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Donnerstag, 28. November 2013

Robert Graves


Robert (von Ranke) Graves, der uns letztens in dem Post ➱Aktmalerei begegnete, ist ein englischer Dichter gewesen. Den Namenszusatz von Ranke hat er in vielen Nachschlagewerken, seine Mutter war eine Großnichte des berühmten deutschen Historikers. Von seinen Gedichten hätte er nicht leben können, aber er hat eine Vielzahl von Büchern geschrieben, die zu Bestsellern wurden. Wie zum Beispiel den historische Roman I, Claudius (hier Derek Jacobi in der BBC Verfilmung). Seine Einführung in die Götterwelt der Griechen, The Greek Myths, bleibt unübertroffen. Ich habe das Buch schon in dem Post ➱Heldensagen erwähnt, ein Post, der zu meiner großen Überraschung x-tausend Leser gefunden hat. Ist die Antike wieder in?

Seine Autobiographie über seine Jugend, seine Familie und den Ersten Weltkrieg mit dem Titel Goodbye to all that zählt für mich zu den eindrucksvollsten Büchern, die der Krieg hervorgebracht hat. Den der Captain Graves unsentimental und manchmal sehr komisch beschreibt. Wenn man fälschlicherweise für tot erklärt wird und seinen eigenen Nachruf in der Times lesen kann, entwickelt man wahrscheinlich solche Distanz. Das ist meilenweit von ➱Ernst Jüngers Der Kampf als inneres Erlebnis entfernt. Das Buch wäre immer noch uneingeschränkt meine Leseempfehlung. Nicht jeder wäre dieser Meinung. Graves' Vater (a minor Irish poet) war über das Buch so erzürnt, dass er als Antwort 1930 eine eigene Autobiographie To Return to All That schrieb.

Im Jahre 1962 (damals war Graves sogar auf der Liste der Nobelpreis Jury) hat W. H. Auden Robert Graves England's greatest living poet genannt. Professional compliments are always pleasing, wie Doc Boone in ➱Stagecoach sagt. Aber sein Lebenswerk ist schon eindrucksvoll: über 140 Bücher, davon fünfundfünzig Gedichtbände (die er immer wieder überarbeitet hat). Dazu kommen fünfzehn Romane, zehn Übersetzungen und vierzig Bände Essays und autobiographische Skizzen. Robert Graves war zweimal verheiratet, und er hatte eine lebenslange Affäre mit der Schriftstellerin Laura Riding. Wir können davon ausgehen, dass er die Frauen kennt. Er hat auch neben seinen vielen Büchern über die Antike schöne Liebesgedichte (die Liebe ist beinahe monoman das Hauptthema seiner Lyrik) und wunderbar witzige Gedichte über das Zusammenleben von Mann und Frau geschrieben. Die ein bisschen mehr nach John Betjeman klingen als nach dem Verfasser von The White Goddess. The deep melancholy and almost neurotic sense of fear and anxiety in much of his poetry is counterbalanced by a robust and irreverent sense of humour, sometimes bawdy, and by moments of very pure lyrical tenderness, schreibt der schottische Dichter George Sutherland Fraser in David Daiches' unübertroffenem Penguin Companion to English Literature.

Ich zitiere als Beispiel für diesen Humor mal eben den ➱Anfang von A Slice of Wedding Cake (Sie könnten ➱hier auch noch Beauty in Trouble lesen, dann bekommen Sie einen schönen Eindruck):

Why have such scores of lovely, gifted girls
Married impossible men?
Simple self-sacrifice may be ruled out,
And missionary endeavour, nine times out of ten.


Obgleich Robert Graves dichterisches Werk zur Moderne gehört, ist er in vielem sehr traditionell. Manchmal ist man bei all den Experimenten der Moderne ja geradezu glücklich, in einem Gedicht Reim und Versmaß wiederzufinden. Wie zu Beispiel in The Naked And The Nude. Das Gedicht erschien ein Jahr nach Kenneth Clarks Buch The Nude im New Yorker, und es scheint eins der  Gedichte von Graves gewesen zu sein, das er selbst am meisten schätzte. Es scheint auch im anglo-amerikanischen Bereich ein Lieblingsgedicht von Lehrern zu sein, davon zeugt eine Vielzahl von Kommentaren im Internet. Viele Literaturwissenschaftler sind der Meinung, dass Graves das Gedicht nicht geschrieben hätte, wenn er Kenneth Clarks The Nude: A Study of Ideal Art nicht gelesen hätte. Manche Wissenschaftler sind allerdings der Meinung, dass das Gedicht eine Reaktion auf den Artikel The Naked and the Nude (1910) des Malers ➱Walter Sickert ist (zu Sickert gibt es ➱hier einen Post). Aber bis auf den gleichen Titel gibt es da nicht viel Ähnlichkeiten.

Dass Graves' Gedicht eine Art Antwort auf Kenneth Clark ist, kann man leicht erkennen, denn die erste Strophe des Gedichts erscheint wie eine Replik auf ein Zitat von Kenneth Clark, wenn der den Begriff the nude gleich im ersten Absatz seines Buches definiert: The English language, with its elaborate generosity, distinguishes between the naked and the nude. To be naked is to be deprived of our clothes, and the word implies some of the embarrassment most of us feel in that condition. The word “nude,” on the other hand, carries, in educated usage, no uncomfortable overtone. The vague image it projects into the mind is not of a huddled and defenseless body, but of a balanced, prosperous, and confident body: the body re-formed. In fact, the word was forced into our vocabulary by critics of the early eighteenth century to persuade the artless islanders that, in countries where painting and sculpture were practiced and valued as they should be, the naked human body was the central subject of art.

