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Freitag, 28. Juni 2013

Versailles


Hier in Versailles ist das Deutsche Kaiserreich 1871 ausgerufen worden. Und hier ist es untergegangen. Am 28. Juni 1919. Vielleicht ist hier damals auch das sogenannte Dritte Reich begründet worden; viele Historiker sind der Meinung, dass der Versailler Vertrag mit seinen Auswirkungen den Aufstieg der Nazis erst möglich gemacht. Weil das ja kein Friedensvertrag war, sondern ein Schandfrieden. Seit der Gallier Brennus in Rom angeblich vae victis gesagt hat, diktiert der Sieger.

Was dann auf dem Bild Brennus und sein Anteil an der Kriegsbeute von Paul Jamin verdeutlicht wird. Geschichte ist immer schön, wenn sie in Bildern erzählt wird. Es kommt nur darauf an, wer sie erzählt. Und weshalb. Erobert man Rom für eine Handvoll nackter Frauen? Oder ist der der französische ➱Orientalismus in verzweifelter Suche nach neuen Themen, um nackte Frauen auf der Leinwand zu zeigen? Reichten die lebensgroßen nackten Frauen auf Delacroix' Bild Der Tod des Sardanapal den Franzosen nicht aus? Ich bleibe mal eben bei dem vae victis des Brennus und komme damit auf Versailles zurück: Clemenceau dachte gar nicht daran, sich die Siegesfreude verderben zu lassen oder die Welt wieder aufzubauen. Wie sein Vorfahre Brennus hatte er nur einen Gedanken, nämlich 'Vae victis'. Er trägt daher auch in erster Linie die Schuld, wenn wir heute noch in einer verrückten Welt leben. Seit Versailles hat sich kein Staatsmann gefunden, der die Dame Europa aus den Gleisen Clemenceaus herausführte. Diese Dame hatte bekanntlich schon als 'mythologische Frau' einen üblen Ruf, da sie sich von einem Ochsen entführen ließ.

Der Mann, der hier so despektierlich über das uns heute heilige Europa redet, ist kein Geringerer als derjenige, der für Deutschland den Versailler Vertrag unterzeichnet hat. Nach einer schon bald nach dem Friedensschluss kursierenden Anekdote soll der Graf von Brockdorff-Rantzau für seine Unterschrift weiße Handschuhe angezogen haben, die er danach auf dem Tisch liegen ließ (oder in den Kamin warf). Cool. Ist etwas an der Geschichte dran? Sie begleitet mich seit meiner Kindheit, mein Opa liebte diese Geschichte. Seit 1936 gab es die Story auch in Buchform, weil ein gewisser Wilhelm Schäfer Die Handschuhe des Grafen von Brockdorff-Rantzau veröffentlicht hatte. Danach stand die Geschichte in jedem Lesebuch der Volksschulen. Und Schäfer beginnt seine Erzählung natürlich mit dem Gallier:

Wehe den Besiegten! höhnte Brennus, der gallische König, und warf sein Schwert in die Waage, als sich die Römer über falsches Gewicht beklagten; so mussten sie den tausend Pfund, die sie als Lösegeld gaben, das Gewicht des Schwertes hinzuwiegen, um die gallischen Horden aus dem geplünderten Rom wegzubringen. Der Sieger ist nicht zivilisiert wie wir, das sind gallische Horden. Die Verträge mit dem Gewicht des Schwertes machen. Dem kann man natürlich nur mit einem symbolischen Akt entgegentreten: Dann freilich, als er sich zu seiner ganzen Länge erhob, die Handschuhe abstreifte und auf den Tisch legte, mit einer gemessenen Verbeugung das Tribunal zu verlassen, war keiner der Ankläger mehr ungewiss, was diese Handlung bedeuten sollte. Sie sahen das weiße Leder vor dem leeren Platz des Grafen auf dem Tisch von Versailles liegen; und die Sonne, die aus der verstaubten Königspracht schräge Bahnen gegen die Fenster zog, die Anwälte der Siegermächte nach ihrem Belieben zu belichten und zu beschatten; die Sonne hatte sich leise verschoben, daß auf die weißen Handschuhe ein spöttischer Strahl fiel...

Ach, ist das ergreifend. Der Autor ist zu Recht von Hitler in die Gottbegnadeten-Liste aufgenommen worden. Als ich das damals las, war ich sieben oder acht. Damals las ich auch Ritterromane. Mir gefielen die großen Gesten, also diese Sachen wie Walter Raleigh, der seinen Mantel über die Pfütze wirft, damit seine Königin trockenen Fußes darüber schreiten kann. Oder wie es so schön in Sir Walter Scotts Kenilworth heißt: The night had been rainy, and just where the young gentleman stood a small quantity of mud interrupted the Queen's passage. As she hesitated to pass on, the gallant, throwing his cloak from his shoulders, laid it on the miry spot, so as to ensure her stepping over it dry-shod. Elizabeth looked at the young man, who accompanied this act of devoted courtesy with a profound reverence, and a blush that overspread his whole countenance. The Queen was confused, and blushed in her turn, nodded her head, hastily passed on, and embarked in her barge without saying a word.
"Come along, Sir Coxcomb," said Blount; "your gay cloak will need the brush to-day, I wot. Nay, if you had meant to make a footcloth of your mantle, better have kept Tracy's old drab-debure, which despises all colours."
"This cloak," said the youth, taking it up and folding it, "shall never be brushed while in my possession."


Wenn man in der Phase ist, in der man Sir Walter Scott liest, hat man immer ein offenes Auge für Pfützen und Königinnen. Aber eines Tages liest man ➱Mark Twain, und der sagt uns, dass das alles nicht wahr ist. Die Lektüre des Connecticut Yankee versaut einem jede Ritterromanze. Und je älter man wird, desto mehr muss man feststellen, dass so viele Dinge, an die man glaubte, nicht der Wahrheit entsprechen. Und so viele Bilder ein gefälschtes Bild der Geschichte präsentieren. Die Kaiserproklamation im Spiegelsaal hat wahrscheinlich nicht so ausgesehen wie auf dem Bild von Anton von Werner. Und vielleicht hat der Graf von Brockdorff-Rantzau bei seiner Vertragsunterschrift keine Handschuhe getragen, sondern so ausgesehen wie auf dem Photo oben. Natürlich ohne Ziggi.

1 Kommentar:

  1. Wenn ich die Geschichte nun richtig interpretiere, dann ist der Mann auf dem vorletzten Bild jener Graf von Versailles. Nein, nicht "von" sondern IN Versailles. Nur hat er gar keine Handschuhe an. Warum wohl? Waren sie ihm zu warm? Konnte er ohne besser schreiben? Oder zeigt das Bild gar eine andere Situation? Ich denke da an den Traualtar?
    Wieder ist ne schöne Rittergeschichte ganz profan vernichtet wurden. Wäre das ungefähr 1796 oder 1797 passiert, dann hätte es in einer berühmten Ballade vermutlich geheißen:
    "Er legt seine Handschuh auf den Tisch,
    den Dank, meine Herrn, begehr´ ich nicht!"

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