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Samstag, 19. Oktober 2013

the rockets' red glare: Leipzig 1813


Heute vor zweihundert Jahren ist die Schlacht von Leipzig zu Ende gegangen. Da schreibt der einundsiebzigjährige Blücher nach Hause: Die zwei großen und Schönen Tage sind verlebt. den 18. und 19. Fihl der große Coloß wie die Eiche vom Stuhrm. er der große Tiran hat sich gerettet. aber seine knappen sind in unseren Henden. Man hat die Schlacht eine Völkerschlacht genannt. Es kämpften nicht nur Deutsche mit ihren russischen. österreichischen und schwedischen Verbündeten gegen die Franzosen, es kämpften auch Deutsche gegen Deutsche.

All die Staaten, die dem Rheinbund angehörten und weiterhin Napoleon die Treue hielten (wenn sie nicht wie Teile der sächsischen Armee die Seiten wechselten), mussten dem französischen Kaiser Truppen stellen. Der hatte wenig von seiner ➱Niederlage im vorigen Jahr in Russland gelernt. Soldaten, die er in den Tod schicken kann, bekommt er noch immer. Auf den Bildern, die die Maler von den Schlachten malen - und sie haben dank Napoleon in dieser Zeit genügend zu tun - sieht man meistens nur die Sieger, Monarchen und Generäle. Die Toten und der Schrecken des Krieges werden nicht gemalt, ➱Adolph Menzel ist da eine Ausnahme.

Es war in Leipzig auch eine kleine Einheit von Engländern dabei, die O Battery (The Rocket Troop) der Royal Horse Artillery, die fälschlich in vielen Zeitungen als Brigade oder gar als Corps bezeichnet wird. Korps und Brigade sind etwas viel Größeres als diese kleine englische Einheit von hundertfüfundvierzig Soldaten, die dem schwedischen Kronprinzen zugeordnet ist. Der heißt Jean-Baptiste Bernadotte (ja, der mit der spitzenbesetzten ➱Nachtmütze) und war einmal ein Marschall Napoleons, aber jetzt ist er der Thronfolger für den schwedischen Thron. Er hat zum Leidwesen von Blücher keine große Lust auf diese Schlacht, aber Blücher braucht ihn, da die schwedische Armee mehr Soldaten hat als die schlesische Armee, die er kommandiert.

Der Befehlshaber der englischen rocketeers ist ein Captain Richard Bogue. Man hält seine Truppe anfangs in der Reserve. Dass man ihren Künsten nicht vertraut, das kennen die Artilleristen mit ihren Congreve rockets (benannt nach ihrem Erfinder William Congreve) schon. Wellington mochte diese Einheit, die schon im Spanienkrieg eingesetzt worden war, überhaupt nicht. Ihre umherschwirrenden Raketen treffen alles mögliche, nur nicht das, was sie treffen sollen. In der Schlacht von Quatre Bras (die der Schlacht von ➱Waterloo vorausgeht) verbietet Wellington zum Leidwesen von Captain Whinyates (später General Sir Edward Charles Whinyates, K.C.B., K.H., hier im Bild) den Einsatz der achthundert Raketen: Captain Whinyates having joined the army with the rocket troop, the Duke, who looked upon rockets as nonsense, ordered that they should be put into store, and the troops supplied with guns instead. Colonel Sir G. Wood, instigated by Whinyates, called on the Duke to ask permission to leave him his rockets as well as guns. A refusal. Sir George, however, seeing the Duke was in a particularly good humour', ventured to say, ' It will break poor Whinyates' heart to lose his rockets.' ' Damn his heart, sir ! let my orders be obeyed,' was the answer thundered in his ear by the Duke, as he turned on the worthy Sir George." Aber dann lässt sich der Herzog doch umstimmen, Whinyates darf seine Raketen schießen. Das Ergebnis ist so, wie Wellington es geahnt hat, zwar wird eine französische Artilleriestellung getroffen, aber der größte Teil der Raketen schießt senkrecht in den Himmel. Oder trifft die Artillerie von Captain (später General) Mercer, der den Rückzug Wellingtons decken soll. Der Mann mit dem schönen Vornamen Cavalié wird mit seiner Batterie die Schlacht von Waterloo entscheiden.

Captain Mercer hat den Einsatz der Raketen später so beschrieben: The rocketeers had placed a little iron triangle in the road with a rocket lying on it. The order to fire is given - port-fire applied - the fidgety missile begins to sputter out sparks and wriggle its tail for a second or so, and then darts forth straight up the chaussée. A gun stands right in its way, between the wheels of which the shell in the head of the rocket bursts, the gunners fall right and left… our rocketeers kept shooting off rockets, none of which ever followed the course of the first; most of them, on arriving about the middle of the ascent, took a vertical direction, whilst some actually turned back upon ourselves - and one of these, following me like a squib until its shell exploded, actually put me in more danger than all the fire of the enemy throughout the day.

