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Dienstag, 9. Juli 2013

Franz Xaver Winterhalter


Auf diesem Bild von Franz Xaver Winterhalter kommt einiges zusammen. Es hat den Titel The First of May 1851. Es wurde von der Königin Victoria in Auftrag gegeben und hängt heute im Schloss von Windsor. Wenn da jetzt noch Ochs und Esel drauf wären, wäre ein Bild der Heiligen Familie perfekt. Doch der weißhaarige Herr im Vordergrund kommt nicht aus dem Morgenland, es ist der Herzog von Wellington, der seinem Patenkind, dem Prinzen Artur, ein Geburtstagsgeschenk zum ersten Geburtstag überreicht. Der kleine Prinz revanchiert sich für das Geschenk mit einem Strauß Maiglöckchen. Denn auch der Duke of Wellington hat an diesem ersten Mai Geburtstag. Der Herzog trägt die Uniform eines Feldmarschalls, das steht ihm zu. Albert trägt auch die Uniform eines Feldmarschalls, spätestens hier wird diese Travestie der Sacra Famiglia albern.

Der Prinzgemahl Albert, der übrigens with his wonderful knowledge and taste (so Victoria) dem Maler Ratschläge für die Komposition des Bildes gegeben hat, ist nicht so ganz bei der Sache. Sein Blick schweift auf den Crystal Palace im Hintergrund. Heute ist nicht nur Geburtstag, er hat mit seiner Gattin auch gerade die Great Exhibition eröffnet. Da war der kleine Artur nicht dabei. Der lag zuhause in seiner Wiege, der Herzog von Wellington saß neben ihm, er war zu früh zu seinem Besuch im Palast erschienen: The infant prince was in his cradle,—and the Queen abroad ; —-and the old warrior sat down to await the opening of those eyes that looked yet wonderingly upon the world in which he himself had played so long and great a part. Ach, ist das rührend. Franz Xaver Winterhalter war auch nicht im Crystal Palace, dies Bild von der Eröffnung der Weltausstellung wurde von Henry Courtney Selous gemalt. Ich habe das Bild schon einmal erwähnt, als ich den Post ➱Prince Consort schrieb. Wegen des kleinen Chinesen da vorne rechts. Der war nämlich gar kein Würdenträger aus dem Reich der Mitte, der kam direkt aus dem Londoner Hafen und hatte sich nur unter die Festversammlung geschmuggelt. Das ist irgendwie viel komischer als die unfreiwillig komische geschmacklose Inszenierung als Heilige Familie.

Inszenierung ist jetzt alles. Man will nicht länger aristokratisch daherkommen, man will sich als beinahe bürgerliche Familie zeigen. Und da kommt Franz Xaver Winterhalter, der heute vor 140 Jahren starb, gerade recht. How terrible is Winterhalter’s death, schreibt sie ihrer Tochter Victoria in Berlin, als sie die Nachricht vom Tode Winterhalters hört, His works will in time rank with Van Dyck. He painted you all from your birth. Und sie fügt hinzu: With all his peculiarities I liked him so much. In einem anderen Brief schreibt sie: Winterhalter's death is a terrible grief to me, he is an irreparable loss! I have known him for 42 years and he has painted us and our children, and I am surrounded here by his splendid pictures! Sie hatte andere Hofmaler gehabt, aber als sie den Deutschen 1841 an den Hof gelockt hat, werden die in den nächsten zwanzig Jahren beinahe arbeitslos. Bis auf Edwin Landseer, den schlägt sie 1850 zum Ritter.

Der malt zwar nicht so elegant wie Winterhalter (hier einmal die Royal Family von ➱Landseer gemalt, Windsor Castle in Modern Times heißt das Bild), aber er kann diese entzückenden Wauwis malen. Und Hirsche. Um seinen Monarch of the Glen zu sehen, ist die Königin extra mit der Bahn nach Edinburgh gereist. Wahrscheinlich hat sie dann davor gestanden wie Helen Mirren vor dem Hirschen in Stephen Frears' ➱The Queen. Das mit dem Hirschen in der Natur und später dem toten Hirschen waren ja rührende Szenen in dem Film, sie können uns natürlich daran erinnern, dass die Hirschjagd einmal ein königliches Privileg gewesen ist. Sir ➱Thomas Wyatt wusste in seinem Gedicht Whoso list to hunt, I know where is an hind, wovon er redete.