Dem antwortet Robert Graves mit sechs Zeilen:

The Naked And The Nude

For me, the naked and the nude
(By lexicographers construed
As synonyms that should express
The same deficiency of dress
Or shelter) stand as wide apart
As love from lies, or truth from art.

Und weil das Gedicht so schön ist, serviere ich hier noch einmal den Rest:

Lovers without reproach will gaze
On bodies naked and ablaze;
The Hippocratic eye will see
In nakedness, anatomy;
And naked shines the Goddess when
She mounts her lion among men.

The nude are bold, the nude are sly
To hold each treasonable eye.
While draping by a showman's trick
Their dishabille in rhetoric,
They grin a mock-religious grin
Of scorn at those of naked skin.

The naked, therefore, who compete
Against the nude may know defeat;
Yet when they both together tread
The briary pastures of the dead,
By Gorgons with long whips pursued,
How naked go the sometimes nude!

Ich habe mich mal im Netz umgeschaut, ob ich eine Übersetzung diese Gedichts finden konnte. Es gab ja bei Suhrkamp einen Band mit Gedichten von Graves: Das kühle Netz. The Cool Web: Gedichte (der schöne Übersetzungen von Wolfgang Held enthält, leider aber keine von The Naked And The Nude). Und ich weiß auch, dass ➱Wilhelm Lehmann, der im Ersten Weltkrieg in die englische Kriegsgefangenschaft desertierte, von Graves beeinflusst war und einige Gedichte von ihm übersetzt hat. Und das, was Graves zur Dichtung gesagt hat, sehr genau gelesen hat. Aber das Treffen mit Graves in London (lesen Sie ➱hier mehr), das ➱Michael Hamburger arrangiert hatte, war für Lehmann eine große Enttäuschung. Eine Übersetzung von The Naked And The Nude habe ich doch im Internet gefunden. Und zwar auf der Seite eines gewissen Bryant McGill (a Best-Selling Author, Speaker and Activist in the Fields of Self-Development, Personal Freedom and Human Rights), der angeblich auch ein Dichter ist.

Ich lasse mal alle Übersetzungstheorien draußen vor (wenn Sie irgendwo noch ein Exemplar von ➱Fritz Güttingers Zielsprache finden, kaufen Sie es!) und mokiere mich auch nicht über Google Translate. Aber das auf der Seite von Bryant McGill ist eine Übersetzung, die so schreiend komisch ist, dass ich sie hier unbedingt abdrucken muss. Die Komik beginnt damit, dass Robert Graves in Robert Gräber eingedeutscht wird. Und der Gedichttitel heißt dann Das Blanke Und Der Nude:

Für mich, den blanken und nude (durch die Lexikographen analysiert als 
Synonyme, die den gleichen Mangel des Kleides oder des Schutz  
ausdrücken sollten), Standplatz wie weit auseinander als Liebe von 
den Lügen oder von der Wahrheit von der kunst. 
Geliebte ohne Vorwurf starren die blanken Körper und in Flammen an; 
Das hippokratische Auge sieht in Nacktheit, Anatomie; Und blanke 
Shines die Göttin, wenn sie ihren Löwe unter Männern anbringt. 
Der Nude sind fett, der Nude sind schlau, jedes treasonable Auge zu 
halten. Beim Drapieren durch den Trick eines Showmans ihres dishabille 
in der Rhetorik, grinsen sie ein verspotten-frommes Grinsen von 
verachten an denen der blanken Haut. 
Das blanke folglich das gegen den Nude konkurrieren, kann Niederlage 
kennen; Dennoch wenn sie beide zusammen sind die briary Weiden der 
Toten treten, durch Gorgons mit den langen ausgeübten Peitschen, wie 
blank der einmal Nude gehen! 

Ist dies das Werk von Mensch oder Maschine? Da kann man doch nur ein Gedicht von Vladimir Nabokov zitieren, das von seinen Schwierigkeiten mit der Übersetzung von Puschkin handelt. Es heißt On Translating Eugene Onegin:

What is translation? On a platter
A poet's pale and glaring head,
A parrot's screech, a monkey's chatter,
And profanation of the dead.
The parasites you were so hard on
Are pardoned if I have your pardon,
O Pushkin, for my stratagem.
I travelled down your secret stem,
And reached the root, and fed upon it;
Then, in a language newly learned,
I grew another stalk and turned
Your stanza, patterned on a sonnet,
Into my honest roadside prose—
All thorn, but cousin to your rose.

Robert Graves hat selbst sehr viel übersetzt, von Homer bis zu dem Rubaiyya't von Omar Khayyam. Und man kann immer nur dankbar sein, wenn ein feinfühliger Dichter einen Kollegen aus einer fremden Kultur in die eigene transferiert. In der Dichtung sind wir nicht bereit, das zu akzeptieren, was uns in den Bedienungsanleitungen japanischer Elektrogeräte geboten wird: A parrot's screech, a monkey's chatter, And profanation of the dead. Denn, wie der amerikanische Dichter und Übersetzer Willis Barnstone in seinem immens lesenswerten ➱ABC of Translating Poetry sagt: A translation is a friendship between poets. There is a mystical union between them based on love and art. As in ordinary religious mysticism, the problem of ineffability exists: how do you find words to say the unsayable? Since a vision cannot be replicated, you seek equivalents for the other. 


Es gibt im Internet eine Seite der Robert Graves Organisation, die viele Materialien enthält. Der Band Das kühle Netz. The Cool Web: Gedichte, zweisprachig (mit den Übersetzungen von Wolfgang Held) ist bei Suhrkamp lieferbar

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