Captain Richard Bogue ist der ranghöchste englische Offizier auf dem Schlachtfeld von Leipzig. Gut, da ist noch Sir Charles Stewart (hier auf einem Portrait von ➱Thomas Lawrence), der ist zwar General (und hat auch eine glänzende Militärkarriere vorzuweisen, wie sein Spitzname Fightin' Charlie andeutet), aber der ist in seiner Funktion als englischer Sondergesandter am preußischen Hof in Leipzig. Der mischt sich nicht ein. Er hat genug damit zu tun, als Diplomat zwischen Blücher und Bernadotte zu vermitteln. Captain Richard Bogue scheint, wie viele Offiziere der englischen Armee, ein Dandy gewesen zu sein. So weiß eine englische Quelle in der Mitte des Jahrhunderts zu berichten: The commander of the rocket troop, Captain Richard Bogue, was a great favourite with the Prince Regent, by whom he was frequently invited to the Pavilion. He was strikingly handsome; indeed, so handsome was he, that the Brighton belles christened him 'Look and Die'. 

Bogue will sich bei der Schlacht von Leipzig nicht mit seiner Rolle in der Reserve zufriedengeben: Kapitän Bogue wendete sich an General Winzingerode, Kommandeur der militärischen Vorhut des Kronprinzen, gab seinem Wunsch Ausdruck, den Feind zu treffen, und bat um Erlaubnis, einzugreifen. Der General, ein Mann von viel Ritterlichkeit und Anspruchsgeist, erlaubte ihm, als Beschützer einer Schwadron Dragoner, zu folgen. Kapitän Bogue verlor keine Zeit mit dem Angriff auf das Dorf Paunsdorf, das im Besitz von fünf feindlichen Armeen war, um vor der gesamten Einheit ein höchst zerstörerisches Feuer zu eröffnen. Das wurde mit Musketen erwidert und für einige Zeit folgte ein lebhafter Kampf, bis die Feinde außerstande waren, das gut gezielte Feuer von der Brigade des Kapitäns Richard Bogue, zu ertragen, er fiel daraufhin in Verwirrung und begannen, sich zurück zu ziehen. 

Kapitän Bogue nutzte den Moment und wechselte an die Spitze des Dragonergeschwaders und der Feind, der angsterfüllt seine Annäherung bemerkte, drehte um. Die Brigade bestand aus zwei- bis dreitausend Mann, die vor der Raketentruppe kapitulierten, obwohl diese nicht einmal zweihundert Mann zählte. Die Information über diesen Erfolg wurde dem Prinzen übermittelt. Er schickte seinen Dank an Kapitän Bogue für seinen bedeutenden Dienst und forderte zugleich, diese Aktivitäten, fortzusetzen. Der russische General Wittgenstein soll über die Raketen gesagt haben: "Sie sehen wurden sie in der Hölle gemacht und sind bestimmt des Teufels eigene Artillerie." Und ein anderer Augenzeuge schreibt: Mit entsetzlichem Zischen und Toben fahren sie in die dichten Vierecke der Franzosen und sprengen die lichterloh brennenden Männer auseinander. Captain Bogue wird am 18. Oktober durch eine französische Gewehrkugel tödlich verletzt, sein ➱Grab ist (heute immer noch in gutem Zustand) auf dem Friedhof von Taucha.

Die O Battery der Royal Artillery trägt noch immer Leipzig 1813 in ihrem Regimentswappen. Man hat sich der deutschen Rechtschreibung angepasst, die ursprünglichen battle honours lauteten Leipsic. Die schwedische Flagge darf natürlich nicht fehlen. Die Einheit bekommt noch jedes Jahr Post vom schwedischen König und bringt in jedem Jahr bei ihrem battle dinner einen Toast auf ihn aus. Mit Aquavit. In diesem Jahr wird ihr Kommandeur Major Iain Harrop mit einer Abordnung bei den Feierlichkeiten der Zweihundertjahrfeier in Leipzig sein. Die Engländer haben die Schlacht an diesem Tag nicht entschieden, aber Militärhistoriker gestehen ihnen heute eine viel größere Rolle als bisher zu. Denn in den meisten Geschichtswerken werden sie nicht erwähnt, in Blüchers Briefen taucht das neumodische Zeug nicht auf.

