Leseerlebnis mit dem Roman war. Die Wollschläger Übersetzung hat großes Lob erfahren, aber so gut sie ist, am Original führt bei einem Sprachjongleur wie Joyce sowieso kein Weg vorbei.

Den kleinen Scherz mit der Schrift in irischgrün (rotzgrün würde Joyce gesagt haben) habe ich mir am Bloomsday mal gegönnt. Das Farbphoto von Joyce da oben ist vielleicht überraschend, beinahe alle Photos, die wir von ihm haben (zum Beispiel in dem schönen Suhrkamp Band James Joyce Bilder) sind schwarz-weiß. Aber dieses Farbphoto von ➱Gisèle Freund ist wirklich ein Farbphoto mit dem neuen Agfacolor Film, kein nachkoloriertes Schwarzweißphoto. Joyce mochte das Photo nicht so sehr: Gisèle ist hartnäckiger als ein Ire. Ich wollte nicht in Farbe aufgenommen werden, aber sie hat mich besiegt, sagte Joyce nach der Photosession. Er hatte dieses Photo am liebsten, das Carola Giedion Welcker von ihm in Zürich gemacht hatte. Die Karte oben ist von Vladimir Nabokov. Sie zeigt den Weg von Leopold Bloom und Stephen Dedalus durch Dublin am 16. Juni 1904. Ich wollte, ich hätte die damals schon gekannt, als mich die Baronin von Stoltzenberg vor Jahrzehnten nach vorne an die Dublin Karte rief. Ich habe das schon einmal ➱hier im Post zum Bloomsday 2011 beschrieben. Und wenn ich von den vielen Posts, in denen ich Joyce zitiert habe, noch einen hervorheben darf, dann ist das ➱The Lass of Aughrim (und versäumen Sie bitte nicht, den Film von John Huston anzuklicken).

1 Kommentar:

  1. Ich oute mich jetzt mal als Literaturbanause: Nur wegen der Übersetzung hab ich bisher kein Buch zweimal gelesen. Aus anderen Gründen, zum Beispiel weil es mir gefiel, durchaus.

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