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Sonntag, 18. Mai 2014

Officially Certified


Nein, sagte ich zu meinem Uhrmacher, nicht schon wieder eine Omega. Er hatte mir gerade eine ziemlich neu aussehende Omega Seamaster über den Ladentisch zugeschoben. Ist aber ein Chronometer, Officially Certified, sagte der. Omega Seamaster als Chronometer gibt es eigentlich gar nicht, für Chronometer hatte Omega seine Constellation Linie. Aber es gab keinen Zweifel, es stand wirklich auf dem Zifferblatt: Omega Automatic Chronometer Officially Certified. Meine sieht natürlich in der Wirklichkeit sehr viel besser aus als dieses Exemplar hier (sie können ein neuwertiges Exemplar ➱hier betrachten). Sie brauchte auch nicht zum Service, der Sticker vom letzten Omega Service klebte noch auf dem Boden. Ich kaufte sie sofort. Vierhundert Mark waren für die Uhr nicht zu viel.

Aber war sie wirklich echt? Was mich irritierte, war dieser Gehäuseboden. Kein Seepferdchen. Alle Seamaster Modelle haben immer eine Art Seepferdchen auf dem Boden. Ich hatte damals keinen Computer, ich weiß auch nicht, ob es das Zauberreich Internet und dessen Schlüssel Suchmaschine überhaupt schon gab. Ich schrieb an Monsieur Marco Richon, den Leiter des Omega Museums. Dem hatte ich mal einen Gefallen getan, er bedankte sich mit der Zusendung wunderbarer Werbegeschenke und versicherte mir, dass ich mich bei allen Fragen jederzeit an ihn wenden könne. Auf Französisch. Er konnte selbstverständlich Deutsch, aber wenn der Firmensitz Bienne und nicht Biel ist, dann schreibt man eben Französisch. Die Antwort kam prompt (natürlich in französischer Sprache): diese Omega Seamaster Chronometer war keine nachträgliche Mariage, sie war echt. Eine Photokopie der Hollerith Karte mit allen Daten der Uhr war beigelegt. So weiß ich, dass die Uhr am 25. November 1969 gebaut wurde.

Als die Seamaster Ende der vierziger Jahre auf den Markt kam (so sah sie damals aus), war sie eine wasserdichte, belastbare Sportuhr. An Chronometerzeugnisse hatte man nicht gedacht. Wozu auch? Die Qualitätsstandards von Omega und den anderen Herstellen von Präzisionsuhren waren damals hoch, die Seamaster Modelle hätten wahrscheinlich jede Prüfung bestanden. Die Uhren von ➱Eterna und der ➱IWC auch. Es war eigentlich eine Selbstverständlichkeit, man hätte sich geschämt dieses prollige superlative chronometer officially certified auf das Zifferblatt zu schreiben, wie Rolex das tat.

Als Erkennungsmerkmal bekam die Seamaster dieses seltsame Tier auf den Boden. Das sich im Sommer immer schön in den Arm prägt, sodass man mit dem Abdruck eines Seepferdes herumläuft, als wäre es ein Discostempel. Von daher gesehen ist der glatte Boden der obigen Seamaster Chronometer natürlich praktischer. Es ist natürlich kein Seepferdchen, es ist ein griechisches ἱππόκαμπος. Diesen kleinen Bildungsscherz musste ich mir mal eben erlauben, Sie können ➱hier eine Vielzahl von Darstellungen des Hippocampos betrachten.

Viele Firmen suchten sich nach 1945 wiedererkennbare Symbole, um ihre Modelle zu kennzeichnen. Aber keins erwies sich als so zugkräftig wie Omegas Variante des mythologischen Hippocampos. Das in den Gehäuseboden eingeritzte ➱Seepferdchen der Seiko Seahorse auf keinen Fall. Meine Geschichte mit der seltenen Omega Seamaster Chronometer wäre an dieser Stelle zu Ende. Wenn da nicht Jahre später der mehrteilige Artikel über Seamaster Chronometer in der Zeitschrift Klassik Uhren gewesen wäre. In dem meine Uhr als eine glatte Fälschung bezeichnet wurde.

Ich schrieb an die Redaktion, woraufhin der Autor des Artikels im nächsten Heft noch energischer die Echtheit dieses Modells anzweifelte. Doch der Redaktion war das Ganze wohl etwas unheimlich geworden, sie schickten meinen Brief an Omega. Die haben da eine ganze Abteilung, die sich nur um die Fragen von Sammler kümmert. So etwas gibt es bei Rolex nicht. Und aus Biel kam die Antwort von John R. Diethelm: die Uhr ist echt. Allerdings, es gab da eine Einschränkung, die ich natürlich längst kannte. Diese Uhr hatte ihr Uhrenleben nicht als Omega Seamaster Chronometer begonnen, sondern als Omega Genève Chronometer (was sicherlich noch seltener ist).

Aber plötzlich merkte man bei Omega, dass man einen schrecklichen Fehler gemacht hatte. Man hatte gerade die Omega Dependance in Genf geschlossen und hatte deshalb keine Berechtigung mehr, dieses prestigeträchtige Wort Genève auf das Zifferblatt zu schreiben. Die Genfer Uhrenfirmen drohten schon mit einer Klage. Omega reagierte prompt: man druckte neue Zifferblätter auf denen jetzt Seamaster (statt Genève) stand. Und natürlich Omega Automatic Chronometer Officially Certified. Und bei den Uhren, die schon verkauft waren und zum Service geschickt worden waren, wurde stillklammheimlich das Zifferblatt ausgetauscht. Die meisten Uhrenbesitzer werden das wohl gar nicht gemerkt haben.

In der Uhr tickt das Kaliber 551, typisch für Omega rotvergoldet, das beste Automatikwerk, das Omega je gebaut hat. Mit der Aufschrift twenty-four jewels, adjusted to five positions and temperature. Mit einer Glucydur Unruhe ohne Schrauben, einer Incabloc Stoßsicherung und einer Schwanenhalsfeinregulierung. Es war das Werk, das auch in den Constellation Modellen der damaligen Zeit war.

Zur Constellation fehlt dieser Uhr eigentlich nur das Sternwartensymbol auf dem Gehäuseboden. Da müssen natürlich acht Sterne im Himmel sein, eine Constellation hat immer neun Sterne. Einer auf dem Zifferblatt, acht auf der Rückseite. Wenn da Sterne fehlen, ist der Boden abgeschliffen, das haben Sammler nicht so gerne. Die Firma Omega hat immer wieder mal eine kleine Serie von Seamaster Chronometern aufgelegt, sie bleiben eine Seltenheit. Wenn sie vielleicht auch nicht so selten sind wie meine Omega Genève, die sich in eine Seamaster verwandelte. Der Autor des Artikels in Klassik Uhren hatte seinerzeit seine angebliche Mariage voller Empörung an den Händler zurückgeschickt. Der hat sich hinterher, nachdem die ganze Geschichte dieser Uhr publik wurde, bei mir bedankt. Er hatte die Omega  nämlich für ein Vielfaches des ursprünglichen Preises verkauft.

Weil es auch fast unmöglich ist, heute noch eine Omega Seamaster Chronometer zu kaufen, soll hier demnächst auch einmal über Uhren geschrieben werden, die man jederzeit kaufen kann. Auch nachts am Bahnhof und tagsüber in Antalya am Strand. Es sind Uhren eines bekannten Massenherstellers mit fünf Buchstaben. Nein, nicht Seiko. Fängt mir R und hört mit X auf. Freuen Sie sich schon mal darauf.

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