Wäre Bogue bei dem Sieg in Paunsdorf bei seiner kleinen Batterie geblieben, wäre ihm wohl nichts geschehen, aber er musste ja unbedingt mit der schwedischen Kavallerie hinter den fliehenden Franzosen hinterher galoppieren. Nach seinem Tod übernimmt der Neffe des Earl of Ilchester, der Leutnant (später General) ➱Thomas Fox-Strangeways, das Kommando der Einheit. Der russische Zar wird ihm dafür noch auf dem Schlachtfeld den Orden der Hl. Anna verleihen. Die Engländer haben in der Völkerschlacht die geringsten Verluste von allen zu ertragen, neben Bogue stirbt der Kutscher James Jenkins, sechs Kanoniere werden verletzt. Und sechs Pferde sind tot, zwanzig verletzt. Doch das ist nichts gemessen an den Opfern, die diese Schlacht fordern wird. Es ist, wie Gneisenau an seine Frau schreibt, ein Schauspiel, wie es das seit Tausenden von Jahren nicht gegeben hat. Auf meilenlangen Strecken liegen die Toten und Verstümmelten. Unser Angriff auf Leipzig war sehr blutig. Das ist wahrscheinlich noch untertrieben.  Eine halbe Million Soldaten haben in diesen vier Tagen hier gekämpft, die Toten werden auf 100.000 bis 120.000 geschätzt.

In Taucha gedenkt man immer noch jedes Jahr am 18. Oktober der Engländer. Auch der schwedische Kronprinz hat die Taten von Captain Bogue nicht vergessen. Aus seinem Hauptquartier in Kiel schreibt er am 6. Januar 1814 an die Witwe von Richard Bogue einen Beileidsbrief und übersendet ihr den Kungliga Svärdsorden (Leutnant Fox-Strangeways bekommt auch einen). Und er lässt ihr eine erhebliche Geldsumme zukommen, er weiß schon, was er den englischen rocketeers an diesem Tag verdankt. Der Brief (und eine Vielzahl anderer Dokumente) findet sich in einem kuriosen Buch: Memoirs and Campaigns of Charles John, Prince Royal of Sweden (London 1814) von einem englischen Militärschriftsteller namens John Philippart. Es ist weniger eine Biographie als eine riesige, konfuse Materialsammlung, ich liebe das Buch. Mein Exemplar hat eine königliche Provenienz, ich habe in dem Post ➱Ernst August schon darüber geschrieben.

Diese Raketen, die William Congreve erfunden hat, müssen wir uns nicht wie richtige Raketen vorstellen, eher wie ➱Feuerwerkskörper (hier gibt es bewegte Bilder), die man zu Silvester verschießt. Sie sind billig in großen Mengen herzustellen, man kann sie leicht in großer Zahl transportieren. Sie sind, wenn wir genau sind, nicht die Erfindung von Congreve. Wellington hatte sie schon kennengelernt, als er noch nicht der Herzog von Wellington war, sondern Colonel Arthur Wellesley hieß und in Indien kämpfte. Da kannten die Engländer diese Waffe noch nicht, aber der Vorläufer der Stalinorgel wird bald bei ihnen Mysorean rocket heißen. Es sind die Inder, die sie erfunden haben und gegen die Engländer einsetzen.

Doch die Engländer, die überall auf der Welt Krieg führen, lernen schnell von ihren Gegnern. William Congreve (der im Gegensatz zu seinem Vater kein Armeeoffizier ist, sein Titel Colonel ist nur ein Ehrentitel) lässt sich aus Indien erbeutete Raketen nach England schicken, um sie nachzubauen und zu verbessern. Man setzt sie überall ein, in Spanien im Kampf gegen Napoleons ➱Marschälle, in Kopenhagen, um die Stadt in Brand zu schießen. Und in Amerika, im Krieg von 1812. Daran denken die Amerikaner wohl nie, wenn sie ihre ➱Nationalhymne singen, die Francis Scott Key nach der Nacht der Belagerung von Fort McHenry geschrieben hat. Wahrscheinlich liegt das daran, dass die meisten Amerikaner den Text nicht kennen.

Doch in der fünften Zeile, die And the rockets' red glare, the bombs bursting in air heißt, da sind sie, die englischen Congreve rockets. Francis Scott Key hat sie die ganze Nacht beobachten können. William Congreve ist nicht bei der Schlacht von Leipzig dabei gewesen, obgleich das der Artikel im Dictionary of National Biography behauptet, aber er hat natürlich die Presseberichte verfolgt. Und der russische Zar hat ihm nach der Schlacht den Orden des Heiligen Georg verliehen, in Anerkennung der Taten der englischen rocketeers bei Leipzig.

Kurz vor seinem Tod soll er das Schlachtfeld von Leipzig besucht haben. Da lebte er schon verfolgt von seinen Gläubigern in Frankreich. Er konnte seine Beine nicht mehr bewegen, hatte sich aber - Erfinder bis zuletzt - einen Rollstuhl gebaut: Towards the latter part of his life having lost the use of his legs, he had invented a chair or sofa, which enabled him to move himself about his apartment without any assistance; this machine occasionally served him for a bed. Es ist irgendwie eine rührende Vorstellung, wenn der Erfinder der Congreve rockets auf seinem Rollstuhl über das Schlachtfeld geschoben wird.

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