Landseer hat auch dieses Bild (Queen Victoria at Loch Laggan) 1847 gemalt, das die Königin für Albert als Weihnachtsgeschenk in Auftrag gegeben hatte. Es vereint die Leidenschaften des Ehepaares auf einem Bild: Albert, im Urlaub in Schottland ein Nimrod vor dem Herrn, hat mal gerade wieder einen Rothirschen geschossen, die Königin hat ihre Arbeit am einem Kunstwerk unterbrochen (beachten Sie die kleine Staffelei unten rechts). Und wie uns die Seite der ➱Royal Collection versichert: Even the Queen adopts a humble posture before the majesty and beauty of God’s creation, which she appreciates in her capacity as an artist and as a Christian. Irgendwo her muss Stephen Frears ja seine Ideen für die Filmszenen mit dem Hirschen haben.

Prince Albert (hier von Winterhalter gemalt), der Bühnenbildner und Designer der Theaterinszenierungen der königlichen Familie, der ja schon bei dem Bild vom First of May 1851 nicht mit guten Ratschlägen geizte (Winterhalter did not seem to know how to carry it out, hat die Queen gesagt), hatte an Landseers Familienbild ständig etwas zu mäkeln. Fünf Jahre malt Landseer daran, am Ende sind zwei der abgebildeten Hunde schon gestorben. Wahrscheinlich sind die Wauwis und die schottischen Hirsche für den schwer depressiven Landseer ein einfacherer Gegenstand gewesen. Für die große Welt der Königshöfe taugt Landseer nicht so wie der Fürstenmaler Winterhalter. Aber auf dem Gebiet der Tiermalerei ist er ein König. Oder wie ihm der König von Portugal in seinem wunderbar komischen Englisch sagt: Oh, I have so wished to make your aquaintance. I am so fond of beasts.

Es ist nicht nur das deutsch-englische Vorzeige Ehepaar, das Winterhalter malt. Alle Prinzen und Prinzessinnen werden von ihm gemalt. Das He painted you all from your birth im Brief Victorias an ihre Tochter ist schon berechtigt. Dies Bild zeigt den Thronfolger Edward in einer Verkleidung, die in Deutschland sehr bekannt wurde und eines Tages den schönen Namen Kieler Matrosenanzug tragen sollte. Der kleine Edward ist hier fünf Jahre alt, man hat ihm eine verkleinerte Matrosenuniform der Royal Navy geschneidert. Diese Art der Kinderbekleidung wird in der Folgezeit in der feinen englischen Gesellschaft chic. Und Victoria wird ihrem deutschen ➱Enkel Wilhelm auch so einen Anzug schenken, als er drei Jahre alt wird.

Damit beginnt in Deutschland der Siegeszug eines Kleidungsstückes, das heute nur noch von wenigen Kindern getragen werden muss. Und das die Firma ➱Bleyle, die diese feschen Teile seit 1890 im Programm hatte, reich gemacht hatte. Aber 1957 ließ man das letzte Modell (das den Namen Harold hatte) auslaufen. Woher diese amerikanische Ente ihre Jacken bekommt, weiß ich nicht. Vielleicht schreibe ich irgendwann noch einmal einen kleinen modegeschichtlichen Post, aber für heute begnüge ich mich mit dem Hinweis auf das Buch Der Matrosenanzug: Kulturgeschichte eines Kleidungsstücks von Robert Kuhn und Bernd Kreutz (Mann, bin ich froh, dass ich das beim Aufräumen letzte Woche zufällig wiedergefunden habe).

Wenn die Königin in einem Brief schreibt, I saw Winterhalter begin a picture of Affie [das ist der kleine Alfred], and in less than an hour he had produced an admirable likeness. He really is a wonderful artist, dann muss man dazu sagen, dass der Künstler es auch häufig bei diesem ersten likeness belässt. Den Rest machen die Assistenten in seinem Studio. Oder sein Bruder Hermann, hier rechts auf dem Selbstportrait von Franz Xaver Winterhalter. Der ist auch ein begabter Maler, er leitet auch dessen Pariser Studio. Und wo ich gerade Paris erwähnt habe, will ich nicht vergessen zu erwähnen, dass Winterhalter dort seinen Lebensmittelpunkt hat.

Da mag die englische Königin (hier der erste Winterhalter, den sie 1841 kauft) klagen, dass er ihre Briefe nicht beantwortet, dass er nicht nach England kommt: Winterhalter is most provoking, saying he won't come to England, that he has Russians and Poles to paint, that he is very ill and that he will paint me in the next month. This he cannot, for I go to Germany to be out and to see old friends and be quiet and not to be painted. He may give way, but I doubt it. Die Deutschlandreise, die sie hier anspricht, wird sie unter anderem zu ihrer Tochter Vicky nach Berlin führen, was ➱Eduard Gaertner malen wird. Ein ➱Bild, das so gar nichts von den Bildern Winterhalters hat.

Denn so sehr die englische Königin und Europas Hochadel (hier die französische Kaiserin Eugénie mit ihren Hofdamen) unseren Franz Xaver Winterhalter lieben, unter den Künstlern und Kunstkritikern ist sein Ansehen nicht so groß.  Ich zitiere mal eben (mit Genuss) aus dem wunderbaren Katalog Victoria & Albert. Vicky & The Kaiser, wo es heißt: Lord Redesdale beispielsweise meinte in der Bevorzugung dieses Malers ein Zeichen für die geistige Beschränktheit der Prinzessin zu erkennen, und Ruskin freute sich auf jenen Tag, an dem man sich 'der Schule des Schlamms - ganz allgemein - Winterhalters und der modernen gefühlsseligen deutschen Substanzlosigkeit - entledigt'.

Natürlich gibt es auch andere Maler der feinen Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Auch Maler, die besser malen als Winterhalter. Die nicht nur glatt lackierte Oberflächen abliefern. Damit meine ich Maler wie ➱Anders Zorn oder ➱John Singer Sargent. Dies ist das Portrait von Lord Ribblesdale, gemalt von Sargent, da sind wir natürlich malerisch in einer ganz anderen Liga. Zu dem viktorianischen Kunstpapst ➱John Ruskin - der für mich immer ein bête noir bleiben wird - und seinen netten Sätzen über die moderne gefühlsselige deutsche Substanzlosigkeit möchte ich noch sagen: wer ist denn schuld am schlechten Geschmack der Viktorianer? Kein anderer als John Ruskin. Die Deutschen mag er ja eh nicht, wie er schon in Modern Painters summarisch erklärte: The reader must have noticed that I never speak of German art, or German philosophy, but in depreciation. This, however, is not because I cannot feel, or would not acknowledge, the value and power, within certain limits, of both; but because I also feel that the immediate tendency of the English mind is to rate them too highly; and, therefore, it becomes a necessary task, at present, to mark what evil and weakness there are in them, rather than what good.

Ja, ich weiß auch, dass Franz Xaver Winterhalter Hochglanzkitsch produziert. Aber ich mag das, es entlockt mir auch eine gewisse Bewunderung für das technische Können des Mannes. Dies hier ist übrigens Algernon Freeman-Mitford, der erste Baron Redesdale. Wir wollen ihn nicht mit dem Lord Ribblesdale von John Singer Sargent verwechseln. Er ist in der Kunstwelt nicht so sehr hervorgetreten (Ribblesdale war immerhin Trustee der National Gallery), ist aber für die englische Kultur interessant, weil er der Großvater der Mitford Sisters ist. Aber das ist eine andere Geschichte, wie Kipling sagen würde.

Es ist mal wieder zu lang geworden. Fällt mir beim Schreiben nicht so auf, weil meine Tippkünste im Augenblick besser sind. Wahrscheinlich weil ich seit zwei Wochen ein neues Klavier habe und jeden Tag spiele. Über mein neues Klavier schreibe ich ein anderes Mal. Über Winterhalter und das Paris des Second Empire schreibe ich auch vielleicht ein anderes Mal. Bis dahin schauen Sie sich dies Bild von der eleganten Pauline von Metternich an. Oder lesen den Post über ➱Charles Frederick Worth.

Und dann wäre da natürlich noch Elisabeth von Österreich-Ungarn, vulgo Sissie. Und diese Bilderflut von Franz Winterhalter bis Romy Schneider. Das wäre auch ein schönes Thema. Wäre ich noch an der Uni, dann müsste ich jetzt zum Semesterende Klausuren und Seminararbeiten korrigieren, aber da ich jetzt Blogger bin, kann ich machen, was ich will. Das ist ein schönes Gefühl. Vielleicht schreibe ich noch mal über Sissie. Ich glaube, ich spiele jetzt erst einmal Klavier.


Franz Xaver Winterhalter hat (mit Hilfe seines Bruders und seines Studios) mehr als tausend Bilder gemalt. Einen Einblick in sein Werk bekommen Sie ➱hier.

1 Kommentar:

  1. Mann, das ist ja wieder eine Arbeit gewesen. Sie überraschen uns immer wieder. Vielen Dank.

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